L 8 RA 54/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 2433/96-2
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 54/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 224/03 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2000 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist Anerkennung von Beitragszeiten streitig.

Der am 7. Januar 1926 in Poznan/Polen geborene Kläger ist als Jude Verfolgter des Nationalsozialismus. Nach Kriegsende kam er ins Bundesgebiet, wo er zunächst in dem Displaced Persons (DP)-Lager Leipheim (bei Neu-Ulm) und später in der Ludendorffkaserne in Neu-Ulm lebte. Ende 1948 wanderte er nach Israel aus, wo er seither israelischer Staatsbürger lebt. Er erhält von der Beklagten auf seinen Antrag vom 29. Dezember 1986 hin seit dem 1. Februar 1991 ein Altersruhegeld aus nachentrichteten freiwilligen Beiträgen (Bescheid vom 4. Dezember 1990).

Am 18. März 1994 machte der Kläger bei der Beklagten geltend, er habe seit August 1946 für die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) gearbeitet. Er habe im DP-Lager Leipheim als Messing Clerk begonnen und sei später in der Ludendorffkaserne Neu-Ulm tätig gewesen. Er legte dazu ein Zeugnis vom 8. Oktober 1948, ein Diplom über einen am 29. Januar 1947 absolvierten Kurs im UNRRA U.S. Zone Training Center, Bad Wiessee und einen Führerschein, ausgestellt am 25. November 1947 vor, in dem als Beruf "Buchhalter" angeben ist. Anfragen der Beklagten bei der AOK Ulm, dem Amt für Verteidigungslasten Kaiserslautern, der AOK Günzburg, der LVA Oberbayern und der AOK München blieben erfolglos. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Feststellung von Versicherungszeiten daraufhin ab (Bescheid vom 30. August 1994). Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte die Entschädigungsakte bei und fragte ergänzend bei den Landratsämtern Neu-Ulm und Günzburg und der AOK Neu-Ulm wegen der behaupteten Beitragszeiten an. Auch diese Ermittlungen blieben ohne Erfolg. Den Widerspruch wies die Beklagte daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1996 zurück.

Im hiergegen beim Sozialgericht (SG) Berlin gerichteten Klageverfahren hat der Kläger in einer persönlichen Erklärung vom 6. Mai 1997 dargelegt, er habe dank seiner guten Sprachkenntnisse Anfang Juli 1946 eine Anstellung im DP-Lager Leipheim als Gehilfe in der Lagerverwaltung (Berechnung, Bestellung und Verteilung der Lebensmittel an die Insassen) gefunden. Nach etwa einem Monat habe sich ein amerikanischer Offizier an ihn gewandt und ihm den Posten im neu errichteten Lager in der Ludendorffkaserne angeboten. Er sei dort Leiter der Verpflegungsabteilung gewesen und habe die Aufgabe gehabt, die erforderlichen Mengen an Lebensmitteln zu berechnen, bei der Hauptverwaltung zu bestellen und die Verteilung zu organisieren. Bis zur Währungsreform habe er 1500,- Mark monatlich erhalten, danach seien es 250,- DM gewesen, daneben eine Zigaretten-Ration. Er hat sich auf eine schriftliche Zeugenerklärung des E N vom 6. Mai 1997 bezogen, der erklärt hatte, er sei als Gehilfe für den Kläger tätig gewesen. Er, E N, habe aber nicht als Angestellter der UNRRA gegolten und daher kein Gehalt, sondern nur Verpflegung erhalten. Es ist die von der Beklagten im Widerspruchsverfahren angeforderte Auskunft des Internationalen Suchdienstes Arolsen eingegangen, wonach in den Unterlagen über den Kläger, die auf seinen damaligen Angaben beruhen, unter anderem erwähnt ist, dass er von 1946 bis 1948 als Messing Officer bei der UNRRA-IRO, Leipheim, Neu-Ulm für 150 RM tätig war. Für den 21. März 1948 ist ein Aufenthalt im DP-Lager Augsburg vermerkt. Das SG hat den Zeugen S I im Wege der Rechtshilfe vernommen. Der Zeuge hat im Wesentlichen bekundet, er, der Zeuge, habe ebenfalls – vermittelt durch den Kläger – im Lebensmittelager des DP-Lagers gearbeitet und der Kläger sei sein direkter Vorgesetzter gewesen. Er habe Geld und Lebensmittel erhalten, wisse aber nicht, ob für ihn und den Kläger Sozialversicherungsabgaben gezahlt worden seien. Entsprechende Zeiten habe die Beklagte in seinem Fall nicht anerkannt. Eine Vernehmung des E N konnte nicht mehr durchgeführt werden, da dieser mittlerweile verstorben war.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 1. August 1946 bis 8. Oktober 1948 als glaubhaft gemachte Beitragszeit anzuerkennen. Das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis sei mit den vorlegten Unterlagen – insbesondere dem Zeugnis, das eine durchgehende Tätigkeit vom 1. August 1946 bis zum 8. Oktober 1948 bestätige -, den früheren Angaben des Klägers gegenüber dem Internationalen Suchdienst und der Zeugenaussage glaubhaft gemacht. Versicherungspflicht habe sich aus der Verordnung Nr. 53 betreffend die Sozialversicherungspflicht der verschleppten Personen vom 4. März 1946 (Inkrafttreten zum 1. April 1946) ergeben. Mit 150 RM habe das erzielte Entgelt auch nicht über der Jahresarbeitsverdienstgrenze gelegen. Soweit der Kläger im Laufe des Verfahrens als Verdienst 1500 RM angegeben habe, beruhe dies offenbar auf einem Irrtum. Im konkreten Fall seien zwar keine Beitragsunterlagen für den Kläger aufgefunden worden. Da die Entlohnung der bei der UNRRA und später der International Refugee Organisation (IRO) beschäftigten DPs in Bayern vom 1. April 1946 bis zum 31. Juli 1947 durch die örtlichen Kommunalverwaltungen und später durch die Besatzungskostenämter erfolgt sei (vgl. Schreiben der AOK München vom 24. Januar 1958), könne davon ausgegangen werden, dass die Beitragsmeldung anhand von Listen an die zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkassen erfolgt sei. Nach einer Auskunft des Amtes für Verteidigungslasten aus dem Jahre 1987 könne von Beitragstreue der Besatzungskostenämter ausgegangen werden. Bei der jeweiligen AOK seien die Versicherten offenbar nicht einzeln in die Mitgliederlisten aufgenommen worden. Mitglieder- und Leistungskarten seien nach Auskünften der AOK München vom 24. April 1997 und der AOK Landsberg vom 20. April 1998 nicht geführt worden. Die Versicherten seien nur dann in die Mitgliederkartei aufgenommen worden, wenn sie einen Leistungsantrag bei der Krankenkasse gestellt hätten. Versicherungskarten seien für die DPs nicht oder nur selten ausgestellt worden. Dies sei daraus zu schließen, dass auch in Fällen, in denen die Beitragsabführung (beim Arbeitgeber) nachgewiesen sei, keine Versicherungskarten hätten aufgefunden werden können und deren Ausstellung von den zuständigen Gemeindeverwaltungen nicht hätten bestätigt werden können. Die Unterlagen der Besatzungskostenämter seien mittlerweile zum größten Teil vernichtet. Hinweise auf die regelmäßige Abführung der Beiträge an die zuständigen AOK ergäben sich aus anderen Verfahren, in denen Arbeitgeberhebelisten gefunden worden seien (so für die Lager Landsberg/Lech, Ulm, Pocking). Die Kammer verkenne nicht, dass es Fälle gebe, in denen die Beitragsentrichtung für DPs unterblieben sei. Insgesamt sprächen angesichts aller bekannter Umstände aber mehr Umstände für eine Beitragsentrichtung als dagegen. Die Klage sei allerdings insoweit unbegründet, als das Zeugnis des Klägers eine Beschäftigung für die Zeit vom 9. bis 31. Oktober 1948 nicht bestätige (Urteil vom 27. April 2000).

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, die dem Grunde nach (überwiegend wahrscheinliche) versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Entgelt als solche stehe trotz einiger Bedenken im Wesentlichen nicht in Streit. Es sei aber reine Vermutung, eine Entlohnung durch das Besatzungskostensamt und darauf aufbauend bei Beitragstreue dieser Ämter zu unterstellen, dass eine Beitragszahlung für den Kläger stattgefunden habe. Aus einer Vielzahl von Verfahren sei bekannt, dass es sehr viele individuelle Gestaltungen gebe, und in der überwiegenden Zahl die Glaubhaftmachung gerade nicht gelungen sei. Die Beklagte sei mittlerweile von ihrer Ansicht, es komme entscheidend darauf an, welche Stelle die Beschäftigten entlohnt habe, abgerückt. Dazu hat sie eine Kopie der Niederschrift über die Zeugenvernehmung des K, des ehemaligen Dienststellen- und Lohnstellenleiters des Besatzungskostenamtes München, vor dem SG Berlin vom 23. Juli 2001 (Az.: S 9 RA 922/97-2) vorgelegt. Diese habe ergeben, dass selbst bei einer Beschäftigung bei der UNRRA/IRO und einer daraus resultierenden Entlohnung des Klägers durch das Besatzungskostenamt nicht zwingend davon ausgegangen werden könne, dass Beiträge ordnungsgemäß abgeführt worden seien. Der Zeuge habe ausgesagt, es seien beim Besatzungskostenamt München auch Listen zur Abrechnung für mehrere tausend beschäftigte DPs eingegangen, auf denen der Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen nicht dokumentiert gewesen sei. Die Arbeitgeber hätten diesen Personenkreis wohl irrtümlich als nicht versicherungspflichtig eingestuft. Die Anmeldung der Beschäftigten habe aber durch die Arbeitgeber, nicht durch die Besatzungskostenämter erfolgen müssen. Hier habe es noch bis Mitte 1948 Streit über die Versicherungspflicht gegeben, wie die Entscheidung des Oberversicherungsamtes München vom 30. August 1948 zeige. Ergänzend hat sie sich auf die Ergebnisse der Ermittlungen in der Sache L 8 RA 4/99 (Lehrer in der ORT Schule Landsberg/Lech) bezogen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und hat vertiefend auf eine ganze Reihe positiver Ermittlungsergebnisse über die erfolgte Beitragsabführung in der amerikanischen Zone hingewiesen.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten (Vers.-Nr. 53 070126 Y 002), die Verwaltungsakten des Bayrischen Landesentschädigungssamtes (Az.: EK 4002/52) sowie die Akten des Sozialgerichts Berlin (S 9 RA 2433/96-2) vorgelegen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Anerkennung von Beitragszeiten vom 1. August 1946 bis 8. Oktober 1948 verurteilt, denn solche Zeiten hat der Kläger nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zurückgelegt.

Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung glaubhaft gemachter Beitragszeiten richtet sich vorliegend nach § 286a SGB VI. Danach sind Zeiten der Beschäftigung oder Tätigkeit vor dem 1. Januar 1950, für die Versicherungsunterlagen fehlen, als Beitragszeiten anzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass die Versicherungskarten bei dem Arbeitgeber oder Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Träger der Rentenversicherung verloren gegangen sind und dass der Versicherte eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die Beiträge gezahlt worden sind. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine Glaubhaftmachung der streitigen Beitragszeiten nicht gelungen. Zwar steht mit den vorliegenden Unterlagen und der Zeugenaussage eine abhängige Beschäftigung des Klägers bei der UNRRA mit ausreichender Sicherheit fest. Der Senat ist insoweit ebenso wie das SG der Auffassung, dass insbesondere das vorgelegte Zeugnis, die früheren Angaben des Klägers bei seiner Ausreise nach Israel und schließlich die Aussage des Zeugen S I vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, dass ein entgeltliches und abhängiges und damit entsprechend den vom SG im Einzelnen zitierten geltenden Rechtsvorschriften versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zur UNRRA und nach deren Auflösung zur IRO bestanden hat und verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Soweit die Beklagte dagegen eingewandt hat, aus der ITS-Bescheinigung und der Bescheinigung über den durchlaufenen Kurs bei der UNRRA ergäben sich zum Teil schon andere Aufenthaltsorte des Klägers, was das durchgehende Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses unwahrscheinlich mache, kann der Senat diese Bedenken nicht teilen. Da der Kläger schon gegenüber dem Internationalen Suchdienst bei seiner Auswanderung die Beschäftigung so angegeben hatte wie heute, diese Zeit durchgehend im Zeugnis bestätigt wird und schließlich Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der die Angaben bestätigt hat, nicht bestehen, ist überwiegend wahrscheinlich, dass es sich bei Aufenthalten in den anderen, ohnehin nur wenige Kilometer entfernten Lagern nur um kürzere Aufenthalte gehandelt hat. Der durchlaufene Kurs war einer längeren Ausbildung offenbar nicht gleichgestellt. Es geht aus dem Diplom nicht einmal hervor, welche Befähigung der Kläger hierdurch erreicht hat, so dass ein längerer Aufenthalt in Bad Wiessee zu Ausbildungszwecken nicht wahrscheinlich erscheint. Hinsichtlich der klägerischen Angaben zum Gehalt geht der Senat wie das SG davon aus, dass die Angaben gegenüber dem ITS mit einem Monatsverdienst von 150 Reichsmark bis zur Währungsreform vor dem Hintergrund des allgemeinen Lohngefüges nachvollziehbar sind und es sich bei der späteren Angabe um ein Versehen handeln muss. Die von der Beklagten im Übrigen vorgetragene Möglichkeit, es könne auch eine Aneinanderreihung vorübergehender Beschäftigungen im Sinne des § 10 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) a.F. vorgelegen haben, mag zwar denkbar sein, ist aber zu spekulativ, als dass sie vorliegend der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines regulären Beschäftigungsverhältnisses entgegenstehen könnte.

Für die Glaubhaftmachung einer Beitragszeit ist jedoch nicht nur das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses glaubhaft zu machen. Es muss zudem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass Beiträge für ein solches dem Grunde nach versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis tatsächlich auch gezahlt worden sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist entscheidend für eine Glaubhaftmachung der Beitragsabführung zur Rentenversicherung solcher dem Grunde nach überwiegend wahrscheinlich gemachter Beschäftigungsverhältnisse in DP-Lagern, ob sich im Einzelfall ausreichende Anhaltspunkte für eine Beitragsabführung ergeben haben (vgl. nur Urteile vom 15. Mai 2003 -L 8 RA 4/99-, vom 14. November 2002 -L 8 RA 14/01- und vom 22. Februar 2001 – L 8 RA 53/00). Daran hält der Senat fest und sieht für die Annahme des Klägers, bei versicherungspflichtigen Beschäftigungen in DP-Lagern bestehe im Grundsatz eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Beitragsabführung, auch im Ergebnis des vorliegenden Verfahrens keine ausreichende Grundlage. Damit ist die Glaubhaftmachung der hier geltend gemachten Beitragszeit aber nicht gelungen.

In den DP-Lagern in der amerikanischen und britischen Zone der späteren Bundesrepublik Deutschland lebten Ende 1946 schätzungsweise 185.000 aus der Verfolgung durch den Nationalsozialismus befreite oder aufgrund der Kriegseinwirkungen aus ihren Heimatländern geflüchtete Menschen vornehmlich jüdischer Herkunft; bis Ende 1952 sind schätzungsweise 650.000 Menschen über diese Lager vor allem in die USA, nach Großbritannien und nach Israel ausgewandert. Die Lager standen unter der Kontrolle der Militärbehörden, die Lagerbewohner sind von der UNRRA und ihrer Nachfolgeorganisation, der 1947 gegründeten IRO, betreut worden. Im Laufe der Zeit sind auch externe Wohlfahrtsorganisationen (vor allem das American Jewish Joint Distribution Committee [kurz: Joint], die jüdische Berufsausbildungsorganisation ORT und [in der britischen Zone] die Jewish Relief Unit) tätig geworden und haben vorrangig die Selbsthilfe der auf die Auswanderung wartenden Flüchtlinge (insbesondere im Bereich der Erziehung und der landwirtschaftlichen Ausbildung) organisiert und unterstützt (zum Ganzen Jäckel ua., Enzyklopädie des Holocaust, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Tel Aviv 1990 und München 1993, Stichwort: Displaced Persons). Folglich kommen für Beschäftigungen in einem DP-Lager eine Reihe von möglichen Ausgestaltungen in Betracht. Während insbesondere für die große Gruppe der im Rahmen der Selbsthilfe in den Lagern tätig gewesenen Personen im Einzelfall schon zweifelhaft sein kann, ob ihrer Tätigkeit abhängige, entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse zugrunde lagen, stellt sich bei den gegen Entgelt für die genannten Organisationen im Bereich der eigentlichen Verwaltung der Lager tätig gewesenen Personen (wie hier beim Kläger) vorrangig die Frage, ob beim jeweiligen Arbeitgeber von Beitragstreue ausgegangen werden kann und die Glaubhaftmachung unter diesem Gesichtspunkt gelungen ist. Auch wenn – wie hier – die lagerübergreifenden Organisationen UNRRA bzw. die IRO als Arbeitgeber feststehen, die zweifellos in einer Vielzahl von Fällen Beiträge für ihre Beschäftigten abgeführt haben, sieht es der Senat daneben als Wesentlich für die Annahme von Beitragstreue an, in welchem Lager die Beschäftigung stattgefunden hat und welche Erkenntnisse konkret für die Vorgehensweise in diesem Lager vorliegen. Ausreichende Anhaltspunkte für eine einheitliche Vorgehensweise der Beitragsabführung bei Beschäftigten der UNRRA/IRO ergeben sich (wie auch bei Beschäftigten der genannten Wohlfahrtsorganisationen) nicht.

In diesem Ansatzpunkt sieht sich der Senat insbesondere durch die Aussage des von der 9. Kammer des Sozialgerichts Berlin am 23. Juli 2001 vernommenen Zeugen Karl Crusius bestätigt. Der Zeuge, der als Dienststellen- und Lohnstellenleiter des Besatzungskostenamtes der Stadt München in der Zeit ab September 1945 zuständig für die Organisation und Verrechnung der Lohnzahlungen an Beschäftigte bei den Streitkräften und bei der UNRRA/IRO war, hat zwar ausgesagt, von der Zentralen Lohnstelle seien für einen großen Teil der Beschäftigten (etwa 6000 bis 8000 Personen) von den Löhnen Sozialversicherungsbeiträge (meistenteils an die Ortskrankenkassen) abgeführt worden. Er hat auch dargelegt, dass Versicherungskarten wegen des Papiermangels in den ersten Jahren nicht ausgestellt werden konnten und die Beschäftigten zum Teil an der Aushändigung der ausgeteilten Einlegeblätter und dem Umtausch der in den späteren Jahren ausgestellten Versicherungskarten nicht interessiert waren, was den Verlust der Beitragsunterlagen bei den Versicherten selbst als weitere Voraussetzung der Glaubhaftmachung nach § 286a SGB VI nachvollziehbar macht. Es seien aber in der Zeit von 1946 bis März 1948 auch Listen für etwa 4000 bis 5000 Beschäftigte der UNRRA eingegangen, auf denen nur die Namen und ein (auszuzahlender) Betrag gestanden habe. In diesen Fällen sei eine Beitragsabführung nicht erfolgt. Die Listen seien unmittelbar von den UNRRA-Dienststellen eingegangen und im Amt nur nachgerechnet worden. Aus welchem Grund diese Unterscheidung gemacht worden sei, könne er nicht sagen. Das Besatzungskostenamt habe jedenfalls keine eigentliche Prüfung der Beitragspflicht vorgenommen, sondern die Vorgaben in den Listen hingenommen. Vor dem Hintergrund dieser Aussage kommt der Senat zu dem Schluss, dass – anders als es das SG noch angenommen hat – allein aus der Lohnabrechung über das jeweils zuständig gewesene Besatzungskostenamt von Beitragstreue nicht ausgegangen werden kann. Zwar war im vorliegenden Fall das Besatzungskostenamt der Stadt München, in dem der Zeuge tätig war, nicht örtlich zuständig. Aus den übrigen vorliegenden Unterlagen – insbesondere den noch vereinzelt vorliegenden Lohnlisten aus verschiedenen DP-Lagern - lässt sich aber der Schluss ziehen, dass die vom Zeugen beschriebene Vorgehensweise mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der gesamten amerikanischen Zone herrschende Praxis war und in den einzelnen Dienststellen der UNRRA und nicht bei den Besatzungskostenämtern die Entscheidungen über die Abführung von Beiträgen getroffen worden sind. In einer ganzen Reihe solcher Listen ist der Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen kenntlich gemacht. In anderen Listen fehlen dagegen die Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge. Es lässt sich mit der Aussage des Zeugen auch nicht argumentieren, die Unsicherheit in der Frage der Beitragsabführung habe sich nur auf die Zeit vor bzw. die erste Zeit nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 53 betreffend die Sozialversicherungspflicht der verschleppten Personen vom 4. März 1946 (Bayrisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 12/1946 S. 187) bezogen. Er hat dies auf ausdrückliche Nachfrage der Kammervorsitzenden verneint. Die von ihm genannte Zahl von Fällen, in denen damit über Jahre hinweg eine Beitragsabführung nicht stattgefunden hat, ist so groß, dass weder davon ausgegangen werden kann, in diesen Fällen habe Versicherungspflicht tatsächlich nicht bestanden, noch dass die Beitragsabführung nur in einer zu vernachlässigenden Zahl von Einzelfällen unterblieben sei. Schließlich zeigt auch die Notwendigkeit einer Entscheidung des Oberversicherungsamtes München noch im August 1948 zur streitig gewesenen Frage der Versicherungspflicht, dass je nach Lagerleitung offenbar eine von der Verordnungs- und Weisungslage ggf abweichende Auffassung zum Bestehen der Versicherungspflicht bestand.

Rückschlüsse aus Ermittlungsergebnissen in den von den Beteiligten in Bezug genommenen anderen Verfahren lassen sich, da diese Fälle allesamt andere Lager und/oder Beschäftigungen für andere Organisationen als die UNRRA/IRO betreffen, weder im Sinne des klägerischen Standpunkts noch des Standpunkts der Beklagten ziehen. Schlussfolgerungen aus Ermittlungsergebnissen anderer Fälle sind im Rahmen der Glaubhaftmachung einer Beitragszeit aus Sicht des Senats nur geboten, wenn sich jedenfalls ein Bezug zu Lager sowie zu Tätigkeit und auch Arbeitgeber des jeweils Betroffenen herstellen lässt, wobei je nach Einzelfall (zeitnahe) Nachweise etwa für Arbeitskollegen für die Glaubhaftmachung der Beitragsentrichtung ausreichen können (vgl. etwa Urteil des Senats vom 14. November 2002 -L 8 RA 14/01). Wenn ein solcher Zusammenhang nicht besteht, erscheinen Erkenntnisse aus anderen Verfahren angesichts der unterschiedlichen Handhabung in den Lagern einer Aufklärung des Einzelfalles nicht förderlich.

Vorliegend sind sämtliche vor diesem Hintergrund in Betracht kommenden Ermittlungen durchgeführt worden, ohne dass sich Hinweise zugunsten des Klägers ergeben haben, die die mit guter Möglichkeit stattgehabte Beitragsabführung in seinem Fall überwiegend wahrscheinlich machen. Die Beklagte und das SG haben sämtliche in Betracht kommenden Archive angeschrieben; das SG hat den Zeugen S I vernommen, und nicht nur die Akten des Klägers, sondern auch des Zeugen ausgewertet. Der Zeuge hat genaue Angaben zur behaupteten Beitragsabführung ausdrücklich nicht machen können. Auch in seinem Fall sind keine weiteren Umstände bezüglich einer Beitragsabführung bekannt. Die übrigen Ermittlungen sind ohne Erfolg geblieben. Auf eine solche einzelfallbezogene Klärung bezieht sich allein die Ermittlungspflicht der Beklagten und des Gerichts. Den weiteren vom Kläger im Laufe des Verfahrens angeregten Ermittlungsschritten war nicht zu folgen. Die Anfrage im Staatsarchiv Augsburg in einem Parallelverfahren hatte nur ergeben, dass wegen der Unterlagen im DP-Lager Leipheim (in dem vorliegend ohnehin nur eine kurze Zeit der Beschäftigung vorgetragen ist) auf die AOK Günzburg verwiesen worden war, die im vorliegenden Fall (wie auch im Parallelverfahren ausführlich) dargelegt hat, nicht mehr über Unterlagen zu verfügen. Andere Erkenntnisse, wo außer bei den angefragten Stellen weitere Unterlagen aus dem Lager in Neu-Ulm vorliegen könnten, die Aufschluss über die dortige Praxis hinsichtlich der Beitragsabführung geben könnten, liegen dem Senat weder aus anderen Verfahren vor noch sind sie vom Kläger konkret vorgetragen worden.

Schließlich ergibt sich auch keine andere Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse daraus, dass der Kläger unverschuldet in die bestehende Beweisnot geraten ist. Bei seiner Argumentation, vor dem Hintergrund der Vernichtung der Archive der bayrischen Besatzungskostenämter bzw. Ämter für Verteidigungslasten in den 80er Jahren, wie sie der Zeuge Oestmann gegenüber dem SG Berlin bei seiner Vernehmung am 23. Juli 2001 in dem Verfahren S 9 RA 922/97-2 dargelegt hat, sei eine Umkehr der Beweislast angezeigt, da die Verantwortlichen im Amt für Verteidigungslasten in München wegen der vielen Anfragen hätten erkennen müssen, dass die Unterlagen ggf. noch benötigt würden, übersieht der Kläger, dass die Beweiserleichterung des § 286a SGB VI bereits die Fälle berücksichtigt, in denen ohne Verschulden des Versicherten Nachweise nicht mehr zu erbringen sind. Für eine weitergehende Beweiserleichterung im Sinne einer "Umkehr der Beweislast" ist angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kein Raum, zumal auch die Beklagte kein Verschulden an der Vernichtung der Archive trifft. Die bestehenden gewichtigen Zweifel im vorliegenden Einzelfall, die der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Beitragsabführung entgegenstehen, gehen damit zu Lasten des Klägers.

Nach alledem war das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) ist nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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