L 32 B 1458/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 24 AS 1987/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 B 1458/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 17. Juni 2008 wird geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Monate Juli 2008 bis einschließlich November 2008 monatlich insgesamt 704,68 EUR Arbeitslosengeld II (Regelsatz 351,- EUR sowie 353,68 EUR Kosten der Unterkunft) zu leisten. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsgegner die ihm entstandenen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird, die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte allerdings nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz stellt nämlich insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist.

Hier besteht nach der alleine möglichen summarischen Prüfung jedoch ein Anordnungsanspruch. Es spricht viel dafür, dass dem Antragsteller die geltend gemachten Kosten für Unterkunft zustehen:

Die Übernahme der laufenden Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) nach einem Umzug hängt nicht generell von einer vorherigen Zusicherung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II ab (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. B. v. 30.11.2007 - L 32 B 1912/07 AS ER - ZFSH/SGB 2008, 93 = ZMR 2008, 306-307). § 22 Abs. 3 SGB II regelt nämlich nur die Erstattung von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten, nicht hingegen von laufenden Unterkunftskosten. § 22 Abs. 2 SGB II regelt keine Anspruchsvoraussetzung (Bundessozialgericht [BSG], U. v. 7.11.2006 - B 7b 10/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 Rdnr. 27). Allerdings besteht eine Anspruch nur auf die Erstattung angemessener Kosten, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Wer ohne vorherige Zusicherung umzieht, riskiert also, die angemessenen übersteigenden Kosten selbst tragen zu müssen. Zudem beschränkt § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II den Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft im Falle eines nicht erforderlichen Umzuges auf die Höhe der "bis dahin" zu tragenden Kosten. Wer ohne vorherige Zusicherung die Wohnung wechselt, riskiert also zudem, selbst bei an sich angemessen Unterkunftskosten der neuen Wohnung die Mehrkosten gegenüber der alten selbst aufbringen zu müssen, wenn sich der Umzug als nicht erforderlich darstellt.

Ein Auszug aus der bisherigen Wohnung zur Vermeidung einer Zwangsräumung, also bei fehlendem Wohnrecht, ist allerdings zwangsläufig erforderlich. Dass die entsprechenden Angaben des Antragstellers nicht der Wahrheit entsprechen, ist nicht ersichtlich. Ein Umzug ist allgemein erforderlich, wenn der Wunsch nach einer eigenen Wohnung ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund darstellt, der auch einen Nichthilfeempfänger leiten lassen würde (vgl. B. v. 30.11.2007 a.a.O. für einen Umzug aus Studentenwohnheim in eigene Wohnung). Dass der Einzug speziell in die jetzt angemietete Wohnung in diesem Sinne unangebracht gewesen ist - etwa weil diese überteuert oder allgemein ungeeignet sein könnte - ist für das Eilverfahren nicht ersichtlich. Ob die vom Antragsteller zu zahlende Miete angemessen ist, muss und kann ebenfalls nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Im Eilverfahren ist von 360,- EUR Miete einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen abzüglich schätzweise 6,32 EUR im Regelsatz enthaltenen Kosten für Haushaltsenergie = 353,68 EUR pro Monat auszugehen (§ 20 Abs. 1 SGB II; zur Berechnung vgl. BSG, U. v. 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R -). Für das Eilverfahren ist dabei der vom BSG ermittelte Betrag von 6,22 EUR bei einem Regelsatz von 345,- EUR, also 1,8% des Regelsatzes, entsprechend fortzuschreiben.

Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Senat teilt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung des SG nicht, im Eilverfahren könnten Kosten für Unterkunft nur im Falle der Glaubhaftmachung des drohenden Wohnungsverlustes zugesprochen werden. Ganz allgemein ist vielmehr ein Zuwarten auf die Klärung im Hauptsacheverfahren umso eher unzumutbar, je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. B. v. 3. 07. 2007 - L 32 B 723/07 ASER -; v. 5.09.2007 - L 32 AS 1423/07 AS ER -). Hier ist dem Antragsteller angesichts der bestehenden hohen Erfolgschancen in der Sache nicht zuzumuten, seine laufenden mietvertraglichen Pflichten nicht erfüllen zu können. Auch bei den Kosten der Unterkunft handelt es sich um Grundsicherung zur Wahrung des Existenzminimums. Die einstweilige Verpflichtung ist jedoch nur für die Zeit des aktuellen Monats bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraumes auszusprechen. Die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung ist im Regelfall nur für den aktuellen Zeitpunkt und für die Zukunft gegeben, da jedenfalls grundsätzlich nur die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfes besonders dringlich ist (ständige Rechtsprechung des Senats). Tatsachen und Besonderheiten, die hier eine rückwirkende Gewährung zur Vermeidung unbilliger Härten geböten, sind auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht worden, obwohl das SG seine Ablehnung nur auf die aus seiner Sicht fehlende Dringlichkeit gestützt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend. Es entspricht billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten voll aufzuerlegen, weil der Antrag im Wesentlichen Erfolg hat. Die Zurückweisung ist primär dem Zeitablauf geschuldet.
Rechtskraft
Aus
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