L 6 R 29/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 RJ 1242/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 R 29/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2004 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des an die Klägerin gerichteten Bescheids vom 16. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2000 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11. Januar 2002 sowie unter Aufhebung des an die Beigeladene gerichteten Bescheids vom 16. Februar 2000 verurteilt, ihr die große Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten H B ungeteilt, dh ohne Berücksichtigung der seitens der Beigeladenen geltend gemachten Witwenrentenansprüche, seit dem 01. Dezember 1999 zu zahlen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine höhere, nämlich ungeteilte, große Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann H B (im Folgenden: der Versicherte (V)) und wendet sich zugleich gegen die Bewilligung einer Witwenrente an dessen geschiedene Ehefrau, die Beigeladene.

Der bei der Beklagten versicherte, 1929 geborene V, Schlosser von Beruf, war zunächst von Mai 1962 bis Dezember 1975 mit der 1941 geborenen Beigeladenen, einer angelernten Winderin, verheiratet. Aus dieser Ehe ist der 1965 geborene Sohn R hervorgegangen. Sie wurde mit Urteil des Landgerichts Krefeld vom. 1975 geschieden, wobei festgestellt wurde, dass V die Scheidung verschuldet hatte. Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe des Urteils wird auf Bl 36 bis 38 der beigezogenen Scheidungsakte des Landgerichts Krefeld – 3 (4) R 302/74 – verwiesen. Zum Zeitpunkt der Scheidung erzielte die Beigeladene aus einer Teilzeitbeschäftigung ein Nettoeinkommen von ca. 500,- DM/Monat, während V als Monteur monatlich etwa 1190,- DM netto verdiente. Am 1976 erwirkte sie ein Versäumnisurteil des Amtsgerichts (AG) Krefeld (5 C 159/76) gegen V, mit dem dieser verpflichtet wurde, ihr und dem gemeinsamen Sohn einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 400,- DM bzw 200,- DM zu leisten. Die Abänderungsklage des V wurde durch Urteil des AG Krefeld vom 1977 (65 F 627/77) abgewiesen. Nach den Entscheidungsgründen betrug das seinerzeitige Nettoeinkommen der Beigeladenen ca 550,- DM bis 600,- DM, während V, der inzwischen von K nach B (W) verzogen war, ca 1.400,- DM bis 1.500,- DM netto im Monat verdiente. Wegen des weiteren Urteilsinhalts wird auf Bl 14 bis 18 des die Beigeladene betreffenden Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Im April 1982 heiratete V, der seit 1980 als Maschinist in der Bäderabteilung des B N arbeitete, die als Verwaltungsangestellte im selben Bezirksamt tätige, 1938 geborene Klägerin (geborene S, verwitwete H). Ab Dezember 1988 erhielt er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Diese betrug ab Juli 1989 ca. 1770,- DM/Monat und im April 1991 ca 1826,- DM. Außerdem bezog V ab Juni 1989 von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder eine Versorgungsrente von monatlich 97,56 DM.

Nachdem sie zuvor seit November 1986 arbeitslos gewesen war, nahm die Beigeladene zum 15. Januar 1990 in K eine Vollzeitbeschäftigung als Kurblerin auf, wobei sie monatlich ca 2.000,- DM netto verdiente. Unter dem 1990 und 1991 erließ das AG Berlin-Neukölln auf der Grundlage des Versäumnisurteils des AG Krefeld aus dem Jahr 1976 (5 C 159/76) zugunsten der Beigeladenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen V wegen rückständigen Unterhalts. Der erste (mit der Geschäfts-Nr. 33 M 4557/90) betraf den Unterhalt für die Monate August 1989 bis März 1990 von jeweils 400,- DM (insgesamt 3200,- DM zzgl. Vollstreckungskosten), der zweite (mit der Geschäfts-Nr. 33 M 5445/90) die Monate April 1990 bis November 1990 (insgesamt ebenfalls 3200,- DM) sowie die Zeit ab Dezember 1990 gleichfalls in Höhe von jeweils 400,- DM (Bd. I Bl. 84, 164 des die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgangs der Beklagten). Wegen dieser Forderungen wurde die Rente des V bis einschließlich Mai 1991 teilweise gepfändet. Nachdem dieser von der Erwerbstätigkeit der Beigeladenen erfahren hatte, beantragte er beim AG Krefeld im Februar 1991 festzustellen, dass er nicht mehr zur Unterhaltsleistung verpflichtet sei. Aufgrund eines Anerkenntnisses der Beigeladenen erging am 1991 ein entsprechendes, rechtskräftig gewordenes Urteil (67 F 30/91). Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe wird auf Bd. II Bl. 228 der Gerichtsakten (GA) verwiesen. Anschließend bemühte sich V (vertreten durch die derzeitigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin) bei der Beigeladenen vergeblich um die Erstattung der als Unterhalt für die Monate Januar 1990 bis Mai 1991 erlangten Beträge in Höhe von insgesamt 6800,- DM. Nachdem die Beigeladene auf ihre mangelnde Leistungsfähigkeit sowie darauf verwiesen hatte, Darlehen zurückzahlen zu müssen, die sie habe aufnehmen müssen, weil V in der Vergangenheit seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei, klagte V eine Rückzahlungsforderung in Höhe von 5200,- DM (jeweils 400,- DM/Monat für die Zeit von Januar 1990 bis Januar 1991) zzgl. Zinsen beim AG Krefeld ein. Am 1992 erging antragsgemäß ein Versäumnisurteil (67 F 46/92 – Bd. II Bl. 239 der GA). Ihren Einspruch nahm die hiesige Beigeladene im April 1993 zurück, nachdem das Gericht zuvor ihr Prozesskostenhilfegesuch mangels Erfolgsaussichten mit der Begründung zurückgewiesen hatte, die erfolgte Ausnutzung eines Titels durch Betreiben der Zwangsvollstreckung stelle eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne von § 826 Bürgerliches Gesetzbuch dar (Bd. II Bl. 241 ff der GA). Die 5200,- DM nebst Zinsen ist die Beigeladene bis heute schuldig geblieben.

Ihre Beschäftigung als Kurblerin endete im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber zum. 1991 durch Aufhebungsvertrag. In ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld vom. 1991 vermerkte der Sachbearbeiter, aufgrund eines ihm vorliegenden ärztlichen Attestes und der ihm bekannten Art der Tätigkeit der Beigeladenen sei die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesundheitlich begründet gewesen; dies könne ohne ärztliches Gutachten festgestellt werden (Bl 59 R der sie betreffenden Leistungsakte des Arbeitsamtes K (Alhi-Akte)). In ihrem Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld von Juni 1992 gab die Beigeladene unter Hinweis auf ein ärztliches Attest an, sie könne wegen "Rückenleiden u. Beine" nur noch leichte Tätigkeiten verrichten (Bl 66R der Alhi-Akte). Im Weiterbewilligungsantrag von Juni 1993 verwies sie als Grund dafür, dass die letzte Tätigkeit für sie zu schwer gewesen sei, auf "Rückenschmerzen u. dicke Füße" (Bl 73R der Alhi-Akte). Nachdem sie zum 1996 in eine teurere Wohnung gezogen war, erhielt sie ergänzend zu Alhi und Wohngeld Sozialhilfe. Bis zum Beginn ihrer Altersrente, die ihr ab Mai 2001 in Höhe von (zunächst) 1080,35 DM bewilligt wurde, blieb die Beigeladene erwerbslos.

Nachdem V am 1999 verstorben war, beantragte am 1999 zunächst die Klägerin, der ab November 1993 eine monatliche Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von ca 1400,- DM bewilligt worden war – inzwischen betrug sie ca. 1550,- DM -, bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente. Einen solchen Antrag stellte Mitte Oktober 1999 auch die Beigeladene, die seit dem Ende ihrer Beschäftigung als Kurblerin von V keinen Unterhalt mehr beansprucht hatte, was sie gegenüber der Beklagten mit ihr erteilten Informationen erklärte, dass ohnehin nicht viel dabei herausgekommen wäre, da V inzwischen Rentner und neu verheiratet gewesen sei; außerdem wäre jede Mark Unterhalt bei der Alhi angerechnet worden. Mit Bescheid vom 16. Februar 2000 gewährte die Beklagte der Klägerin eine große Witwenrente, und zwar – hier nicht streitig – für die Zeit vom 1. September bis 30. November 1999, das so genannte Sterbevierteljahr, ungeteilt und ohne Anrechnung eigenen Einkommens in Höhe des monatlichen Altersrentenanspruchs des V von 2178,25 DM netto und – hier streitig – für die Zeit ab 01. Dezember 1999 geteilt in Höhe von 606,68 DM/Monat netto. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte die Beklagte auch der Beigeladenen eine große Witwenrente (so genannte Geschiedenenwitwenrente), und zwar für die Zeit ab 01. November 1999 in Höhe von 606,63 DM/Monat netto.

Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die Aufteilung der Witwenrente und Gewährung einer Rente auch an die Beigeladene. Zur Begründung berief sie sich auf das Anerkenntnisurteil des AG Krefeld vom 12. April 1991, wonach V der Beigeladenen nicht mehr zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2000 mit der Begründung zurück, die Beigeladene habe nach § 243 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) einen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente, da V ihr im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei. Denn ihre Einkommensverhältnisse hätten sich seit dem Anerkenntnisurteil des AG Krefeld gravierend verschlechtert. Die Aufteilung der Witwenrente sei daher nicht zu beanstanden.

Mit ihrer beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Sie bestreite, dass die Beigeladene entgegen dem Anerkenntnisurteil vom 1991 einen Unterhaltsanspruch gegen V gehabt habe. Ihre Behauptung, sie sei arbeitslos und beziehe Alhi, begründe allein noch keinen Unterhaltsanspruch. Es komme dabei auch auf Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit an, die dem vermeintlich Unterhaltsberechtigten zuzumuten sei. Gegebenenfalls seien der Beigeladenen fiktive Einkünfte zu unterstellen. Möglicherweise habe diese den Eintritt der Arbeitslosigkeit durch Kündigung selbst herbeigeführt. Ferner werde bestritten, dass sie sich während der Arbeitslosigkeit nachhaltig und kontinuierlich um neue Arbeitsstellen beworben habe; die Unterhaltsrechtsprechung gehe von der Notwendigkeit von monatlich zehn bis zwölf Bewerbungen aus. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, dass die Beklagte dahin gehende Ermittlungen versäumt habe. Im Übrigen habe die Beigeladene in dem maßgeblichen Zeitraum im Lebensmittelgeschäft ihres Sohnes in K – offenbar "schwarz" – gearbeitet und verdient. Auf den weiteren Vortrag der Klägerin, sie sei mit V nicht – wie im Rentenbescheid ausgewiesen – 193, sondern 202 Monate verheiratet gewesen, hat die Beklagte unter dem 11. Januar 2002 einen Änderungsbescheid erlassen, mit dem der Klägerin rückwirkend eine geringfügig höhere Witwenrente bewilligt wurde.

Die Beigeladene hat den Vorwurf der "Schwarzarbeit" zurückgewiesen. Sie habe im Kiosk ihres Sohnes nur in geringem Umfang ausgeholfen und hierfür gelegentlich eine Stange Zigaretten erhalten. Diese Tätigkeit habe sie dem Arbeitsamt auch mitgeteilt. Eine Arbeitsstelle, die ihren Unterhalt sichergestellt hätte, habe ihr Sohn ihr nicht anbieten können, da der Kiosk das wirtschaftlich nicht hergegeben hätte. Die Beendigung ihres letzten dauerhaften Arbeitsverhältnisses habe sie nicht provoziert. Die Textilfirma, bei der sie beschäftigt gewesen sei, habe wie die gesamte Textilindustrie in K wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt und sei kurze Zeit später geschlossen worden. Nach der Auflösung des Arbeitsvertrages habe sie als 50-Jährige keine neue Arbeitsstelle mehr finden können. Der vor der Ehe ausgeübte Beruf einer Winderin existiere nicht mehr. Auch das Arbeitsamt habe sie nicht mehr vermitteln können.

Das SG Berlin hat die Klage mit Urteil vom 27. Oktober 2004 als unbegründet abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beigeladene habe im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des V einen Unterhaltsanspruch gegen ihn gehabt (§ 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI). Nach § 58 Abs 1 Ehegesetz (EheG), der anzuwenden sei, weil die Scheidung vor dem 01. Juli 1977 erfolgt sei, habe der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Eine Bedürftigkeit der Beigeladenen sei angesichts eines monatlichen Einkommens (in Form von Alhi), welches ergänzende Sozialhilfe erfordert habe, nicht zu bestreiten. Die Kammer gehe nicht von maßgeblichen weiteren Einnahmen der Beigeladenen aus. Der unsubstanziierte Vortrag der Klägerin, diese habe Einkünfte aus Schwarzarbeit erzielt, führe nicht zu einer anderen Betrachtung. Dass sie ihrem Sohn in dessen Kiosk zeitweise gegen "Entgelt" in Form von Zigaretten ausgeholfen habe, überschreite nicht die Geringfügigkeitsschwelle und könne zudem als familienhafte Mithilfe angesehen werden. Ein die Bedürftigkeit minderndes "Schwarzarbeitbeschäftigungsverhältnis" sei nicht dargetan. Der Forderung der Klägerin, die Beigeladene müsse für das letzte Jahr vor V’s Tod Bewerbungsbemühungen nachweisen, um ihre Bedürftigkeit zu belegen, folge die Kammer angesichts ihres Alters von 57 bzw 58 Jahren und ihrer langjährigen Arbeitslosigkeit nicht. Es habe nach der Alhi-Akte in diesem Zeitraum keine Sperrzeit wegen fehlender (subjektiver) Verfügbarkeit gegeben. Die Beigeladene habe zuvor nicht in einem Beruf mit Facharbeiterqualifikation gearbeitet, was die Einstellungschancen erhöht hätte. Weitere für die Unterhaltsbedürftigkeit speziell dokumentierte Bewerbungsbemühungen seien von ihr angesichts der der Kammer auch aus anderen Zusammenhängen bekannten Arbeitsmarktlage nicht zu erwarten gewesen.

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin ergänzend bzw vertiefend geltend: Das SG habe bei der Prüfung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs der Beigeladenen die Darlegungs- und Beweislastverteilung verkannt, indem sie diese unzulässigerweise ihr (der Klägerin) zugewiesen habe. Gedanklich habe das SG eine fiktive Klage der Beigeladenen gegen V auf Zahlung nachehelichen Unterhalts im letzten Jahr vor seinem Tod wie ein Familiengericht prüfen müssen. Zur Schlüssigkeit einer derartigen Unterhaltsklage hätte nicht nur ein vollständiger Tatsachenvortrag zur aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Situation der Beigeladenen gehört, sondern vor allem der Nachweis ausreichender, von der Rechtsprechung dem Unterhaltsbegehrenden zugemuteter Bemühungen um den Erhalt einer Erwerbsstelle, wobei die Unterhaltsrechtsprechung den Nachweis von mindestens 30 Bewerbungsschreiben je Monat verlange. Das alles habe das SG unbeachtet gelassen. Die Tatsache, dass die Beigeladene im maßgeblichen Zeitpunkt 57 bzw 58 Jahre alt gewesen sei, gebe für die Prüfung ihrer Unterhaltsbedürftigkeit nichts her. Es werde bestritten, dass sie seinerzeit gesundheitliche Probleme gehabt habe, die körperlich schwere und mittelschwere Arbeiten nicht mehr zugelassen hätten, und sie deswegen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu vermitteln gewesen sei. Im Übrigen habe die Beigeladene ihren vermeintlichen Unterhaltsanspruch dadurch verwirkt, dass sie den infolge der Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit im Januar 1990 unrichtig gewordenen Unterhaltstitel in sittenwidriger Weise in der Weise ausgenutzt habe, dass sie in die Rente des V vollstreckt habe, zumal die so erreichte Bereicherung in Höhe von 5200,- DM mangels Rückzahlung bis heute fortbestehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Berlin vom 27. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des an die Klägerin gerichteten Bescheids vom 16. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2000 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11. Januar 2002 sowie unter Aufhebung des an die Beigeladene gerichteten Bescheids vom 16. Februar 2000 zu verurteilen, ihr die große Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten H B ungeteilt, dh ohne Berücksichtigung der seitens der Beigeladenen geltend gemachten Witwenrentenansprüche, seit dem 01. Dezember 1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie verweist auf die Gründe des SG-Urteils.

Auch die Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie macht geltend, ihrem Unterhaltsanspruch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des V könnten mangelnde Bemühungen um Erwerbstätigkeit nicht entgegen gehalten werden. In ihrem damaligen Alter sei sie ohne qualifizierte Ausbildung und mit gesundheitlichen Problemen, die körperliche schwere und mittelschwere Arbeit nicht mehr zugelassen hätten, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu vermitteln gewesen. Schon als junge Frau habe sie Probleme mit dem Rücken gehabt. Ihre letzte Tätigkeit als Kurblerin habe sie aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen; sie habe die schwere Arbeit in der Textilindustrie nicht mehr schaffen können. Körperlich leichte Arbeit habe es im Betrieb ihres letzten Arbeitgebers für sie nicht gegeben. Sie habe ihren Unterhaltsanspruch auch nicht verwirkt, was hier dazu führen würde, dass sie ergänzend zu ihrer kleinen Rente dauerhaft Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen müsse. Die Unterhaltsüberzahlung sei nur für einen relativ kurzen Zeitraum erfolgt. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 05. April 1990 habe überwiegend Unterhaltsansprüche aus dem Jahr 1989, also solche aus der Zeit vor Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit im Januar 1990, betroffen. Im Übrigen sei es immer nur um Aufstockungsunterhalt (unter Berücksichtigung eigenen Einkommens) gegangen. Bei der Frage der Verwirkung sei ferner zu berücksichtigen, dass ihre Ehe mit V aus dessen Verschulden geschieden worden sei und er sie damals mit dem 10-jährigen Sohn allein gelassen habe. Sein damaliges Verschulden – wiederholte Körperverletzungen, eine üble Misshandlung, ständige Beleidigungen sowie die Aufnahme von ehewidrigen Beziehungen zur jetzigen Klägerin – sei auf der Grundlage der damaligen Gesetzeslage deutlich höher zu bewerten als die Unterhaltsüberzahlung. Dass sie die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten 5200,- DM nicht zurückgezahlt habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie wieder arbeitslos geworden sei und den Offenbarungseid habe ablegen müssen. Im Übrigen könne sich die Klägerin jetzt nicht mehr mit Erfolg auf Verwirkung berufen, nachdem dies weder V in den beiden Verfahren vor dem AG Krefeld 67 F 30/91 und 67 F 46/92 noch sie selbst im hiesigen erstinstanzlichen Verfahren getan habe.

Im Verhandlungstermin am 12. Dezember 2007 hat der Bevollmächtigte der Klägerin nachträglich auf deren Hinzuziehung zu dem Verwaltungsverfahren gegenüber der Beigeladenen verzichtet. Am Schluss der Sitzung hat der Senat den Rechtsstreit zu weiteren Ermittlungen vertagt. Im Anschluss daran haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung erteilt (vgl § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Rentenakten der Beklagten (drei Bände), die Alhi- und Sozialhilfeakten bezüglich der Beigeladenen sowie Scheidungsakte des Landgerichts Krefeld verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG) und begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits sind beide die anteilige Witwenrente betreffenden, gegenüber der Beigeladenen - dazu unten I. - und der Klägerin – dazu unten II. - ergangenen Bescheide der Beklagten vom 16. Februar 2000 (gegenüber der Klägerin in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2000 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11. Januar 2002). Die Auslegung des gegen die gemäß § 91 Satz 1 SGB VI vorgenommene Aufteilung der Witwenrente zwischen ihr und der Beigeladenen gerichteten Vorbringens der Klägerin ergibt, dass sie nicht nur den ihr selbst erteilten Rentenbescheid mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG), sondern mit einer weiteren Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) auch den an die Beigeladene als geschiedene Ehefrau gerichteten Bescheid angegriffen hat (vgl hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 2200 § 1268 Nr 29 Seite 91; SozR 3-2600 § 91 Nr 1 Seite 3), letzteren allerdings nur insoweit, als er die Kürzung ihrer Rente bedingte. Das war im Monat November 1999 (für den der Beigeladenen erstmals Witwenrente bewilligt wurde) noch nicht der Fall, da dieser noch unter das so genannte Sterbevierteljahr fiel, in dem die Klägerin die große Witwenrente gemäß § 67 Ziff 6 SGB VI mit einem Rentenartfaktor von 1,0 und damit in Höhe von 100% der Vollrente erhalten hat. Für diesen Monat hatte sie an der Aufhebung der Rentenbewilligung zugunsten der Beigeladenen folglich kein Interesse. Für die Zeit ab Dezember 1999 hatte indes deren Rentenberechtigung nach § 243 Abs 2 SGB VI für die Klägerin als (zweite) Witwe die Teilung gemäß § 91 SGB VI zur Folge, so dass sie hierdurch im Sinne von § 54 Abs 2 SGG beschwert war (vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 aaO). Genauso wie dem im Klageverfahren zum Ausdruck gekommenen klägerischen Begehren auch die Anfechtung der Rentengewährung an die Beigeladene zu entnehmen war, war schon im Verwaltungsverfahren im Widerspruch der Klägerin gegen den an sie selbst gerichteten Bescheid vom 16. Februar 2000 zugleich ein Widerspruch gegen den der Beigeladenen erteilten Bescheid vom selben Tag zu sehen, so dass dieser nicht etwa bindend geworden ist (vgl BSG aaO). Über die Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid hat das SG zugleich mit der Leistungsklage auf höhere (ungeteilte) Witwenrente entschieden.

I. Die Gewährung der Geschiedenenwitwenrente an die Beigeladene ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Anspruchsgrundlage ist § 243 Abs 2 SGB VI iVm § 91 Satz 1 SGB VI. Nach der letztgenannten Vorschrift erhält dann, wenn für denselben Zeitraum aus Rentenanwartschaften eines Versicherten Anspruch auf Witwenrente für mehrere Berechtigte besteht, jeder Berechtigte den Teil der Witwenrente, der dem Verhältnis der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten zu der Dauer der Ehen des Versicherten mit allen Berechtigten entspricht. Die Voraussetzungen des 243 Abs 2 SGB VI für einen Anspruch der Beigeladenen auf Gewährung einer (geteilten) großen Witwenrente sind nicht erfüllt. Denn sie hatte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des V gegen ihn keinen Unterhaltsanspruch (243 Abs 2 Nr 3 SGB VI).

Dabei kann die im erstinstanzlichen Verfahren diesbezüglich allein streitige Frage, ob bzw inwiefern die Beigeladene seinerzeit nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterhaltsbedürftig war, insbesondere ob sie sich fiktives, erzielbares Einkommen anrechnen lassen muss, weil ihr eine Erwerbstätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt hätte bestreiten können, möglich und zumutbar war, offen bleiben. Denn die Beigeladene hatte einen etwaigen Unterhaltsanspruch gegen V bereits vor der nach § 243 Abs 2 SGB VI maßgeblichen einjährigen Zeitspanne verwirkt.

Da die Ehe zwischen der Beigeladenen und V vor der grundlegenden Umgestaltung des Ehescheidungsrechts zum 01. Juli 1997 (mit Eingliederung in das Bürgerliche Gesetzbuch und Einführung des Versorgungsausgleichs) geschieden worden ist, findet für den nachehelichen Unterhaltsanspruch der Beigeladenen noch das Ehegesetz (EheG) von 1946 Anwendung, und zwar in der Fassung, die zur Zeit des Todes von V gegolten hat (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 1 Seite 3 f). Die Vorschriften des EheG sind zwar mit Ablauf des 30. Juni 1977 außer Kraft getreten (vgl Art 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421). Hier sind indes die Vorschriften des EheG über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung noch anwendbar, weil die Ehe vor dem In-Kraft-Treten des 1. EheRG am 01. Juli 1977 (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des Gesetzes) durch Urteil vom 02. Oktober 1975 geschieden worden ist (vgl BSG, Urteil vom 23. Mai 2006 – B 13 RJ 4/05 R – juris Rdnr 16).

Nach § 66 EheG damaliger Fassung verwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht oder gegen dessen Willen einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führt. Hier hat die Beigeladene dadurch eine schwere Verfehlung gegenüber V begangen, dass sie Anfang der 90er Jahre ihren titulierten Unterhaltsanspruch vollstreckt hat, obwohl sie diesen, was ihr nicht zweifelhaft sein konnte, infolge der Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit am 15. Januar 1990 bzw des damit einher gehenden Nettoverdienstes von etwa 2000,- DM verloren hatte. Dass die Beigeladene während der Vollzeitbeschäftigung als Kurblerin bei einem solchen Einkommen nicht mehr unterhaltsbedürftig im Sinne von § 58 Abs 1 EheG und folglich gehalten war, von einer (weiteren) Vollsteckung des Unterhaltsanspruch abzusehen, liegt auf der Hand und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Diskutabel ist nur, ob die Erlangung bzw Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse von April 1990 und Januar 1991 eine schwere Verfehlung im Sinne von § 66 EheG darstellt. Dies bejaht der Senat unter Heranziehung der einschlägigen zivilrechtlichen Rechtsprechung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat § 66 EheG wegen der Endgültigkeit einer Verwirkung seit jeher zurückhaltend angewendet. Er hat wiederholt - zunächst zu den Fällen des ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels - entschieden, die Vorschrift greife nur bei besonders groben, nach außen in Erscheinung tretenden Verstößen gegen die Sittenordnung. An einem Fall des ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels hat der BGH auch den Gedanken entwickelt, der Verlust des Unterhaltsanspruchs, der der geschiedenen Ehefrau als einziges geblieben sei, stelle für sie einen nachhaltigen und schweren Nachteil dar; daher könne nur ein Verhalten, das ihren geschiedenen Ehemann "entsprechend schwer" treffen würde, zu diesen weit reichenden Folgen führen (BGHZ 31, 210, 216). In der Folgezeit ist diese Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Abgrenzung schwerer von weniger schweren Verfehlungen und dabei insbesondere für Fälle von gegenüber dem Unterhaltspflichtigen begangenen Vermögensdelikten so formuliert worden, dass die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs eine Pflichtwidrigkeit des Berechtigten voraussetze, die den Verpflichteten "ebenso" oder "ebenso schwer" treffe wie der Verlust des Unterhaltsanspruchs den Berechtigten (BGH Urteil vom 8. November 1972 - IV ZR 109/70 - FamRZ 1973, 182, 183; Urteil vom 8. April 1981 - IVb ZR 566/80 - FamRZ 1981, 539 und juris). Später hat sich beim BGH indes die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Verhältnismäßigkeitssatz in dieser Ausprägung auf täuschende Angaben zur Erlangung von (höherem) Unterhalt durch Angabe zu niedriger Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten nicht wörtlich anzuwenden ist. Es könne, so heißt es im Urteil vom 12. Oktober 1983 – IVb ZR 357/81 – juris Rdnr 19, nicht verlangt werden, dass die mit solchen Angaben bewirkten Unterhaltszahlungen den Unterhaltspflichtigen in seiner wirtschaftlichen Lage ebenso schwer träfen wie der auf einer Anwendung des § 66 EheG beruhende Verlust des Unterhaltsanspruchs den Unterhaltsberechtigten. Denn dann wäre eine "schwere Verfehlung" bei solchen Unterhaltsbetrügereien des Berechtigten nur selten anzunehmen, § 66 EheG also in diesem Bereich kaum anwendbar, weil dem Unterhaltspflichtigen auch bei noch so hoch vorgetäuschter Bedürftigkeit des Berechtigten stets ein gewisser Eigenbedarfsbetrag zur Deckung seines Lebensunterhalts belassen werde, wohingegen die Annahme einer Verwirkung des Anspruchs dem Berechtigten die im Unterhalt liegende Lebensgrundlage nehme, ihn also im Regelfall der Sozialhilfe anheim gebe. Das Fehlen der unterhaltsrechtlichen Sanktion jedoch würde der großen Bedeutung nicht gerecht, die den Angaben des Unterhaltsberechtigten im Rahmen der nachehelichen Verpflichtung, die auf seiner Seite bestehenden Unterhaltsvoraussetzungen wahrheitsgemäß darzulegen, zukomme. Dieser Erwägung entspreche es, so führt der BGH im Urteil vom 12. Oktober 1983 weiter aus (juris Rdnr 20), dass der Senat bereits in einem Urteil vom 8. April 1981 – IVb ZR 566/80 -, das einen Fall unrichtiger Angaben zur Erlangung von Unterhalt betroffen habe, zwar dem Umfang der möglichen wirtschaftlichen Schädigung des Unterhaltspflichtigen für die Beurteilung der Verfehlung eine entscheidende Bedeutung beigemessen, jedoch für die Qualifizierung der Verfehlung als "schwer" nicht verlangt habe, die (mögliche) Schädigung müsse den Verpflichteten "ebenso schwer" treffen wie der Verlust des Unterhaltsanspruchs den Berechtigten. Vielmehr habe der Senat es dort genügen lassen, dass der Schaden den Unterhaltsverpflichteten "empfindlich" treffe, anderenfalls ein derartiges Vermögensdelikt grundsätzlich nicht als schwere Verfehlung angesehen werden könne, es sei denn, dass der Unterhaltsberechtigte aus besonders verwerflicher oder gehässiger Gesinnung gehandelt habe. An diesem Standpunkt halte der Senat fest.

Nach diesen Maßstäben lag in der angesichts des Einkommens der Beigeladenen gänzlich (in Höhe von monatlich 400,- DM) unberechtigt erfolgten Vollstreckung des Unterhaltstitels im Wege der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse von April 1990 und Januar 1991 eine schwere Verfehlung im Sinne von § 66 EheG, soweit Ansprüche ab Januar, jedenfalls aber ab Februar 1990 betroffen waren. Die Vollstreckung hat V, dessen monatliche Einkünfte aus Erwerbsunfähigkeits- und Versorgungsrente bei etwa 1900,- DM (und damit sogar unter denen der Beigeladenen) lagen, wirtschaftlich empfindlich getroffen. Daran änderte auch das (eher bescheidene) Einkommen der Klägerin als Verwaltungsangestellte nichts. Auf den Umstand, dass die unberechtigte Vollstreckung "nur" über einen relativ kurzen Zeitraum erfolgt ist, kann sich die Beigeladene schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, da dies unstreitig nicht ihr Verdienst, sondern allein darauf zurückzuführen ist, dass V (offenbar von dritter Seite) von ihrer Erwerbstätigkeit erfahren hatte. Nichts spricht dafür, dass sie von sich aus von einer weiteren Vollstreckung Abstand genommen hätte, vielmehr hatte sie allem Anschein nach eine Schädigung des V (jedenfalls) in Kauf genommen, die weit über der in Rede stehenden Gesamtsumme von 5200,- DM lag. Das stellte selbst dann eine schwer wiegende Verfehlung im Sinne von § 66 EheG dar, wenn man im Wege einer Gesamtbetrachtung auch die früheren Verfehlungen des V berücksichtigt (vgl dazu BGH, Urteil vom 8. April 1981 - IVb ZR 566/80 – juris Rdnr 7), und zwar nicht nur seine Weigerung, (freiwillig) Unterhalt zu zahlen, sondern auch seine gravierenden Beschimpfungen und tätlichen Angriffe gegenüber der Beigeladene vor und im Zusammenhang mit der Trennung, wie sie im Scheidungsurteil dargestellt sind. Diesen Umständen kommt allenfalls untergeordnete Bedeutung zu. Abgesehen davon, dass sich aus dem Scheidungsurteil ergibt, dass die Beigeladene trotz der geschilderten Behandlung durch V nach der Trennung noch eine Versöhnung versucht hat, muss sie sich entgegen halten lassen, dass sie seinerzeit die Möglichkeit hatte, Strafantrag gegen V zu stellen, und vor allem es sein damaliges Verhalten nicht rechtfertigt, ihn etwa 15 Jahre später in der geschilderten Weise wirtschaftlich gravierend zu schädigen.

Der Einwand der Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs ist auch nicht zu spät erfolgt. Im Verfahren 67 F 30/91 vor dem AG Krefeld, in dem V die Feststellung erstritten hat, nicht mehr zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet zu sein, bestand schon kein Anlass, diesen Gesichtspunkt anzuführen, da die mangelnde Unterhaltsbedürftigkeit der Beigeladenen als Folge ihrer Vollzeitbeschäftigung seinerzeit auf der Hand lag und zukünftige Unterhaltsansprüche nicht in Rede standen. Im Klageverfahren 67 F 46/92 desselben Gerichts ging es um die Rückzahlung zu Unrecht erlangter Unterhaltsleistungen, wofür die Frage einer etwaigen Verwirkung ebenfalls ohne Belang war. Mit dem Einwand der Verwirkung ist die Klägerin schließlich auch nicht deshalb präkludiert, weil sie diesen Aspekt im erstinstanzlichen Verfahren nicht angesprochen hat. Bei der Verwirkung handelt es sich um die inhaltliche Begrenzung eines Rechts, die im Prozess in jeder Instanz von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl Palandt, BGB, 67. Aufl, § 242 Rdnr 96). Neuer Tatsachenvortrag lag dem Verwirkungseinwand nicht zugrunde, abgesehen davon, dass solcher grundsätzlich auch im Berufungsverfahren erfolgen kann (vgl zu der mit Wirkung vom 01. April 2008 eingeführten Möglichkeit, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen, jetzt die §§ 106a, 157a SGG).

II. War der Unterhaltsanspruch der Beigeladenen im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des V verwirkt, war nicht nur Gewährung der (anteiligen) großen Witwenrente an sie rechtwidrig, sondern auch die entsprechend nach § 91 SGB VI (nach Ablauf des Sterbevierteljahres, vgl § 91 Satz 1 iVm § 67 Nr 6 SGB VI) vorgenommene "Reduzierung" der der Klägerin bewilligten Witwenrente. Mit anderen Worten: Mangels Berechtigung der Beigeladenen (dazu oben I.) hat die Klägerin gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI, dessen Voraussetzungen unstreitig vorliegen, ab dem 01. Dezember 1999 (dem Grunde nach) Anspruch auf ungeteilte, also entsprechend höhere große Witwenrente. Auch insoweit hatte ihre Berufung folglich Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht billigem Ermessen und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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