L 7 B 57/08 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 148/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 57/08 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 933.348,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin ist Teil der C Holding AG. Sie erstellt und vertreibt Praxisverwaltungssoftware für niedergelassene Ärzte und wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen den Zwang zur Zertifizierung ihrer Produkte durch die Antragsgegnerin aufgrund gesetzlicher Neuregelungen. Nach eigenem Vorbringen stattet die Antragstellerin zusammen mit den vier ursprünglichen Streitgenossinnen, die sämtlich der C Holding AG angehören, bundesweit über 40 Prozent der Praxen niedergelassener Ärzte und Zahnärzte mit ihren Softwareprodukten aus.

Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26. April 2006 (gültig ab 1. Mai 2006, BGBl. I 2006, S. 984) wurde § 73 Abs. 8 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) um die Sätze 7 und 8 ergänzt; in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (gültig ab 1. April 2007, BGBl. I 2007, S. 378) hat § 73 Abs. 8 SGB V nunmehr folgenden Wortlaut:

1 Zur Sicherung der wirtschaftlichen Verordnungsweise haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie die Krankenkassen und ihre Verbände die Vertragsärzte auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen, einschließlich der jeweiligen Preise und Entgelte zu informieren sowie nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Hinweise zu Indikation und therapeutischen Nutzen zu geben. 2 Die Informationen und Hinweise für die Verordnung von Arznei-, Verband- und Heilmitteln erfolgen insbesondere auf der Grundlage der Hinweise nach § 92 Abs. 2 Satz 3, der Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 Satz 1 und der getroffenen Arzneimittelvereinbarungen nach § 84 Abs. 1. 3 In den Informationen und Hinweisen sind Handelsbezeichnung, Indikationen und Preise sowie weitere für die Verordnung von Arzneimitteln bedeutsame Angaben insbesondere auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 in einer Weise anzugeben, die unmittelbar einen Vergleich ermöglichen; dafür können Arzneimittel ausgewählt werden, die einen maßgeblichen Anteil an der Versorgung der Versicherten im Indikationsgebiet haben. 4 Die Kosten der Arzneimittel je Tagesdosis sind nach den Angaben der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation anzugeben. 5 Es gilt die vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Auftrage des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebene Klassifikation in der jeweils gültigen Fassung. 6 Die Übersicht ist für einen Stichtag zu erstellen und in geeigneten Zeitabständen, im Regelfall jährlich, zu aktualisieren. 7 Vertragsärzte dürfen für die Verordnung von Arzneimitteln nur solche elektronischen Programme nutzen, die die Informationen nach den Sätzen 2 und 3 sowie über das Vorliegen von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 enthalten und die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für die vertragsärztliche Versorgung zugelassen sind. 8 Das Nähere ist in den Verträgen nach § 82 Abs. 1 bis zum 31. Dezember 2006 zu vereinbaren.

Am 30. Januar 2008 haben die Antragsgegnerin und die Spitzenverbände der Krankenkassen dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) in § 29 die neuen Absätze 3 bis 5 zugefügt, die folgenden Wortlaut haben:

(3) Vertragsärzte dürfen für die Verordnung von Arzneimitteln nur solche Arzneimittel-Datenbanken einschließlich der zu ihrer Anwendung notwendigen elektronischen Programme (Software) nutzen, die die Informationen gemäß § 73 Abs. 8 Satz 2 und Satz 3 SGB V enthalten und die von der Prüfstelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf Basis der jeweils aktuellen Anforderungskataloge für die Kassenärztliche Versorgung zugelassen (Zertifizierung) sind. Es sind nur solche Arzneimittel-Datenbanken einschließlich der zu ihrer Anwendung notwendigen elektronischen Programme (Software) und ihrer Folgeversionen (Updates) zuzulassen, die dem Vertragsarzt eine manipulationsfreie Verordnung von Arzneimitteln ermöglichen. Alle zugelassenen elektronischen Programme erhalten eine Prüfnummer.

(4) Die Prüfstelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kann eine bereits zertifizierte Software einer erneuten Prüfung (Rezertifizierung oder außerordentliche Kontrollprüfung) unterziehen. Die außerordentliche Kontrollprüfung kann von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung, den Spitzenverbänden der Krankenkassen oder einer Krankenkasse beantragt werden. Der Antrag ist zu begründen. Ein bereits erteiltes Zertifikat kann in begründeten Fällen entzogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn der Verdacht besteht, dass die nach Abs. 3 zugelassenen Arzneimittel-Datenbanken und Software-Versionen bei der Anwendung durch den Vertragsarzt eine manipulationsfreie Verordnung von Arzneimitteln entsprechend den Zulassungskriterien nach Abs. 3 nicht gewährleisten.

(5) Der Vertragsarzt teilt der Kassenärztlichen Vereinigung in der Sammelerklärung zur Quartalsabrechnung gem. § 35 Abs. 2 mit, welche nach Abs. 3 zugelassene Arzneimittel-Datenbank und zu ihrer Nutzung zugelassene Software angewendet wurde. In vorgenannter Quartalserklärung bestätigt der Vertragsarzt, dass er zur Verordnung von Arzneimitteln ausschließlich zertifizierte Arzneimittel-Datenbanken und Software-Versionen eingesetzt hat.

Eine entsprechende Regelung wurde in § 15 Abs. 3 bis 5 des Bundesmantelvetrages-Ärzte/Ersatzkassen (BMV-Ä/EKV) aufgenommen.

Die Vertragsparteien der Bundesmantelverträge - die Antragsgegnerin und die Spitzenverbände der Krankenkassen - haben mit Stand vom 11. Juni 2008 einen Katalog über Anforderungen an Datenbanken und Software für Vertragsarztpraxen ("Anforderungskatalog") erstellt und als Anlage zu den Bundesmantelverträgen veröffentlicht (www.kbv.de/rechtsquellen/bundesmantelverträge sowie Deutsches Ärzteblatt vom 20. Juni 2008, Seite A 1407). Der Anforderungskatalog führt bestimmte Pflichtfunktionen auf, unter anderem in Bezug auf Werbung, die nur noch in Form gesonderter, direkt erkennbarer und mit einer einzigen Aktion entfernbarer Werbefenster zulässig ist.

Im April 2008 hat die Antragstellerin - zusammen mit vier weiteren zur CHolding AG gehörenden Softwareunternehmen - Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben (S 79 KA 148/08) mit dem Begehren festzustellen, dass Vertragsärzte auch weiter berechtigt seien, nicht zertifizierte Praxissoftware zu nutzen; gleichzeitig wendet sie sich gegen neun einzelne Vorgaben des Anforderungskataloges und begehrt außerdem die Feststellung, dass die Zulassung ihrer Software nicht wegen Verstoßes gegen den Anforderungskatalog abgelehnt werden dürfe.

Außerdem hat die Antragstellerin - wiederum zusammen mit vier weiteren zur C Holding AG gehörenden Softwareunternehmen - um Gewährung von Eilrechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen angeführt, die einzeln benannten Elemente des Anforderungskataloges seien rechtswidrig, da sie den in § 73 Abs. 8 Satz 7 und 8 SGB V vorgegebenen gesetzlichen Rahmen überschritten und einen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit darstellten. Der Anforderungskatalog zwinge sie, ihr bislang werbefinanziertes Geschäftsmodell umzustellen. In einer eidesstattlichen Versicherung hat der Geschäftsführer der Antragstellerin erklärt, der Anforderungskatalog bewirke Softwareentwicklungskosten in Höhe von ca. 15.000,- Euro und Kosten für ein Sonderupdate in Höhe von ca. 22.500,- Euro. Für den Fall, dass die Werbefinanzierung der Software entfalle, werde mit Umsatzeinbußen in Höhe von ca. 5.810.000,- Euro pro Jahr (40 Prozent des erwirtschafteten Umsatzes) gerechnet.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2008 hat das Sozialgericht Berlin den Eilantrag zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei unzulässig. Zweifelhaft sei schon das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Es gebe nämlich öffentliche Äußerungen eines Vorstandsmitglieds der C H AG, denen zu entnehmen sei, dass die Produkte der Antragstellerin ohne weiteres zertifizierbar seien. Es sei nicht nachvollziehbar, warum dann nicht einfach das Zertifizierungsverfahren eingeleitet werde; ein rechtserheblicher Nachteil sei insoweit nicht zu erkennen. Im Übrigen sei die in der Hauptsache erhobene Feststellungsklage ihrerseits unzulässig. Soweit nämlich die Feststellung begehrt werde, dass Vertragsärzte auch weiter berechtigt seien, nicht zertifizierte Praxissoftware zu nutzen, fehle der Antragstellerin die Klagebefugnis; die Regelungen im Gesetz und in den Bundesmantelverträgen richteten sich nur an die Vertragsärzte. Art. 12 GG sei aus Sicht der Antragstellerin insoweit nicht berührt, denn Marktchancen oder der Erhalt eines in bestimmter Weise ausgestalteten Marktes seien nicht geschützt. Soweit die Antragstellerin sich gegen einzelne Regelungen des Anforderungskataloges als Teil der Bundesmantelverträge richte, laufe dies auf eine abstrakte Normenkontrolle hinaus, die das Sozialgerichtsgesetz nicht vorsehe. Vorrangig müsse gegen die konkrete Ablehnung einer beantragten Zertifizierung vorgegangen werden. Angesichts des von den Antragstellerinnen geltend gemachten drohenden Schadens hat das Sozialgericht den Streitwert für das Eilverfahren auf 2,5 Millionen Euro festgesetzt.

Gegen den ihr am 20. Juni 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin - zusammen mit den vier bisherigen Streitgenossinnen - am 21. Juli 2008 (Montag) Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Mit Beschluss vom 19. September 2008 hat der Senat die Verfahren der vier Streitgenossinnen abgetrennt und unter jeweils eigenen Aktenzeichen fortgeführt (L 7 B 82 bis 85/08 KA ER).

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor:

Sie werde rechtswidrig zur weitgehenden Aufgabe ihres Geschäftsmodells gezwungen, bei dem die Einnahmen unter anderem aus von Pharmaherstellern finanzierter Werbung resultierten. Fehlerhaft sei die Annahme des Sozialgerichts, es fehle an einer relevanten Betroffenheit. Schon jetzt habe die Ablehnung des Eilrechtsschutzes durch das Sozialgericht zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden geführt. Die erzwungene Softwareumstellung führe allein für das vierte Quartal 2008 zu Kosten und Umsatzeinbußen in Höhe von mindestens 466.674,- Euro (14 Prozent des in diesem Zeitraum erwirtschafteten Umsatzes). Aufgrund einer nach der erstinstanzlichen Entscheidung erforderlichen Ad-hoc-Mitteilung sei zudem der Börsenkurs der Muttergesellschaft um 47,37 Prozent eingebrochen, was einen Wertverlust von über 191 Mio. Euro darstelle. Angesichts der mutmaßlichen Dauer des Hauptsacheverfahrens und der drohenden gravierenden wirtschaftlichen Nachteile sei die Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz geboten. Nur um nicht vom Markt verdrängt zu werden, sei inzwischen eine den Vorgaben des Anforderungskataloges angepasste Praxissoftware zur Zertifizierung gebracht worden; damit sei nun die Möglichkeit, die vermarktete Software zur Verordnung von Arzneimitteln unter anderem durch Werbung zu refinanzieren, erheblich eingeschränkt. Man habe sich damit notgedrungen dem Unrecht unterworfen. Der Eilantrag sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch zulässig. Insbesondere liege die erforderliche Antragsbefugnis vor, da die Zulassungspflicht für die von den Vertragsärzten genutzte Software einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstelle. Als Softwarehersteller sei sie ebenso Normadressatin wie die Vertragsärzte. Der Eilantrag sei auch begründet. Die in § 73 Abs. 8 SGB V getroffene gesetzliche Regelung begegne verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie die nähere Ausgestaltung weitestgehend den Selbstverwaltungsträgern überlasse, ohne die wesentlichen Modalitäten der Zertifizierung selbst zu regeln. Zudem könne der die maßgeblichen Details enthaltende Anforderungskatalog nicht als Bestandteil der Bundesmantelverträge begriffen werden, obwohl § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V fordere, dass "das Nähere" in den Bundesmantelverträgen selbst zu regeln sei. Es fehle nämlich in den Bundesmantelverträgen an einem Hinweis auf den Anforderungskatalog als Anlage. Damit bestehe keine rechtsverbindliche Vorgabe zur Ausgestaltung der Zertifizierungspflicht. Zwar stehe auch die Antragstellerin für manipulationsfreie Arztsoftware, doch die umfassenden im Anforderungskatalog enthaltenen Restriktionen - vor allem die faktischen Werbeverbote - seien nicht vom Gesetz gedeckt. Hieraus resultiere eine Verletzung des Grundrechts auf Berufsfreiheit. Zu beanstanden sei schließlich die Höhe des vom Sozialgericht festgesetzten Streitwerts. Für das Hauptsacheverfahren erscheine ein Wert von 500.000 Euro angemessen. 2,5 Mio. Euro für das Eilverfahren seien demgegenüber unangemessen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008 aufzuheben und

1. im Wege der einstweiligen Anordnung

1.1 der Antragsgegnerin zu untersagen, vor dem Inkrafttreten bundesmantelvertraglicher Regelungen nach § 82 Abs. 1 SGB V zur Ausgestaltung des § 73 Abs. 8 S. 7 SGB V, die selbst abschließend sämtliche Bedingungen der Zertifizierung, einschließlich des so genannten Anforderungskataloges, enthalten, Zulassungsverfahren über die danach der Zulassung nicht unterliegenden elektronischen Programme durchzuführen, auf der Grundlage des Anforderungskataloges Entscheidungen zu treffen und gegebenenfalls Zertifizierungsanträge mangels Erfüllung des Anforderungskataloges abzulehnen

und

1.2 festzustellen, dass Vertragsärzte in diesem Zeitraum berechtigt sind, auch solche von den Antragstellerin hergestellten und vertriebenen elektronischen Programme zu nutzen, die von der Antragsgegnerin für die vertragsärztliche Versorgung nach § 73 Abs. 8 S. 7 und 8 SGB V nicht zugelassen sind,

sowie hilfsweise, soweit der Zeitraum vor Inkrafttreten der vollständigern Regelungen nach § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V betroffen ist,

2. es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, in den Zulassungsverfahren die Zulassung von der Einhaltung folgender Anforderungen - Anforderungskatalog AVWG (Version 2.2 vom 11. Juni 2008) oder Anforderungen wirkungsgleichen Inhalts abhängig zu machen:

P2-150: Erstinstallation des PVS - leere Hausapotheke P2-160: Installation der Hausapotheke (Satz 2) P3-210: Anzeige von Werbung P3-220: Ausschalten von Werbung P3-300: Suchoptionen nach Arzneimitteln (Satz 2) P3-320: Sortierung der Auswahlliste (Grundeinstellung) P3-330: Sortierung der Auswahlliste (Variationsmöglichkeiten) P3-410: Keine automatische Vorbelegung von Substitutionsvorschlägen/ Verordnungsvorschlägen (Satz 1) P3-430: Keine automatische Vorbelegung von "aut idem".

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerde sei unzulässig, da die Produkte der Antragstellerin zwischenzeitlich den Vorgaben des Anforderungskataloges entsprächen und zertifiziert seien. Die notwendigen Änderungen an der Software seien vorgenommen worden, das Produkt sei bei den Vertragsärzten einsetzbar. Mittlerweile seien insgesamt 62 Produkte zertifiziert. Sollte die Antragstellerin mit ihrem Begehren durchdringen, so führte dies zu erheblichen Schäden bei den anderen Anbietern, die erheblichen Aufwand hätten, ihre Produkte wieder zu ändern. Der Antragstellerin gehe es letztlich um die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Zertifizierungsverfahrens; diese Frage sei aber nur in einem Hauptsacheverfahren klärbar, dessen Gegenstand eine Klage auf zuvor abgelehnte Zertifizierung sei. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei der Anforderungskatalog Bestandteil der Bundesmantelverträge. Er sei gemäß § 82 Abs. 1 SGB V mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen verhandelt und beschlossen worden; die behauptete Subdelegation auf die Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden.

Die drei Berufsrichter des Senats haben den Rechtsstreit am 15. Oktober 2008 mit den Beteiligten mündlich erörtert.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der dreibändigen Gerichtsakte Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 SGG), hat aber keinen Erfolg. Zutreffend hat das Sozialgericht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt.

1. Die Anträge zu 1. sind zulässig. Mit ihnen will die Antragstellerin sinngemäß erreichen, dass die Benutzung der von ihr vertriebenen Software durch die Ärzteschaft nicht von einer Zertifizierung im Sinne von § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V abhängig gemacht wird. Vor dem Inkrafttreten vollständiger bundesmantelvertraglicher Regelungen im Sinne von § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V, die "das Nähere" bestimmen, sollen weder Zertifizierungsverfahren durchgeführt noch auf der Grundlage des Anforderungskataloges (ablehnende) Entscheidungen getroffen werden. Kern dieses Begehrens ist die Annahme der Antragstellerin, es existiere bislang kein Regelungswerk, das den Anforderungen des § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V genüge, weil der veröffentlichte "Anforderungskatalog" kein Bestandteil der Bundesmantelverträge sei.

Dieses Begehren wäre grundsätzlich im einstweiligen Rechtsschutz durch eine Sicherungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG regelbar; auch Antragsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis können der Antragstellerin hier nicht von vornherein abgesprochen werden, denn die Pflicht zur Zertifizierung ihrer Softwareprodukte trifft sie unmittelbar in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes, weil sie das Geschäftskonzept werbefinanzierter Software in der bisherigen Form nicht fortführen kann.

Die Anträge zu 1. sind aber unbegründet, denn jedenfalls ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Erlass der begehrten Sicherungsanordnung kann daher nicht beansprucht werden.

Die Pflicht zur Zertifizierung ärztlicher Praxissoftware folgt nämlich in Form eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt unmittelbar aus dem Gesetz, indem § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V ausdrücklich bestimmt, dass Vertragsärzte für die Verordnung von Arzneimitteln nur solche elektronischen Programme nutzen dürfen, die die Informationen nach den Sätzen 2 und 3 sowie über das Vorliegen von Rabattverträgen nach § 130 a Abs. 8 enthalten und die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für die vertragsärztliche Versorgung zugelassen sind. Selbst wenn die Bundesmantelverträge also keine näheren Bestimmungen zur Zertifizierung enthielten, lautet schon der Gesetzesbefehl ausdrücklich dahin, dass ein Zulassungsverfahren im Hinblick auf bestimmte, im Gesetz benannte Aspekte durchzuführen ist. Dem liegt die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, dass nur solche Praxissoftware zum Einsatz kommt, die einen manipulationsfreien Preisvergleich von Arzneimitteln ermöglicht und gleichzeitig alle Informationen enthält, die für die Verordnung in der vertragsärztlichen Versorgung von Bedeutung sind (BT-Drs. 16/194, S. 9). Weil die Anträge zu 1. mithin dem Wortlaut des Gesetzes in § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V zuwiderlaufen, besteht kein Anordnungsanspruch.

Die von der Antragstellerin formulierten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit von § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V teilt der Senat nicht. Der gegebene Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist gerechtfertigt, weil der Gebrauch manipulationsfreier Praxissoftware durch Vertragsärzte einen erheblichen Gemeinwohlbelang darstellt. Dass die Regelung erforderlich war, haben die Darlegungen der Antragsgegnerin im Erörterungstermin nachdrücklich belegt; es wurde unabhängig vom Fall der Antragstellerin klar nachvollziehbar, dass in der Vergangenheit Praxissoftware auf dem Markt war, die stark manipulativ auf den Prozess der Verordnung von Arzneimitteln wirkte, indem einseitig und auf verschiedene Weise Produkte einzelner Hersteller in den Vordergrund geschoben wurden.

Unabhängig davon laufen die Anträge zu 1. nach Auffassung des Senats ohnehin leer, weil die Bundesmantelverträge in Verbindung mit dem Anforderungskatalog abschließend und vollständig die Bedingungen der Zertifizierung regeln. Selbst wenn die Bundesmantelverträge "redaktionell" sorgfältiger auf den Anforderungskatalog als Anlage Bezug nehmen könnten, bestehen doch keine Bedenken an der Wirksamkeit und Tragfähigkeit der Gesamtregelung. Die bundesmantelvertraglichen Regelungen gehen zurück auf die gesetzliche Ermächtigung in § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V und erwähnen selbst den zu erstellenden Anforderungskatalog, der als Basis der Zertifizierung gelten soll. Die Partner der Bundesmantelverträge selbst - Antragsgegnerin und Spitzenverbände der Krankenkassen - haben als zuständige Normgeber den Anforderungskatalog mit der gebotenen Klarheit erstellt und hinreichend publiziert. Der Senat sieht darin insgesamt keinen Anhaltspunkt für die von der Antragstellerin behauptete unstatthafte "Subdelegation".

2. Der Antrag zu 2. hingegen ist unzulässig. Er zielt darauf, es der Antragsgegnerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache zu untersagen, eine Zertifizierung von bestimmten, einzeln benannten Kriterien des Anforderungskataloges abhängig zu machen. Die Antragstellerin begehrt damit vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz und richtet das Eilverfahren an einer in der Hauptsache erhobenen Feststellungsklage aus. Dies ist in mehrfacher Hinsicht unzulässig.

Zum einen ist nämlich schon die in Bezug genommene Feststellungsklage - das beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 79 KA 148/08 geführte Klageverfahren - unzulässig, weil ihr der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen steht, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr.19 zu § 55); aus der Unzulässigkeit des dazu gehörenden Hauptsacheverfahrens folgt die Unzulässigkeit des Eilverfahrens. Vorrangig wäre nämlich gegen die Ablehnung der Zertifizierung einer konkreten Praxissoftware vorzugehen. Nur in einem solchen Verfahren könnte sachgerecht überprüft werden, ob einzelne Kriterien des Anforderungskataloges rechtmäßig sind, wie sie genau verstanden werden müssen und ob die angemeldete Software im Einzelfall überhaupt dagegen verstößt. Damit fehlt es dem Eilantrag zu 2. zugleich an dem erforderlichen qualifizierten Feststellungsinteresse, das zu verlangen ist, weil der Antrag auf vorbeugenden und vorläufigen Rechtsschutz gerichtet ist (vgl. Keller, a.a.O., Rdnr. 8 c zu § 55). Es ist nicht nachvollziehbar, welches berechtigte Interesse hier gerade die Gewährung vorbeugenden Eilrechtsschutzes gebieten soll, denn die Ablehnung einer konkret zur Zertifizierung gestellten Praxissoftware kann durch kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ohne Weiteres zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden; nur in einem solchen Verfahren sind die streitentscheidenden Fragen in Bezug auf eine bestimmte Praxissoftware hinreichend konkretisierbar. Der nachgängige Rechtsschutz wäre damit unmittelbarer, sachnäher und wirksamer.

Das Feststellungsinteresse und darüber hinaus auch ein eiliges Regelungsbedürfnis der Antragstellerin begegnen abschließend auch deshalb Bedenken, weil die Antragstellerin die Zertifizierung der von ihr aktuell vertriebenen Praxissoftware erreicht hat und damit zwar ihr Geschäftskonzept derzeit nicht mehr in bisheriger Form fortführen kann, aber in der Lage ist, weiter auf dem Markt zu konkurrieren, der dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen für alle Mitbewerber aufweist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG. Soweit das Sozialgericht den Streitwert in Anwendung von § 52 Abs. 4 GKG mit 2,5 Mio. Euro beziffert hat, ist dies nicht zu beanstanden, da die Darlegungen der fünf Streitgenossinnen zu dem ihnen aufgrund der gesetzlichen Neuregelung entstehenden Schaden sogar noch auf eine weitaus höhere Summen deuteten. Nach Trennung der Sache in fünf einzelne Verfahren bemisst der Senat den Streitwert nach den Angeben, die die Antragstellerin zu den Umsatzeinbußen gemacht hat, die ihr im vierten Quartal 2008 drohen (466.674,- Euro); in Hochrechnung auf ein Jahr hat der Senat diesen Wert mit vier multipliziert und angesichts des vorliegend nur gegebenen Eilverfahrens wiederum halbiert, so dass sich ein Wert von 933.348,- Euro ergab.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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