L 18 B 132/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 126 AS 28048/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 132/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Bescheide vom 15. November 2007 wird angeordnet, soweit der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008 das Arbeitslosengeld II auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt und den Bewilligungsbescheid vom 22. August 2007 für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 in vollem Umfang aufgehoben hat sowie die aufgrund dieses Bewilligungsbescheides zu gewährenden monatlichen Leistungen in Höhe von 506,57 EUR für Oktober 2007 um mehr als 3,57 EUR, für November 2007 um mehr als 204,57 EUR, für Dezember 2007 um mehr als 240,57 EUR und für März 2008 um 270,- EUR gemindert hat. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt fünf Sechstel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie nicht begründet und war zurückzuweisen.

Mit der Beschwerde verfolgt der 1987 geborene Antragsteller sein Begehren weiter, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Bescheide vom 15. November 2007 über die Absenkung bzw. den Wegfall des Arbeitslosengeldes (Alg) II nach Maßgabe des § 31 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008 sowie die Änderung des Bewilligungsbescheides vom 22. August 2007 aufgrund dieser Absenkung und der Erzielung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung anzuordnen.

Statthafte Antragsart ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Sanktion nach § 31 SGB II tritt nicht kraft Gesetzes ein (vgl. Rixen, in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rn. 55). Vielmehr regelt der im Bescheid enthaltene Verwaltungsakt Beginn und Dauer der Absenkung (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II) und greift – ebenso wie der Änderungsbescheid in den Bestand des Bescheides vom 22. August 2007 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum 31. März 2008 ein. Damit hat der Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B -; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER -; beide veröffentlicht in juris) gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Absenkung verfahrensrechtlich eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfordert oder die Absenkung nach § 31 SGB II die §§ 45 ff. SGB X verdrängt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006, aaO).

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 15. November 2005 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die im einstweiligen Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen sind auch in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges - wie hier nach § 39 Nr. 1 SGB II - stets das Ergebnis einer Folgenabwägung. Im Rahmen dieser Folgenabwägung ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Sanktionsbescheids vom 15. November 2007 der Vorrang zu gewähren. Denn bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Sanktionsbescheides; die Vollziehung hat angesichts des existenzsichernden Charakters der SGB II-Leistungen für den Antragsteller zudem eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge (Rechtsgedanke des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG).

Bei summarischer Prüfung erweist sich der auf § 31 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 6 SGB II gestützte Sanktionsbescheid als rechtswidrig Die danach mögliche Beschränkung des Arbeitslosengeldes II auf Leistungen für Unterkunft und Heizung für erwerbsfähige Hilfsbedürftige, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, ist nach den in den Nrn. 1 und 2 dieser Vorschrift getroffenen Regelungen unabhängig davon, welcher der darin aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, ausnahmslos nur zulässig, wenn der Hilfebedürftige zuvor über die – dann ggf. eintretenden - Rechtsfolgen belehrt worden ist. Entsprechendes gilt, wenn – wie vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren angeführt - § 31 Abs. 4 lit. b SGB II iVm § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch –Arbeitsförderung – (SGB III) als Rechtsgrundlage heranzuziehen wäre (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 19; Winkler, in Gagel, SGB III, Stand: Juni 2008, § 144 Rn. 191; Niesel, in ders., SGB III, 4. Auflage, 2007, § 144 Rn. 101). Diese Rechtsfolgenbelehrung, die richtig, konkret, vollständig und verständlich sein muss, hat aber der Pflichtverletzung und der Sanktion in jedem Fall voraus zu gehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. März 2007 – L 28 B 153/07 AS ER – abrufbar unter: www. sozialgerichtsbarkeit.de; siehe dazu auch Berlit, in LPK, SGB II, § 31 Rn. 64 ff.). An einer diesen Anforderungen entsprechenden und der vorgeworfenen Pflichtverletzung vorausgehenden Rechtsfolgenbelehrung fehlt es indes im vorliegenden Falle. Nach den Angaben des Antragsgegners hat der Antragsteller den Anlass zu dem am 21. September 2007 erfolgten Abbruch des Lehrgangs "Jugend in Arbeit" dadurch gegeben, dass er ihm unterbreitete Möglichkeiten zur Arbeits- bzw. Praktikumsaufnahme wiederholt ablehnte. Soweit ihm die Verweigerung der Mitarbeit bei einer Besprechung am 21. September 2007 vorgehalten wurde und er bei dieser Gelegenheit ausführlich auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden war, erfolgte diese Belehrung nicht vor der dem Antragsteller angelasteten Pflichtverletzung. Soweit der Antragsgegner behauptet, dem Antragsteller sei die erforderliche Rechtsfolgenbelehrung vom Maßnahmeträger anlässlich des Vertragsschlusses vom 16. Juli 2007 erteilt worden, ergibt sich aus dem vorliegenden "Lehrgangsvertrag für SGB II-Kunden" nicht, dass der Antragsteller über Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II bei Abbruch der Maßnahme belehrt worden wäre. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 11. September 2008 belegt auch die Stellungnahme des Schulleiters des Maßnahmeträgers vom 8. September 2008 nicht, dass der Antragsteller über "Sanktionsmöglichkeiten" des Antragsgegners durch Mitarbeiter des Maßnahmeträgers belehrt worden war, bevor es zu der dem Antragssteller angelasteten Ablehnung von Hilfsangeboten und eines Praktikums gekommen war. Aus der Bezugnahme auf "Gespräche bezüglich seines Fehlverhaltens" ergibt sich vielmehr, dass auf die Sanktionsmöglichkeiten nachträglich hingewiesen worden war. Abgesehen davon lässt sich den Angaben auch nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass die Belehrungen richtig, konkret, vollständig und verständlich waren.

Ebenso ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Änderungsbescheides vom 15. November 2007 im tenorierten Umfang der Vorrang zu gewähren, denn bei summarischer Prüfung bestehen insoweit ebenfalls ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 22. August 2007, mit dem dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008 ein Leistungsanspruch in Höhe von 506,57 EUR (Regelleistung 347,- EUR plus 283,57 EUR Kosten der Unterkunft) zuerkannt worden war, war hier nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III nur insoweit zulässig, als der Antragsteller nach dem Erlass des Bewilligungsbescheides Einkommen erzielt hatte, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs auf Alg II geführt hätte.

Für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. März 2008 erweist sich die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 22. August 2007 als rechtswidrig. Die allein in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X sind insoweit nicht erfüllt. Der Antragsteller hat in diesem Zeitraum kein Einkommen erzielt, das zu einem Wegfall oder zur Minderung des Alg II-Anspruchs geführt hätte. Zwar befand er sich seit Februar 2008 erneut in einer Eingliederungsmaßnahme (Päd-Camp GBW). Soweit ihm hierfür eine Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II gezahlt worden sein sollte, handelte es sich aber um "Leistungen nach diesem Buch" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II und mithin nicht um zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne dieser Vorschrift.

Für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. Dezember 2007 erweist sich die vollständige bzw. teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 22. August 2007 nur im nachstehend ausgeführten Umfang als rechtmäßig und insoweit war die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen. Im Übrigen fehlt es an den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Unter Berücksichtung des vom Antragsteller auf Grund seiner Beschäftigung vom 21. September 2007 bis 30. November 2007 bei der "E", die dem Antragsteller jeweils zum 30. des Folgemonats vergütet worden war, zugeflossenen Lohnes hätte sich der Alg II-Anspruch des Klägers für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2007 wie folgt vermindert und mithin war der Bewilligungsbescheid vom 22. August 2007 im angegebenen Umfang aufzuheben:

Für Oktober 2007 hätte sich eine Minderung des Alg II-Anspruchs um 3,57 EUR ergeben, denn dem Antragsteller hätte lediglich ein Betrag in Höhe von 503,- EUR zugestanden. Von dem nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Bruttoerwerbseinkommen in Höhe von 88,88 EUR und dem ebenfalls nach dieser Vorschrift zu berücksichtigenden Kindergeld (vgl. Mecke, in Eicher/Spellbrink, aaO, § 11 Rn. 90) in Höhe von 154,- EUR, das dem nicht im Haushalt der Eltern wohnenden Antragsteller zugeflossen war, waren der gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II für erwerbstätige Hilfsbedürftige zu anzusetzende Grundfreibetrag von 100,- EUR, der zur Vermeidung unbilliger Nachteile bei einem Erwerbseinkommen von weniger als 100,- EUR auch bei anderen Einkommensarten zu berücksichtigen ist (vgl. Mecke, aaO, Rn. 97) sowie die entrichteten Steuern (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II) in Höhe von 14,49 EUR abzuziehen, sodass sich für Oktober 2007 ein anrechenbares Einkommen von 128,39 EUR ergab. Hieraus errechnet sich ein Leistungsanspruch von 503,- EUR (Regelleistung 347,- EUR minus 128,39 EUR = [gerundet gemäß § 41 Abs. 2 SGB II] 219 EUR zuzüglich [gerundet] 284 EUR Kosten der Unterkunft). Dementsprechend war der dem Antragsteller ursprünglich zuerkannte Alg II-Anspruch für Oktober 2007 um 3,57 EUR zu mindern.

Für November 2007 hätte sich eine Minderung des Alg II-Anspruchs um 204,57 EUR ergeben, denn dem Antragsteller hätte lediglich ein Betrag in Höhe von 302,- EUR zugestanden. Für November 2007 waren ausgehend von einem Bruttowerbseinkommen von 399,95 EUR und Kindergeld von 154,- EUR insgesamt 225,29 EUR (Steuern in Höhe von 65,30 EUR zuzüglich Grundfreibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II von 100,- EUR zuzüglich Freibetrag von 59,99 EUR nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II) abzusetzen, sodass ein auf die Regelleistung von 347,- EUR anrechenbares Einkommen von 328,66 EUR verblieb. Hieraus errechnet sich ein Alg II-Anspruch in Höhe von 302,- EUR (347,- EUR minus 328,66 EUR = [gerundet] 18,- EUR plus 284,- EUR Kosten der Unterkunft). Dementsprechend war der dem Antragsteller ursprünglich zuerkannte Leistungsanspruch um 204,57 EUR zu mindern.

Für Dezember 2007 hätte sich eine Minderung des Alg II-Anspruchs um 240,57 EUR ergeben, denn dem Antragsteller hätte lediglich ein Betrag in Höhe von 302,- EUR zugestanden. Für Dezember 2007 waren ausgehend von einem Bruttowerbseinkommen von 456,48 EUR und Kindergeld von 154,- EUR insgesamt 245,86 EUR (Steuern in Höhe von 74,56 EUR zuzüglich Grundfreibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II von 100,- EUR zuzüglich Freibetrag von 71,30 EUR nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II) abzusetzen, sodass ein auf die Regelleistung von 347,- EUR und die Kosten der Unterkunft von 283,57 EUR anrechenbares Einkommen von 364,62 EUR verblieb. Hieraus errechnet sich ein Alg II-Anspruch in Höhe von 266,- EUR (283,57 EUR minus 17,62 EUR = [gerundet] 266,- EUR). Dementsprechend war der dem Antragsteller ursprünglich zuerkannte Leistungsanspruch um 240,57 EUR zu mindern.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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