L 3 U 36/04 -16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 734/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 36/04 -16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsantrages nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung und Entschädigung der bei ihr bestehenden Wirbelsäulenveränderungen als Berufskrankheit (BK).

Die 1938 geborene Klägerin war als ausgebildete Krankenschwester u.a. von 1981 bis 1988 in verschiedenen Feierabendheimen und danach in Seniorenpflegeheimen im Beitrittsgebiet als Fachschwester bis zum 30. September 1993 tätig. Vom 18. März 1991 bis zum 28. April 1991 lag eine Arbeitsunfähigkeit wegen eines Handekzems sowie einer Thrombophlebitis vor. Die Klägerin war vom 19. Februar bis zum 06. März 1992 wegen eines Cervikobrachialsyndroms/Bandscheibenvorfalls und vom 06. Juli bis zum 17. Juli 1992 wegen eines postthrombotischen Syndroms arbeitsunfähig. Ab dem 01. Oktober 1993 bezog sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Mit Schreiben der Klägerin vom 07. Mai 1992 machte sie ein Kontaktekzem der Hände als BK geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. August 2001 wurde bei ihr das Vorliegen einer Hautkrankheit nach BK Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. anerkannt.

Die die Klägerin behandelnde Ärztin für Neurologie und Psychiatrie E E zeigte am 26. Mai 1992 wegen des Vorliegens eines "Cervikobrachialgiesyndroms beiderseits bei Osteochondrose und Uncovertebralarthrosen C 6/C 7" bei der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Berlin eine BK an, die das Feststellungsverfahren nach Durchführung von medizinischen Ermittlungen zuständigkeitshalber an die Beklagte weiterleitete (Schreiben vom 20. Oktober 1993).

Zur Klärung des Verdachts auf eine beruflich bedingte Verschleißkrankheit der Wirbelsäule erstellte Dr. Dr. med. G. D im Auftrag des Landesgewerbearztes ein Gutachten vom 07. April 1993, worin er in der Zusammenschau von Exposition, klinischen Befunden und Entwicklung des Beschwerdebildes bei der Klägerin eine BK Nr. 70 im Sinne des Berufskrankheitenrechts der früheren DDR (Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule durch langjährige mechanische Überlastungen) bejahte und mit einer MdE von 30 v.H. bewertete.

Der Gewerbearzt G, Landesinstitut für Arbeitsmedizin Berlin, vermochte sich in seiner Stellungnahme vom 16. Juni 1993 dem Gutachtenergebnis nicht im vollen Umfang anzuschließen, da die Klägerin die belastende Tätigkeit bis in das Jahr 1992 ausgeübt habe. Bei formaler Betrachtung könne der Versicherungsfall erst nach dem 31. Dezember 1991 eingetreten sein, so dass das Berufskrankheitenrecht der Bundesrepublik Deutschland (BK Nrn. 2108/ 2109) zur Anwendung komme.

Die Beklagte veranlasste eine beratungsärztliche Stellungnahme von Frau Prof. Dr. S vom 20. Januar 1999, die feststellte, die Klägerin leide vorwiegend an knöchernen Ab- und Umbauprozessen neben einer Fehlstellung der Wirbelsäule, Bewegungseinschränkungen und rezidivierenden glaubhaften Beschwerden auf Grund von Irritationen der an bestimmten Wirbelsäulenabschnitten, insbesondere im Bereich der Halswirbelsäule (HWS), austretenden Nerven. Bandscheibenbedingte Veränderungen seien nur im unteren HWS-Anteil nachgewiesen, wobei die Voraussetzungen für die BK Nr. 2109 nicht vorlägen. Auch die Frage nach dem Vorliegen einer BK Nr. 2108 der BKV sei zu verneinen, da es sich nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung in diesem Wirbelsäulenanteil handele.

Mit Bescheid vom 01. Februar 1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule als BK nach den Nrn. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV unter Berufung auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Frau Prof. Dr. S vom 20. Januar 1999 ab. Ein Zusammenhang der HWS-Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2109 mit der beruflichen Tätigkeit als Krankenschwester scheide aus, da die Klägerin keine Lasten auf der Schulter getragen habe. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK Nr. 2108 liege ohnehin nicht vor. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1999 als unbegründet zurückgewiesen.

In dem hiergegen geführten Klageverfahren (S 69 U 460/00) wurde ein orthopädisches Fachgutachtens von Dr. med. E vom 30. Januar 2001 eingeholt, der ausführte, die Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule erfüllten nicht die für eine Anerkennung als BK nach den Nrn. 2109 und 2108 erforderlichen Voraussetzungen. Bei der BK Nr. 2109 fehle es an den arbeitstechnischen und den medizinischen Voraussetzungen. Im Lendenwirbelsäulenbereich sei die bandscheibenbedingte Erkrankung durch außerberufliche Faktoren geprägt, da klinisch und röntgenologisch eine deutliche seitliche Fehlstatik der Wirbelsäule im Sinne einer ausgeprägten genuinen Skoliose mit Verdrehung der einzelnen Wirbelkörper vorliege. Die Skoliose habe zu einer asymmetrischen Fehlbelastung der Bandscheibe im Scheitelpunkt der Skoliose und mithin zu einem erheblichen isolierten Bandscheibenverschleiß geführt. Durch Urteil vom 25. Mai 2001 wies das Sozialgericht unter Berufung auf das eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. E die Klage ab.

Die dagegen eingelegte Berufung (L 2 U 104/01) wurde nach Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. E, St. J-Krankenhaus, vom 29. Juni 2002 durch Urteil vom 25. März 2003 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Nichtlassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht durch Beschluss vom 02. Juli 2003 (B 2 U 163/03 B) ebenso wie die Gegenvorstellung der Klägerin durch Beschluss vom 10. September 2003 (B 2 U 263/03 B) als unzulässig.

Mit Schreiben vom 22. September 2003 beantragte die Klägerin im Wege der Neufeststellung die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 01. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1999 und die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankungen als BKen. Zur Begründung machte sie geltend, die Beklagte habe sich bei ihrer Entscheidung unzulässigerweise auf die Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 10. Januar 1999 gestützt. Diese Stellungnahme sei nicht verwertbar, weil sie nicht über ihr Widerspruchsrecht und den Zweck der Stellungnahme unterrichtet worden sei (§§ 200 Abs. 2 SGB VII, 76 Abs. 2 SGB X).

Mit Bescheid vom 25. September 2003 lehnte die Beklagte ohne Sachprüfung den Antrag nach § 44 SGB X ab, da in der Sache bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliege. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2003 als unbegründet zurück. Sie führte aus, sie sei nicht verpflichtet, ohne den Nachweis entsprechender Gründe in eine erneute Sachprüfung eines bindend gewordenen Verwaltungsaktes einzutreten. Mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 10. September 2003 (B 2 U 163/03 B) und Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. März 2003 (L 2 U 104/01) sei rechtskräftig entschieden worden, dass die geltend gemachten Verschleißerkrankungen im Bereich der HWS und der Lendenwirbelsäule nicht als BKen nach § 9 SGB VII i. V. m. den BK Nrn. 2108/ 2109 der Anlage zur BKV anerkannt und entschädigt werden könnten.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Gutachten, auf die die Beklagte ihre Entscheidung stütze, seien ohne Beachtung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen zustande gekommen. Weder seien ihr drei Gutachter zur Auswahl gestellt worden, noch sei sie über den Zweck der Gutachten informiert worden. Das Gutachten nach § 109 SGG sei nicht von Prof. Dr. E, der lediglich die Unterschrift geleistet habe, sondern von Dr. H erstellt worden, der während der Untersuchung gegenüber ihrem Anliegen befangen und in seiner Arbeit unkonzentriert gewesen sei. Bei ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in der DDR habe sie bei der Pflege Lasten zu bewältigen gehabt, die mit denen einer Krankenschwester in der Bundesrepublik nicht vergleichbar gewesen seien. Das Berufsbild der Krankenschwester in der DDR sei auch in der konkreten Alltagssituation viel weiter gefasst gewesen als dasjenige einer Krankenschwester in der Bundesrepublik. Entgegen den von den Gutachtern geäußerten Auffassungen sei die Skoliose durch ihre berufliche Tätigkeit erworben worden und nicht angeboren.

Das Sozialgericht Berlin hat durch Urteil vom 30. März 2004, der Klägerin zugestellt am 05. Mai 2004, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach allen vorliegenden Gutachten, die auch verwertbar seien, könnten die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK Nrn. 2108 und 2109 nicht bejaht werden.

Hiergegen richtet sich die am 27. Mai 2004 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch auf Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule als BK weiterverfolgt. Sie macht geltend, die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien erfüllt, da sie als Krankenschwester in den neuen Bundesländern ohne Hilfsgeräte habe arbeiten müssen und sich hierbei eine bandscheibenbedingte Erkrankung zugezogen habe. Das Sozialgericht sei davon ausgegangen, dass ihr Krankheitsbild an der Wirbelsäule nicht typisch sei für eine BK Nr. 2108, da bei ihr eine Verdrehung der Wirbelsäule mit Asymmetrie, eine Skoliose und nach dem Röntgenbild - statt einer Osteochondrose der unteren Wirbelsäule und Spondylose im oberen Bereich der Lendenwirbelsäule - in allen Etagen eine Osteochondrose mit Spondylose im unteren Bereich vorliege. Das Landesamt für Gesundheit und Arbeitssicherheit des Landes Nordrhein-Westfalen stelle darauf ab, unter welchen Bedingungen tatsächlich gearbeitet wurde. Sofern Frauen über mindestens 10 Jahre schwere Lasten (10 bis 15 kg) eng am Körper getragen hätten, sei bei Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls eine Berufskrankheit wahrscheinlich. Ihr konkreter Arbeitsalltag in der DDR sei nicht abgeklärt.

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 hat die Klägerin auf entsprechenden richterlichen Hinweis mitgeteilt, dass das Vorliegen der BK Nr. 2109 nicht weiter geltend gemacht werde.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2004 und den Bescheid vom 25. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, im Wege der Neufeststellung unter Änderung des Bescheides vom 01. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1999 die Lendenwirbelsäulenerkrankung als BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihr Leistungen im gesetzlichen Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bewertet die Beweiswürdigung der ersten Instanz als nicht fehlerhaft und hält die Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. N vom 07. Oktober 2005 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem abschließenden Ergebnis gelangt, bei der Klägerin liege eine linkskonvexe Lumbalskoliose und rechtskonvexe Thorakalskoliose, ein Bandscheibenvorfall L 5/6 links intraforaminal (oder L 4/5 bei einer fünfgliedrigen LWS) vor. Diese Gesundheitsstörungen stellten keine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 dar. Für die Bejahung einer BK Nr. 2108 sei zu fordern, dass die Wirbelsäule belastungskonform verändert sei, da biomechanische Untersuchungen belegt hätten, dass bei Arbeiten in Rumpfbeuge oder bei schwerer Hebetätigkeit insbesondere das Segment L 5/S 1 und weniger das Segment L 4/5 sowie kopfwärts anschließende Segmente in abnehmender Weise belastet würden. Aus den aktuellen Röntgenaufnahmen ließen sich entsprechende Veränderungen nicht nachweisen, vielmehr seien anlagebedingte Veränderungen gegeben, aber keine wesentlichen degenerativen Veränderungen in einem belastungskonformen Muster. Die vorhandene Lumbalskoliose stelle eine anlagebedingte Veränderung der Lendenwirbelsäule dar, so dass der Bandscheibenvorfall ohne das Vorliegen belastungskonformer Veränderungen im LWS-Bereich als Gelegenheitsursache zu werten sei. Durch die berufliche Tätigkeit als Krankenschwester/ Altenpflegerin sei es unter körperlichen Belastungen zu einer zeitlich begrenzten Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik gekommen, jedoch nicht zu einer wesentlichen Verschlimmerung.

Die Klägerin hat sich dem Gutachtenergebnis nicht anzuschließen vermocht und auf entsprechende Veröffentlichungen in der medizinischen Literatur verwiesen. Sie hat ausgeführt, auch wenn die Gutachter eine linkskonvexe Lumbalskoliose und rechtskonvexe Thoralkalskoliose festgestellt hätten, seien diese Erkrankungen sowie die beruflichen Belastungen ursächlich für den Bandscheibenvorfall L 5/6 oder L 4/5 gewesen, der eine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 darstelle. Unstreitig habe sie ihre Tätigkeit mit Ablauf September 1993 aufgegeben. Das einzige zeitnahe Gutachten stamme von Dr. Dr. D vom 17. April 1993, der festgestellt habe, die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäulen seien beruflich bedingt und als Berufserkrankung anzuerkennen. Insoweit berufe sie sich auf dieses Gutachten.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 09. Januar 2006 und 30. Januar 2006 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG angehört worden; zudem ist dem Bevollmächtigten der Klägerin auf Anfrage vom 12. Juli 2007 mit Schreiben vom 14. August 2007 mitgeteilt worden, dass noch im Laufe des Monats mit einer Entscheidung zu rechnen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verfahrensakte (S 69 U 460/00 / L 2 U 104/01) und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die bei Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten die form- und fristgerecht eingelegte Berufung durch Beschluss zurückweisen, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Gegenstand des Rechtsstreites ist nur noch das von der Klägerin im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X verfolgte Begehren auf Feststellung des bei ihr bestehenden Lendenwirbelsäulenleidens als BK nach der Nr. 2108 der Anlage zur BKV. Soweit die Klägerin ursprünglich mit der Klage auch die Anerkennung der Erkrankung der Halswirbelsäule als BK nach der Nr. 2109 der Anlage zur BKV geltend gemacht hatte, hat sie bei verständiger Würdigung ihrer schriftlichen Erklärung vom 14. Oktober 2004 die Berufung (teilweise) zurückgenommen (§ 156 Abs 1 SGG); insoweit sind das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2004 rechtskräftig (§ 156 Abs. 2 SGG) und der angefochtene Bescheid vom 25. September 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2003 bestandskräftig (§ 77 SGG) geworden. Dem nicht weiter konkretisierten Antrag auf Gewährung von Leistungen im gesetzlichen Umfang kommt nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Bundessozialgerichts in Fällen wie diesem, in denen die Beklagte jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt hat, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, keine eigenständige Bedeutung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 28. April 2004 – B 2 U 21/03 R , Urteil vom 07. September 2004 – B 2 U 46/03 R und Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 24/05 R m.w.N.) kann der Versicherte in einer solchen Situation die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen, d.h. er kann nicht nur die in § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG ausdrücklich vorgesehenen Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall oder einer BK, sondern auch die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen, in denen bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer BK vom Versicherungsträger – wie hier – bestritten wird, begehren.

Im vorliegenden Fall sind jedoch die Voraussetzungen für eine (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 01. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1999 nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Die Beklagte hat bei Erlass des bestandskräftigen Bescheides vom 01. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1999 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Denn die Klägerin hat im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Lendenwirbelsäulenbeschwerden als BK. Die Voraussetzungen der hierfür allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind nicht erfüllt. Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährigen Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als BK anzusehen.

Für die Anerkennung als BK nach Nr. 2108 muss bei dem Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegen, die durch das langjährige berufsbedingte Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (BSG SozR 3 – 5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Eine Verursachung der bei der Klägerin bestehenden bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung durch die unstreitig vorhanden gewesenen beruflichen Belastungen als Krankenschwester im Beitrittsgebiet ist aufgrund des Krankheitsbildes und der vorliegenden Wirbelsäulenveränderungen nicht (hinreichend) wahrscheinlich, und zwar weder im Sinne der erstmaligen Entstehung noch im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung. So ist für bandscheibenbedingte Erkrankungen eine multifaktorielle Verursachung typisch. Die Entstehung oder Verschlimmerung ist vielfach geprägt durch das Zusammenwirken von endogenen (prädispositionellen) und exogenen Faktoren (belastenden Einwirkungen im privaten und versicherten Lebensbereich). Für die erforderliche individuelle Prüfung und Beurteilung des Ursachenzusammenhanges werden nach der medizinischen Literatur als wesentliche Kriterien angesehen: Das Krankheitsbild, insbesondere ein belastungskonformes von oben nach unten zunehmendes Schadensbild, die Eignung der Einwirkung unter Berücksichtigung der Begleitumstände zur Verursachung der Erkrankung, eine zeitliche Korrelation zwischen beruflicher Belastung und Erkrankungsverlauf, das Vorliegen von konstitutionellen Veranlagungen bzw. konkurrierenden Erkrankungen und deren Ausprägung. Den Tatbestand der BK Nr. 2108 erfüllen nur solche Schäden der LWS, die sich als Resultat einer langjährigen schädigenden Einwirkung auf den entsprechenden Wirbelsäulenabschnitt darstellen. Ein morphologisch objektivierbares Schadenssubstrat ist daher zwingend erforderlich. Die ausgelösten degenerativen Prozesse – zu denen anlagebedingte Wirbelsäulenstörungen und Fehlhaltungen nicht gehören – finden sich in den durch bildgebende Verfahren objektivierbaren Formen wieder wie: Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose, Bandscheibenprotrusion und Bandscheibenprolaps (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall u. Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 567, 8.3.5.5.1., S. 577, 8.3.5.5.4.1.).

Die Klägerin kann unter Berücksichtigung dieser Kriterien mit ihrem Begehren keinen Erfolg haben. Dies ergibt sich bereits aus den auch den Senat überzeugenden, im vorangegangen Gerichtsverfahren L 2 U 104/01 eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. E vom 29. Juni 2002 und Dr. E vom 30. Januar 2001, die im Wesentlichen von dem auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen Prof. Dr. N in seinem Gutachten vom 07. Oktober 2005 bestätigt worden sind. Sowohl nach den Feststellungen von Prof. Dr. N als auch von Prof. Dr. E ist bei der Klägerin ein Bandscheibenvorfall bei L 5/6 links bzw. L 4/5 (bei einer fünfgliedrigen Lendenwirbelsäule) gegeben, es finden sich jedoch des Weiteren eine ausgeprägte linkskonvexe Lumbalskoliose und eine rechtskonvexe Thorakalskoliose. Den aktuellen Röntgenaufnahmen sind vor allem anlagebedingte Veränderungen, aber keine wesentlichen degenerativen Veränderungen im Sinne eines von cranial nach caudal zunehmenden Verschleißzustandes zu entnehmen. Wie bereits von den Vorgutachtern - insbesondere von Prof. Dr. E in seinem Gutachten vom 29. Juni 2002 - dargelegt worden ist, zeigt sich in der Röntgenaufnahme als Ausdruck des Bandscheibenschadens bei L 5/6 in diesem Segment eine verminderte Höhe des Zwischenwirbelraumes. Auch durch die Kernspintomografie wird ein intraforaminaler Bandscheibenprolaps in diesem Segment unter direkter Alteration der Spinalwurzel dargestellt. Neben exogenen Einflüssen – wie z. B. den erheblichen beruflichen Hebe- und Tragebelastungen – sind nach den gutachterlichen Feststellungen gewichtige endogene Faktoren gegeben, die – wie oben dargelegt - bei der Kausalitätsbeurteilung zu berücksichtigten sind. Im Falle der Klägerin liegt ein stoffwechselbedingter Einfluss aufgrund des Diabetes mellitus vor, der die Inzidenz für eine bandscheibenbedingte Erkrankung erhöht. Als weitere nicht beruflich bedingte Faktoren sind bei der Klägerin die sich im Röntgenbild vom 20. Juli 1989 zeigende lumbosacrale Übergangsstörung (vgl. ausführliche Beschreibung im Gutachten von Prof. Dr. E vom 29. Juni 2002) und die Fehlstatik der Wirbelsäule aufgrund der ausgeprägten Skoliose zu beachten. Die Röntgenaufnahmen zeigen eine Asymmetrie einzelner Lendenwirbelkörper als Hinweis auf eine primäre Skoliose, die im Verlauf der Jahre von 1989 bis 2001, d. h. insbesondere nach dem Ende der beruflichen Belastungen im Jahre 1992, kontinuierlich zugenommen hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus den Feststellungen der Sachverständigen, dass die Skoliose angesichts ihres Erscheinungsbildes nicht beruflich erworben worden ist. Skoliotische Fehlhaltungen der Lendenwirbelsäule sind ein wesentlicher konkurrierender Ursachenfaktor. Durch die skoliotische Fehlhaltung kommt es zu einer asymmetrischen Belastung, welche zu einem vorzeitigen Bandscheibenverschleiß prädisponiert, der im Scheitelpunkt der Skoliose am stärksten ausgeprägt ist (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2108, S. 25, 4.2).

Angesichts der Tatsache, dass bei der Klägerin neben den geltend gemachten beruflichen Belastungen die genannten konkurrierenden schicksalhaften Faktoren für die Entstehung einer Bandscheibenerkrankung in einer den Krankheitsverlauf dominierenden Ausprägung nachgewiesen worden sind, kann von einer beruflichen Verursachung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gesprochen werden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war eine Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. E als Sachverständigengutachten in dem vorangegangen Gerichtsverfahren zulässig, da das Gutachten unter Beachtung der Vorschrift des § 407 a Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) erstellt worden ist.

Die Klägerin kann sich zur Stützung ihres Begehrens auch nicht auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. Dr. D vom 07. April 1993 berufen, da der Gutachter ausdrücklich zu dem Ergebnis gelangt ist, aus gutachterlicher Sicht liege bei der Klägerin eine BK 70 i. S. d. DDR-Berufskrankheitenverordnung vor. Diese entspricht jedoch nicht den Tatbestandsvoraussetzungen der BK Nr. 2108, über die hier allein zu entscheiden war.

Im Hinblick auf die eindeutigen Ergebnisse der im vorangegangenen Verfahren zum Aktenzeichen L 2 U 104/01 eingeholten Gutachten sowie des - ebenfalls auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG - durch den Senat eingeholten Sachverständigengutachtens sah sich der Senat auch zu keiner weiteren Beweiserhebung gedrängt.

Da die Beklagte bei ihrer Entscheidung nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ist ein Anspruch auf Anerkennung der BK Nr. 2108 unter (teilweiser) Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide nicht gegeben.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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