L 23 B 36/08 SO

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 348/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 36/08 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2008 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit der Beschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin, wonach er der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren zu erstatten habe.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht hatte die Klägerin im Wege einer am 19. April 2007 erhobenen Untätigkeitsklage die Verurteilung des Beklagten zur Entscheidung über ihren am 12. Januar 2007 - unter Fristsetzung bis zum 20. Januar 2007 - gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2006 eingelegten Widerspruch begehrt. Mit dem Bescheid vom 19. Dezember 2006 war der Antrag der Klägerin vom 20. November 2006 auf Bewilligung einer Haushaltshilfe abgelehnt worden.

Mit Schreiben vom 17. Januar 2007 teilte der Beklagte der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass mit einer kurzfristigen Entscheidung über den Widerspruch nicht zu rechnen sei und der Vorgang der Widerspruchsstelle übergeben werde.

Am 1. Februar 2007 stellte die Klägerin beim SG Berlin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, der unter dem Aktenzeichen S 51 SO 348/07 ER geführt und mit Beschluss vom 16. März 2007 abgelehnt wurde. Das Beschwerdeverfahren, das mit Schriftsatz vom selben Tag wie die Untätigkeitsklage eingeleitet wurde, war seit dem 25. April 2007 unter dem Aktenzeichen L 23 B 78/07 SO ER anhängig. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens stellte der Beklagte die Klägerin teilweise klaglos und erließ einen Bewilligungsbescheid vom 13. Juli 2007, mit dem dem Widerspruch der Klägerin teilweise abgeholfen wurde (Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2007), die Prozessbevollmächtigte der Klägerin nahm das Teilanerkenntnis an und den Antrag im Übrigen zurück.

Das auf die Widerspruchsbescheidung gerichtete Klageverfahren vor dem Sozialgericht wurde übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte sinngemäß, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Mit Beschluss vom 23. Januar 2008 hat das Sozialgericht dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.

Gegen den am 30. Januar 2008 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 5. Februar 2008 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass mit dem Zuwarten auf den Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein zureichender Grund für die Untätigkeit im Sinne von § 88 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGG vorgelegen habe. Eine Entscheidung in der Hauptsache vor Abschluss des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes, die in der Sache der nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Entscheidung gefolgt wäre, wäre unsinnig und vor allem nicht im Interesse der Klägerin gewesen.

Der Senat entnimmt dem Vorbringen des Beklagten den Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2008 abzuändern und zu erkennen, dass außergerichtliche Kosten der Klägerin nicht zu erstatten sind.

Die Klägerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Eine Untätigkeit der Beklagten habe vorgelegen. Der Beklagte verkenne, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine abschließende, sondern nur eine vorläufige Entscheidung getroffen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

II.

Die gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht i. S. d. § 173 SGG erhoben worden, sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat dem Beklagten zu Recht die der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen Aufwendungen auferlegt.

Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss über die Kosten, wenn das Verfahren - wie hier – anders als durch Urteil beendet wird. Vorliegend ist der Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt worden (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich nach sachgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen. Wesentlich sind dabei die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat. Danach hat hier die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG hat der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, wenn die Klage nach der Sperrfrist erhoben worden ist und später der begehrte Verwaltungsakt ergeht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 193 Rn. 13c). Dies entspricht der Wertung des § 88 SGG und den dort für die Klage auf Vornahme eines Verwaltungsaktes bzw. auf Erlass eines Widerspruchsbescheides geregelten Fristen, bei denen davon auszugehen ist, dass innerhalb dieser Fristen ein Antragsteller bzw. Widerspruchsführer mit einer Entscheidung rechnen durfte. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin Untätigkeitsklage am 19. April 2007 und somit nach Ablauf der Frist von drei Monaten nach Einlegung des Widerspruchs vom 12. Januar 2007 erhoben.

Dass die beklagte Behörde die Kostenlast trifft, wenn vor Klageerhebung mit einer Entscheidung gerechnet werden durfte, gilt jedenfalls soweit dem Kläger nichts Gegenteiliges seitens des Beklagten unter Angabe eines abweichenden Grundes (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG) mitgeteilt worden ist. Dabei kommt es für die Kostenbelastung des Beklagten vor allem darauf an, ob er einen zureichenden Grund dafür hatte, den bei ihm gestellten Antrag nicht vor Klageerhebung zu bescheiden, und erst in zweiter Linie - wenn nämlich feststeht, dass der Beklagte einen derartigen Grund hatte -, ob der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Erst wenn ein zureichender Grund vorliegt, ist es von Bedeutung, ob dem Kläger der Grund für die Verzögerung bekannt war oder bekannt sein musste (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2007 – L 21 B 1094/07 R -Weides/Bertrams, NVwZ 1988, 673, 679 m.w.N. zu § 163 VwGO).

Ob ein zureichender Grund für eine Nichtbescheidung vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Ein solcher Grund kann z.B. dann vorliegen, wenn die Behörde vorübergehend besonders belastet ist oder besondere Schwierigkeiten des Sachverhalts eine längere Bearbeitungszeit als die nach § 88 Abs. 2 SGG vorgesehene beanspruchen. Grundsätzlich steht einem Leistungsträger nicht schon deswegen ein zureichender Grund im Sinne des § 88 SGG zur Seite, weil er mit der Erteilung eines Widerspruchsbescheides wartet, bis ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abgeschlossen ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. August 2007 - L 25 B 846/07 AS – Juris; Leitherer a.a.O.). Ein solches Verfahren ist unabhängig von dem Anspruch eines Klägers auf Erteilung eines Widerspruchs. Eine Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren – auch in zweiter Instanz – lässt keinen zwingenden Schluss auf den Ausgang des Widerspruchsverfahrens, noch weniger auf den Ausgang eines daran anschließenden Klageverfahrens in der Hauptsache zu. Die Verfahren unterliegen jeweils unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Das Sozialgericht hat in der angefochtenen Kostenentscheidung auch zu Recht ausgeführt, dass rechtlich verbindliche vorgreifliche Feststellungen für das Widerspruchsverfahren im Eilrechtsschutzverfahren, in dem es gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG lediglich um die Regelung eines vorläufigen Zustands geht, nicht getroffen werden.

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes – die vorliegend nach Ablauf der von der Klägerin zum 20. Januar 2007 gesetzten Frist erfolgte - kann die Annahme eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn die beklagte Behörde aufgrund des Verfahrensablaufs annehmen durfte, dass der Kläger vor Durchführung des Widerspruchsverfahrens zunächst den Ausgang des gerichtlichen Eilverfahrens abwarten wolle (a.A. wohl LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). So liegt der vorliegende Fall jedoch nicht. Zwar spricht die kurze Fristsetzung zur Entscheidung über den Widerspruch (vor Ablauf der Drei-Monatsfrist) und die anschließende Geltendmachung einstweiligen Rechtsschutzes dafür, dass auch die Klägerin hinsichtlich ihres Begehrens zunächst eine Regelung des vorläufigen Zustandes begehrte. Letztlich hat sie aber – wenn auch recht apodiktisch – stets klargestellt, dass es ihr vordringlich um die Bescheidung des Widerspruchs ging. Der Beklagte – wollte er das Eilverfahren abwarten – hätte sich insofern durch Rückfrage bei der Klägerin absichern müssen und konnte nicht unterstellen, dass diese entgegen der ausdrücklichen Abfassung des Widerspruchsschreibens auch über die Drei-Monatsfrist hinaus zuwarten würde.

Ein anderer zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs vor Erhebung der Untätigkeitsklage ist nach dem Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten nicht ersichtlich und von diesem auch nicht vorgetragen worden.

Nach allem ist der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2008 nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war erforderlich, da hier mit der Beschwerde eine Entscheidung in dem Antragsverfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG bei Erledigung der Hauptsache angefochten war. In diesen Fällen hat eine Kostenentscheidung zu ergehen (Meyer-Ladewig: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005 § 176 Rn. 5; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, X Rn. 58; Mählicke in: HK-SGG, § 176 Rn. 5; Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 2. Auflage 2005, § 176 Rn. 9; LSG Niedersachsen-Bremen v. 27.03.2007, L5 B 3/06 VG, juris, Rn.: 18; LSG Rheinland-Pfalz vom 06.08.2007, L 3 B 307/06 AS, juris; a.A. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz v. 12. 02.2007, L 4 B 246/06 R, juris).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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