L 9 KR 90/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 4408/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 90/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldanspruches der Klägerin.

Die 1960 geborene Klägerin war bis zum 30. September 1999 bei einer Firma für Kraftwerkstechnik beschäftigt und während dieser Zeit freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Ihr monatliches Bruttogehalt betrug 6.643,00 DM. Am 20. September 1999 schloss sie einen Arbeitsvertrag mit einer so genannten Auffanggesellschaft. Für dieses vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. September 2000 befristete Arbeitsverhältnis, welches der Qualifizierung und der Weiterbildung der Klägerin dienen sollte, wurde die Geltung der Bedingungen der "Strukturarbeitszeit Null gemäß § 175 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)" vereinbart. Als Gehalt wurde die Zahlung von Kurzarbeitergeld auf der Basis einer "Bemessungsgrundlage eines monatlichen Bruttoarbeitsentgeltes von 6.643,00 DM" vereinbart.

Wegen einer am 4. Oktober 1999 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit zahlte die Beklagte der Klägerin zunächst vom 5. Oktober 1999 bis zum 31. Dezember 1999 ein kalendertägliches Nettokrankengeld in Höhe von 111, 93 DM und ab 1. Januar 2000 in Höhe von 112, 06 DM (Bruttokrankengeld: 129, 92 DM) auf der Grundlage eines Bruttoentgeltes von 6.643,00 DM monatlich. Hieran anschließend gewährte ihr die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Übergangsgeld für ihre Teilnahme an einer in der Zeit vom 22. Juni 2000 bis zum 13. Juli 2000 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme, aus der die Klägerin arbeitsfähig entlassen wurde. Im Anschluss bezog die Klägerin wieder Kurzarbeitergeld.

Vom 10. August 2000 bis zum 26. September 2000 zeigte die Klägerin der Beklagten erneut Arbeitsunfähigkeit an. Die Beklagte gewährte ihr daraufhin mit Bescheid vom 28. September 2000 ein kalendertägliches Krankengeld ab 11. August 2000 in Höhe von 94,21 DM, berechnet auf der Grundlage des monatlichen Kurzarbeitergeldes der Klägerin im Jahr 2000 in Höhe von 2.826,26 DM monatlich. In Höhe der Hälfte des auf dieser Basis für die Zeit vom 10. August 2000 bis zum 26. September 2000 berechneten Krankengeldes in Höhe von insgesamt 4.427,87 DM rechnete die Beklagte zudem mit der ihres Erachtens für den vorangegangen Leistungszeitraum eingetretenen Überzahlung in Höhe von 2.213,94 DM auf. Diese Überzahlung sei deshalb eingetreten, so die Beklagte, weil die Klägerin für diesen Zeitraum zu Unrecht Krankengeld auf der Grundlage ihres früheren Bruttoentgeltes erhalten habe.

Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin hob die Beklagte diese Aufrechnung auf und wies den Widerspruch im Übrigen durch Widerspruchsbescheid vom 21. November 2000 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Aufrechnung rechtswidrig sei, weil eine Aufhebung der Krankengeldbewilligung für die Zeit vom 5. Oktober 1999 bis zum 21. Juni 2000 aus Vertrauensschutzgründen nicht möglich sei. Die Klägerin habe aber für die Zeit vom 11. August 2000 bis zum 26. September 2000 keinen Anspruch auf höheres Krankengeld. Die Höhe des Krankengeldes für Bezieher von Kurzarbeitergeld sei so zu bemessen, dass das Krankengeld nicht höher sei als die Summe von Kurzarbeitergeld und Kurzlohn. Dies folge aus der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes. Soweit die Klägerin meine, dass das Krankengeld bei Beziehern von Kurzarbeitergeld nach dem zuletzt bezogenen Arbeitsentgelt zu bemessen sei, sei dies nicht richtig. Die Klägerin befinde sich seit dem 1. Oktober 1999 in einem neuen Beschäftigungsverhältnis bei der Auffanggesellschaft. Aus dieser Beschäftigung habe die Klägerin aber kein Entgelt bezogen, sondern lediglich Kurzarbeitergeld. Krankengeld stehe ihr deshalb lediglich in Höhe des ihr gewährten Kurzarbeitergeldes zu.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage hat die Klägerin höheres Krankengeld begehrt und daran festgehalten, dass für die Berechnung ihres Krankengeldanspruches nicht auf das ihr entgangene Kurzarbeitergeld abzustellen sei, sondern auf das von ihr zuletzt im September 1999 erzielte monatliche Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 6.643,00 DM.

Das Sozialgericht Berlin hat die angefochtene Entscheidung der Beklagten mit Urteil vom 12. April 2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 11. August 2000 bis zum 26. September 2000 Krankengeld unter Zugrundelegung eines Regelentgeltes in Höhe von 6.643,00 DM zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass das Krankengeld von Kurzarbeitergeldbeziehern nach dem regelmäßigen Arbeitsentgelt zu bemessen sei, welches vor Eintritt des Arbeitsausfalls erzielt worden sei. Dieses Regelentgelt betrage im Falle der Klägerin 6.643,00 DM. Dieses habe sie zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalles im Monat September 1999 erzielt. Soweit die Beklagte meine, dass das Krankengeld der Klägerin auf der Grundlage ihres Kurzarbeitergeldanspruches zu errechnen sei, sei dem nicht zu folgen. Dem stehe zunächst der ausdrückliche Wortlaut des § 47 b Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) entgegen. Sinn und Zweck dieser Regelung sei es zudem zu verhindern, dass sich das Krankengeld eines Kurzarbeitergeldbeziehers wegen des Arbeitsausfalles vermindere. Die Regelung verfolge das Ziel, die Versicherten möglichst so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn im Zeitpunkt der Erkrankung normal gearbeitet worden wäre. Durch das Anknüpfen an das Regelentgelt vor Eintritt des Arbeitsausfalles werde eine solche Schlechterstellung durch den Eintritt der Kurzarbeit verhindert. Eine diesem Wortlaut widersprechende Auslegung könne auch nicht damit begründet werden, dass insoweit eine Lücke im Gesetz vorliege. Denn im Regierungsentwurf zur Vorgängervorschrift des § 47 b Abs. 3 SGB V, die sich in § 164 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) befunden habe, sei ausdrücklich ausgeführt, dass bei der Berechnung des Regellohnes Zeiten, in denen das Arbeitsentgelt durch Kurzarbeit oder Arbeitsausfall wegen schlechten Wetters vermindert gewesen sei, nicht zu berücksichtigt seien. Dadurch sei gewährleistet worden, dass Empfänger von Kurzarbeitergeld oder Schlechtwettergeld ein ausreichendes Krankengeld erhalten hätten. Es sei in Kauf genommen worden, dass in gewissen Fällen der erkrankte Arbeitnehmer höhere Leistungen erhalten habe, als er andernfalls an Kurzlohn oder Kurzarbeiter- oder Schlechtwettergeld erhalten hätte. Der Grundsatz, dass der erkrankte Arbeitnehmer das Gleiche wie der Gesunde erhalten solle, lasse sich bei Lohnausfall wegen Kurzarbeit und schlechten Wetters aus verwaltungstechnischen Gründen nicht verwirklichen. Auch systematische Erwägungen stützten dieses Ergebnis. Das Krankengeld habe zwar Lohnersatzfunktion. Der Gesetzgeber habe aber gerade davon abgesehen, den konkreten Lohnausfall als Bemessungsgrundlage festzulegen und auf einen vor der Arbeitsunfähigkeit liegenden Referenzzeitraum abzustellen.

Gegen dieses ihr am 3. Juni 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. Juni 2002 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, dass nach § 47 b Abs. 3 SGB V das Krankengeld während des Bezuges von Kurzarbeitergeld nach dem regelmäßigen Arbeitsentgelt zu berechnen sei, das zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalles erzielt worden sei. Dieses Regelentgelt sei in § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V gesetzlich definiert. Das Regelentgelt werde danach aus dem Lohnanspruch berechnet, den der Versicherte aus dem den Kurzarbeitergeldbezug rechtfertigenden Beschäftigungsverhältnis erziele. Dies folge aus § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach würden Versicherte vom Krankengeldbezug ausgeschlossen, die nicht in einem entgeltpflichtigen Beschäftigungsverhältnis stünden. Unstreitig sei, dass die Klägerin bei Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit am 4. Oktober 1999 nicht mehr bei der Firma für Kraftwerkstechnik beschäftigt gewesen sei. Aus diesem Beschäftigungsverhältnis könnten daher keine Lohnansprüche mehr erwachsen, die als Regelentgelt im Sinne von § 47 Abs. 1 SGB V in Frage kämen. Arbeits- und sozialrechtlich sei die Klägerin bei Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit bei der Auffanggesellschaft beschäftigt gewesen. Aus diesem neuen Beschäftigungsverhältnis habe die Klägerin lediglich noch Ansprüche auf Kurzarbeitergeld gehabt. Eine grammatikalische, systematische, historische und teleologische Auslegung des § 47 b Abs.3 SGB V müsse deshalb zu dem Ergebnis führen, dass die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld in Höhe des Kurzarbeitergeldes habe. Dieses Ergebnis sei auch im Wege einer analogen Anwendung des § 47 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V zu erreichen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu Recht verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 11. August 2000 bis zum 26. September 2000 Krankengeld nach einem regelmäßigen Arbeitsentgelt in Höhe von 6.643,00 DM zu gewähren.

Maßgebliche Bestimmung für die Berechnung des Krankengeldanspruches der Klägerin ist § 47 b Abs. 3 SGB V. Danach wird für Versicherte, die wie die Klägerin während des Bezuges von Kurzarbeitergeld arbeitsunfähig erkranken, das Krankengeld nach dem regelmäßigen Arbeitsentgelt berechnet, das zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalles erzielt wurde. Die Klägerin hat vor Beginn der Kurzarbeit am 1. Oktober 1999 zuletzt im September 1999 Arbeitsentgelt in Höhe von 6.643,00 DM monatlich erzielt. Dieses Arbeitsentgelt ist damit der Berechnung ihres Krankengeldanspruchs zugrunde zu legen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren ihren Vortrag wiederholt und vertieft, dass § 47 b Abs. 3 SGB V aufgrund einer grammatikalischen, systematischen, historischen und einer teleologischen Interpretation dahin auszulegen sei, dass bei struktureller Kurzarbeit gemäß § 175 Abs. 3 SGB III Krankengeld nur in Höhe des Kurzarbeitergeldes zu zahlen sei oder, sofern mit dieser Interpretation die Grenzen der Auslegung überschritten sein sollten, eine analoge Anwendung des § 47 b Abs. 1 und 2 SGB V zum selben Ergebnis führe, ist dem nicht zu folgen. Diese Auffassung steht im Widerspruch zum eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 47 b Abs. 3 SGB V, der eine Auslegung im Sinne der Beklagten oder gar eine Analogie zu § 47 b Abs. 1 und Abs. 2 SGB V mangels Regelungslücke ausschließt. Denn nach dieser Norm ist abweichend von § 47 Abs. 2 SGB V, wonach für die Berechnung des Krankengeldes im Regelfall auf den letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum (Bemessungszeitraum) abzustellen ist, für Versicherte, die Kurzarbeitergeld beziehen, insoweit durchweg das regelmäßige Arbeitsentgelt (Regelentgelt) zu Grunde zu legen, das zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalles, also vor Beginn der Kurzarbeit, erzielt worden ist. Auf einen geringeren Arbeitsverdienst während der Ausfallzeit oder auf das in dieser Zeit gezahlte Kurzarbeitergeld kommt es damit bei der Berechnung des Krankengeldes nicht an. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 47 b Abs. 3 SGB V oder die von ihr vorgeschlagene Analogie würde diese gesetzgeberische Entscheidung missachten.

Diese Entscheidung des Gesetzgebers gilt es auch deshalb zu beachten, weil § 47 b Abs. 3 SGB V in Kenntnis der Diskussion über die Höhe des Krankengeldes bei struktureller Kurzarbeit gemäß § 175 SGB III (vgl. Höfler in Kasseler Kommentar [Std.: 47 EL/1. Juni 2005], § 47 b RdNr. 27 und Pivit, NZS 2003, S. 472 ff. jeweils m. w. Nachw. und zum früheren Recht: Düe in Niesel, AFG, 2. Auflage 1997, § 164 RdNr. 4) insbesondere bei seiner Einfügung in das SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 1998 durch das Gesetz vom 24. März 1997 (BGBl I S. 594; Vorläufervorschrift § 164 des AFG) mehrfach neu gefasst worden ist und dabei nicht die von der Beklagten bevorzugte Auslegung des § 47 b Abs. 3 SGB V im Wege einer Klarstellung in das Gesetz übernommen worden ist, nach der Bezieher von Kurzarbeitergeld, wie Bezieher von Arbeitslosen- oder Unterhaltsgeld, Krankengeld lediglich in Höhe des Betrages der ihnen gewährten Sozialleistung erhalten. Der Gesetzgeber hat im Gegenteil die differenzierte Ausge-

staltung der Höhe des Krankengeldanspruchs der Kurzarbeitergeldbezieher einerseits und der Arbeitslosengeld- bzw. der Unterhaltsgeldbezieher andererseits beibehalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr.1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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