L 13 SB 55/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 1037/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 55/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. März 2005 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. Februar 2008 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung), nachdem der Beklagte im Berufungsverfahren einen Grad der Behinderung(GdB) von 70 anerkannt hat.

Dem 1942 geborenen Kläger hatte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 4. September 2000 einen GdB von 60 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen zuerkannt, deren verwaltungsintern berücksichtigte Einzel-GdB sich aus den Zusätzen in Klammern ergeben:

a) Sehbehinderung (40) b) Zustand nach Hirnstamminfarkt 1990, Cephalgien, Parästhesien am Kopf, Schwindel, diskrete Hirnleistungsminderung (30) c) Aortenklappenersatz, Herzrhythmusstörungen (30) d) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke (20) e) Chronische Bronchitis (10) f) Hörminderung, Ohrgeräusche rechts (10) g) Magen- und Leberleiden (10) h) Neigung zu depressiven Verstimmungen (10).

Mit seinem im Februar 2002 gestellten Neufeststellungsantrag begehrte er neben einem höheren GdB auch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G". Dem Antrag waren verschiedene Arztbriefe sowie ein Reha-Entlassungsbericht der Fachklinik Bad L vom November 2001 beigefügt. Der Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Internisten Dr. S, der als weitere Funktionsbeeinträchtigung ein zweimal operiertes Krampfaderleiden, aber keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen am Stütz- und Bewegungsapparat feststellte und eine fachärztliche Begutachtung der Seh- und Hörstörung für erforderlich hielt. Nach einer Untersuchung durch die Augenärztin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 2002 eine Neufeststellung ab. Lediglich aus Gründen der Vollständigkeit sei unter i. Krampfaderleiden, zweimal operiert (10) aufzuführen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt.

Mit seinem Widerspruch hiergegen rügte der Kläger, dass weder eine lungenfachärztliche Untersuchung noch eine Gehprobe durchgeführt worden seien. Nachdem der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde G keine Einschränkung der Atemwege feststellen konnte, wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin im Oktober /November 2003 erstellte Befundberichte eingeholt. Die behandelnden Neurologen W, Dr. H u.a. haben einen im März 2003 diagnostizierten sequestrierten Bandscheibenvorfall S 1 mehr links als rechts sowie mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt und Gleichgewichtstörungen mit leichter Unsicherheit bei alltäglichen Belastungen mitgeteilt. Der Chirurg Dr. L hat das Gehvermögen mit 2000 Metern eingeschätzt und der Augenarzt Dr. W sowie der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde E haben gegenüber den Angaben im Verwaltungsverfahren gleichbleibende Befunde angegeben. Der Internist Dr. L, dessen Befundbericht eine Vielzahl von Arztbriefen mit kardiologischer Diagnostik beigefügt war, hat die Belastungsdyspnoe als sich schleichend verschlechternd bewertet, es bestehe eine kardiale und pulmonale Leistungseinschränkung. Diesen Unterlagen sowie weiteren vom Kläger im Februar 2004 überreichten Artbriefen hat der Beklagte auf der Grundlage verschiedener versorgungsärztlicher Stellungnahmen keine Verschlimmerungen entnehmen können. Lediglich der Vollständigkeit halber sei die Funktionsbehinderung zu c. nunmehr als "Aortenklappenersatz, Herzrhythmusstörungen, Aneurysma der Aorta ascendens" zu bezeichnen, aber weiterhin mit einem GdB von 30 zu bewerten. Wegen mangelnder Verwertbarkeit der augenärztlichen Befunde ist der Kläger durch den Augenarzt Dr. D untersucht worden, der die Sehminderung am 9. Oktober 2004 mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet hat.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. März 2005 abgewiesen. Nach den medizinischen Ermittlungen seien die von dem Beklagten in Ansatz gebrachten Einzel-GdB angemessen und ausreichend. Zwar habe der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde E eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung bescheinigt. Diese Angabe werde aber durch die von ihm beigefügten Lungenfunktionsbefunde vom September 2003 nicht bestätigt. Auch die Gesamt-GdB-Bewertung sei zutreffend. Schließlich seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht erfüllt, weil weder auf orthopädischem, kardiologischen, pulmologischen, augenärztlichen noch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Anhaltpunkte) 2004, Nr. 30 Abs. 3 aufgeführten Regelbeispiele erfüllt seien. Auch die negativen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Behinderungskomplexen führten zu keinem anderen Ergebnis.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, das Sozialgericht habe den Befundbericht des behandelnden Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde E und die negative Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen nur unzureichend gewürdigt.

Der Senat hat im Zeitraum November 2005 bis Februar 2006 erstattete Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin K, der Neurologen W, Dr. H u.a., der Fachärztin für Innere Medizin Dr. D, des Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde E, des Internisten Dr. L und des Orthopäden Dr. B eingeholt und einen Arztbrief von Dr. R vom 30. März 2006 zur Akte genommen. Diesen Unterlagen hat der Beklagte ein mit einem GdB von 20 zu bewertendes Nierenleiden entnommen und im Hinblick auf ein angebliches Bronchialkarzinom eine weitere lungenfachärztliche Äußerung für erforderlich gehalten. Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde F hat in seinem Befundbericht vom 13. Juni 2006 mitgeteilt, dass lungenfunktionell keine Einschränkungen nachweisbar seien. Ursache der Dyspnoe sei der bestehende ausgeprägte Meteorismus (Blähsucht).

Der Beklagte hat während des Verfahrens durch Bescheid vom 19. Februar 2008 einen Gesamt-GdB von 70 ab Oktober 2007 anerkannt. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale könnten nicht festgestellt werden.

Der Kläger begehrt nunmehr nur noch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G".

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. März 2005 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 31. Oktober 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2003 und des Bescheides vom 19. Februar 2008 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 19. Februar 2008 abzuweisen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin und Anästhesie Dr. S vom 22. Oktober 2007 eingeholt. Der Gutachter hat folgende Funktionseinschränkungen festgestellt: 1. Hirnschäden, mittelgradig, im Alltag sich deutlich auswirkend (50) 2. Wirbelsäulensyndrom mit schweren funktionellen Auswirkungen in allen drei Abschnitten und Gelenkfunktionsstörungen und Schmerzsyndrom Stadium II nach Gerbershagen (50) 3. arterielle Verschlusskrankheit an den unteren Extremitäten (linkes Bein) im Stadium II (30) 4. Aortenklappenersatz, Herzrhythmusstörungen, Marcumar-Therapie, Hyper-tonie (30) 5. chronisch-obstruktive Bronchitis (20) 6. Nierenfunktionseinschränkung leichten Grades (20) 7. Hörminderung, Tinnitus rechts (10) 8. chronisch venöse Insuffizienz an den unteren Extremitäten (10) 9. Magenfunktionsstörungen wegen Überblähung bei Fehlfunktion der Zungenmuskulatur infolge starker BWS-HWS-Statikstörung (10)

Die Hauptbehinderungen seien Hirnschäden und Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, wobei die Beeinträchtigungen durch die Wirbelsäule enorm seien. Die Auswirkungen der Gefäßverschlusskrankheit an den unteren Extremitäten, die schon am 30. März 2006 durch eine Druckdifferenz in den Fußarterien dokumentiert worden seien, hätten sich dahingehend verschlimmert, dass deutliche und klinisch leicht feststellbare Zeichen der Durchblutungsstörung im linken Bein festzustellen seien. Diese würden allerdings von der Wurzelreizsymptomatik L5/S1 links sowie den Hirnschäden-Beschwerden überlagert. Die leichte Verstärkung der Beschwerden im linken Bein bedinge keine Steigerung der Gesamtwertung. Der Komplex "Herzrhythmusstörungen/Aortenklappenersatz/Marcumar-Therapie/Hypertonie" wirke sich um einen GdB von 10 erhöhend aus; die Dauereinschränkung der Lungenfunktion verstärke die Belastungsdyspnoe und erhöhe den Gesamt-GdB um 10. Der Gesamt-GdB betrage 90. Auf die Gehfähigkeit wirkten sich negativ aus - Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen bei Hirnschäden sowie bei Arteriosklerose der Hirngefäße, zusätzlich das Arteria-vertebralis-Kompressionssyndrom - Belastungsdyspnoe bei thorakaler Hochatmung, Zwerchfellhochstand, Thoraxrigidität bei Zustand nach Sternumverdrahtung sowie Rippengelenkblockierungen, COPD - Arterielle Verschlusskrankheit an den unteren Extremitäten, links mehr als rechts - Wurzelreizsyndrom L5/S1 links - Patellabasissyndrom beidseits sowie Pseudomeniskussyndrom links.

Die Gehstrecke betrage cirka 100 Meter. Ausschlaggebend seien Schwindel und Gleichgewichtsstörungen (bei Hirnschäden und Arteriosklerose der Hirngefäße) sowie die Belastungsdyspnoe, die bereits nach der Gehstrecke von cirka 100 Metern auftrete. Die restliche Symptomatik tauche in diesen Beschwerden unter.

Dem ist der Beklagte im Bescheid von 19. Februar 2008 nur dahingehend gefolgt, dass der GdB ab Oktober 2007 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen 70 betrage: a. Sehbehinderung (40) b. Zustand nach Hirnstamminfarkt 1990, Cephalgien, Parästhesien am Kopf, Schwindel, diskrete Hirnleistungsminderung (30) c. Aortenklappenersatz, Herzrhythmusstörungen (30) d. Nierenfunktionseinschränkung (20) e. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke (30) f. Hörminderung, Ohrgeräusche (10) g. Magen- und Leberleiden (10) h. Neigung zu depressiven Verstimmungen (10) i. Krampfaderleiden (10) Weitere gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor. Zur Begründung hat er sich auf die von ihm eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahmen bezogen. Dr. S hat in seiner psychiatrischen Stellungnahme vom 3. Dezember 2007 ausgeführt, das Gutachten widerspreche hinsichtlich der Bewertung der Hirnschäden nicht den bisherigen Feststellungen, weil die bislang anerkannten Leiden zu a. und b. zu einem GdB von 50 zusammengefasst werden könnten. Der Facharzt für Chirurgie Dr. B hat in seiner Stellungnahme vom 10. Dezember 2007 dem Untersuchungsbefund von Dr. S keine wirbelsäulenbedingten motorischen Ausfallerscheinungen entnehmen können, wohl aber Bewegungseinschränkungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten. Diese seien im LWS-Bereich mittelgradig, im BWS-Bereich stark ausgeprägt. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke seien mit einem GdB von 30 zu bewerten. Die Fachärztin für Innere Medizin MD Rvertrat in ihrer Stellungnahme vom 17. Dezember 2007 die Auffassung, der Gutachter habe nur die bisherige Bewertung der Behinderungen für das internistische Fachgebiet übernommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ist es allerdings nicht ausreichend, dass eine Wegstrecke von 2000 Metern nicht in einem bestimmten Zeitraum zurückgelegt werden kann. Denn die Anhaltspunkte geben als antizipierte Sachverständigengutachten auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen die Anhaltspunkte dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die Anhaltspunkte beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, Az. 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).

Die Voraussetzungen für eine erhebliche Gehbehinderung sind nach Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte 2004/2005, S. 138 (bzw. ab Januar 2008 der Anhaltspunkte 2008, S. 137) erfüllt, wenn Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, oder bei Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" liegen bei dem Kläger auch ab 2007 - entgegen der Einschätzung des Gutachters Dr. S - nicht vor. Der Kläger leidet nicht an einer Einschränkung seines Gehvermögens aufgrund einer Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule (LWS), die für sich einen GdB von wenigstens 50 bzw. von wenigstens 40 in Verbindung mit weiteren, sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkenden Behinderungen bedingt.

Das Wirbelsäulenleiden wurde von Dr. S für die gesamte Wirbelsäule mit einem GdB von 50 bewertet, wobei er nicht allein von schweren funktionellen Auswirkungen in allen drei Wirbelsäulen-Abschnitten ausgeht, sondern die Schmerzkrankheit nach Gerbershagen als GdB-erhöhend berücksichtigt, also die reinen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 40 bewertet. Von diesem Einzel-GdB für die Beeinträchtigungen der gesamten Wirbelsäule sind anteilig Werte für diejenigen Einschränkungen abzuziehen, die nicht an der - für das Merkzeichen G allein berücksichtigungsfähigen - Lendenwirbelsäule bestehen, sondern an anderen Teilen der Wirbelsäule. Derartige andere Einschränkungen sind vorliegend bei der Einzel-GdB-Bewertung auch berücksichtigt worden. Denn ein GdB von 40 wird nach den Anhaltspunkten lediglich bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten erreicht. Der Gutachter geht insoweit auch von Beeinträchtigungen an drei Wirbelsäulenabschnitten aus, die er jeweils als schwer bezeichnet, so dass allenfalls ein Einzel-GdB von 30 für die Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule verbleibt.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Dr. S gerade zu einem GdB von 40 für die gesamte Wirbelsäule gelangt, indem er die Funktionsbeeinträchtigung der HWS /BWS als schwer wegen der dadurch verursachten Atemfunktionsstörungen einschätzt, die wiederum zu einem Zwerchfellhochstand führen. Zwar bewirkt die Atemfunktionsstörung nach Auffassung des Gutachters eine Atemnot, die er mit einer Leistungsbeeinträchtigung durch innere Leiden gleichsetzt, bei denen nach den Anhaltspunkten ebenfalls von einer erheblichen Beeinträchtigung im Straßenverkehr auszugehen ist. Diese liegt nach Nr. 30 Abs. 3, S. 138 der Anhaltspunkte 2004/2008 bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (siehe Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (siehe Nr. 26.8) vor. Insoweit ist es übereinstimmend für beide Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich, dass eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen - 3-4km/h -, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichter körperlicher Arbeit) eintritt. Die Feststellungen des Gutachters ermöglichen jedoch nicht den Schluss, dass vergleichbare Beeinträchtigungen vorliegen. Denn Dr. S schildert lediglich derartige Einschränkungen, ohne dass dies durch von den bisherigen Untersuchungen abweichende Ergebnisse belegt wird. Dieser Bewertung steht das in den Befundberichten der behandelnden Ärzte insoweit übereinstimmend mitgeteilte Ausmaß der Belastbarkeit entgegen. So schildert Dr. L in seinem Arztbrief vom 6. Dezember 2003 weiterhin eine gute körperliche Belastbarkeit, die durch eine Ergometrie mit einer Belastbarkeit bis zu 140 Watt belegt wird, und geht in seinem Befundbericht vom 23. Dezember 2005 nur von Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung aus. Auch wenn er am 20. Dezember 2002 einen Abbruch bei Schwindelgefühl mitteilt, gibt er zugleich keine inadäquate Dyspnoe an. Des Weiteren werden die Lungenfunktionsprüfungen sowohl von dem Lungenarzt G als auch von Dr. F als normal angegeben, so dass die von Dr. S als schwerwiegend bewertete Atemfunktionsstörung nicht nachvollzogen werden kann.

Die bei dem Kläger von Dr. S festgestellte arterielle Verschlusskrankheit führt ebenfalls nicht dazu, dass die in Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte 2005/2008 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Es bestehen schon Bedenken, eine höhergradige arterielle Verschlusskrankheit anzunehmen, weil die einzige einschlägige Untersuchung, die dem Arztbrief von Dr. R vom 30. März 2006 zugrunde gelegen hat, gerade keine arteriellen Durchblutungsstörungen erbracht hat. Selbst wenn man jedoch aufgrund der von Dr. S mitgeteilten Hautverfärbung im Zusammenhang mit den in anderen Körperregionen festgestellten Gefäßverengungen eine arterielle Verschlusskrankheit annehmen würde, sind die Voraussetzungen eines sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Teil-GdB von 50 nicht erfüllt. Weder ist ein Einzel-GdB von 40 allein für diese Funktionsbeeinträchtigung ersichtlich, weil Dr. S den hierdurch bedingten Einzel-GdB mit 30 bewertet hat, noch führt dieser zu einer Erhöhung des für das Merkzeichen "G" maßgebenden Teil-GdB auf 50. Für die Bildung eines Gesamt GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen, die auch bei der Bildung des Teil-GdB zu beachten sind, dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden; auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Anhaltspunkte 2005/2008 Nr. 19 Abs. 3 und 4, Seite 25 f.); Eine Erhöhung des Einzel-GdB für das Lendenwirbelsäulen-Leiden von maximal 30 würde allenfalls zu einem Teil-GdB von 40 führen.

Zu einer anderen Bewertung konnte der Senat auch nicht unter Berücksichtigung der von Dr. S mit einem Einzel-GdB von 50 bewerteten Hirnschäden gelangen. Denn die Aufzählung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" führen, ist – im Hinblick auf die Einschränkungen, die den Beeinträchtigungen des Gehvermögens gegenübergestellt werden – abschließend. Der Gesetzgeber hat insoweit ausdrücklich vorgesehen, dass diese Behinderungen zur Störung der Orientierungsfähigkeit geführt haben müssen, soweit es sich nicht um Anfallsleiden handelt (BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994, AZ.: 9 BVs 45/93 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung zu § 58 des Regierungsentwurfs in BT – Drucksache 8/2453 Seite 9 f). Eine Störung der Orientierungsfähigkeit liegt bei dem Kläger jedoch nicht vor.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache und berücksichtigt, dass der Kläger zwar hinsichtlich des geltend gemachten höheren GdB Erfolg hatte, dieser jedoch auf einer im Laufe des Berufungsverfahrens eingetretenen Änderung der Verhältnisse durch die Feststellungen im Gutachten von Dr. S beruht, auf die der Beklagte unverzüglich reagiert hat.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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