Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 SB 2514/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 78/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2004 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Gewährung der Merkzeichen "G" – erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr – und "B" – Notwendigkeit ständiger Begleitung – erfüllt.
Auf den Antrag der Klägerin vom 23. November 2000 stellte der Beklagte, gestützt auf das Gutachten des Internisten Dr. S vom 6. März 2001, mit Bescheid vom 27. April 2001 bei ihr folgende Behinderungen (die verwaltungsintern mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB bewertet wurden) mit einem Gesamt-GdB von 50 fest:
a) Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (GdB von 30), b) Asthma bronchiale, chronische Bronchitis (GdB von 20), c) degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (GdB von 20), d) psychisch seelische Störungen (GdB von 20), e) euthyreote Struma (GdB von 10) und f) rezidivierende Gastritis (GdB von 10).
Dagegen lehnte er die Zuerkennung der Merkzeichen G und B ab. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2001 zurück.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 80 mit den Merkzeichen G und B begehrt: Keine Berücksichtigung hätten der schwere arterielle Hypertonus, das chronische Wirbelsäulensyndrom, die chronische Gastroduodernitis, Cephalgien, die hypertensive Herzerkrankung und die cystisch-adenomatöse Degeneration (der Schilddrüse) gefunden. Unter Vorlage eines Attests des Allgemeinmediziners Tip Dr. / TR K vom 28. Oktober 2002 hat die Klägerin mitgeteilt, ihre Beschwerden hätten sich erheblich verschlechtert. Trotz gerichtlicher Anfragen hat sie von näheren Angaben Abstand genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2004 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50 und der Voraussetzungen der Merkzeichen B und G. Dem Gutachten des Dr. S vom 6. März 2001 werde gefolgt. Der unsubstantiierten Behauptung der Klägerin, ihre Leiden hätten sich verschlimmert, habe nicht nachgegangen werden müssen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt: Bereits die im Attest des Allgemeinmediziners K vom 28. Oktober 2002 aufgeführten Leiden, nämlich arterielle Hypertonie, Carotisvasculopathie, Struma diffusa, Atopie-Syndrom, depressives Syndrom, Herzrhythmusstörungen, chronische Vertigo, rechtfertigten einen GdB von 80.
Auf der Grundlage der Befundberichte des Dr. S vom 10. Juni 2005, des Dr. H vom 16. Januar 2006 und des Dr. Z vom 23. Januar 2006 einschließlich diverser medizinischer Unterlagen hat der Beklagte nach versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Nervenarztes Dr. D vom 24. März 2006 und des Internisten Dr. D vom 24. April 2006 mit Bescheid vom 29. Mai 2006 unter Aufnahme der migräniformen Kopfschmerzsymptomatik (bei einem Einzel-GdB von 30) ab November 2000 einen GdB von 60 festgestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 27. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2001 in der Fassung des Bescheides vom 29. Mai 2006 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 80 sowie die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006 abzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des sozialgerichtlichen Verfahrens und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung und die Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006, der nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, haben keinen Erfolg.
Soweit die Klägerin durch den Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 klaglos gestellt worden ist, ist die Berufung mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des von ihr begehrten GdB von 80.
Nach §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz und der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in der Fassung des Jahres 2005 (AHP 2005) zu bewerten, die als antizipierte Sachverständigengutachten normähnlichen Charakters gelten.
Das Gesamtausmaß der bei der Klägerin bestehenden Behinderungen bedingt keinen höheren als den von dem Beklagten mit Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 zuerkannten GdB von 60.
Die Leiden in Form der Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, des Bluthochdrucks und der Herzrhythmusstörungen sind in Übereinstimmung mit Nr. 26.9 (S. 71) der AHP 2005 zutreffend mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden. Denn die sich aus dem Entlassungsbericht des W Klinikums vom 9. Dezember 2005 ergebende fahrradergometrische Belastbarkeit von 75 Watt über 2 Minuten ist, worauf Dr. D in seiner fachinternistischen Stellungnahme vom 24. April 2006 hinweist, unauffällig. Auch ergab die transthorakale Echokardiographie eine normale globale Kontraktilität.
Ebensowenig unterliegt die Einschätzung des Nervenarztes Dr. D in seiner Stellungnahme vom 24. März 2006 Bedenken, für die von ihm neu zur Anerkennung vorgeschlagene migräniforme Kopfschmerzsymptomatik einen Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Aus dem Befundbericht des Dr. H vom 16. Januar 2006, wonach die Klägerin ihm berichtet habe, im Wechsel eine Woche über Kopfschmerzen zu leiden und eine Woche schmerzfrei zu sein, ergeben sich keine Hinweise auf eine schwere Verlaufsform im Sinne der Nr. 26.2 (S. 39) AHP 2005, die durch langdauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen und Anfallspausen von nur wenigen Tagen geprägt ist und einen GdB von 50 bis 60 rechtfertigen würde. Vielmehr liegt eine mittelgradige Verlaufsform vor, die unter Berücksichtigung der vorgetragenen Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie der Ausprägung der Begleiterscheinungen entsprechend dem versorgungsärztlichen Vorschlag mit einem Einzel-GdB von 30, dem Mittelwert des nach Nr. 26.2 AHP 2005 hierfür vorgesehenen GdB von 20 bis 40, zu berücksichtigen ist. Auch aus den aktuellen ärztlichen Berichten, die im Berufungsverfahren zur Akte gelangt sind, lassen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass wegen einer Verschlimmerung der Leiden die übrigen im angefochtenen Bescheid aufgeführten Funktionsbeeinträchtigungen, d.h. - Asthma bronchiale, chronische Bronchitis (GdB von 20), - degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (GdB von 20), - psychisch seelische Störungen (GdB von 20), - euthyreote Struma (GdB von 10) und - rezidivierende Gastritis (GdB von 10), jeweils höher zu bewerten seien, als der Internist Dr. S in seinem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten vom 26. März 2001 überzeugend dargelegt hat. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, unter denen die Klägerin aktuell leidet, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sich aus den im Berufungsverfahren eingeholten Befundberichten und sonstigen ärztlichen Unterlagen keine Hinweise darauf, dass die Klägerin weiterhin an den seinerzeit im Attest des Allgemeinmediziners K vom 28. Oktober 2002 genannten Beschwerden – soweit sie nicht ohnehin in den angefochtenen Bescheiden berücksichtigt worden ist – leidet.
Die Bildung eines Gesamt-GdB von 60, wie sie in dem Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 vorgenommen worden ist, entspricht § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.
Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloßes Zusammenrechnen der für jede Funktionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird (vgl. Nr. 19 [S. 24 bis 26] AHP 2005 und Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. März 1994, 9 RVs 6/93, SozR 3-3870 § 4 Nr. 9). Der für die Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen anzusetzende Einzel-GdB von 30 ist im Hinblick auf die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen auf einen Gesamt-GdB von 60 zu erhöhen, da sich insoweit das Ausmaß der Behinderung der Klägerin vergrößert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass deren gesamte Leistungsfähigkeit bereits durch die kardialen Leiden eingeschränkt wird, weshalb die hieraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen sich mit denen der anderen Gesundheitsschäden überschneiden, sich also entsprechend weniger auswirken. Die leichteren Funktionsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nach Nr. 19 Abs. 4 (S. 26) AHP 2005 grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn – wie hier – mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei den Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung der Klägerin zu schließen, so dass die Zuerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 60 nicht gerechtfertigt ist.
Bei der Klägerin sind die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens G nicht erfüllt.
Gemäß § 146 Abs. 1 SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in einer halben Stunde zurückgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2).
Die in Nr. 30 Abs. 3 (S. 137f.) AHP 2005 genannten Fallgruppen, bei denen die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen sind, sind hier nicht einschlägig: Bei der Klägerin bestehen weder Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen oder der Lendenwirbelsäule, die sich auf die Gehfähigkeit auswirken und für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, noch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50, welche die Gehfähigkeit – beispielsweise wegen einer Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 – im besonderen Maße einschränken.
Ebensowenig liegen innere Leiden vor, die sich entscheidend auf ihr Gehvermögens auswirken. Zwar ist davon auszugehen, dass ihre Bewegungsfähigkeit wegen der bei ihr festgestellten Herzschäden eingeschränkt ist, jedoch ist nach Nr. 30 Abs. 3 AHP 2005 eine Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 im Sinne der Nr. 26.9 (S. 71f.) AHP 2005 zu fordern, die einen GdB von 50 bis 70 rechtfertigen würde. Dieser Grad der Leistungseinschränkung konnte bei der Klägerin – wie oben dargestellt – nicht festgestellt werden. Andere in Nr. 30 Abs. 3 AHP 2005 aufgeführte innere Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, bestehen erkennbar nicht.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens B.
Gemäß § 146 Abs. 2 SGB IX ist die ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Diese Voraussetzungen sind nach Nr. 32 Abs. 2 (S. 140) AHP 2005 nur bei Menschen erfüllt, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G oder H vorliegen. Dies ist bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Gewährung der Merkzeichen "G" – erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr – und "B" – Notwendigkeit ständiger Begleitung – erfüllt.
Auf den Antrag der Klägerin vom 23. November 2000 stellte der Beklagte, gestützt auf das Gutachten des Internisten Dr. S vom 6. März 2001, mit Bescheid vom 27. April 2001 bei ihr folgende Behinderungen (die verwaltungsintern mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB bewertet wurden) mit einem Gesamt-GdB von 50 fest:
a) Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (GdB von 30), b) Asthma bronchiale, chronische Bronchitis (GdB von 20), c) degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (GdB von 20), d) psychisch seelische Störungen (GdB von 20), e) euthyreote Struma (GdB von 10) und f) rezidivierende Gastritis (GdB von 10).
Dagegen lehnte er die Zuerkennung der Merkzeichen G und B ab. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2001 zurück.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 80 mit den Merkzeichen G und B begehrt: Keine Berücksichtigung hätten der schwere arterielle Hypertonus, das chronische Wirbelsäulensyndrom, die chronische Gastroduodernitis, Cephalgien, die hypertensive Herzerkrankung und die cystisch-adenomatöse Degeneration (der Schilddrüse) gefunden. Unter Vorlage eines Attests des Allgemeinmediziners Tip Dr. / TR K vom 28. Oktober 2002 hat die Klägerin mitgeteilt, ihre Beschwerden hätten sich erheblich verschlechtert. Trotz gerichtlicher Anfragen hat sie von näheren Angaben Abstand genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2004 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50 und der Voraussetzungen der Merkzeichen B und G. Dem Gutachten des Dr. S vom 6. März 2001 werde gefolgt. Der unsubstantiierten Behauptung der Klägerin, ihre Leiden hätten sich verschlimmert, habe nicht nachgegangen werden müssen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt: Bereits die im Attest des Allgemeinmediziners K vom 28. Oktober 2002 aufgeführten Leiden, nämlich arterielle Hypertonie, Carotisvasculopathie, Struma diffusa, Atopie-Syndrom, depressives Syndrom, Herzrhythmusstörungen, chronische Vertigo, rechtfertigten einen GdB von 80.
Auf der Grundlage der Befundberichte des Dr. S vom 10. Juni 2005, des Dr. H vom 16. Januar 2006 und des Dr. Z vom 23. Januar 2006 einschließlich diverser medizinischer Unterlagen hat der Beklagte nach versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Nervenarztes Dr. D vom 24. März 2006 und des Internisten Dr. D vom 24. April 2006 mit Bescheid vom 29. Mai 2006 unter Aufnahme der migräniformen Kopfschmerzsymptomatik (bei einem Einzel-GdB von 30) ab November 2000 einen GdB von 60 festgestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 27. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2001 in der Fassung des Bescheides vom 29. Mai 2006 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 80 sowie die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006 abzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des sozialgerichtlichen Verfahrens und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung und die Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006, der nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, haben keinen Erfolg.
Soweit die Klägerin durch den Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 klaglos gestellt worden ist, ist die Berufung mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des von ihr begehrten GdB von 80.
Nach §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz und der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in der Fassung des Jahres 2005 (AHP 2005) zu bewerten, die als antizipierte Sachverständigengutachten normähnlichen Charakters gelten.
Das Gesamtausmaß der bei der Klägerin bestehenden Behinderungen bedingt keinen höheren als den von dem Beklagten mit Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 zuerkannten GdB von 60.
Die Leiden in Form der Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, des Bluthochdrucks und der Herzrhythmusstörungen sind in Übereinstimmung mit Nr. 26.9 (S. 71) der AHP 2005 zutreffend mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden. Denn die sich aus dem Entlassungsbericht des W Klinikums vom 9. Dezember 2005 ergebende fahrradergometrische Belastbarkeit von 75 Watt über 2 Minuten ist, worauf Dr. D in seiner fachinternistischen Stellungnahme vom 24. April 2006 hinweist, unauffällig. Auch ergab die transthorakale Echokardiographie eine normale globale Kontraktilität.
Ebensowenig unterliegt die Einschätzung des Nervenarztes Dr. D in seiner Stellungnahme vom 24. März 2006 Bedenken, für die von ihm neu zur Anerkennung vorgeschlagene migräniforme Kopfschmerzsymptomatik einen Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Aus dem Befundbericht des Dr. H vom 16. Januar 2006, wonach die Klägerin ihm berichtet habe, im Wechsel eine Woche über Kopfschmerzen zu leiden und eine Woche schmerzfrei zu sein, ergeben sich keine Hinweise auf eine schwere Verlaufsform im Sinne der Nr. 26.2 (S. 39) AHP 2005, die durch langdauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen und Anfallspausen von nur wenigen Tagen geprägt ist und einen GdB von 50 bis 60 rechtfertigen würde. Vielmehr liegt eine mittelgradige Verlaufsform vor, die unter Berücksichtigung der vorgetragenen Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie der Ausprägung der Begleiterscheinungen entsprechend dem versorgungsärztlichen Vorschlag mit einem Einzel-GdB von 30, dem Mittelwert des nach Nr. 26.2 AHP 2005 hierfür vorgesehenen GdB von 20 bis 40, zu berücksichtigen ist. Auch aus den aktuellen ärztlichen Berichten, die im Berufungsverfahren zur Akte gelangt sind, lassen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass wegen einer Verschlimmerung der Leiden die übrigen im angefochtenen Bescheid aufgeführten Funktionsbeeinträchtigungen, d.h. - Asthma bronchiale, chronische Bronchitis (GdB von 20), - degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (GdB von 20), - psychisch seelische Störungen (GdB von 20), - euthyreote Struma (GdB von 10) und - rezidivierende Gastritis (GdB von 10), jeweils höher zu bewerten seien, als der Internist Dr. S in seinem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten vom 26. März 2001 überzeugend dargelegt hat. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, unter denen die Klägerin aktuell leidet, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sich aus den im Berufungsverfahren eingeholten Befundberichten und sonstigen ärztlichen Unterlagen keine Hinweise darauf, dass die Klägerin weiterhin an den seinerzeit im Attest des Allgemeinmediziners K vom 28. Oktober 2002 genannten Beschwerden – soweit sie nicht ohnehin in den angefochtenen Bescheiden berücksichtigt worden ist – leidet.
Die Bildung eines Gesamt-GdB von 60, wie sie in dem Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 vorgenommen worden ist, entspricht § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.
Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloßes Zusammenrechnen der für jede Funktionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird (vgl. Nr. 19 [S. 24 bis 26] AHP 2005 und Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. März 1994, 9 RVs 6/93, SozR 3-3870 § 4 Nr. 9). Der für die Mitralklappeninsuffizienz bei Mitralklappenprolaps, den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen anzusetzende Einzel-GdB von 30 ist im Hinblick auf die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen auf einen Gesamt-GdB von 60 zu erhöhen, da sich insoweit das Ausmaß der Behinderung der Klägerin vergrößert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass deren gesamte Leistungsfähigkeit bereits durch die kardialen Leiden eingeschränkt wird, weshalb die hieraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen sich mit denen der anderen Gesundheitsschäden überschneiden, sich also entsprechend weniger auswirken. Die leichteren Funktionsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nach Nr. 19 Abs. 4 (S. 26) AHP 2005 grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn – wie hier – mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei den Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung der Klägerin zu schließen, so dass die Zuerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 60 nicht gerechtfertigt ist.
Bei der Klägerin sind die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens G nicht erfüllt.
Gemäß § 146 Abs. 1 SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in einer halben Stunde zurückgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2).
Die in Nr. 30 Abs. 3 (S. 137f.) AHP 2005 genannten Fallgruppen, bei denen die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen sind, sind hier nicht einschlägig: Bei der Klägerin bestehen weder Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen oder der Lendenwirbelsäule, die sich auf die Gehfähigkeit auswirken und für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, noch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50, welche die Gehfähigkeit – beispielsweise wegen einer Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 – im besonderen Maße einschränken.
Ebensowenig liegen innere Leiden vor, die sich entscheidend auf ihr Gehvermögens auswirken. Zwar ist davon auszugehen, dass ihre Bewegungsfähigkeit wegen der bei ihr festgestellten Herzschäden eingeschränkt ist, jedoch ist nach Nr. 30 Abs. 3 AHP 2005 eine Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 im Sinne der Nr. 26.9 (S. 71f.) AHP 2005 zu fordern, die einen GdB von 50 bis 70 rechtfertigen würde. Dieser Grad der Leistungseinschränkung konnte bei der Klägerin – wie oben dargestellt – nicht festgestellt werden. Andere in Nr. 30 Abs. 3 AHP 2005 aufgeführte innere Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, bestehen erkennbar nicht.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens B.
Gemäß § 146 Abs. 2 SGB IX ist die ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Diese Voraussetzungen sind nach Nr. 32 Abs. 2 (S. 140) AHP 2005 nur bei Menschen erfüllt, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G oder H vorliegen. Dies ist bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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