L 8 RA 41/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 RA 455/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 41/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 08. März 2006 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt in Anwendung des Fremdrentengesetzes – FRG – die Berücksichtigung der von ihm in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Zeiten der Beschäftigung im Zeitraum vom 12. August 1963 bis 30. April 1990 in der deutschen Rentenversicherung und insoweit eine höhere Altersrente

Der Kläger ist am 1941 in C (heute Ukraine) geboren. Er lebte von der Geburt an bis September 1990 in der ehemaligen Sowjetunion auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, bevor er nach Deutschland übersiedelte. Nach Erlangung der Hochschulreife (Zeugnis vom 28. Juni 1958) studierte er an der pädagogischen Hochschule C romanische und germanische Sprachen und Literatur bis Juni 1963 und schloss dieses Studium als "Deutsch-Philologe, Mittelschullehrer" ab. In der Folgezeit arbeitete er als Deutschlehrer/Dozent und Übersetzer. Nach einem berufsbegleitenden Abendstudium an der Hochschule für Kultur C erwarb er im Juni 1970 den Abschluss "Hochqualifizierter Technik-Informator" (gleichgestellt einem Diplom-Dokumentar [FH/UdSSR]. Ferner erwarb er aufgrund eines berufsbegleitenden Studiums am C Institut für Radioelektronik 1987 den Abschluss "Kandidat der technischen Wissenschaften" und ist berechtigt, den akademischen Grad "Dr. Ing." zu führen (Bescheinigung vom 04. April 1991). Beim C Forschungsinstitut für Metrologie (seinem langjährigen und letzten Arbeitgeber) war er als Dolmetscher, Ingenieur und zuletzt wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt.

Als sogenannter jüdischer Kontingent-Flüchtling kam er im September 1990 nach Deutschland. Er war zunächst staatenlos und erhielt 1999 die deutsche Staatsangehörigkeit.

Im April 1999 beantragte er bei der Beklagten die Klärung seines Versicherungskontos. In dem am 02. Mai 1999 unterzeichneten Fragebogen zur Anerkennung von Zeiten nach dem FRG gab der Kläger als Muttersprache Russisch, Deutsch und zum persönlichen Sprachgebrauch im Herkunftsgebiet Russisch, Deutsch an; er habe (überwiegender Sprachgebrauch bei Mehrsprachigkeit?) im persönlichen Bereich, insbesondere im Elternhaus, Russisch und Deutsch und beim Verlassen des Herkunftsgebietes Deutsch und Russisch gesprochen. Die in C 1918 geborene Mutter, von Beruf Dozentin für Fremdsprachen (Deutsch), habe (in dieser Reihenfolge) die russische und deutsche Muttersprache gehabt; ihr persönlicher Sprachgebrauch im Herkunftsgebiet sei Russisch, Deutsch, Französisch gewesen. Der 1913 in K geborene Vater, von Beruf Literaturprofessor, hingegen sei russischer Muttersprache gewesen und habe im persönlichen Sprachgebrauch die russische und französische Sprache benutzt. Sowohl er als auch seine Eltern seien jüdischer Volkszugehörigkeit gewesen. Im Rahmen der Antragsbearbeitung führte die Beklagte am 02. Juni 1999 ergänzend eine Sprachprüfung durch.

Mit Bescheiden vom 30. August 1999 merkte die Beklagte sodann rentenrechtlich relevante Zeiten vor und stellte diese für Zeiten bis 31. Dezember 1992 verbindlich fest. Gleichzeitig lehnte sie die Vormerkung von Beitrags- und Beschäftigungszeiten für die Zeit von August 1963 bis April 1990 ab, da diese Zeiten in der heutigen Ukraine zurückgelegt worden seien und der Kläger die persönlichen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung dieser Zeiten in der Deutschen Rentenversicherung nicht erfülle. Er gehöre nicht zum Personenkreis des § 1 FRG, er sei insbesondere kein anerkannter Aussiedler im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG). Da er des weiteren keine nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen geltend mache, könne eine Gleichstellung auch nicht nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) erfolgen. Eine Berücksichtigung der in der heutigen Ukraine zurückgelegten Arbeitszeiten könne auch nicht über die Vorschrift des § 17 a FRG erfolgen, da dies voraussetze, dass der Berechtigte zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf seinen Heimatort dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe. Zu diesem Zeitpunkt, im Oktober 1941, sei der Kläger aber erst 8 Monate alt gewesen und habe überhaupt noch nicht sprechen können, sodass eine Zugehörigkeit zum dSK nicht habe festgestellt werden können.

Der dagegen gerichtete Widerspruch, mit dem der Kläger darauf verwies, dass er fließend die deutsche Sprache spreche und zum dSK gehöre, blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1999 führte die Beklagte zur Begründung ergänzend aus, dass nach der Rechtsprechung für die Zugehörigkeit zum dSK erforderlich sei, dass der Verfolgte sich im persönlichen Lebensbereich der deutschen Sprache mindestens überwiegend bedient habe. Dies gelte auch für Minderjährige jedenfalls dann, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt bereits 8 oder 9 Jahre alt waren. Der Kläger sei zum maßgeblichen Zeitpunkt erst 8 Monate alt und noch zu jung gewesen, um überhaupt sprechen zu können. Eine Ableitung der dSK-Zugehörigkeit von den Eltern sei schon nach dem Wort des § 17 a FRG nicht möglich.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner zum Sozialgericht – SG – Berlin erhobenen Klage gewandt und unter anderem vortragen lassen, die Familie mütterlicherseits stamme aus Odessa und habe ausschließlich deutsch gesprochen, sodass er durch seine Mutter im Sinne des deutschen Volkstums aufgezogen worden sei. Die Mutter habe mit ihm ausschließlich deutsch gesprochen und ihn im Sinne der deutschen Kultur unterrichtet und erzogen.

Das SG hat mit Urteil vom 09. Mai 2003 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vormerkung seiner in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Arbeitszeiten als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten in der Deutschen Rentenversicherung, da er nicht dem Personenkreis des § 17 a FRG angehöre. Denn er erfülle die Voraussetzung, dass der Berechtigte zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf den Heimatort den dSK angehört habe, nicht. Diese Voraussetzung könne auch nicht von den Eltern abgeleitet werden. Die begehrte Vormerkung richte sich nach § 149 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI –. Danach enthalte der Versicherungsverlauf die Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich seien. Erheblich seien dabei allein die rentenrechtlichen Zeiten im Sinne des § 54 SGB VI. Die in dem Gebiet der heutigen Ukraine zurückgelegten Zeiten seien jedoch nur dann rentenrechtliche Zeiten, wenn sie nach besonderer gesetzlicher Anordnung in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen seien. Da der Kläger weder zum Personenkreis des § 1 FRG noch dem des § 20 WGSVG gehöre, könne eine Anrechnung allein über § 17 a FRG erfolgen. Nach § 17 a FRG fänden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgeblichen Vorschriften des FRG auch auf Personen Anwendung, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt habe, 1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hätten, 2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hätten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hätten und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum Deutschen Volkstum bekannt hätten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen hätten.

Der Kläger habe jedoch zum Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflusses auf sein Heimatgebiet nicht dem dSK angehört. Die vorgenannten Voraussetzungen müssten dabei zu Beginn der Erstreckung des Einflussbereiches vorliegen. Die Erfüllung der Voraussetzungen während des Andauerns der Einflussnahme reiche dagegen nicht aus (Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 47/99 R – in SozR 3-5050 § 17 a Nr. 3). Als Zeitpunkt des Beginns der Einflussnahme auf das Gebiet der heutigen Ukraine, in dem der Kläger gelebt habe, sei der 1. September 1941 anzusehen. Zu diesem Zeitpunkt sei der am 19. Februar 1941 geborene Kläger 6 ½ Monate alt gewesen. Aufgrund des Alters sei er nicht in der Lage gewesen, sich überhaupt einer Sprache zu bedienen, sodass er auch keinem Sprach- und Kulturkreis habe angehören können. Ausschlaggebende Bedeutung für die Zugehörigkeit des dSK habe im Regelfall der Gebrauch der deutschen Sprache. Voraussetzung sei dabei der Gebrauch im Bereich des persönlichen Lebens, der in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfasse. Bei Mehrsprachigkeit des Anspruchsstellers müsse die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und überwiegend verwendet worden seien. Ob für die Erfüllung dieser Kriterien ein bestimmtes Mindestalter erforderlich sei, sei nicht abschließend geklärt. So sei eine Zugehörigkeit zum dSK jedenfalls bei Vollendung des 8. oder 9. Lebensjahres angenommen worden (Urteil des BGH vom 25. Juni 1974, RzW 74, 307). Erforderlich sei jedoch in jedem Falle, dass der Berechtigte überhaupt in nennenswertem Umfang in der Lage gewesen sei, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Denn ein überwiegendes Verwenden der deutschen Sprache sei begrifflich nicht möglich bei jemandem, der aufgrund seines Alters im Wesentlichen überhaupt noch nicht in der Lage sei, sich sprachlich in nennenswertem Umfang zu artikulieren. In einem Lebensalter von 6 ½ Monaten habe die Sprache des Betreffenden noch keine wesentliche Bedeutung für das Dasein; die aktive Kommunikation finde zum größten Teil noch nonverbal statt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass von Seiten der Eltern und im Rahmen der Erziehung die deutsche Sprache benutzt werde. Denn die Benutzung der deutschen Sprache bei der Kommunikation mit dem Kleinkind bedeute lediglich, dass der Betreffende in den Sprach- und Kulturkreis eingeführt, an ihn herangeführt werde. Er wachse in ihn hinein, gehöre ihm aber noch nicht an. In diesem Zusammenhang sei auch zu betonen, dass die Sprache zwar im Regelfall ein Indiz für die Zugehörigkeit zum dSK sei, jedoch habe weiterhin die Zugehörigkeit zum Kulturkreis Bedeutung. In dem genannten Lebensalter sei aber auch eine Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis noch nicht möglich, da die Kulturtechniken regelmäßig noch nicht beherrscht würden. In dem Lebensalter stehe die Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse, die kulturunabhängig seien, im Vordergrund. Im Rahmen des § 17 a FRG könne die Berechtigung auch nicht von den Eltern in der Weise abgeleitet werden, dass man darauf abstelle, ob diese zum Zeitpunkt der Einflussnahme dem dSK zugehörten. Denn für einen derartigen abgeleiteten Erwerb der Anspruchsvoraussetzungen gebe es im Gesetz selbst als auch in seiner Entstehungsgeschichte keine Anhaltspunkte.

Gegen das ihm am 12. Juni 2003 zugestellte Urteil hat sich der Kläger mit seiner am 20. Juni 2003 eingelegten Berufung gewandt und weiterhin die Vormerkung seiner in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Arbeitszeiten nach Maßgabe des FRG begehrt. Dessen Anwendbarkeit ergebe sich aus seiner Zugehörigkeit zu dem Personenkreis des § 17 a FRG. Er sei unter Verwendung der deutschen Sprache erzogen worden; man habe diese Sprache ihm gegenüber verwandt und sein Sprachvermögen als Kind habe sich unter Verwendung der deutschen Sprache entwickelt. Er sei an die Benutzung der Sprache herangeführt worden. Im persönlichen Leben und in der familiären Sphäre habe er sich daher der deutschen Sprache bedient.

Die Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 08. März 2006 antragsgemäß eine Regelaltersrente beginnend am 01. März 2006 bewilligt, die ohne Berücksichtigung der streitigen Zeiten auf der Grundlage von 0,0767 Entgeltpunkten und 11,8250 Entgeltpunkten Ost berechnet worden ist.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08. März 2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Rente unter Berücksichtigung in der ehemaligen UDSSR zusätzlich zurückgelegter Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten vom 12. August 1963 bis zum 30. April 1990 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verneint weiterhin eine Anwendbarkeit des FRG auf den Kläger.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte (Versicherungsnummer: ), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Nachdem sich der angefochtene Vormerkungsbescheid durch die zwischenzeitliche Bewilligung einer Altersrente erledigt hat, da es eines isolierten Beweissicherungsverfahrens nicht mehr bedarf, weil der Kläger sein Begehren nunmehr im Rahmen eines Leistungsbegehrens auf eine höhere Altersrente geltend machen kann (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2005 – B 4 RA 21/04 R – in SGb 2006, 429; BSG, Urteil vom 22. September 1981 – 1 RA 31/80 – in SozR 1500/ § 53 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 8. A., Rdnr. 9d zu § 96), ist Streitgegenstand mithin nur noch der während des Berufungsverfahrens erlassene Rentenbescheid vom 8. März 2006, über den der Senat kraft Klage zu entscheiden hat (§§ 153, 96 SGG). Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitigen Zeiten der Beschäftigung in der ehemaligen Sowjetunion auf dem Gebiet der heutigen Ukraine hat die Beklagte zu Recht nicht als rentenrechtliche Zeiten in den Versicherungsverlauf des Klägers aufgenommen.

Die streitigen Zeiten können, da sie nicht von § 55 SGB VI erfasst werden, nur aufgrund besonderer gesetzlicher Regelung als rentenrechtliche Zeit berücksichtigt werden. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Ebenso ist zu Recht unstreitig, dass die dafür allein in Betracht kommenden Regelungen des FRG nur anwendbar sind, wenn der Kläger zum von § 17a FRG erfassten Personenkreis zählt. Denn zu den in § 1 FRG bzw. § 20 WGSVG genannten Personen, für die das FRG die Gleichstellung der hier angesprochenen Zeiten der Beschäftigung mit bundesrechtlichen Zeiten zulässt, gehört der Kläger nicht und macht er auch nicht geltend.

Der Kläger erfüllt aber auch nicht die Voraussetzungen gemäß § 17 a FRG, wie das SG und die Beklagte richtig erkannt haben.

Gemäß § 17a FRG (eingefügt m. W. v. 01. Juli 1990 durch Rentenreformgesetz 1992 v. 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) und in Buchst. a Nr. 2 rückwirkend ergänzt durch Art. 14 RÜG v. 25. Juli 1991) finden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften des FRG Anwendung auch auf Personen, die bis zum Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat 1. dem dSK angehört haben, 2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG verlassen haben.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zum Wiedergutmachungsrecht (Urteil vom 25. März 1970 – IX ZR 177/67 – in RzW 1970, 503) kommt dem Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Bereich für die Zugehörigkeit zum dSK im Regelfall ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn wer eine Sprache in seinem persönlichen Bereich, der durch die Familie, aber auch durch den Freundes- und Bekanntenkreis bestimmt wird, ständig verwendet, gehört nicht nur diesem Sprachkreis, sondern auch dem durch die Sprache vermittelten Kulturkreis an, weil sie ihm den Zugang zu dessen Weltbild und Denkwelt erschließt. Eine Mehrsprachigkeit steht der Zugehörigkeit zum dSK dann nicht entgegen, wenn der Berechtigte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 26. September 1991 – 4 RA 89/90 – in SozR 3-5070 § 20 Nr. 2 mit weiteren Nachweisen).

Der Kläger erfüllte diese Voraussetzungen im September 1941, dem Zeitpunkt, zu dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatgebiet erstreckte (vgl. zu den für die verschiedenen Vertreibungsgebiete maßgebenden Zeitpunkten Verbandskommentar, Ziffer 3.3 zu § 17 a FRG), jedoch nicht, wie das SG zutreffend festgestellt und näher ausgeführt hat.

Der Gesetzgeber hat zwar mit der Erweiterung der Nr. 2 der angeführten Bestimmung um die Alternative, dass zwar zu diesem Zeitpunkt nicht das 16. Lebensjahr vollendet ist, aber auch noch zum Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete die Zugehörigkeit zum dSK gegeben ist, ohne nähere Begründung eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises vorgenommen. Offenbar sah der Gesetzgeber abweichend von dem bisherigen Grundsatz Anlass zum Ausgleich eines Schadens in der Sozialversicherung auch für jüngere Minderjährige (vgl. dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Oktober 2001 – L 3 RA 39/99 – zitiert nach Juris), wenn jedenfalls sowohl zu Beginn der Einflussnahme als auch noch im Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete eine Zugehörigkeit zum dSK bestand. Diese Einbeziehung auch Minderjähriger ohne das Erfordernis der Vollendung des 16. Lebensjahres entspricht der Rechtsprechung des BGH zum Wiedergutmachungsrecht, wonach die Grundsätze zur dSK-Zugehörigkeit (im Urteil vom 25. März 1970 a.a.O.) auch für minderjährige Verfolgte jedenfalls dann gelten, wenn sie im maßgebenden Zeitraum bereits 8 oder 9 Jahre alt waren (Urteil vom 25. Juni 1974 – IX ZR 147/73 in RzW 74, 307). Auch wenn diese Angabe zum Lebensalter wohl nicht im Sinne einer in jedem Falle zu beachtenden zeitlichen Grenze zu verstehen sein dürfte (vgl. auch LSG NRW a.a.O.), so wird mit der für möglich erachteten Anwendung der oben dargestellten Grundsätze zur Prüfung der dSK-Zugehörigkeit auch auf Minderjährige zumindest deutlich, dass jedenfalls ein Mindestmaß an sprachlicher Kommunikation vorhanden sein muss. Wo deshalb eine zeitliche Grenze zu ziehen ist, kann jedoch unentschieden bleiben, da jedenfalls ein Säugling - wie der Kläger zum damaligen Zeitpunkt – von gut 6 Monaten solche sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten nicht besitzt. Dies räumt im Übrigen der Kläger mit seinem Vorbringen auch indirekt ein.

Wollte man der klägerischen Auffassung zur Bejahung der dSK-Zugehörigkeit dennoch deshalb folgen, weil der Kläger von seiner deutsch sprechenden Mutter im Laufe der weiteren Betreuung und Erziehung an die deutsche Sprache und damit den dSK herangeführt worden sei und dies im Rahmen des § 17a FRG ausreiche, so liefe dies auf ein Hineinwachsen in die geforderte und anfangs fehlende eigene dSK-Zugehörigkeit im weiteren Verlauf des fortbestehenden nationalsozialistischen Einflusses auf sein Heimatgebiet oder die Ableitung seiner dSK-Zugehörigkeit von der seiner Mutter hinaus. Beides ist jedoch rechtlich unzulässig, wie bereits das SG in seinem Urteil ausgeführt hat. Unterstellt man zu Gunsten des Klägers, dass dieser während des Andauerns der Einflussnahme schließlich dem dSK zugehörig geworden ist, so reicht dies nicht (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 47/99 R in SozR 3-5050 § 17a Nr. 3). Aber auch die Annahme, die Mutter des Klägers habe zum von § 17a FRG erfassten Personenkreis gezählt, hilft dem Kläger nicht, da die Berechtigung aus § 17a FRG beim Berechtigten selbst gegeben sein muss und deren Anspruch nur den Hinterbliebenen im Rahmen des § 17a Buchstabe b FRG zugute kommt (vgl. Urteil des LSG NRW vom 29. April 2002 – L 3 RJ 76/01- , zitiert nach juris, sowie nachfolgend Beschluss des BSG vom 11. Dezember 2002 – B 5 RJ 144/02 B – in SozR 3-5050 § 17a Nr. 5). Ein solcher Sachverhalt ist jedoch nicht gegeben und wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht.

Ob zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf das Heimatgebiet des Klägers das Deutsche im persönlichen Bereich, also in der Familie, überwiegend gesprochen worden ist, bedarf im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen keiner abschließenden Entscheidung. Die dazu im Fragebogen gemachten Angaben des Klägers lassen dies zumindest als zweifelhaft erscheinen, da die Muttersprache des 1986 verstorbenen Vaters nach Angaben des Klägers Russisch war und dieser russisch und französisch gesprochen hat. Entsprechend wird der Sprachgebrauch der Mutter auch mit russisch, deutsch und französisch genannt. Diese Angaben hat der Kläger zwar dahingehend korrigiert, dass er nach der zeitweisen Trennung seiner Eltern schon vor seiner Geburt zunächst nur mit seiner Mutter und den Großeltern mütterlicherseits, die praktisch ausschließlich Deutsch gesprochen hätten, zusammengelebt habe, so dass jedenfalls in seinen ersten Lebensjahren der (überwiegende) Gebrauch des Deutschen in der Familie plausibel erscheint und erst mit der Rückkehr des Vaters in die Familie nach Kriegsende dies wieder zweifelhaft wird. Einer weiteren Erörterung der damaligen Situation, die der Kläger nach seinen Ausführungen bei der persönlichen Anhörung im Termin in keiner Weise auch nur ansatzweise belegen kann, bedarf es jedoch – wie bereits dargelegt – nicht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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