L 10 B 1255/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 103 AS 11112/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1255/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht (SG) hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der erhobene Anspruch nicht im einstweiligen Verfahren durchgesetzt werden kann, der Erlass einer einstweiligen Anordnung also ohne inhaltliche Prüfung der Frage abzulehnen ist, ob ein um 6,70 Euro monatlich höherer Anspruch nach Maßgabe der Bestimmungen des Sozialgesetzbuches – Zweites Buch (SGB II) über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begründet ist.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Neben dem Anordnungsanspruch - der Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - muss ein Anordnungsgrund gegeben sein, der in der Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung besteht. Das Erfordernis der Eilbedürftigkeit ist erfüllt, wenn es für den Antragsteller (Ast) unzumutbar ist, auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren (darauf, diese Entscheidung abzuwarten) verwiesen zu werden. Dies wiederum ist insbesondere dann anzunehmen, wenn durch ein Zuwarten nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Glaubhaft gemacht sind Umstände, die überzeugend dargelegt und durch Beweismittel (zu denen in diesem Zusammenhang auch die Versicherung an Eides statt gehört, § 294 ZPO) belegt sind. Aus Vortrag und Beweisbemühungen muss sich - so die übliche Formulierung - eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die rechtsbegründenden Tatsachen ergeben; dies wird teilweise dahingehend konkretisiert, dass es nicht ausreiche, wenn nur geringfügig mehr für als gegen die Behauptung des Rechtssuchenden spreche, vielmehr sei ein in Ansehung des Einzelfalls, der Art der zu treffenden Entscheidung und ihrer Tragweite sachgerechtes Maß an Glaubhaftigkeit zu verlangen (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 294 RdNr 6).

Hier fehlt es an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Der Ast hat sich nicht dazu geäußert, warum er die "normale Form" des Rechtsschutzes, das Klageverfahren in dem unter vollständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage abschließend entschieden wird, als unzureichend erachtet. Allein der Umstand, dass er ausweislich seiner Antragstellung einstweiligen Rechtsschutz für sich reklamiert, ersetzt nicht die Darstellung (und im Weitern die Glaubhaftmachung) eines Sachverhalts, der eine Eilbedürftigkeit nachvollziehbar macht bzw. der begrün¬det die Einschätzung erlaubt, durch eine spätere, dafür aber nicht nur vorläufige Entscheidung werde Rechtsschutz nur unzureichend gewährt. Sie ist auch nicht im Hinblick darauf verzichtbar, dass der Ast Grundsicherungsleistungen geltend macht. Zwar wird man zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes regelmäßig zu einer "großzügigen" Betrachtungsweise gelangen, d.h. nur geringe Anforderungen an den Vortrag des Rechtssuchenden zum Anordnungsgrund stellen, wenn Leistungen begehrt werden, die - wie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - dazu bestimmt sind, aktuell das soziokulturelle Existenzminimum abzudecken. Dies gilt indes nur, wenn solche Leistungen in einem erheblichen Umfang verweigert werden, d.h. in einem Umfang, der vermuten lässt, dass die gegenwärtige Lebensführung wesentlich beeinträchtigt wird. Ausgehend von dem hier streitigen Betrag (6,70 Euro monatlich) ist für den Senat ohne konkreten Vortrag des Ast nicht ersichtlich, dass der Ast durch die (nach seiner Auffassung rechtswidrige) Vorenthaltung unzumutbare Einschränkungen hinnehmen müsste. Auch in Ansehung des Umstandes, dass die Leistungen nach dem SGB II nach seinen Angaben die einzigen Einnahmen des Ast sind, handelt es sich hier um einen Betrag, bzgl. dessen nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass sein Fehlen zu einer Sicherungslücke führt, die nicht oder nur bei nicht zumutbaren Konsumverzicht kompensierbar ist. Dazu ist etwa darauf hinzuweisen, dass vom Leistungsberechtigen eine (sicherlich nur begrenzt mögliche) Rücklagenbildung aus der Regelleistung (von 345,00 Euro) erwartet wird (vgl. Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 23 RdNr 14), die zeitweilig aufgeschoben werden kann.

Der Senat folgt damit nicht der Auffassung des SG, in Ansehung des "Streitwertes" sei zu erwägen, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Ebenso wenig hält er es für möglich, unabhängig von den Umständen (insbesondere der Darlegungs- und Beweissituation bzgl. des Anordnungsgrundes) des Einzelfalls eine allgemeine Wertgrenze anzugeben, deren Unterschreitung es ausschließt, dass ein Anordnungsgrund vorliegen kann. Dies verbietet sich insbesondere im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz von Rechtsverstößen, die zu einer Unterschreitung des Existenzminimums führen. Dass auch dem effektiven (einstweiligen) Rechtsschutz in diesem Zusammenhang ein hoher Stellenwert zukommt, der "typisierende Ausschlusstatbestände" nach Auffassung des Senats ausschließt, verdeutlicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05).

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 193 SGG). Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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