Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 476/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 136/08 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2008 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, ab 7. April 2008 bis einschließlich 21. April 2008 Hauskrankenpflege 24 Stunden täglich zur spezieller Krankenbeobachtung und Durchführung medizinischer Maßnahmen bei gehäuften epileptischen Anfällen (Verordnung der Fachärztin für Kinder und Jugendheilkunde Dr. P F vom 10. März 2008) zu leisten. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Eilverfahrens.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde vom 18. März 2008, der das Sozialgericht Berlin (SG) nicht abgeholfen hat, ist in der Sache begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz stellt nämlich insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Danach ist abzuwägen die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte (so bereits für die Bewilligung häuslicher Krankenpflege B. des Senats v. 27.02.2006 –L 1 B 69/05 KRER Juris) Die Abwägung hier fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Ihr droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine große Gefahr für Leib und Leben, wenn nicht rund um die Uhr eine Überwachung ihrer epileptischen Anfälle in der beantragten Form gewährleistet ist. Sie leidet –auch nach den Feststellungen des Widerspruchsausschusses der Antragsgegnerin- an einem Aicardi-Syndrom mit mehr als 150 Anfällen pro Monat in unterschiedlichen Schweregraden einschließlich sogenannten Grand mal-Anfällen. Neben Selbstverletzungsgefahr bedarf es je nach Anfall einer Notfallmedikamentation in unterschiedlicher Dosierung, Puls- und Atemkontrollen. Für die Überwachung und Durchführung ist –soweit wohl unstreitig- eine Fachkraft erforderlich, um bei Anfällen sofort und adäquat handeln zu können. Jeder Anfall, auf den nicht richtig reagiert wird, kann Leib und Leben gefährden. Ob und inwieweit dies durch Pflegekräfte der Pflegekasse und/oder die Eltern als Angehörige gewährleistet werden kann, ist im Hauptsacheverfahren zu klären. Es erschließt sich dem Senat nach der alleine gebotenen summarischen Sachprüfung aber nicht ohne weiteres, dass es sich bei der erforderlichen Permanent-Überwachung (immer auch) um Grundpflegeleistungen im Sinne der §§ 14 Abs. 1, 15 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) handelt. Es ist –anders formuliert- nicht hinreichend sicher, dass wirklich eine Doppelversorgung vorläge, wenn zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung zur Grundpflege, welche bislang die Eltern ausüben, die 24h-Überwachung hinzuträte. Demgegenüber muss das rein finanzielle Interesse der Antragsgegnerin zurücktreten. Dies gilt jedenfalls für die ganz aktuelle Zeit, in der die Mutter der Antragstellerin als Betreuerin ausfällt. Soweit sich die Antragsgegnerin auf den Beschluss des 24. Senats des Landessozialgerichtes beruft (L 24 B 507/07 KRER), ist darauf hinzuweisen, dass dort nur betont wird, dass ein Anspruch auf Grundpflege nur gegen die Pflegekasse besteht. Die von ihr angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts (U. v. 10.11.2005 -B 3 KR 38/04R) bestätigt auch (nur) für Patienten in Pflegestufe III, dass Behandlungspflege in Form der Krankenbeobachtung und Durchführung der jeweils gebotenen Maßnahme nicht durch die Krankenkasse zu gewährleisten ist, soweit diese auch von einem Haushaltsangehörigen oder als Sachleistungen der Pflegekasse nach §§ 15 Abs. 3 Nr. 3, 36 SGB XII erbracht werden kann (SozR 4-2500 § 37 Nr. 6 Rdnr. 20). Das BSG hat allerdings klar gestellt, dass ein krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch die ständige Beobachtung des Versicherten durch eine medizinische Fachkraft erfordern kann, wenn diese wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Komplikationen von Erkrankungen jederzeit einsatzbereit sein muss, um die nach Lage der Dinge jeweils erforderlichen medizinischen Maßnahmen durchzuführen, auch wenn die einschlägige Richtlinie eine solche allgemeine Überwachung nicht vorsieht. Auch im dort entschiedenen Fall ging es um die Gefahr von Anfällen. Hier besteht in der Sache zwischen den Beteiligten Streit, inwieweit durch die Leistungen der Pflegekasse die notwendige fachkundige Überwachung gewährleistet ist oder wäre, wenn die Antragstellerin nicht durch ihre Eltern selbst gepflegt würde. Ob die Antragsgegnerin einfach unterstellen kann bzw. darf, dass bei Pflege durch Sachleistungen die Krankenüberwachung gewährleistet sei, erscheint jedenfalls zurzeit fraglich. Die Antragsgegnerin selbst hält die Eltern der Antragsstellerin ausweislich eines Aktenvermerkes jedenfalls für überfordert. Eine vorläufige Verpflichtung über den Zeitraum von drei Wochen hinaus ist aus Rechtsschutzgründen aktuell nicht geboten. Bis dahin könnte die Antragsgegnerin näher prüfen bzw. unter Einschaltung eigener Ärzte oder durch den MDK darlegen, weshalb die erforderliche Betreuung Teil der Grundpflege (in Form von Sachleistungen) der Pflegekasse ist bzw. sein kann bzw. könnte und/oder zeitweilig von den Eltern als Angehörigen bewältigt werden kann. Bis auf weiteres wird die Antragsgegnerin jedoch im Zweifel vorläufig weiter die Leistungen als Krankenkasse erbringen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Rechtslage auch zum Zeitpunkt der sozialgerichtlichen Entscheidung bereits weitgehend zugunsten der Antragstellerin gesprochen hat.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde vom 18. März 2008, der das Sozialgericht Berlin (SG) nicht abgeholfen hat, ist in der Sache begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz stellt nämlich insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Danach ist abzuwägen die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte (so bereits für die Bewilligung häuslicher Krankenpflege B. des Senats v. 27.02.2006 –L 1 B 69/05 KRER Juris) Die Abwägung hier fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Ihr droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine große Gefahr für Leib und Leben, wenn nicht rund um die Uhr eine Überwachung ihrer epileptischen Anfälle in der beantragten Form gewährleistet ist. Sie leidet –auch nach den Feststellungen des Widerspruchsausschusses der Antragsgegnerin- an einem Aicardi-Syndrom mit mehr als 150 Anfällen pro Monat in unterschiedlichen Schweregraden einschließlich sogenannten Grand mal-Anfällen. Neben Selbstverletzungsgefahr bedarf es je nach Anfall einer Notfallmedikamentation in unterschiedlicher Dosierung, Puls- und Atemkontrollen. Für die Überwachung und Durchführung ist –soweit wohl unstreitig- eine Fachkraft erforderlich, um bei Anfällen sofort und adäquat handeln zu können. Jeder Anfall, auf den nicht richtig reagiert wird, kann Leib und Leben gefährden. Ob und inwieweit dies durch Pflegekräfte der Pflegekasse und/oder die Eltern als Angehörige gewährleistet werden kann, ist im Hauptsacheverfahren zu klären. Es erschließt sich dem Senat nach der alleine gebotenen summarischen Sachprüfung aber nicht ohne weiteres, dass es sich bei der erforderlichen Permanent-Überwachung (immer auch) um Grundpflegeleistungen im Sinne der §§ 14 Abs. 1, 15 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) handelt. Es ist –anders formuliert- nicht hinreichend sicher, dass wirklich eine Doppelversorgung vorläge, wenn zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung zur Grundpflege, welche bislang die Eltern ausüben, die 24h-Überwachung hinzuträte. Demgegenüber muss das rein finanzielle Interesse der Antragsgegnerin zurücktreten. Dies gilt jedenfalls für die ganz aktuelle Zeit, in der die Mutter der Antragstellerin als Betreuerin ausfällt. Soweit sich die Antragsgegnerin auf den Beschluss des 24. Senats des Landessozialgerichtes beruft (L 24 B 507/07 KRER), ist darauf hinzuweisen, dass dort nur betont wird, dass ein Anspruch auf Grundpflege nur gegen die Pflegekasse besteht. Die von ihr angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts (U. v. 10.11.2005 -B 3 KR 38/04R) bestätigt auch (nur) für Patienten in Pflegestufe III, dass Behandlungspflege in Form der Krankenbeobachtung und Durchführung der jeweils gebotenen Maßnahme nicht durch die Krankenkasse zu gewährleisten ist, soweit diese auch von einem Haushaltsangehörigen oder als Sachleistungen der Pflegekasse nach §§ 15 Abs. 3 Nr. 3, 36 SGB XII erbracht werden kann (SozR 4-2500 § 37 Nr. 6 Rdnr. 20). Das BSG hat allerdings klar gestellt, dass ein krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch die ständige Beobachtung des Versicherten durch eine medizinische Fachkraft erfordern kann, wenn diese wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Komplikationen von Erkrankungen jederzeit einsatzbereit sein muss, um die nach Lage der Dinge jeweils erforderlichen medizinischen Maßnahmen durchzuführen, auch wenn die einschlägige Richtlinie eine solche allgemeine Überwachung nicht vorsieht. Auch im dort entschiedenen Fall ging es um die Gefahr von Anfällen. Hier besteht in der Sache zwischen den Beteiligten Streit, inwieweit durch die Leistungen der Pflegekasse die notwendige fachkundige Überwachung gewährleistet ist oder wäre, wenn die Antragstellerin nicht durch ihre Eltern selbst gepflegt würde. Ob die Antragsgegnerin einfach unterstellen kann bzw. darf, dass bei Pflege durch Sachleistungen die Krankenüberwachung gewährleistet sei, erscheint jedenfalls zurzeit fraglich. Die Antragsgegnerin selbst hält die Eltern der Antragsstellerin ausweislich eines Aktenvermerkes jedenfalls für überfordert. Eine vorläufige Verpflichtung über den Zeitraum von drei Wochen hinaus ist aus Rechtsschutzgründen aktuell nicht geboten. Bis dahin könnte die Antragsgegnerin näher prüfen bzw. unter Einschaltung eigener Ärzte oder durch den MDK darlegen, weshalb die erforderliche Betreuung Teil der Grundpflege (in Form von Sachleistungen) der Pflegekasse ist bzw. sein kann bzw. könnte und/oder zeitweilig von den Eltern als Angehörigen bewältigt werden kann. Bis auf weiteres wird die Antragsgegnerin jedoch im Zweifel vorläufig weiter die Leistungen als Krankenkasse erbringen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Rechtslage auch zum Zeitpunkt der sozialgerichtlichen Entscheidung bereits weitgehend zugunsten der Antragstellerin gesprochen hat.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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