L 20 B 161/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 12/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 B 161/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Dem Antragsteller, der ab 01. Januar 2006 Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - in Höhe von monatlich 709,81 Euro, ab 01. Oktober 2006 in Höhe von 727,90 Euro bezog und seit dem 01. Januar 2007 Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 730,37 Euro bezieht, wurde mit Bescheid vom 13. Juni 2006 im Zeitraum vom 01. Mai 2006 bis 31. Oktober 2006 ein monatliches Einstiegsgeld nach § 29 Abs. 1 SGB II in Höhe von 172,50 Euro gewährt. Mit seinem vom 28. August 2006 datierenden Antrag begehrte der Antragsteller die Gewährung des Einstiegsgeldes über den 31. Oktober 2006 hinaus. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 08. November 2006 mit der Begründung ab, dass die Hilfebedürftigkeit durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht gemindert worden sei und eine positive Tendenz der selbständigen Tätigkeit nicht erkennbar sei.

Den Widerspruch vom 16. November 2006, mit dem der Antragsteller Angaben zu seinem Verdienst und den aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Gewinnen gemacht hatte, wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05. Januar 2007 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben.

Am 03. Januar 2007 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das Einstiegsgeld in Höhe von 172,50 Euro monatlich ab dem 01. November 2006 weiter zu zahlen. Eile sei geboten, weil er seit dem 31. Oktober 2006 kein Einstiegsgeld mehr beziehe.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 16. Januar 2007 den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht mit der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Die Gewährung des Einstiegsgeldes stehe im Ermessen der Antragsgegnerin. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das auszuübende Ermessen "auf Null" reduziert sei, mit der Folge, dass allein eine das Einstiegsgeld gewährende Entscheidung rechtmäßig wäre, habe der Antragsteller nicht glaubhaft dargetan. Die Einnahmensituation lasse nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller in absehbarer Zukunft aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit seinen Lebensunterhalt ohne öffentliche Hilfeleistungen werde bestreiten können. Gegen den ihm am 19. Januar 2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 29. Januar 2007 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 01. Februar 2007). Der Antragsteller macht u. a. geltend, er habe durch eine Unternehmens-beratung eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchführen lassen. Deren Ergebnis bestätige die Tragfähigkeit des Unternehmens und die dringende Notwendigkeit der Weiterzahlung des Einstiegsgeldes. Das Sozialgericht habe die vorliegenden Beweismittel nicht ausreichend geprüft. Eine wesentliche Ursache der falschen Entscheidung der Antragsgegnerin sei die mangelnde betriebswirtschaftliche Kompetenz. Eine Reduzierung des Ermessens "auf Null" liege vor, da die Antragsgegnerin den betriebswirtschaftlichen Verlauf bei der erstmaligen Beantragung des Einstiegsgeldes als vernünftig und tragfähig anerkannt habe. Zu diesem Ergebnis komme auch die beauftragte Unternehmensberatung. Die Weiterzahlung des Einstiegsgeldes sei auch dringend, da ansonsten seine Existenz gefährdet sei. Er müsse dringend Investitionen tätigen, welche das Fortbestehen seines Unternehmens festigen sollen. Er sei z.B. gezwungen, verbindlich über den Abschluss eines Wartungsvertrages zu entscheiden. Bei einem weiteren Ausbleiben des Einstiegsgeldes sehe er sich gezwungen, seine Arbeitszeit drastisch zu reduzieren, was mit der Ablehnung von Verträgen und Aufträgen untrennbar verbunden sei.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm, dem Antragsteller, ab dem 01. November 2006 weiter ein monatliches Einstiegsgeld zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist unbegründet. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Antragsgegnerin nach § 29 SGB II zur Leistung eines Einstiegsgeldes verpflichtet wäre. Danach kann die Antragsgegnerin erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei Überwindung der Hilfebedürftigkeit ein Einstiegsgeld gewähren, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Das Einstiegsgeld wird dabei während einer Erwerbstätigkeit für höchstens 24 Monate erbracht (§ 29 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Damit steht die Gewährung des Einstiegsgeldes im Ermessen der Antragsgegnerin, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Letzteres ist hier schon zweifelhaft. Nach § 29 Abs. 1 SGB II kann ein Einstiegsgeld nämlich nur gewährt werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugrunde zu legenden ermittelten Sachverhalt, ist diese Tatbestands-voraussetzung (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 29 Anm. 27) nicht erfüllt. Erforderlich ist nämlich die Gewährung eines Einstiegsgeldes nur, wenn es, bezogen auf den öffentlichen Haushalt, keine weniger belastenden Maßnahmen gibt, mit denen das gleiche Ziel erreicht werden kann. Die Gewährung des Einstiegsgeldes muss ultima ratio sein (so auch Spellbrink a. a. O.). Das Einstiegsgeld soll einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer auch niedrig entlohnten Erwerbstätigkeit bzw. einer hauptberuflichen Selbständigkeit schaffen (Birk in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 29 Anm. 1f.). Dabei muss nicht die Hilfebedürftigkeit entfallen, auch wenn dies ein weiterer Tatbestand für die Gewährung eines Einstiegsgeldes sein kann (§ 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Die Erforderlichkeit nach § 29 Abs. 1 SGB II bemisst sich damit an dem Zweck, nämlich der Förderung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Danach erscheint hier das Einstiegsgeld nicht (mehr) erforderlich. Der Antragsteller hat eine selbständige Tätigkeit bereits aufgenommen, die nach seinem Vortrag auch erfolgreich verläuft. Aus der von dem Antragsteller bei der Antragsgegnerin vorgelegten Aufstellung über Einnahmen und Ausgaben aus seiner selbständigen Tätigkeit vom 27. Dezember 2006 (Blatt 32 der Verwaltungsakte) für die Monate Mai bis Oktober 2006 ist nicht erkennbar, dass das begehrte Einstiegsgeld zur Fortführung seiner Selbständigkeit erforderlich ist. Der Antragsteller hat danach nämlich mit der aufgenommenen Selbständigkeit in den Monaten Mai bis Oktober 2006 einen Überschuss in Höhe von 542, 19 Euro erwirtschaftet. Den Einnahmen in dem Zeitraum von Mai bis Oktober 2006 in Höhe von 5400 Euro standen (betriebliche) Ausgaben in Höhe von 4857,81 Euro gegenüber. Bis auf den Monat September 2006 deckten in diesem Zeitraum auch die monatlichen Einnahmen die Ausgaben. Dabei waren von den von dem Antragsteller angegebenen Ausgaben die monatlichen Privatentnahmen in Höhe von 100,00 Euro abzuziehen. Da der Lebensunterhalt des Klägers durch monatlichen Leistungen nach §§ 21, 22 SGB II gesichert ist, ist bei der Prüfung der Erforderlichkeit eines Einstiegsgeldes zur Aufnahme einer Selbständigkeit die Erforderlichkeit der Geldleistung in Bezug auf die Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit zu prüfen, bei der nicht "Privatentnahmen" zu berücksichtigen sind. Das Einstiegsgeld stellt keine Leistung zum Lebensunterhalt dar. Dass für die Fortführung der selbständigen Tätigkeit solche Investitionen erforderlich sind, die eine weitere Subventionierung nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erforderlich macht, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Soweit er hierzu vorträgt, dass er zur Fortführung seiner selbständigen Tätigkeit einen Wartungsvertrag abschließen müsse, hat er nicht dargelegt, dass er diesen Wartungsvertrag nicht aus den laufenden Einnahmen bedienen kann. Soweit er weiter vorträgt, dass seine Existenz bei Ausbleiben des Einstiegsgeldes gefährdet sei, ist dies aus den von ihm vorgelegten Zahlen nicht nachvollziehbar. Der von ihm vorgetragene Umstand, dass er auf "Harz IV-Niveau" lebe und dieser Zustand nicht haltbar sei, zumal er 60 Stunden in der Woche arbeite und er bei Nichtleistung des Zuschusses seine Arbeitskraft reduzieren müsse, führt nicht zur Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf ein Einstiegsgeld nach § 29 SGB II. Ob er durch Intensivierung oder Reduzierung seiner Arbeitskraft in seinem Unternehmen bessere Betriebsergebnisse erzielt, obliegt seiner freien unternehmerischen Entscheidung. Das Einstiegsgeld dient nicht zur Motivation.

Selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzung der Erforderlichkeit der Leistung eines Einstiegsgeldes vorläge, stünde die Gewährung des Einstiegsgeldes im Ermessen der Antragsgegnerin. Bei einer Verpflichtung zur begehrten Leistung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist damit Voraussetzung, dass das Ermessen nur in eine Richtung ausgeübt werden kann, da eine Ermessensreduktion "auf Null" vorliegt Eine solche Ermessensreduktion "auf Null" insbesondere auch im Hinblick auf die Dauer der Gewährung der Subventions-leistung ist hier nicht erkennbar. Die Entscheidung über die Dauer der Gewährung des Einstiegsgeldes steht im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin. Eine Einschränkung der Entscheidung der Antragsgegnerin, selbst bei andauernder Erforderlichkeit der Leistung im Sinne des Tatbestandes des § 29 SGB II, dahin, dass nur die höchstmögliche Dauer (24 Monate, § 29 Abs. 2 SGB II) rechtmäßig wäre, ist hier nicht erkennbar. Damit ist die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht dahin eingeschränkt, dass bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens die Höchstgewährung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu entscheiden wäre.

Weiterhin hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass eine Zugunstenentscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren deshalb geboten ist, weil ihm unter Berücksichtigung der auch widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsache-verfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund). Im Vordergrund der Leistung des § 29 SGB II steht - wie dargestellt - nicht die Sicherung des Lebensunterhalts, der bereits durch die Leistungen nach den §§ 21, 22 SGB II gedeckt ist, so dass der Vortrag, dass diese Leistungen bezogen werden, zur Glaubhaftmachung einer den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Notlage nicht ausreicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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