L 1 RA 76/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 4070/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 76/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Auf die Sachverhaltsdarstellung im Urteil des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 30. Juli 2003 welches sich der Senat durch den erkennenden Richter zu Eigen macht, wird zunächst verwiesen (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 2 entsprechend Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Vom 6. Dezember 1994 bis 23. Dezember 1994 war die Klägerin zur stationären Behandlung im Krankenhaus Z. Am 12. Dezember 1994 erfolgte dort eine laparoskopische Sigmaresektion. Am 4. Januar 1995 wurde sie –laut Krankenhausentlassungsbericht- subjektiv beschwerdefrei entlassen.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente nach dem § 43 f Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fas¬sung (künftig: alte Fassung = a.F.) scheitere an der Voraussetzung des § 44 Abs. 1 SGB VI a. F. Danach müssten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit für drei Jahre Pflichtbeiträge entrichtet worden sein. Diese Voraussetzung sei nur erfüllt, wenn der Leistungsfall weit vor Dezember 1995 eingetreten gewesen sei. Hiervon könne aufgrund der ärztlichen Gutachten, Befundberichte und Arztbriefe nicht ausgegangen werden. Den entsprechenden Angaben des Gutachters S könne nicht gefolgt werden. Dessen Feststellung sei nicht ausreichend belegt. Es gebe keine medizinischen Unterlagen, welche auf eine Erwerbsunfähigkeit bereits im November 1995 schließen lassen könnten. Es lägen auch nicht die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §§ 240, 241 SGB VI (heutiges Recht, künftig: neue Fassung =n.F.) vor. Die Zeit vom 1. Januar 1984 bis Mai 1998 sei nicht durchgehend mit Beiträgen oder Anwartschaftserhaltungszeiten (vgl. § 241 Abs. 2 SGB VI n.F.) belegt. Es bestehe eine Lücke für den Zeitraum vom 20. Oktober 1983 bis Mai 1998.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Annahme, der Leistungsfall sei nicht spätestens im November 1995 eingetreten. Sie sei vielmehr bereits Ende 1994 erwerbsunfähig gewesen. Der Eingriff am 12. Dezember 1994 habe sich entscheidend auf ihr Leistungsvermögen ausgewirkt. Die bei dem Eingriff im Unterleib verbliebenen rund 30 Metallklammern hätten auf Dauer erhebliche Beschwerden in Gestalt von Bewegungseinschränkungen und Schmerzen verursacht. Auch in dem Gutachten der Frau G vom 2. Juli 1999 werde ausgeführt, dass die Klägerin seit 1990 durch ihr Bauchleiden und in Folge der schwierigen Bauchoperation (mit der drohenden Anlage eines künstlichen Darmausganges) psychisch, aber auch physisch wegen der ständigen Unterbauchbeschwerden, stark belastet gewesen sei. Langjährige Wirbelsäulenbeschwerden und eine deutliche depressive Symptomatik mit teilweise auch angstneurotischen Anteilen seien hinzugekommen. Die von Frau G festgestellten Leiden hätten im rentenberechtigenden Ausmaße bereits 1995 vorgelegen. Diese Ausführungen habe der Gutachter S bestätigt. Dieser sei in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 11. März 2005 von einem Leistungsfall zum Zeitpunkt November 1995 ausgegangen. Seine frühere Äußerung, der Zustand habe sich später stabilisiert, sei als chronisch fortbestehender Krankheitsverlauf gemeint gewesen.

Die Klägerin hat schriftlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 2003 und des Bescheides der Beklagten vom 21. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. September 1999 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit nach einem Versicherungsfall vom 24. Dezember 1994 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aus den vom Senat eingeholten Befundberichten folge kein Leistungsfall bereits ab 1994 oder 1995. Eine endoskopische Sigmaresektion sei ein Eingriff, der in aller Regel zu einer vollständigen Ausheilung führe. Missempfindungen in diesem Zusammenhang seien ohne Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Die Metallclips könnten nicht für anhaltende Beschwerden verantwortlich gemacht werden. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin nach März 1995 nicht mehr bei ihrem Internisten vorgestellt habe, könne man durchaus auf einen Rückgang anfänglicher Beschwerden schließen. Der Gutachter S sei nach wie vor einen Beweis oder auch nur eine Glaubhaftmachung eines früheren Leistungsfalls schuldig geblieben.

Am 5. Dezember 2005 hat der praktische Arzt M ein medizinisches Gutachten nach Aktenlage nach § 109 SGG erstellt. Er hat dabei sieben Krankheitskomplexe festgestellt und für jeden einzelnen untersucht, ob daraus schon vor 1998 eine relevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit resultierte. Er hat festgestellt, es sei für alle Einzelkomplexe mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass die Klägerin bereits vor Mai 1998 nur noch untervollschichtig belastbar gewesen sein könnte. Der Gutachter hat ferner geprüft, ob in einer Gesamtbetrachtung aller Krankheiten (Multimorbidität) von einer Beschränkung des Leistungsvermögens ausgegangen werden könne. Er ist zum Ergebnis gelangt, es spräche insgesamt mehr dagegen als dafür, dass bei der Klägerin bereits vor Mai 1998 ein nur untervollschichtiges Leistungsvermögen vorgelegen habe.

Dem Gericht hat die Rentenakte der Beklagten () vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) und einer Entscheidung des Berichterstatters alleine (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG) einverstanden erklärt. Die Beklagte heißt jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund aufgrund des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9. Dezember 2004.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), als unbegründet zurückzuweisen.

Für den Erfolg der Klage wäre einzig maßgeblich, dass die Klägerin bereits spätestens im November 1995 erwerbs- bzw. berufsunfähig gewesen wäre. Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a. F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahr Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Berufsunfähig sind Versicherte gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI a. F., deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Vereinfacht ist berufsunfähig, wer nicht einmal halbtags eine ihm zumutbare Tätigkeit ausüben kann. Erwerbsunfähig ist im Sinne des § 44 SGB VI a. F. darüber hinaus vereinfacht, wer überhaupt keine Erwerbstätigkeit mehr in gewisser Regelmäßigkeit ausüben kann oder Arbeitsentgelt in mehr als nur geringem Umfang nicht erzielen kann.

Lässt sich nicht aufklären, ob diese Voraussetzungen vorliegen, geht dies zu Lasten des Rentenantragsstellers, hier also der Klägerin. Sie trägt die sogenannte Darlegungs- und Beweislast, weil sie sich auf deren Vorliegen zur Stützung ihres Rentenbegehrens beruft. So liegt der Fall hier. Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin bereits zum relevanten Zeitpunkt November 1995 keine der ihr zumutbaren und im angegriffenen Bescheid aufgezählten Erwerbstätigkeiten – insbesondere kaufmännische Arbeiten im Großhandel, einfache Buchhaltungsarbeiten- mehr ausüben konnte. Es spricht mehr gegen eine solche Annahme. Dies folgt aus den aus Sicht des Gerichtes überzeugenden und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen M: Er gelangt zu dem Ergebnis, dass mehr dafür als dagegen spreche, dass die Klägerin vor Mai 1998 noch untervollschichtig leistungsfähig gewesen sei, das heißt noch mehr als halbtags habe arbeiten können. Dabei hat der Sachverständige die Leiden der Klägerin einzeln und in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt. Er hat sich insbesondere eingehend mit den Unterleibsbeschwerden befasst, die Befunde aller Ärzte, insbesondere auch des Dr. N zum Zustand nach der Darmoperation, ausgewertet und sich mit den Bewertungen des Gutachters S auseinandergesetzt. Auch wenn sich die Klägerin bereits seit Ende 1994 subjektiv aufgrund der erheblichen Schmerzen und Beschwerden nicht mehr in der Lage gesehen hat, einer Beschäftigung nachzugehen, ist nach wie vor davon auszugehen, dass es hierfür an ausreichend sicheren objektiven Befunden fehlt.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine der drei neuen Erwerbsminderungsrenten nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§ 43 Abs. 2 bzw. 43 Abs. 1 in Verbindung mit § 240 SGB VI n. F.). Ergänzend zum sozialgerichtlichen Urteil ist hierzu nur noch darauf hin¬zuweisen, dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI n. F. ebenfalls an der Voraussetzung scheitert, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles Pflichtbeitragszeiten von drei Jahren nachweisen zu müssen (§ 43 Abs. 1, 4 SGB VI n. F.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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