L 31 B 507/08 U ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 2 U 26/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 B 507/08 U ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Juni 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist unbegründet, da das Sozialgericht es zu Recht abgelehnt hat, die Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu verpflichten, die aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 03. März 2003 gewährte Dauerrente nach einer MdE von 20 v. H. (Dauerrentenbescheid vom 23. Februar 2006) abzufinden, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, über den Antrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 05. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2007, über den im Hauptsacheverfahren L 31 U 516/08 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gestritten wird, bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung anhand der präsenten Beweismittel rechtmäßig.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Glaubhaft gemacht ist ein Anspruch dann, wenn mehr für als gegen ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren spricht. Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Ginge der Senat nur von dem im Schriftsatz der Antragstellerin vom 08. April 2008 noch gestellten Antrag auf Abfindung aus, so fehlt es an einer ausreichenden Glaubhaftmachung schon deshalb, weil die Entscheidung über die Abfindung nach § 76 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Siebtes Buch (SGB VII) im Ermessen der Antragsgegnerin steht. Damit korrespondiert auf Seiten der Antragstellerin ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht aber der Leistungsanspruch selbst. Die im Schriftsatz vom 8. April 2008 allein noch zur Entscheidung gestellte Abfindung der Verletztenrente als Leistungsanspruch setzt – wie im Schriftsatz richtig ausgeführt – eine Ermessensreduzierung auf Null voraus. Für eine solche ist jedoch nichts ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich nicht bereits aus dem Gutachten des Dr. W vom 7. Juli 2006, der entsprechend seinem Fachgebiet beauftragt war, die Unfallfolgen zu begutachten, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Abfindung vorliegen. Vielmehr ist die Antragsgegnerin berechtigt und zur Herbeiführung einer rechtlich nicht zu beanstandenden Entscheidung auch verpflichtet, den medizinischen Sachverhalt aufzuklären und daher zum allgemeinen Gesundheitszustand der Antragstellerin zu ermitteln, um eine tragfähige Prognose zur Lebenserwartung der 1940 geborenen Antragstellerin abgeben zu können. Zwar kommt die Ablehnung der Abfindung nur dann in Betracht, wenn die Lebenserwartung des Versicherten erheblich geringer ist als die des Durchschnitts der Gleichaltrigen und die Zeit unterschreitet, die dem für die Abfindung festgesetzten Kapitalwert entspricht. Ob ein solcher Fall hier vorliegt und die Antragsgegnerin die nach der Rechtsprechung strengen Voraussetzungen für die Ablehnung der Abfindung mangels ausreichender Lebenserwartung beachtet, kann aber nur nach Aufklärung des medizinischen Sachverhalts entschieden werden. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin insoweit ihre Amtsermittlungspflicht ernst nimmt und sich nicht allein auf Erklärungen der Antragstellerin und kurze Hinweise anderer Ärzte zu unfallfremden Erkrankungen verlässt.

Ermittlungen zur Lebenserwartung durch Einholung eines internistischen Gutachtens widersprechen entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht der Menschenwürde. Daran ändert auch die von der Antragstellerin vorgetragene Selbstverständlichkeit nichts, dass es nicht möglich ist, die genaue Lebensdauer eines Menschen zu bestimmen. Dieses ist auch weder erforderlich, noch kann der Antragsgegnerin unterstellt werden, dass sie dieses medizinisch unmögliche Unterfangen vorliegend ins Werk setzen wolle. Daran ändern aus der Sicht des Senats auch möglicherweise missverständliche Formulierungen in der Akte der Antragsgegnerin nichts. Allerdings sind solche weder dem Auswahlschreiben vom 24. Juli 2006, dem Schreiben vom 9. Oktober 2006 noch dem Erläuterungsschreiben vom 1. Februar 2007 zu entnehmen.

Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass der Versicherungsträger eine Prognoseentscheidung über die Lebenserwartung zu treffen hat, für die die ermittelbaren medizinischen Daten ausschlaggebend sein müssen (vgl. insoweit das von der Antragstellerin selbst vorgelegte Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 18. September 2002, Az.: S 2 U 123/01, mit umfangreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Da regelmäßig weder Verwaltungssachbearbeiter noch beratende Ärzte allein aus den z. B. von Dr. W mitgeteilten unfallfremden Diagnosen wie Bluthochdruck und Schilddrüsenleiden tragfähige Schlüsse zur Lebenserwartung ziehen können, ist die Einholung eines internistischen Gutachtens selbstverständlich. Kann die Antragsgegnerin wegen der Weigerung der Antragstellerin hieran mitzuwirken, keine tragfähigen Schlüsse zu dieser entscheidungserheblichen Frage ziehen, begegnet die Ablehnung der Abfindung aus diesen Gründen keinen Bedenken. Erst recht kann nicht davon ausgegangen werden, dass angesichts des nicht ausreichend aufgeklärten Sachverhalts eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten der Antragstellerin vorliegt.

Bei diesem Sachverhalt besteht auch kein Anspruch auf Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, falls dieser Anspruch vor dem Hintergrund des mit Schriftsatz vom 8. April 2008 allein gestellten Antrags überhaupt noch aufrechterhalten werden soll. Denn angesichts eines nicht ausreichend aufgeklärten Sachverhalts ist die Antragsgegnerin nicht in der Lage, eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu treffen, die den Anforderungen der § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X und § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I entspricht.

Darüber hinaus fehlt es aber auch an einem Anordnungsgrund. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn der Antragstellerin schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die auch bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Eine solche Fallgestaltung liegt nicht vor. Soweit die Antragstellerin geltend macht, diese liege darin, dass die Abfindung mit Zeitablauf geringer werde, da für die Berechnung der Höhe der Abfindung auf den Zeitpunkt der Bescheiderteilung abgestellt werde und nicht die Antragstellung maßgeblich sei, kann sie dem durch Mitwirkung an der notwendigen internistischen Begutachtung wirksam entgegenwirken.

Die Weigerung der Antragstellerin, an einer weiteren Begutachtung teilzunehmen, ist auch vor dem Hintergrund des Verhaltens im Verfahren S 2 U 126/05 vor dem Sozialgericht Potsdam, in dem um die Höhe der MdE gestritten wird, und in dem die Antragstellerin dem Wortlaut nach eine MdE von 100 v. Hundert begehrt, was einer Abfindung nach § 76 Abs. 1 SGB VII ohnehin entgegenstünde, unverständlich. Denn dort hat sie den Antrag gestellt, nach § 109 SGG begutachtet zu werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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