L 7 KA 21/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 316/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 21/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Streit einer gemeinnützigen sozialpädiatrischen Einrichtung um Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung ist bei Festsetzung des Gegenstandswerts auf den Auffangstreitwert zurückzugreifen, multipliziert mit der Anzahl der betroffenen Quartale (hier: 8; Höchstgrenze: 12).

Personalkosten sind kein tauglicher Ansatz zur Ermittlung der wirtschaftlichen Bedeutung einer Ermächtigung für eine gemeinnützige Einrichtung.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung weiterer Vorverfahrenskosten.

Der Kläger betreibt als gemeinnütziger Verein zwei Einrichtungen der sozialpädiatrischen Versorgung behinderter Kinder. Er wurde durch Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte - Zulassungsbezirk Berlin - zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2002 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Der Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Ermächtigung über den 31. Dezember 2002 hinaus wurde vom Zulassungsausschuss für Ärzte durch Beschluss vom 17. Dezember 2002 mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen des § 119 SGB V lägen nicht vor.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch hatte Erfolg. Der Beklagte ermächtigte den Kläger im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme zur Sicherstellung der Versorgung durch Beschluss vom 15. Januar 2003 bis zum 31. März 2003 und hieran anschließend durch Beschluss vom 12. März 2003 bis zum 30. Juni 2003 in dem bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Umfang zur Teilnahme an der sozialpädiatrischen Behandlung von Kindern. Mit Beschluss vom 25. Juni 2003 ermächtigte der Beklagte den Kläger schließlich für den Zeitraum vom 1. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2004 in demselben Umfang wie bisher zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

Mit Schreiben vom 8. Juli 2003 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären und bat außerdem um Erstattung von Anwaltskosten in Höhe von 2.379,16 Euro (10/10 Geschäftsgebühr i.H.v. 1.354,00 Euro, 5/10 Besprechungsgebühr i.H.v. 677,00 Euro, Auslagenpauschale i.H.v. 20,00 Euro und 16 % Mehrwertsteuer i.H.v. 328,16 Euro); als Gegenstandswert gab der Prozessbevollmächtigte des Klägers 906.246,00 Euro an, das Doppelte des zu erwartenden Jahresumsatzes von 453.123,00 Euro (1.150 Krankenscheine, jeweils bewertet mit 394,02 Euro).

Mit Beschluss vom 17. September 2003, dem Kläger bekannt gegeben am 15. Oktober 2003, entschied der Beklagte daraufhin, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war und dem Kläger seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten seien. Ausgehend von einem Gegenstandswert von 32.000,00 Euro (acht Quartale mal 4.000 Euro) wurden die erstattungsfähigen Kosten auf 1.467,40 Euro festgesetzt (10/10 Geschäftsgebühr i.H.v. 830,00 Euro, 5/10 Besprechungsgebühr i.H.v. 415,00 Euro, Auslagenpauschale i.H.v. 20,00 Euro und 16 % Mehrwertsteuer i.H.v. 202,40 Euro).

Im anschließenden Klageverfahren hat sich der Kläger gegen die Höhe der Festsetzung des Gegenstandswertes für das Vorverfahren gewandt. Die quartalsweise Ansetzung des Auffangstreitwerts von 4.000,00 Euro verletze Gebührenrecht. Der Gegenstandswert müsse wie in Zulassungssachen bemessen werden. Entscheidend müsse sein, was für ihn als Kläger auf dem Spiel gestanden habe, nämlich der Verlust der üblichen Jahresumsätze.

Mit Urteil vom 4. Mai 2005 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten unter Änderung seines Beschlusses vom 17. September 2003 verurteilt, dem Kläger weitere Verfahrenskosten in Höhe von 911,76 Euro zu erstatten. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen auf einen Beschluss des Bundessozialgerichts vom 21. Dezember 1995 (6 RKA 7/92) Bezug genommen. Danach entspreche es der Billigkeit, der Berechnung des Streitwerts die aus der Ermächtigung resultierenden Bruttoeinnahmen des Klägers aus Abrechnungen mit den gesetzlichen Krankenkassen bezogen auf einen Zeitraum von zwei Jahren zu Grunde zu legen.

Gegen das ihm am 27. Mai 2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24. Juni 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei allein der Regelstreitwert maßgebend, soweit - wie vorliegend - bei Verlusten ein wirtschaftlicher Wert nicht erkennbar sei. Das Bundessozialgericht habe in dem vom Sozialgericht zitierten Beschluss eine Einzelfallentscheidung getroffen, die nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sei. Maßgebend seien vielmehr die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12. September 2006 (B 6 KA 70/05 B) und vom 19. Dezember 2006 (B 6 KA 45/06 R), wonach abweichend vom dem Grundsatz, dass in Zulassungsstreitigkeiten der Streitwert nach dem durchschnittlichen Gewinn der Arztgruppe aus vertragsärztlicher Tätigkeit für die Dauer von drei Jahren zu bemessen sei, es in atypischen Fällen wie dem vorliegenden, in welchem die Ausgaben der Kläger nicht feststellbar seien, gerechtfertigt sei, den Regelwert von 4.000,00 Euro pro Quartal anzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise ihm eine Erklärungsfrist von 10 Tagen zu gewähren, um die Personalkosten des Klägers für die vertragsärztliche Versorgung zu beziffern.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 17. September 2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Klage ist damit unbegründet; das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben, die Klage ist abzuweisen.

Rechtsgrundlage für die streitige Kostenfestsetzung ist § 63 Abs. 3 Satz 1 SGB X. Danach setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Ausgangspunkt der Berechnung ist der den Gebühren zu Grunde zu legende Gegenstandswert (vgl. den nach § 61 Abs. 1 des Rechtsanwaltsgebührengesetzes noch anzuwendenden § 8 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung [GKG a. F.], da die Mandatserteilung für die anwaltliche Tätigkeit vor dem 1. Juli 2004 erfolgt ist).

Auf der Grundlage dieser Vorschriften ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache, d. h. in der Regel nach dessen wirtschaftlichem Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen, nach Ermessen zu bestimmen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F.). Wie der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F. und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts klarstellen, ist dabei der wirtschaftliche Wert des im Streit befindlichen Anspruchs entscheidend. Bietet der Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte, ist der Streitwert von 4.000,00 Euro anzunehmen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F.).

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit war in vertragsärztlichen Zulassungsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich in Höhe der Einnahmen zu berechnen, die der Arzt im Falle der Zulassung innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren hätte erzielen können, wobei die erzielbaren Einkünfte um die durchschnittlichen Praxiskosten in der jeweiligen Arztgruppe zu mindern waren (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Januar 2000, B 6 KA 22/99 R, zitiert nach juris). Demgegenüber hat der Senat bereits als 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass in vertragsärztlichen Zulassungs- und Ermächtigungsverfahren der Gegen-standswert grundsätzlich auf der Grundlage der Einnahmen zu errechnen ist, die in einem Zeitraum von drei Jahren hätten erzielt werden können, abzüglich des Praxiskostenanteils (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2005, L 7 B 35/04 KA und Beschlüsse des Senats vom 7. Dezember 2005. L 7 B 6/05 KA und vom 29. November 2006, L 7 KA 86/06 sowie vom 23. August 2007, L 7 B 9/07 KA). Dieser Auffassung hat sich das Bundessozialgericht nunmehr unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung für nach dem 1. Januar 2002 rechtshängig gewordene Zulassungsstreitigkeiten aus dem Bereich der Krankenhäuser, der Rehabilitationseinrichtungen und der nichtärztlichen Leistungserbringer angeschlossen. Dabei gilt die Dreijahresfrist allerdings nur für Verfahren, in denen die Zulassung für mindestens drei Jahre streitig ist. Bezieht sich der Rechtsstreit – wie vorliegend –auf einen Zeitraum von weniger als drei Jahren, ist in Anlehnung an § 42 Abs. 3 GKG ein entsprechender Abschlag vorzunehmen (Beschluss des Bundessozialgerichts vom 10. November 2005, B 3 KR 36/05 B = SozR 4-1920 § 52 Nr. 2; vom 1. September 2005, B 6 KA 41/04 R = SozR 4-1920 § 52 Nr. 1; vom 12. September 2006, B 6 KA 70/05 B = SozR 4-1920 § 47 Nr. 1). Grundlage der Wertberechnung ist vorliegend damit der Zeitraum, für welchen die Ermächtigung angestrebt wurde, mithin der Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 (acht Quartale).

Die Höhe des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F. zu bestimmen, mithin auf je 4.000,00 Euro pro Quartal und damit auf insgesamt 32.000,00 Euro festzusetzen. Denn entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich der Wert der ehedem streitbefangenen Ermächtigung nicht hinreichend konkret beziffern. Insbesondere kann nicht – anders als in Streitigkeiten über die Zulassung von Ärzten – an den aufgrund der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erzielbaren Gewinn angeknüpft werden. Denn in diesen Fällen bemisst sich das wirtschaftliche Interesse nach dem angestrebten wirtschaftlichen Erfolg, der sich aus dem Überschuss aus Gesamteinnahmen und Praxisausgaben der betroffenen Ärzte ergibt. Bei dem Kläger handelt es sich jedoch um eine gemeinnützige Einrichtung, die eine Gewinnerzielungsabsicht nicht verfolgt und sich durch unterschiedliche Zuwendungen finanziert. Die Betriebsausgaben sind anders als im Zulassungsstreit etwa eines niedergelassenen Arztes nicht bezifferbar, so dass sich das wirtschaftliche Interesse des Klägers nicht näher bestimmen lässt. Die so vorgenommene Wertberechnung trägt im vorliegenden Fall dem wirtschaftlichen Wert der Zulassung hinreichend Rechnung. Dabei berücksichtigt der Senat die Bedeutung, welche die Ermächtigung für die weitere Tätigkeit des Klägers hat. Diese Bedeutung entspricht seinem Interesse an der erstrebten Entscheidung und ist deshalb bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes in die Berechnung mit einzubeziehen. Maßgeblich ist nicht die subjektive Bedeutung, die der Kläger der Sache beimisst (Affektionsinteresse), sondern der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für ihn hat. In dieser Weise bewertbar sind die rechtliche Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen, die ein Erfolg des Begehrens für die wirtschaftliche oder sonstige Lage des Klägers hat. Mag auch die Entscheidung über die Ermächtigung im streitigen Zeitraum für ihn von existentieller Bedeutung gewesen sein, genügende Anhaltspunkte für eine Bezifferbarkeit dieser Bedeutung sind jedoch nicht ersichtlich, weshalb an der Zugrundelegung des Regelstreitwertes festzuhalten ist (ebenso schon Urteil des Senats vom 23. April 2008, L 7 KA 2/07, zitiert nach juris; rechtskräftig).

Insbesondere musste der Senat nicht dem Hilfsantrag des Klägers folgen, der für die Bestimmung des Gegenstandswerts auf eine Bezifferung von Personalkosten zielte, denn diese spiegeln nicht die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für den Kläger als multifinanzierte gemeinnützige Einrichtung und sind daher kein tragfähiger Ansatz für die Bestimmung des Gegenstandswerts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i. V. m. einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat der Kläger als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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