Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 SB 524/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 101/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird seinem Teilanerkenntnis vom 17. Juni 2008 entsprechend verurteilt, der Klägerin das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" ab März 2008 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind die Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), die Berechtigung der Klägerin, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen (Merkzeichen "T"- Telebusberechtigung -) und eines Grades der Behinderung (GdB) von 90.
Der 1930 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 1993 einen GdB von 50 zuerkannt. Zugleich hatte er festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" erfüllt seien.
Auf ihren im März 2004 gestellten Neufeststellungsantrag holte der Beklagte einen Befundbericht der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. L ein, dem verschiedene Arztbriefe beigefügt waren und dem die Fachärztin für Radiologie Dr. G in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 13. Mai 2004 einen GdB von 90 und die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "aG" entnahm. Dem folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 3. August 2004 zunächst einen GdB von 90 an und stellte fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung der Merkzeichen "B" und "aG" erfüllt seien, nicht aber die Voraussetzungen der Merkzeichen "RF" und "T".
Mit ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, auch die Voraussetzungen der abgelehnten Merkzeichen zu erfüllen und reichte einen Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie Dr. H vom 14. Dezember 2004 ein.
Der Beklagte holte einen Befundbericht der nunmehr behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S vom 2. September 2004 ein, aufgrund dessen die ärztliche Gutachterin Meine orthopädische Untersuchung der Klägerin für erforderlich erachtete.
Der Arzt für Orthopädie Dr. V gelangte in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2004 zu dem Ergebnis, dass die prüfärztliche Stellungnahme vom 13. März 2004 dringend korrekturbedürftig und die Funktionseinschränkungen neu zu ordnen seien. Neu festzustellen sei eine mit einem GdB von 10 zu bewertende Periarthropathie der Schultergelenke. Der Gesamt-GdB betrage 80. Es seien lediglich die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" und "B" erfüllt.
Nach Anhörung der Klägerin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 2005 den Bescheid vom 3. August 2004 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zur Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile gegenüber gleich gelagerten Fällen. Demgegenüber müsse der Schutz des Vertrauens in die getroffene Entscheidung zurücktreten, da nicht erkennbar sei, dass die Klägerin aufgrund der unrichtigen Entscheidung eine Vermögensdisposition getroffen habe, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Mit weiterem Bescheid vom 25. Februar 2005 stellte er einen GdB von 80 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest, deren verwaltungsinterne Einzel-GdB-Bewertung sich aus dem Klammerzusatz ergibt: a. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Wirbelsäulenfehlstatik, neuro- muskuläre Reizzustände (40) b. Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Herzinfarkt (40) c. Degenerative Hüft- und Kniegelenksveränderungen, Fuß- und Zehenfehlform, anhaltende Reizzustände, Krampfaderleiden der Beine (40) d. Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) (30) e. Funktionsbehinderung der Bauchspeicheldrüse, Darmkrankheit (10) f. Schilddrüsenerkrankung (10) g. Periarthropathie der Schultergelenke (10).
Die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "G" seien erfüllt. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor.
Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 zurück.
Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ohne Telebus-Berechtigung völlig vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten zu sein. Die Benutzung ihres Rollators in öffentlichen Verkehrsmitteln sei sehr schwierig. Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr. S und Dr. H eingeholt, denen der Beklagte keine Befundverschlechterung hat entnehmen können.
Sodann hat das Sozialgericht den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, der am 26. Januar 2006 das Gehvermögen dahingehend beschrieben hat, dass die Klägerin sich mit ihrem Rollator zügig, sicher und nahezu hinkfrei bewegen könne und diesen schwungvoll über Gehwegkanten hebe. Sie benutze den Rollator regelmäßig auf dem Weg zum 500 Meter entfernten Einkaufsladen. Treppensteigen sei ohne Fremdhilfe mit kräftiger Geländerbenutzung im Nachstellschritt durchaus flott und sicher möglich. Die vom Beklagten vorgenommene Rückstufung erscheine noch relativ wohlwollend. Zwar seien degenerative Veränderungen der Wirbelsäule nachgewiesen, es bestehe aber keine höhergradige Funktionseinbuße und keine Gelenkerkrankung, die den GdB von 40 rechtfertige. Trotz rechtsbetonter Gonarthrose liege nur ein leichtes Streckdefizit vor, das rechte Knie könne bis 100°, das linke bis 110° gebeugt werden. Eine höhergradige Herz-Kreislaufstörung sei ebenfalls nicht gegeben. Stärkere Herzrhythmusstörungen seien nur im Zeitraum November 2001 bis Dezember 2002 prophylaktisch behandlungspflichtig gewesen und seitdem folgenlos abgeklungen.
Hiergegen hat die Klägerin geltend gemacht, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Gutachter als Allgemeinmediziner die bei ihr von Fachärzten erhobenen schwerwiegenderen Befunde abqualifiziere und hierzu u. a. Unterlagen über ihre Schilddrüsenoperation am 20. März 1998 und einen Entlassungsbericht der Caritas-Kliniken vom 30. Januar 1998 zur Akte gereicht.
Durch Urteil vom 19. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Merkzeichen seien auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens von Dr. B nicht erfüllt. Die Einwände der Klägerin gegen das Gutachten seien zwar nachvollziehbar, aber auch unter ihrer Berücksichtigung seien die Vorgaben der Merkzeichen nicht erfüllt.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin erneut heftige Kritik an dem Gutachten von Dr. B geübt sowie eine Verschlechterung der Herzerkrankung und der Bewegungsfähigkeit geltend gemacht.
Der Senat hat Befundberichte des Nuklearmediziners Prof. Dr. D und von Dr. S eingeholt und Dr. G mit der Erstattung eines Sachverständigen-Gutachtens beauftragt, der die Klägerin am 17. Juli 2007 in ihrer Wohnung untersucht hat.
Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 12. September 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin gegenüber den Befunderhebungen von Dr. B im Hinblick auf die Gehfähigkeit deutlich verschlechtert habe. Im Bereich der Lendenwirbelsäule lägen deutliche Bewegungseinschränkungen mit deutlichen Wurzelreizzeichen vor. Im Zusammenhang mit den häufig rezidivierenden und langfristig anhaltenden ausgeprägten Wirbelsäulensyndromen mit Ausstrahlen der Schmerzen in beide Beine sei die Gehfähigkeit beeinflusst. Bei der Überprüfung der Sensibilität im Bereich der Beine bestünden eindeutige strumpfförmige Störungen des Berührungs- und Vibrationsvermögens beidseits knieabwärts. Im Zusammenhang mit mittelgradigen Bewegungseinschränkungen im Halswirbelsäulen-Bereich sei ein GdB von 40 für das Wirbelsäulenleiden durchaus berechtigt. Wegen der Schmerzangabe in den Kniegelenken sei eine objektive Beurteilung mit verwertbaren Messergebnissen problematisch. Durch Ablenkung und Beobachtung der Kniebeweglichkeit bei der übrigen Untersuchung habe sich eine Kniebeugung rechts bis 80° und links bis 45° ergeben. Die Streckung sei bis + 10° möglich gewesen. Die Funktionseinschränkungen seien nach den Anhaltspunkten als mittelgradig zu bezeichnen. Da die statischen Fußbeschwerden nur bei längerem Stehen und Gehen der Klägerin relevant und nur geringgradige Störungen der Hüftgelenke bestünden, sei der GdB für diesen Komplex mit 40 zu bewerten. Die Klägerin sei nicht ständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit einem Rollator komme sie auf glattem, ebenem Boden "besser klar". Aber auch dieses Gehen, das als "grenzwertig zumutbar" zu bezeichnen sei, bedeute eine große Anstrengung. Glaubhaft könne die Klägerin keine Strecken ohne große Schmerzen zurücklegen. Bei der Gehprüfung habe sie mit zwei Unterarmgehhilfen, da sie den Rollator nicht über die Treppe transportieren könne, nach 13 Metern die erste Pause wegen Luftmangels und zunehmenden Schmerzen in den Knien eingelegt, nach einer Pause von cirka einer Minute sei sie weiter 14 Meter, nach einer weiteren Pause 22 Meter gelaufen: Dann habe sie sich körperlich nicht weiter belastbar gefühlt und er sei mit ihr zurück zum Haus gegangen. Nach Angaben der Klägerin gehe das Laufen mit dem Rollator besser, Schwierigkeiten habe sie dann aber an den Bordsteinkanten, weil sie den Rollator wegen ihrer Standunsicherheit nicht anheben könne. Auf den Treppen laufe sie unter Zuhilfenahme der oberen Extremitäten. Auch wenn sich die GdB-Einschätzung nicht relevant von den Vorgutachten unterscheide, so sehe er eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes und einen erheblichen Einfluss des LWS-Leidens auf die Gehfähigkeit der Klägerin. Hier seien die erheblichen Schmerzzustände, die auch in der starken Schonhaltung zum Ausdruck kämen, deutlicher zu berücksichtigen. Spätestens zum Zeitpunkt der Begutachtung liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei wegen der bestehenden Bewegungsstörungen weitestgehend nicht realistisch.
Der Bewertung ist der Beklagte unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 21. November 2007, die der angegebenen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes keine Entsprechung in den Befunden hat entnehmen können, und einer fachinternistischen Stellungnahme von MD R nicht gefolgt.
Nachdem die Klägerin darauf verwiesen hatte, dass ihr ab 1. Januar 2008 Leistungen der Pflegestufe 2 zuerkannt worden seien, hat der Senat das Pflegegutachten des MDK vom 18. März 2008 beigezogen, in dem das Gangbild mit Rollator als sehr unsicher, kleinschrittig und verlangsamt beschrieben wird; freies Stehen sei nicht möglich. Die Beine könnten im Sitzen nicht angehoben werden. Als pflegebegründende Diagnosen werden Polyarthrose mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen der Arme, Beine und Wirbelsäule, diabetische Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzen sowie als weitere Diagnosen schwere Herzinsuffizienz, Dyspnoe, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Glaukom beidseits, Zustand nach Herzschrittmacherimplantat aufgeführt. Diesem Gutachten hat die Fachärztin für Chirurgie H in einer Stellungnahme vom 13. Juni 2008 entnommen, dass ab März 2008 eine außergewöhnliche Gehbehinderung und die Unfähigkeit zum Treppensteigen belegt seien.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2006 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 3. August 2004 in der Fassung der Bescheide vom 25. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 90 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG", "RF" und "T" anzuerkennen.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2008 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" anerkannt und beantragt im Übrigen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet. Insoweit war der Beklagte gemäß seinem in der mündlichen Verhandlung erklärten Teilanerkenntnis nach dem über § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechend anwendbaren § 307S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO; BSG SozR 1750, § 307 Nr. 1 und 2) zu verurteilen. Denn der Beklagte hat den mit der Berufung u. a. verfolgten Anspruch auf Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" zum Teil (§ 307 S. 1 Alt 2 ZPO), nämlich für den Anspruchszeitraum ab März 2008, vorbehaltlos und endgültig anerkannt.
Die weitergehende Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Streitig geblieben sind die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" ab Antragstellung bis März 2008 und des Merkzeichens "RF" sowie ein GdB von 90, den der Beklagte im Verlauf des Verwaltungsverfahrens durch Bescheid vom 25. Februar 2005 wieder aberkannt hatte.
Zu Recht hat der Beklagte die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" erst ab März 2008, dem Zeitpunkt, zu dem eine weitere Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin dokumentiert ist, als erfüllt angesehen. Denn unter Berücksichtigung der von Dr. G vorgenommenen Gehstrecken-Prüfung waren die Voraussetzungen dieses Merkzeichens nach der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG- Urteil vom 29. März 2007, B 9a SB 5/05 R) noch nicht erfüllt. Danach ist grundsätzlich für die Gleichstellung bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen, wobei sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren lasse. Maßgeblich ist nach dieser Rechtsprechung, unter welchen Bedingungen dem Behinderten das Zurücklegen eines Weges nur noch möglich ist: Nämlich praktisch vom ersten Schritt an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Gradmesser kann u. a. die Intensität der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen. Nach den Feststellungen von Dr. G hat die Klägerin bei der Gehprüfung mit zwei Unterarmgehhilfen, da sie den Rollator nicht über die Treppe transportieren könne, nach 13 Metern die erste Pause wegen Luftmangels und zunehmenden Schmerzen in den Knien eingelegt, nach einer Pause von cirka einer Minute ist sie weiter 14 Meter, nach einer weiteren Pause 22 Meter gelaufen: Dann hat sie sich den Angaben des Gutachters zufolge körperlich nicht weiter belastbar gefühlt und er ist mit ihr zurück zum Haus gegangen. Nach Angaben der Klägerin gehe das Laufen mit dem Rollator besser. Diese Fortbewegungsmöglichkeit hat der Gutachter als "grenzwertig zumutbar" angesehen. Danach konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin sich bereits vor März 2008 vom ersten Schritt an nur mit großer Anstrengung fortbewegen konnte, zumal sie gegenüber dem Gutachter angegeben hatte, dass sie nur nach "vielem Laufen" leichte Schmerzen im Bereich der Hüften habe.
Ist erst ab März 2008 das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen, sind auch erst von diesem Zeitpunkt an die Voraussetzung für die Zuerkennung der Berechtigung erfüllt, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen. Denn nach der bis 30. Juni 2005 geltenden Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl Nr. 33 vom 11.8.2001) ebenso wie nach der zum 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 22. Juni 2005 (GVBl Nr. 22 vom 30.6.2005, Seite 342) ist hierfür u. a. Voraussetzung das Merkzeichen "aG".
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF". Die Voraussetzungen der Vergabe dieses Nachteilsausgleichs sind gemäß § 69 Abs. 4, 5 Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) landesrechtlich im Land Berlin für die Zeit ab 1. April 2005 durch Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15. Oktober 2004 in der Fassung des Gesetzes vom 17. März 2005 (GVBl. 2005, S. 82, 85 f), in Kraft getreten am 1. April 2005 (GVBl. 2005, S. 228) bzw. ab 1. März 2007 in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags in Verbindung mit dem Gesetz vom 25. Januar 2007 (GVBl. 2007, S. 10, 15), in Kraft getreten am 1. März 2007 (GVBl. 2007, 128) geregelt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags werden auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht schwerbehinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen sind die als antizipierte Sachverständigengutachten zu beachtenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2005 Nr. 33, S. 141 f (insoweit gleichlautend in den zum Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin geltenden AHP 1996 sowie den AHP 2004) weiterhin maßgeblich, auch wenn die Nr. 33 in den Anhaltspunkten 2008 nicht mehr aufgeführt ist. Denn auch wenn die Feststellung der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht mehr den Sozialbehörden obliegt, ändert dies nichts daran, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach § 69 Abs. 4 SGB IX festzustellen haben.
Nach Nr. 33 der Anhaltspunkte sind die Voraussetzungen immer erfüllt bei behinderten Menschen - bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können, - die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung abstoßend oder störend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können), - mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, - nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden, - geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Dabei müssen die behinderten Menschen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen- bestimmter Art- verbietet, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also u.a. auch Gottesdienste (BSG SozR 3-3870 § 48 Nr. 2). Die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen ist nur dann nicht möglich, wenn der behinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (Vgl. BSG a.a.O.). Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprächen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar. Denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren ist die Klägerin nicht insgesamt von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen, da der Gutachter die Teilnahme an ebenerdigen Veranstaltungen nicht ausgeschlossen hat. Hierdurch wird der Kreis der Veranstaltungen, die besucht werden können, zwar eingeschränkt, aber ein allgemeiner Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen ist nicht erkennbar.
Weitere, die Klägerin dauerhaft von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausschließende Funktionsbeeinträchtigungen konnten nicht ermittelt werden. Allein das Erfordernis, Inkontinenzartikel gebrauchen zu müssen, hindert nicht daran, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-3870 § 4 Nr. 17) ist es Behinderten zuzumuten, Windelhosen zu benutzen, die den Harn bis zu zwei Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen. Dies verstößt weder gegen die Würde des Menschen ( Art. 1 Grundgesetz (GG)) noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz ( Art. 20 Abs. 1 GG ). Der Behinderte wird dadurch auch nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BSG-Urteile vom 11. September 1991 - 9a RVs 1/90 - und vom 9. August 1995 - 9 RVs 3/95 - beide unveröffentlicht).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 80. Dr. G hat in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar unter Berücksichtigung der Vorgaben der Anhaltspunkte dargelegt, dass im Vordergrund der Beschwerden die stärkeren degenerativen Wirbelsäulenveränderungen in Hals- und Lendenwirbelsäule mit Protrusionen bei L2/3, L4/5 und L5/S1 mit Duralschlauchimpression, Spinalstenose mit wiederholten neuromuskulären Reizzuständen und Funktionsminderung stehen, die mit einem GdB von 40 zu bewerten sind. Da nach Nr. 26.18, S. 116 der AHP 2008, insoweit gleichlautend mit den AHP 2004 und 2005, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten sind, während erst Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst) einen GdB von 50 bis 70 bedingen, bestehen gegen die Bewertung des Gutachters keine Bedenken.
Auch eine höhere GdB-Bemessung der funktionellen Störung der Hüftgelenke bei degenerativen Kniegelenksveränderungen mit verstärkter Belastungsminderung und schmerzbedingten mittelgradigen Funktionseinschränkungen, statischen Fußbeschwerden bei Fuß- und Zehenfehlform, Krampfaderleiden der Beine als mit einem Einzel-GdB von 40 kam nicht in Betracht. Dr. Ghat hinsichtlich der Hüftgelenke nur eine gering- bis mittelgradig einzustufende Einschränkung der Beweglichkeit feststellen können, die nach den AHP 2008, Nr. 26.18, S. 124 mit einem Einzel-GdB von höchstens 30 zu bewerten wäre. Die ferner von ihm mitgeteilten Bewegungsausmaße der Kniegelenke mit ausgeprägteren Bewegungseinschränkungen für das linke Knie (Beugung nur bis 45° bei gleichzeitiger Möglichkeit der Streckung) und geringeren Einschränkungen für das rechte Knie (Beugung bis 80°) könnten nach den Vorgaben der Anhaltpunkte, S. 126 nur mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Unter Beachtung der statischen Fußbeschwerden bei maximal geringgradigen Bewegungseinschränkungen in den oberen Sprunggelenken, die nach den AHP 2008, Nr. 26.18, S. 127 als Fußdeformitäten mit statischer Auswirkung stärkeren Grades mit einem Einzel-GdB von 20 bedacht werden könnten, entspricht eine Zusammenfassung der Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremitäten mit einem GdB von 40 den Vorgaben der AHP Nr. 18 Abs. 4, S. 22, wonach das Funktionssystem "Beine" zusammenfassend zu beurteilen ist.
Dieser Bewertung steht das Pflegegutachten nicht entgegen. Denn darin wird zwar eine zunehmende Bewegungseinschränkung beider Beine und Arme angegeben, es enthält aber keine Feststellungen, die anhand der Vorgaben der Anhaltspunkte eine GdB-Erhöhung ermöglichen würden.
Auch die Bewertung der Funktionsbehinderung "Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Herzinfarkt" mit einem Einzel-GdB von 40 durch den Beklagten, den Dr. Gfür zutreffend erachtet hat, unterliegt keinen Bedenken. Denn der Gutachter hat- unter Auswertung der zur Akte gelangten Untersuchungsbefunde- darauf hingewiesen, dass außer einer diskreten Bewegungsminderung in der inneren Muskelschicht kein pathologischer Befund am Herzen erhoben worden, Herzrhythmusstörungen seit Dezember 2002 nicht mehr aufgetreten seien, und der zwischenzeitlich festgestellte Herzklappenfehler bislang keine Störungen hervorgerufen habe. Unter Berücksichtigung der Belastungsdyspnoe und der Angaben von Dr. S in ihrem Befundbericht vom 9. März 2007, dass sie von einer Leistungseinschränkung bei mittelschwerer Belastung ausgehe, sind keine Anhaltpunkte dafür ersichtlich, dass diese Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind. Zwar hat die Klägerin geltend gemacht, es sei Ende 2007 zu einer absoluten Arrythmie gekommen. Danach ist jedoch dem Pflegegutachten zufolge eine Herzschrittmacher-Implantation erfolgt, so dass hieraus keine GdB-Erhöhung abgeleitet werden kann.
Des Weiteren entspricht die Bewertung des Diabetes mellitus mit einem GdB von 30 den Vorgaben der Anhaltpunkte, Nr. 26.15, S. 99, nach denen ein Diabetes Typ II, der durch orale Antidiabetika und ergänzende oder alleinige Insulinbehandlung ausreichend einstellbar ist, mit einem GdB von 30 zu bewerten ist.
In Anbetracht dessen, dass die Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenks von dem Sachverständigen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Anhaltspunkte Nr. 26.18, S. 119 zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wird, und weitere, mit einem höheren Einzel-GdB als 10 zu bewertende Funktionseinschränkungen nicht vorliegen, ist die Bewertung des Gesamt-GdB mit 80 sachgerecht.
Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX dann die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Nr. 19 AHP 2008 (Seite 24ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Regelmäßig führen lediglich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Anhaltspunkte 2004/2005 und 2008 Nr. 19, Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich kein höherer GdB als 80 ermitteln. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten von Dr. G. Der Gutachter hat mit der Begründung, dass sich die Behinderung der Wirbelsäule auf die Funktionseinschränkung der Beine besonders nachteilig auswirke, andererseits die Herzleistungsminderung keinen wesentlichen Einfluss auf diese Behinderungen ausübe, während der Diabetes in der gegenwärtigen Stärke ohne Gefäßerkrankung und stärkere Nervenschädigung keinen relevanten Einfluss auf die anderen Leiden habe, andererseits die Funktionsbehinderung der Schultergelenke sich nicht zusätzlich einschränkend auf die Gehfähigkeit auswirke, die Wertigkeit der einzelnen Leiden in ihrem Zusammenwirken nachvollziehbar dargestellt. Auf dieser Grundlage kam der geltend gemachte GdB von 90 nicht in Betracht.
Nach alledem hatte die Berufung nur teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung zunächst unbegründet war und nur aufgrund des verschlechterten Gesundheitszustandes der Klägerin teilweise Erfolg hatte.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig sind die Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), die Berechtigung der Klägerin, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen (Merkzeichen "T"- Telebusberechtigung -) und eines Grades der Behinderung (GdB) von 90.
Der 1930 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 1993 einen GdB von 50 zuerkannt. Zugleich hatte er festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" erfüllt seien.
Auf ihren im März 2004 gestellten Neufeststellungsantrag holte der Beklagte einen Befundbericht der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. L ein, dem verschiedene Arztbriefe beigefügt waren und dem die Fachärztin für Radiologie Dr. G in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 13. Mai 2004 einen GdB von 90 und die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "aG" entnahm. Dem folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 3. August 2004 zunächst einen GdB von 90 an und stellte fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung der Merkzeichen "B" und "aG" erfüllt seien, nicht aber die Voraussetzungen der Merkzeichen "RF" und "T".
Mit ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, auch die Voraussetzungen der abgelehnten Merkzeichen zu erfüllen und reichte einen Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie Dr. H vom 14. Dezember 2004 ein.
Der Beklagte holte einen Befundbericht der nunmehr behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S vom 2. September 2004 ein, aufgrund dessen die ärztliche Gutachterin Meine orthopädische Untersuchung der Klägerin für erforderlich erachtete.
Der Arzt für Orthopädie Dr. V gelangte in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2004 zu dem Ergebnis, dass die prüfärztliche Stellungnahme vom 13. März 2004 dringend korrekturbedürftig und die Funktionseinschränkungen neu zu ordnen seien. Neu festzustellen sei eine mit einem GdB von 10 zu bewertende Periarthropathie der Schultergelenke. Der Gesamt-GdB betrage 80. Es seien lediglich die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" und "B" erfüllt.
Nach Anhörung der Klägerin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 2005 den Bescheid vom 3. August 2004 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zur Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile gegenüber gleich gelagerten Fällen. Demgegenüber müsse der Schutz des Vertrauens in die getroffene Entscheidung zurücktreten, da nicht erkennbar sei, dass die Klägerin aufgrund der unrichtigen Entscheidung eine Vermögensdisposition getroffen habe, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Mit weiterem Bescheid vom 25. Februar 2005 stellte er einen GdB von 80 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest, deren verwaltungsinterne Einzel-GdB-Bewertung sich aus dem Klammerzusatz ergibt: a. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Wirbelsäulenfehlstatik, neuro- muskuläre Reizzustände (40) b. Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Herzinfarkt (40) c. Degenerative Hüft- und Kniegelenksveränderungen, Fuß- und Zehenfehlform, anhaltende Reizzustände, Krampfaderleiden der Beine (40) d. Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) (30) e. Funktionsbehinderung der Bauchspeicheldrüse, Darmkrankheit (10) f. Schilddrüsenerkrankung (10) g. Periarthropathie der Schultergelenke (10).
Die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" und "G" seien erfüllt. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor.
Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 zurück.
Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ohne Telebus-Berechtigung völlig vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten zu sein. Die Benutzung ihres Rollators in öffentlichen Verkehrsmitteln sei sehr schwierig. Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr. S und Dr. H eingeholt, denen der Beklagte keine Befundverschlechterung hat entnehmen können.
Sodann hat das Sozialgericht den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, der am 26. Januar 2006 das Gehvermögen dahingehend beschrieben hat, dass die Klägerin sich mit ihrem Rollator zügig, sicher und nahezu hinkfrei bewegen könne und diesen schwungvoll über Gehwegkanten hebe. Sie benutze den Rollator regelmäßig auf dem Weg zum 500 Meter entfernten Einkaufsladen. Treppensteigen sei ohne Fremdhilfe mit kräftiger Geländerbenutzung im Nachstellschritt durchaus flott und sicher möglich. Die vom Beklagten vorgenommene Rückstufung erscheine noch relativ wohlwollend. Zwar seien degenerative Veränderungen der Wirbelsäule nachgewiesen, es bestehe aber keine höhergradige Funktionseinbuße und keine Gelenkerkrankung, die den GdB von 40 rechtfertige. Trotz rechtsbetonter Gonarthrose liege nur ein leichtes Streckdefizit vor, das rechte Knie könne bis 100°, das linke bis 110° gebeugt werden. Eine höhergradige Herz-Kreislaufstörung sei ebenfalls nicht gegeben. Stärkere Herzrhythmusstörungen seien nur im Zeitraum November 2001 bis Dezember 2002 prophylaktisch behandlungspflichtig gewesen und seitdem folgenlos abgeklungen.
Hiergegen hat die Klägerin geltend gemacht, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Gutachter als Allgemeinmediziner die bei ihr von Fachärzten erhobenen schwerwiegenderen Befunde abqualifiziere und hierzu u. a. Unterlagen über ihre Schilddrüsenoperation am 20. März 1998 und einen Entlassungsbericht der Caritas-Kliniken vom 30. Januar 1998 zur Akte gereicht.
Durch Urteil vom 19. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Merkzeichen seien auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens von Dr. B nicht erfüllt. Die Einwände der Klägerin gegen das Gutachten seien zwar nachvollziehbar, aber auch unter ihrer Berücksichtigung seien die Vorgaben der Merkzeichen nicht erfüllt.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin erneut heftige Kritik an dem Gutachten von Dr. B geübt sowie eine Verschlechterung der Herzerkrankung und der Bewegungsfähigkeit geltend gemacht.
Der Senat hat Befundberichte des Nuklearmediziners Prof. Dr. D und von Dr. S eingeholt und Dr. G mit der Erstattung eines Sachverständigen-Gutachtens beauftragt, der die Klägerin am 17. Juli 2007 in ihrer Wohnung untersucht hat.
Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 12. September 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin gegenüber den Befunderhebungen von Dr. B im Hinblick auf die Gehfähigkeit deutlich verschlechtert habe. Im Bereich der Lendenwirbelsäule lägen deutliche Bewegungseinschränkungen mit deutlichen Wurzelreizzeichen vor. Im Zusammenhang mit den häufig rezidivierenden und langfristig anhaltenden ausgeprägten Wirbelsäulensyndromen mit Ausstrahlen der Schmerzen in beide Beine sei die Gehfähigkeit beeinflusst. Bei der Überprüfung der Sensibilität im Bereich der Beine bestünden eindeutige strumpfförmige Störungen des Berührungs- und Vibrationsvermögens beidseits knieabwärts. Im Zusammenhang mit mittelgradigen Bewegungseinschränkungen im Halswirbelsäulen-Bereich sei ein GdB von 40 für das Wirbelsäulenleiden durchaus berechtigt. Wegen der Schmerzangabe in den Kniegelenken sei eine objektive Beurteilung mit verwertbaren Messergebnissen problematisch. Durch Ablenkung und Beobachtung der Kniebeweglichkeit bei der übrigen Untersuchung habe sich eine Kniebeugung rechts bis 80° und links bis 45° ergeben. Die Streckung sei bis + 10° möglich gewesen. Die Funktionseinschränkungen seien nach den Anhaltspunkten als mittelgradig zu bezeichnen. Da die statischen Fußbeschwerden nur bei längerem Stehen und Gehen der Klägerin relevant und nur geringgradige Störungen der Hüftgelenke bestünden, sei der GdB für diesen Komplex mit 40 zu bewerten. Die Klägerin sei nicht ständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit einem Rollator komme sie auf glattem, ebenem Boden "besser klar". Aber auch dieses Gehen, das als "grenzwertig zumutbar" zu bezeichnen sei, bedeute eine große Anstrengung. Glaubhaft könne die Klägerin keine Strecken ohne große Schmerzen zurücklegen. Bei der Gehprüfung habe sie mit zwei Unterarmgehhilfen, da sie den Rollator nicht über die Treppe transportieren könne, nach 13 Metern die erste Pause wegen Luftmangels und zunehmenden Schmerzen in den Knien eingelegt, nach einer Pause von cirka einer Minute sei sie weiter 14 Meter, nach einer weiteren Pause 22 Meter gelaufen: Dann habe sie sich körperlich nicht weiter belastbar gefühlt und er sei mit ihr zurück zum Haus gegangen. Nach Angaben der Klägerin gehe das Laufen mit dem Rollator besser, Schwierigkeiten habe sie dann aber an den Bordsteinkanten, weil sie den Rollator wegen ihrer Standunsicherheit nicht anheben könne. Auf den Treppen laufe sie unter Zuhilfenahme der oberen Extremitäten. Auch wenn sich die GdB-Einschätzung nicht relevant von den Vorgutachten unterscheide, so sehe er eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes und einen erheblichen Einfluss des LWS-Leidens auf die Gehfähigkeit der Klägerin. Hier seien die erheblichen Schmerzzustände, die auch in der starken Schonhaltung zum Ausdruck kämen, deutlicher zu berücksichtigen. Spätestens zum Zeitpunkt der Begutachtung liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei wegen der bestehenden Bewegungsstörungen weitestgehend nicht realistisch.
Der Bewertung ist der Beklagte unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 21. November 2007, die der angegebenen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes keine Entsprechung in den Befunden hat entnehmen können, und einer fachinternistischen Stellungnahme von MD R nicht gefolgt.
Nachdem die Klägerin darauf verwiesen hatte, dass ihr ab 1. Januar 2008 Leistungen der Pflegestufe 2 zuerkannt worden seien, hat der Senat das Pflegegutachten des MDK vom 18. März 2008 beigezogen, in dem das Gangbild mit Rollator als sehr unsicher, kleinschrittig und verlangsamt beschrieben wird; freies Stehen sei nicht möglich. Die Beine könnten im Sitzen nicht angehoben werden. Als pflegebegründende Diagnosen werden Polyarthrose mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen der Arme, Beine und Wirbelsäule, diabetische Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzen sowie als weitere Diagnosen schwere Herzinsuffizienz, Dyspnoe, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Glaukom beidseits, Zustand nach Herzschrittmacherimplantat aufgeführt. Diesem Gutachten hat die Fachärztin für Chirurgie H in einer Stellungnahme vom 13. Juni 2008 entnommen, dass ab März 2008 eine außergewöhnliche Gehbehinderung und die Unfähigkeit zum Treppensteigen belegt seien.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2006 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 3. August 2004 in der Fassung der Bescheide vom 25. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 90 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG", "RF" und "T" anzuerkennen.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2008 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" anerkannt und beantragt im Übrigen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet. Insoweit war der Beklagte gemäß seinem in der mündlichen Verhandlung erklärten Teilanerkenntnis nach dem über § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechend anwendbaren § 307S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO; BSG SozR 1750, § 307 Nr. 1 und 2) zu verurteilen. Denn der Beklagte hat den mit der Berufung u. a. verfolgten Anspruch auf Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" zum Teil (§ 307 S. 1 Alt 2 ZPO), nämlich für den Anspruchszeitraum ab März 2008, vorbehaltlos und endgültig anerkannt.
Die weitergehende Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Streitig geblieben sind die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" ab Antragstellung bis März 2008 und des Merkzeichens "RF" sowie ein GdB von 90, den der Beklagte im Verlauf des Verwaltungsverfahrens durch Bescheid vom 25. Februar 2005 wieder aberkannt hatte.
Zu Recht hat der Beklagte die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" erst ab März 2008, dem Zeitpunkt, zu dem eine weitere Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin dokumentiert ist, als erfüllt angesehen. Denn unter Berücksichtigung der von Dr. G vorgenommenen Gehstrecken-Prüfung waren die Voraussetzungen dieses Merkzeichens nach der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG- Urteil vom 29. März 2007, B 9a SB 5/05 R) noch nicht erfüllt. Danach ist grundsätzlich für die Gleichstellung bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen, wobei sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren lasse. Maßgeblich ist nach dieser Rechtsprechung, unter welchen Bedingungen dem Behinderten das Zurücklegen eines Weges nur noch möglich ist: Nämlich praktisch vom ersten Schritt an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Gradmesser kann u. a. die Intensität der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen. Nach den Feststellungen von Dr. G hat die Klägerin bei der Gehprüfung mit zwei Unterarmgehhilfen, da sie den Rollator nicht über die Treppe transportieren könne, nach 13 Metern die erste Pause wegen Luftmangels und zunehmenden Schmerzen in den Knien eingelegt, nach einer Pause von cirka einer Minute ist sie weiter 14 Meter, nach einer weiteren Pause 22 Meter gelaufen: Dann hat sie sich den Angaben des Gutachters zufolge körperlich nicht weiter belastbar gefühlt und er ist mit ihr zurück zum Haus gegangen. Nach Angaben der Klägerin gehe das Laufen mit dem Rollator besser. Diese Fortbewegungsmöglichkeit hat der Gutachter als "grenzwertig zumutbar" angesehen. Danach konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin sich bereits vor März 2008 vom ersten Schritt an nur mit großer Anstrengung fortbewegen konnte, zumal sie gegenüber dem Gutachter angegeben hatte, dass sie nur nach "vielem Laufen" leichte Schmerzen im Bereich der Hüften habe.
Ist erst ab März 2008 das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen, sind auch erst von diesem Zeitpunkt an die Voraussetzung für die Zuerkennung der Berechtigung erfüllt, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen. Denn nach der bis 30. Juni 2005 geltenden Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl Nr. 33 vom 11.8.2001) ebenso wie nach der zum 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 22. Juni 2005 (GVBl Nr. 22 vom 30.6.2005, Seite 342) ist hierfür u. a. Voraussetzung das Merkzeichen "aG".
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF". Die Voraussetzungen der Vergabe dieses Nachteilsausgleichs sind gemäß § 69 Abs. 4, 5 Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) landesrechtlich im Land Berlin für die Zeit ab 1. April 2005 durch Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15. Oktober 2004 in der Fassung des Gesetzes vom 17. März 2005 (GVBl. 2005, S. 82, 85 f), in Kraft getreten am 1. April 2005 (GVBl. 2005, S. 228) bzw. ab 1. März 2007 in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags in Verbindung mit dem Gesetz vom 25. Januar 2007 (GVBl. 2007, S. 10, 15), in Kraft getreten am 1. März 2007 (GVBl. 2007, 128) geregelt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags werden auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht schwerbehinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen sind die als antizipierte Sachverständigengutachten zu beachtenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2005 Nr. 33, S. 141 f (insoweit gleichlautend in den zum Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin geltenden AHP 1996 sowie den AHP 2004) weiterhin maßgeblich, auch wenn die Nr. 33 in den Anhaltspunkten 2008 nicht mehr aufgeführt ist. Denn auch wenn die Feststellung der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht mehr den Sozialbehörden obliegt, ändert dies nichts daran, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach § 69 Abs. 4 SGB IX festzustellen haben.
Nach Nr. 33 der Anhaltspunkte sind die Voraussetzungen immer erfüllt bei behinderten Menschen - bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können, - die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung abstoßend oder störend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können), - mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, - nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden, - geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Dabei müssen die behinderten Menschen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen- bestimmter Art- verbietet, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also u.a. auch Gottesdienste (BSG SozR 3-3870 § 48 Nr. 2). Die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen ist nur dann nicht möglich, wenn der behinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (Vgl. BSG a.a.O.). Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprächen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar. Denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren ist die Klägerin nicht insgesamt von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen, da der Gutachter die Teilnahme an ebenerdigen Veranstaltungen nicht ausgeschlossen hat. Hierdurch wird der Kreis der Veranstaltungen, die besucht werden können, zwar eingeschränkt, aber ein allgemeiner Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen ist nicht erkennbar.
Weitere, die Klägerin dauerhaft von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausschließende Funktionsbeeinträchtigungen konnten nicht ermittelt werden. Allein das Erfordernis, Inkontinenzartikel gebrauchen zu müssen, hindert nicht daran, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-3870 § 4 Nr. 17) ist es Behinderten zuzumuten, Windelhosen zu benutzen, die den Harn bis zu zwei Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen. Dies verstößt weder gegen die Würde des Menschen ( Art. 1 Grundgesetz (GG)) noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz ( Art. 20 Abs. 1 GG ). Der Behinderte wird dadurch auch nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BSG-Urteile vom 11. September 1991 - 9a RVs 1/90 - und vom 9. August 1995 - 9 RVs 3/95 - beide unveröffentlicht).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 80. Dr. G hat in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar unter Berücksichtigung der Vorgaben der Anhaltspunkte dargelegt, dass im Vordergrund der Beschwerden die stärkeren degenerativen Wirbelsäulenveränderungen in Hals- und Lendenwirbelsäule mit Protrusionen bei L2/3, L4/5 und L5/S1 mit Duralschlauchimpression, Spinalstenose mit wiederholten neuromuskulären Reizzuständen und Funktionsminderung stehen, die mit einem GdB von 40 zu bewerten sind. Da nach Nr. 26.18, S. 116 der AHP 2008, insoweit gleichlautend mit den AHP 2004 und 2005, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten sind, während erst Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst) einen GdB von 50 bis 70 bedingen, bestehen gegen die Bewertung des Gutachters keine Bedenken.
Auch eine höhere GdB-Bemessung der funktionellen Störung der Hüftgelenke bei degenerativen Kniegelenksveränderungen mit verstärkter Belastungsminderung und schmerzbedingten mittelgradigen Funktionseinschränkungen, statischen Fußbeschwerden bei Fuß- und Zehenfehlform, Krampfaderleiden der Beine als mit einem Einzel-GdB von 40 kam nicht in Betracht. Dr. Ghat hinsichtlich der Hüftgelenke nur eine gering- bis mittelgradig einzustufende Einschränkung der Beweglichkeit feststellen können, die nach den AHP 2008, Nr. 26.18, S. 124 mit einem Einzel-GdB von höchstens 30 zu bewerten wäre. Die ferner von ihm mitgeteilten Bewegungsausmaße der Kniegelenke mit ausgeprägteren Bewegungseinschränkungen für das linke Knie (Beugung nur bis 45° bei gleichzeitiger Möglichkeit der Streckung) und geringeren Einschränkungen für das rechte Knie (Beugung bis 80°) könnten nach den Vorgaben der Anhaltpunkte, S. 126 nur mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Unter Beachtung der statischen Fußbeschwerden bei maximal geringgradigen Bewegungseinschränkungen in den oberen Sprunggelenken, die nach den AHP 2008, Nr. 26.18, S. 127 als Fußdeformitäten mit statischer Auswirkung stärkeren Grades mit einem Einzel-GdB von 20 bedacht werden könnten, entspricht eine Zusammenfassung der Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremitäten mit einem GdB von 40 den Vorgaben der AHP Nr. 18 Abs. 4, S. 22, wonach das Funktionssystem "Beine" zusammenfassend zu beurteilen ist.
Dieser Bewertung steht das Pflegegutachten nicht entgegen. Denn darin wird zwar eine zunehmende Bewegungseinschränkung beider Beine und Arme angegeben, es enthält aber keine Feststellungen, die anhand der Vorgaben der Anhaltspunkte eine GdB-Erhöhung ermöglichen würden.
Auch die Bewertung der Funktionsbehinderung "Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Herzinfarkt" mit einem Einzel-GdB von 40 durch den Beklagten, den Dr. Gfür zutreffend erachtet hat, unterliegt keinen Bedenken. Denn der Gutachter hat- unter Auswertung der zur Akte gelangten Untersuchungsbefunde- darauf hingewiesen, dass außer einer diskreten Bewegungsminderung in der inneren Muskelschicht kein pathologischer Befund am Herzen erhoben worden, Herzrhythmusstörungen seit Dezember 2002 nicht mehr aufgetreten seien, und der zwischenzeitlich festgestellte Herzklappenfehler bislang keine Störungen hervorgerufen habe. Unter Berücksichtigung der Belastungsdyspnoe und der Angaben von Dr. S in ihrem Befundbericht vom 9. März 2007, dass sie von einer Leistungseinschränkung bei mittelschwerer Belastung ausgehe, sind keine Anhaltpunkte dafür ersichtlich, dass diese Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind. Zwar hat die Klägerin geltend gemacht, es sei Ende 2007 zu einer absoluten Arrythmie gekommen. Danach ist jedoch dem Pflegegutachten zufolge eine Herzschrittmacher-Implantation erfolgt, so dass hieraus keine GdB-Erhöhung abgeleitet werden kann.
Des Weiteren entspricht die Bewertung des Diabetes mellitus mit einem GdB von 30 den Vorgaben der Anhaltpunkte, Nr. 26.15, S. 99, nach denen ein Diabetes Typ II, der durch orale Antidiabetika und ergänzende oder alleinige Insulinbehandlung ausreichend einstellbar ist, mit einem GdB von 30 zu bewerten ist.
In Anbetracht dessen, dass die Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenks von dem Sachverständigen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Anhaltspunkte Nr. 26.18, S. 119 zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wird, und weitere, mit einem höheren Einzel-GdB als 10 zu bewertende Funktionseinschränkungen nicht vorliegen, ist die Bewertung des Gesamt-GdB mit 80 sachgerecht.
Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX dann die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Nr. 19 AHP 2008 (Seite 24ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Regelmäßig führen lediglich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Anhaltspunkte 2004/2005 und 2008 Nr. 19, Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich kein höherer GdB als 80 ermitteln. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten von Dr. G. Der Gutachter hat mit der Begründung, dass sich die Behinderung der Wirbelsäule auf die Funktionseinschränkung der Beine besonders nachteilig auswirke, andererseits die Herzleistungsminderung keinen wesentlichen Einfluss auf diese Behinderungen ausübe, während der Diabetes in der gegenwärtigen Stärke ohne Gefäßerkrankung und stärkere Nervenschädigung keinen relevanten Einfluss auf die anderen Leiden habe, andererseits die Funktionsbehinderung der Schultergelenke sich nicht zusätzlich einschränkend auf die Gehfähigkeit auswirke, die Wertigkeit der einzelnen Leiden in ihrem Zusammenwirken nachvollziehbar dargestellt. Auf dieser Grundlage kam der geltend gemachte GdB von 90 nicht in Betracht.
Nach alledem hatte die Berufung nur teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung zunächst unbegründet war und nur aufgrund des verschlechterten Gesundheitszustandes der Klägerin teilweise Erfolg hatte.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
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