L 18 B 37/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 63 AS 11117/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 37/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 24. Januar 2006 bis zum 31. Mai 2006 zu gewähren; im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

Gründe:

Die Beschwerde ist hinsichtlich des Antragstellers zu 1) in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie nicht begründet und war zurückzuweisen.

Dem Antrag des Antragstellers zu 1) auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war für die Zeit ab dem 24. Januar 2006 zu entsprechen, weil der – unstreitig – hilfebedürftige (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II -) und erwerbsfähige (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) Antragsteller zu 1) insoweit einen durch eine vorläufige Regelung zu sichernden individuellen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 19 Satz 1 SGB II hat und der Anordnungsgrund sich ohne weiteres aus der existenzsichernden Funktion dieser Leistungen ergibt. Hilfeansprüche der Antragsteller zu 2) bis 4), die ungeachtet der hier nicht zu entscheidenden Rechtsfrage, ob sie mit dem Antragsteller zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 SGB II bilden, rechtlich selbständig sind (vgl. zum Sozialhilferecht insoweit: BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1992 – 5 C 65/88 = NJW 1993, 2884-2885), bestehen gegenüber der Antragsgegnerin hingegen nicht.

Nach der Inaugenscheinnahme der Wohnung S Ring in B, der Meldeanschrift der Antragsteller, und der Vernehmung der Zeuginnen D R und K R im Erörterungstermin des Senats in dieser Wohnung am 24. Januar 2006 steht mit der gebotenen, aber für den Erlass einer Regelungsanordnung auch ausreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit fest, dass lediglich der Antragsteller zu 1) zumindest von diesem Zeitpunkt an seinen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) als Voraussetzung für die Gewährung von SGB II- Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland hat. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts knüpft an die tatsächlichen Verhältnisse an. Diese müssen die Feststellung erlauben, dass der Betreffende den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft in Deutschland hat. Hierzu bedarf es u.a. regelmäßig auch eines auf Dauer angelegten Wohnsitzes, d. h. eines Wohnsitzes, den der Betreffende unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I).

Die Wohnungsbegehung des Senats hat ergeben, dass sich dort dauerhaft nutzbare Schlafmöglichkeiten nur für den die Schule in B besuchenden Sohn R und die Antragsteller zu 1) und 2) befinden. Die Ausstattung der Sanitärräume mit Waschutensilien und drei kleineren Handtüchern lässt ebenfalls nicht auf die dauerhafte Nutzung durch eine fünfköpfige Familie schließen. Dies mag noch im Einklang stehen mit der Tatsache, dass die Kinder J und P seit dem 1. September 2005 eine Schule in G (D) besuchen und sich dort bis auf Besuche in B bei der Großmutter aufhalten. Ausschlaggebend dafür, dass mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit nur von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu 1) und seines Sohnes R in B ausgegangen werden kann, waren aber die Aussagen der Zeuginnen R. So hat die Zeugin K R als unmittelbare Flurnachbarin erklärt, die Wohnung am Tag der Begehung durch den Senat erstmals betreten zu haben. Sie will zuvor seit Mai 2005 lediglich im Flur bzw. vom Balkon aus mehrfach den Antragsteller zu 1) und dessen Sohn R gesehen haben, während sie ansonsten nur über Geräusche eines spielenden Kindes zu berichten wusste, dessen Geschlecht ihr bis dahin nicht bekannt gewesen sei. Demgegenüber hat die Tochter D R ausgesagt, die Familie des Antragstellers zu 1) über ihre Mutter kennen gelernt zu haben und fast wöchentlich in der Wohnung der Familie zu Besuch zu sein. Mit ihrer von den Antragstellern vorgelegten schriftlichen Erklärung vom 6. Januar 2006 ist dieses Vorbringen jedoch nicht zu vereinbaren; dort hatte die Zeugin nämlich angegeben, der Familie "oft auf dem Hausflur" zu begegnen und Geräusche aus der Wohnung zu hören. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, dass diese Zeugin – nicht aber ihre Mutter, über die sie die Antragsteller überhaupt erst kennen gelernt hatte – nunmehr einen engen freundschaftlichen Besuchskontakt mit den Antragstellern zu pflegen vorgibt, ohne dies in ihrer schriftlichen Zeugenerklärung auch nur annähernd anzudeuten. Bei Würdigung dieser Aussagen lässt sich aber auf eine auf Dauer angelegte Nutzung der Wohnung, die auch eine regelmäßige zeitliche Verweildauer in erheblichem Umfang voraussetzt, allenfalls hinsichtlich des Antragstellers zu 1) und des Sohnes R schließen. Demgegenüber ist von einem gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin zu 2) in Deutschland schon mangels annähernder Feststellbarkeit ihrer tatsächlichen Verweildauer in der Wohnung nicht auszugehen. Unter besonderer Beachtung der Familienverhältnisse ist vielmehr die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Antragstellerin zu 2) wie ihre schulpflichtigen minderjährigen Kinder und die Antragsteller zu 3) und 4) ganz überwiegend in P aufhält und die Wohnung in B nur sporadisch – letztlich besuchsweise - bewohnt; dies erhellt auch daraus, dass sich die - noch nicht schulpflichtige und erst vierjährige -Antragstellerin zu 3) auch am Tag des Erörterungstermins in P aufgehalten hat. Es ist auch nicht zu unterstellen, dass die Antragstellerin zu 2) ohne weiteres ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Wohnung S Ring hätte, auch wenn sich dort der Antragsteller zu 1) gewöhnlich aufhält. Denn maßgebend sind insoweit – wie dargelegt - immer die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (vgl. BSG, Urteil vom 15. März 1995 – 5 RJ 28/94 = SozR 3-1200 § 30 Nr. 13). Mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs war die Beschwerde mithin insoweit zurückzuweisen.

Die Regelungsanordnung war erst für die Zeit ab dem 24. Januar 2006 (Wohnungsbegehung) zu erlassen, weil der Senat sich für die Zeit davor im Hinblick auf den Prüfbericht der Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2005 gehindert sah, seinen tatsächlichen Feststellungen "Rückwirkung" bereits für die Zeit ab dem 1. Dezember 2005 – dem Zeitpunkt der Leistungseinstellung – beizumessen. Der Endzeitpunkt berücksichtigt, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin erfolgen kann; der Antragsteller zu 1) hat die Möglichkeit, gegebenenfalls rechtzeitig erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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