L 19 B 477/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 AS 245/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 477/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2006 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Das Verfahren ist auf die einstweilige Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose ab 1. Januar 2006 gerichtet.

Der 1947 geborene Antragsteller bezog bis 31. Dezember 2005 Arbeitslosengeld II. Er bewohnt mit der 1964 geborenen P K - im Folgenden: K - seit 1999 eine 63 m² große Zwei-Zimmer-Wohnung. Bei der ersten Antragstellung auf Arbeitslosengeld II im September 2004 (zu diesem Zeitpunkt bezog der Antragsteller noch Arbeitslosenhilfe) war er in Begleitung von K bei dem Antragsgegner erschienen und hatte sie als Partnerin einer eheähnlichen Gemeinschaft (im Antrag) bzw. als Lebenspartnerin (im Zusatzblatt 1 zum Antrag) bezeichnet. Als Bankverbindung zur Überweisung der Leistungen wurde im Antrag ein Konto der K benannt auf dass im Folgenden auch die Zahlungen für den Antragsteller und K, die von der Beklagten als Bedarfsgemeinschaft angesehen wurden, erfolgten.

Bereits im März 2005 hatte K angezeigt, einen Existenzgründungszuschuss in Höhe von 600,- Euro monatlich seit Januar 2005 zu erhalten. Eine Anrechnung dieses Betrages auf Leistungen erfolgte durch den Antragsgegner nicht. Im Juni 2005 gab der Antragsteller in einem Fortzahlungsantrag eine eigene Bankverbindung an, wobei ausweislich der in den Verwaltungsakten befindlichen Zahlungsnachweise die Leistungen weiterhin auf das Konto der K vom Antragsgegner überwiesen wurden.

Am 24. November 2005 forderte der Antragsgegner den Antragsteller unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten auf, bis spätestens 11. Dezember 2005 die Gewerbeanmeldung seiner Lebensgefährtin sowie eine vom Steuerberater bestätigte Gewinn- und Verlustrechnung vorzulegen. Die Aufforderung enthält den Zusatz, dass, wenn die angeforderten Unterlagen nicht innerhalb der Frist eingereicht werden, Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt werden. Der Antragsteller teilte daraufhin mit, K sei nicht seine Lebensgefährtin. Sie sei die Tochter (bzw. laut Gesprächsvermerk vom 22. Dezember 2005: die Partnerin) eines Bekannten. Sie wohne nur zur Überbrückung bei ihm, bis sie einen Arbeitsplatz gefunden habe.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 2005 versagte der Antragsgegner Leistungen ab 1. Januar 2006, weil der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.

Am 9. Januar 2006 hat der Antragsteller beim Sozialgericht die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen beantragt.

Am 25. Januar 2006 wurde vom Prüf- und Ermittlungsdienst des Antragsgegners ein Hausbesuch beim Antragsteller durchgeführt. Zudem haben sich der Antragsteller und K am 31. März 2006 in einem Fragebogen zur "Überprüfung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft" geäußert sowie dahingehende Fragen des Sozialgerichts beantwortet und unter dem 30. März 2006 diesbezüglich eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Unterlagen Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 24. April 2006 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es sei kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden. Nach dem im Antragsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt lebten der Antragsteller und K in einer eheähnlichen Gemeinschaft.

Gegen den ihm am 2. Mai 2006 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der am 2. Juni 2006 eingelegten Beschwerde, die nicht begründet wurde, und der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Die Beschwerde wurde auch im Folgenden trotz einer Erinnerung durch das Beschwerdegericht nicht begründet.

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag zu Recht nicht entsprochen, weil die Vorraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorliegen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Nach Auffassung des Senats ist es bereits fraglich, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Eine besondere Eilbedürftigkeit lässt sich nämlich aus der Art und Weise, wie vom Antragsteller das Verfahren betrieben wird, nicht ableiten. Schon im erstinstanzlichen Verfahren hat er die vom Sozialgericht gestellten Fragen zur Aufklärung des Sachverhalts erst nach Erinnerung und nach Ablauf von mehr als zwei Monaten beantwortet. Die Beschwerde wurde am letzten Tag der Beschwerdefrist eingelegt und auch nach einem Monat noch nicht begründet, obwohl vom Senat eine Begründungsfrist von einer Woche gesetzt worden war. Aufgrund dieser schleppenden Verfahrensführung liegen keine Anhaltspunkte für eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache vor. Offenbar wird der Antragsteller weiterhin von K unterstützt, so dass eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht nötig erscheint.

Unabhängig davon ist aber auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden, denn es liegen zur Überzeugung des Senats ganz gewichtige Indizien dafür vor, dass der Antragsteller und K in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammen leben. Eine eheähnliche Gemeinschaft ist die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen des Paares füreinander begründen, also über eine reine Haushalts-, Wirtschafts- bzw. Wohngemeinschaft hinausgeht. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten Sinne sind insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/97 -).

Für das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft spricht hier zunächst die lange Dauer des gemeinsamen Wohnens von nunmehr sieben Jahren in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass Personen über einen derart langen Zeitraum und unter diesen (räumlichen) Umständen allein aus Gründen der Kostenersparnis zusammen wohnen. Zudem war vom Antragsteller zunächst geltend gemacht worden, ein Zusammenwohnen mit K sei nur erfolgt, um ihr bis zu einer Arbeitsaufnahme eine Unterkunftsmöglichkeit zu gewähren. Da K nunmehr selbständig tätig ist und damit eine Arbeit ausübt, kann dies zumindest jetzt nicht mehr als Grund für ein Zusammenwohnen angeführt werden. Gegen eine bloße Wohngemeinschaft spricht auch das Ergebnis des Hausbesuches. Danach kann nämlich keinesfalls davon ausgegangen werden, dass K und der Antragsteller jeweils - zumindest im Wesentlichen - ein Zimmer bewohnen. Beispielsweise fanden sich persönliche Papiere der K in einem Teil des Überbaus des Bettes, dass nach Angaben des Antragstellers nur von ihm benutzt wird.

Für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft sprechen auch die Umstände der Antragstellung. Der Antragsteller und K haben offensichtlich gemeinsam beim Antragsgegner Leistungen beantragt. Dies spricht eindeutig gegen eine bloße Wohngemeinschaft, bei der jeder außerhalb der Wohnung im Wesentlichen eigene Wege geht. Der Antragsteller hat auch nicht überzeugend darzulegen vermocht, warum von ihm bei der Antragstellung K als Partnerin einer eheähnlichen Gemeinschaft bezeichnet wurde. Seine Einlassung, Mitarbeiter des Antragsgegners hätte ihm gesagt, dass das gemeinsame Wohnen und das Benutzen eines gemeinsamen Kühlschranks die Bezeichnung als eheähnliche Gemeinschaft erforderlich mache, überzeugt jedenfalls nicht. Vom Sozialgericht ist bereits zutreffend darauf hingewiesen worden, dass auch der juristisch nicht gebildete Laie mit den Begriffen "Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft" und "Lebenspartner" Vorstellungen verbindet, die eine verfestigte Gemeinschaft von zwei Personen mit gegenseitiger Einstandspflicht beinhalten und sich deshalb erheblich von einer bloßen Wohn- und Zweckgemeinschaft unterscheiden.

Ein weiteres wesentliches Indiz für das Bestehen einer Lebenspartnerschaft ist auch der Umstand, dass die dem Antragsteller zustehenden Zahlungen antragsgemäß auf ein Konto der K geleistet wurden. Seine Einlassung, dies sei auf ein Versehen des Antragsgegners zurückzuführen, überzeugt nicht. Hätte es sich tatsächlich um einen Fehler gehandelt - vom Antragsteller ist allerdings auch die Richtigkeit der Bankverbindung mit seiner Unterschrift auf dem Antrag bestätigt worden -, dann hätte es nahe gelegen, sich unverzüglich bei dem Antragsgegner über den falschen Zahlungsweg zu beschweren. Dies ist jedoch nicht geschehen. Nach Lage der Akten hat der Antragsteller erstmals im Fortzahlungsantrag im Juni 2005 auf ein eigenes Konto hingewiesen und auch darüber hinaus Zahlungen an K offensichtlich nicht beanstandet. Dies legt den Schluss nahe, dass der Antragsteller und K (wie im allgemeinen nur in einer Lebenspartnerschaft üblich) Gelder gemeinsam nutzen und praktisch "aus einem Topf" wirtschaften. Gegen eine Lebenspartnerschaft spricht nicht zwingend der Altersunterschied. Ein größerer Altersunterschied von Lebenspartnern mag zwar nach wie vor ungewöhnlich sein, dies bedeutet aber nicht, dass allein aufgrund dieses Altersunterschiedes das Bestehen einer Lebenspartnerschaft ausgeschlossen ist.

Ist nach alledem von einer eheähnlichen Gemeinschaft und damit einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - auszugehen, dann ist bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nach § 9 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der K zu berücksichtigen. Angaben dazu gehören deshalb zu den in § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - geregelten Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten. Die vom Antragsgegner geforderten Angaben gehen auch nicht über die in § 65 Abs. 1 genannten Grenzen der Mitwirkung hinaus. Zu den Mitwirkungspflichten gehören auch Auskünfte, die einen Dritten betreffen, soweit sie - so wie hier - für die Gewährung der Leistungen von Bedeutung sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 -). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beschaffung der geforderten Informationen für den Verpflichteten ohne weiteres möglich ist. Davon ist hier auszugehen. Der Antragsteller hat nämlich nicht geltend gemacht, dass er die geforderten Auskünfte etwa deshalb nicht erteilen könne, weil er keine Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse von K habe. Die fehlenden Angaben haben auch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert, denn es konnte nicht geklärt werden, ob auch unter Berücksichtigung der Einkünfte der K noch Hilfebedürftigkeit beim Antragsteller vorliegt. Nach Fristsetzung und schriftlichem Hinweis auf die möglichen Rechtsfolgen (vgl. § 66 Abs. 3 SGB I) war der Antragsgegner nach § 66 Abs. 1 SGB I berechtigt, die Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung zu versagen. Eine Versagungsentscheidung setzt zwar grundsätzlich eine - hier nicht erkennbare - Ermessenausübung voraus, der Senat geht jedoch davon aus, dass eine so genannte Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist, weil der Antragsteller sich beharrlich geweigert hat, die erbetenen Auskünfte zu erteilen und deshalb nicht geklärt werden konnte, ob noch ein Leistungsanspruch besteht.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens war wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt auch einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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