Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 211/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 40/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab dem 1. Dezember 2003.
Der 1987 geborene Kläger leidet neben einer Kyphoskoliose und einer Muskelathrophie insbesondere am Vollbild des Morbus Recklinghausen, d.h. einer erblichen Krankheit, die vor allem durch Ausbildung zahlreicher gutartiger Geschwülste der peripheren Nerven gekennzeichnet ist; des Weiteren werden seine Nieren beidseits über ein Urostoma abgeleitet. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 100 als Schwerbehinderter anerkannt und berechtigt, Nachteilsausgleiche im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Merkmalen "aG", "H" und "RF" in Anspruch zu nehmen. Er lebt u. a. mit seiner Mutter in einer über einen Fahrstuhl erreichbaren behindertenfreundlichen 6-Zimmer-Wohnung ohne Türschwellen, die mit einem Badezimmer mit einer Badewanne ausgestattet ist. Seit dem 1. April 1995 bezieht er von der Beklagten Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe, und zwar zunächst nach der Pflegestufe I bzw. seit dem 1. Februar 1997 nach der Pflegestufe II; er wird insbesondere von seiner Mutter betreut und gepflegt.
Im Dezember 2003 beantragte er bei der Beklagten, ihm nunmehr Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren, weil sich sein Pflegebedarf weiter erhöht habe. Die Beklagte ließ ihn daraufhin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung des Bundeseisenbahnvermögens (MD-BEV) begutachten, für den die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H nach Durchführung eines Hausbesuchs in ihrem Gutachten vom 8. Januar 2004 zu dem Ergebnis kam: Der Kläger sei weiterhin nur der Pflegestufe II zuzuordnen. Denn sein Pflegebedarf betrage insgesamt nur 204 Minuten täglich, wobei bereits auf die Grundpflege nur 124 Minuten entfielen. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit ihrem Bescheid vom 21. Januar 2004 ab. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004).
Mit seiner Klage hat der Kläger u. a. Atteste des Chefarztes der Kinderchirurgischen Klinik des K B Prof. Dr. S und des Kinderarztes Dr. K vom 13. bzw. vom 27. März 2001 überreicht und geltend gemacht: Die Beklagte habe seinen Pflegebedarf unzureichend eingeschätzt. Soweit sie sich insoweit auf das Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H gestützt habe, habe sie verkannt, dass dieses Gutachten nicht brauchbar sei. Denn darin seien weder die bei ihm vorliegenden Erkrankungen noch die darauf beruhenden Funktionseinschränkungen ausreichend beschrieben worden. Anders als in dem Gutachten dargestellt, leide er nämlich an einem unaufhaltsamen Wachsen monströser Tumormassen, die mit erheblichen Rucksackbildungen einhergingen und das gesamte Abdomen ausmauerten. Das Wachsen dieser Tumormassen habe bereits zu schweren Verformungen des Skeletts sowie zu massiven Schädigungen der inneren Organe geführt, in deren Folge ihm kutane Ureterostomien hätten angelegt werden müssen und seine Atmung erschwert sei. Ferner bestünden erhebliche Hautschäden und es komme immer wieder zu Infektionen der Harnwege. Darüber hinaus lägen psychische Beeinträchtigungen vor. Aufgrund dieser gravierenden Leiden unterliege er zahlreichen funktionellen Einschränkungen und bedürfe für die zur Grundpflege und zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehörenden Verrichtungen Hilfe im Umfang von mindestens 5 Stunden täglich. Hierbei liege sein Grundpflegebedarf deutlich über 4 Stunden täglich, wobei allein auf die Körperpflege mindestens 3 Stunden täglich entfielen, weil wegen der bestehenden Infektionsgefahr sowie der Stomaversorgung insbesondere beim Waschen und Baden besondere Vor- und Nachbereitungshandlungen erforderlich und Vorsicht und Umsicht geboten seien. Zudem falle nach dem Waschen und Baden auch eine intensive Wundversorgung an. Ein erhöhter Hilfebedarf sei ferner für das Entleeren und Wechseln der Urinbeutel zu berücksichtigen. Auch in den Bereichen der Ernährung und der Mobilität liege sein Hilfebedarf deutlich über dem von der Gutachterin des MD-BEV ermittelten Zeiten, weil sie insbesondere um die Zeiten ergänzt werden müssten, die für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben anfielen. Über die von der Gutachterin ermittelten Zeiten hinaus seien überdies auch die Zeiten ergänzend zu berücksichtigen, die für die Pflege im Zusammenhang mit häufiger auftretenden Migräneanfällen entstünden, sowie die Zeiten, die für Gespräche aufgewendet werden müssten, um seinen psychischen Zustand zu stabilisieren. Schließlich seien in die Feststellung des Pflegebedarfs auch die Zeiten einzubeziehen, die dadurch entstünden, dass er nachts wegen seiner sehr flachen und unregelmäßigen Atmung beim Schlafen beobachtet werden müsse.
Das Sozialgericht hat die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. B ist in ihrem Gutachten vom 29. Juli 2005 nach Durchführung eines Hausbesuchs zu dem Ergebnis erlangt: Der Kläger leide an einer massiven Tumorbildung bei Morbus Recklinghausen (seit Geburt) mit Einengung der Bauchorgane und der Lunge, einem Zustand nach Anlage einer künstlichen Urinableitung aus beiden Nieren (Urostoma, im 3. Lebensjahr), Abnutzungserscheinungen bzw. Abnutzung des Skelettssystems, Untergewicht und Minderwuchs sowie Kreislaufregulationsstörungen. Er benötige Hilfe in der Grundpflege im Umfang von insgesamt 178 Minuten täglich, wobei auch auf die nachts erforderliche Körperpflege 139 Minuten, die Ernährung 20 Minuten und die Mobilität 19 Minuten entfielen. In der hauswirtschaftlichen Versorgung liege der Hilfebedarf bei 60 Minuten täglich. Für krankenspezifische Pflegemaßnahmen, die für die Wundpflege sowie für die Versorgung mit Pflasterverbänden bei – zum Zeitpunkt des Hausbesuchs nicht vorhandenen – Hautläsionen erforderlich seien, seien 10 Minuten täglich zu veranschlagen.
Nachdem der Kläger hiergegen eingewandt hatte, dass die von der Sachverständigen ermittelten Zeitwerte zum Teil zu niedrig seien und die Sachverständige verschiedene Hilfen wie das zweimal täglich erforderliche Eincremen, ergänzende Pflegemaßnahmen im Zusammenhang mit dem Entleeren und Wechseln der Urinbeutel, das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben, Pflegemaßnahmen bei Migräneanfällen, die Atmungskontrolle in der Nacht sowie die psycho-soziale Betreuung in Form von stundenlangen Gesprächen zu Unrecht unberücksichtigt gelassen habe, hat das Sozialgericht die Sachverständige Dr. B um Überprüfung ihrer Beurteilung gebeten. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 15. November 2005 hat Dr. B ausgeführt: Das Vorbringen des Klägers rechtfertige keine andere Bewertung, weil die vom Kläger vermissten Hilfestellungen entgegen seiner Auffassung entweder bereits in ausreichendem Maße berücksichtigt worden seien oder aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt werden könnten.
Mit seinem Urteil vom 18. Juli 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld der Pflegestufe III ab dem 1. Dezember 2003. Denn er sei nicht schwerstpflegebedürftig im Sinne der insoweit maßgeblichen Bestimmungen des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI). Soweit hiernach u. a. ein Pflegebedarf von mindestens 5 Stunden im Tagesdurchschnitt vorliegen müsse, von denen mindestens 4 Stunden auf den Bereich der Grundpflege entfallen müssten, fehle es hier jedenfalls an der zweiten Voraussetzung. Nach einer von der Kammer vorgenommenen eigenen Berechnung, die auf den Gutachten von Dr. H und insbesondere Dr. B sowie den Angaben des Klägers aufbaue, belaufe sich der Hilfebedarf in der Grundpflege nämlich auf 228,5 Minuten und erreiche den erforderlichen Grenzwert damit nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers seien hierbei die intensive Wundpflege und die Versorgung mit Pflasterverbänden sowie der mit den Migräneanfällen im Zusammenhang stehende Bedarf nicht zu berücksichtigen, weil insoweit keine Regelmäßigkeit im Sinne eines einmal pro Woche anfallenden Betreuungserfordernisses gegeben sei. Auf den allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsaufwand komme es von vornherein nicht an und auch der Zeitaufwand, der im Zusammenhang mit dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben entstehe, sei unerheblich, weil die insoweit erforderlichen Hilfen nicht der Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause dienten.
Gegen dieses ihm am 19. Februar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. März 2007 bei Gericht eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger überreicht Atteste des Kinderarztes Dr. K und des Oberarztes der Kinderchirurgischen Klinik des K B Dr. L vom 16. bzw. 23. Mai 2007 und macht zur Begründung seiner Berufung geltend: Der Einschätzung des Sozialgerichts, wonach sich sein Hilfebedarf in der Grundpflege auf lediglich 228,5 Minuten belaufe, könne nicht gefolgt werden. Denn es fehlten insoweit (weitere) Hilfen für die Zahnpflege, für die Impulsgabe zum Trinken, für das Gehen und Stehen und für die Wundpflege und Versorgung mit Pflasterverbänden sowie vor allem der ununterbrochene nächtliche Aufsichts- und Betreuungsaufwand. Davon abgesehen habe sich sein Gesundheitszustand inzwischen weiter verschlechtert. Entzündungen und Ulcerationen seien nunmehr permanent lokal zu behandeln; ferner sei eine "Lagerungstherapie" erforderlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2004 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Dezember 2003 Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil im Ergebnis auch weiterhin für zutreffend.
Das Landessozialgericht hat einen Befundbericht des Kinderarztes Dr. K vom 12. Juni 2007 eingeholt und die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B unter Ernennung zur Sachverständigen auch für das Berufungsverfahren zu einer ergänzenden Äußerung aufgefordert. Dr. B hat in ihrer Stellungnahme vom 9. August 2007 nach erneuter Durchführung eines Hausbesuchs ausgeführt: Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich weiter verschlechtert. Die Hauttumore hätten sich vergrößert, die Wirbelsäule und der Rumpf weiter verformt. Im Übrigen lasse sich zurzeit eine Ulceration im Bereich des Gesäßes feststellen. Aufgrund dieser Verschlechterungen habe sich der Pflegebedarf dahingehend geändert, dass nunmehr für das Waschen und Kämmen der Haare, das Waschen und die zusätzliche Säuberung der Haut, das abendliche und nächtliche Lagern sowie den Transfer insgesamt weitere 31 Minuten täglich aufgewandt werden müssten. Darüber hinaus sei bei heißem Wetter ein weiterer Wechsel der Urinbeutel erforderlich. Für die Wundversorgung der seit Längerem bestehenden Ulceration, die meist im Zusammenhang mit dem Waschen und vor dem Ankleiden erfolge, seien 10 – 15 Minuten zu veranschlagen. Verbandswechsel fielen im Umfang von ebenfalls 10 – 15 Minuten täglich an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Denn die zutreffend als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhobene Klage erweist sich ebenfalls als zulässig, aber unbegründet.
Der mit der Klage angegriffene Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe III für die Zeit ab dem 1. Dezember 2003 nicht zu.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 – 3 SGB XI setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe III u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und der Pflegestufe III zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und das Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäschen und Kleidung oder das Beheizen. Die Zuordnung zur Pflegestufe III setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf, und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Des Weiteren muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen müssen.
Die vorgenannten Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Denn entgegen seiner Auffassung fehlt es hier bereits an einem Grundpflegebedarf von mindestens 4 Stunden wöchentlich im Tagesdurchschnitt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B vom 29. Juli 2005 sowie ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 15. November 2005 und 9. August 2007. Hiernach benötigt der Kläger zwar Hilfen im Bereich der Körperpflege beim Waschen und Baden, beim Waschen und Kämmen der Haare, bei der Mundpflege sowie vor allem bei der Blasen- und Darmentleerung, im Bereich der Ernährung bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung sowie bei der Getränkezufuhr in Form von Impulsgaben und im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden, beim Gehen und Stehen sowie mittlerweile beim abendlichen und nächtlichen Lagern. Daneben sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen in Gestalt von Hilfen für die Wundpflege und die Versorgung mit Pflasterverbänden erforderlich. Der für diese Hilfen notwendige Zeitaufwand hat jedoch zu Beginn des hier streitbefangenen Zeitraums ab dem 1. Dezember 2003 unter Außerachtlassung der Zeiten für die vorstehend beschriebenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nur bei maximal 178 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt gelegen und auch unter Hinzurechnung der Zeiten für die krankheitsspezifischen Pflegemaßnamen – ungeachtet ihrer rechtlichen Relevanz – nur einen Wert von maximal 188 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt erreicht. Der unter Außerachtlassung der krankheitsspezifischen Pflegmaßnahmen ermittelte Zeitbedarf von 178 Minuten täglich hat sich sodann infolge der im Gesundheitszustand des Klägers eingetretenen Verschlechterungen auf 209 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt erhöht, weil der Kläger inzwischen ergänzende Hilfen für das Waschen und Kämmen der Haare, das Waschen im Übrigen und die zusätzliche Säuberung der Haut, das abendliche und nächtliche Lagern sowie den Transfer im Umfang von weiteren 31 Minuten täglich benötigt.
An der Richtigkeit dieser Einschätzungen zu zweifeln, sieht der Senat keinen Anlass. Denn sie beruhen auf ausführlichen Gesprächen der Sachverständigen mit dem Kläger und seiner Mutter über die Wohn- und Betreuungssituation des Klägers, körperlichen Untersuchungen des Klägers am 28. Juli 2005 und 31. Juli 2007 in dessen häuslicher Umgebung nebst jeweiliger Befunderhebung sowie einer Auswertung der in den Akten vorhandenen medizinischen Unterlagen. Sie decken sich hinsichtlich der festgestellten Diagnosen im Wesentlichen mit den von den behandelnden Ärzten des Klägers mitgeteilten Gesundheitsstörungen und fußen des Weiteren auf einer differenzierten Darstellung der hieraus abzuleitenden Funktionsbeeinträchtigungen, auf die es für die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs allein ankommt.
Mit dem von Dr. B ermittelten Zeitbedarf von inzwischen 209 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt unterschreitet der Kläger den vom Gesetz geforderten Schwellenwert für die Pflegestufe III in der Grundpflege noch immer um 31 Minuten. Dass diese fehlenden 31 Minuten durch die von der Sachverständigen Dr. B in ihrer letzten Stellungnahme vom 9. August 2007 des Weiteren für notwendig befundenen Hilfen gefüllt werden könnten, ist nicht ersichtlich. Insoweit ist zunächst für die Berücksichtung eines weiteren Wechsels der Urinbeutel kein Raum, weil die Sachverständige diesen Wechsel nur "bei heißem Wetter" und dann auch nur "oftmals" für erforderlich gehalten hat, so dass es an der in § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI geregelten Voraussetzung fehlt, wonach die in Rede stehende Verrichtung mindestens einmal pro Woche anfallen muss (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 29. April 1999 – B 3 P 12/98 R -, zitiert nach juris). Des Weiteren sind die von der Sachverständigen für notwendig erachteten und mit 10 – 15 Minuten täglich veranschlagten Verbandswechsel nicht berücksichtigungsfähig. Denn bei diesen Verbandswechseln handelt es sich um zur Behandlungspflege gehörenden krankheitsspezifischen Pflegmaßnahmen, die nach § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB XI nicht dem Bereich der Grundpflege zugerechnet werden können, weil sie weder untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI sind noch mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehen. Damit bedarf hier keiner Entscheidung, ob Letzteres auch für die von der Sachverständigen weiter für notwendig erachtete Wundversorgung inklusive Sitzbad zur Wundreinigung zu gelten hat oder ob diese Verrichtung – sofern sie überhaupt für einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten regelmäßig einmal pro Woche anfallen sollte – in den Bereich der Grundpflege fällt. Denn die Sachverständige hat den zeitlichen Bedarf hierfür ebenfalls nur auf maximal 15 Minuten täglich veranschlagt, der jedoch für sich genommen nicht genügt, um den Schwellenwert von 4 Stunden zu erreichen.
Weitere Hilfen als die von der Sachverständigen Dr. B in Betracht gezogenen Verrichtungen sind entgegen der Auffassung des Klägers in seinem Fall nicht zu berücksichtigen. Denn anders als der Kläger meint, stellt zunächst der von ihm geltend gemachte allgemeine Aufsichts- und Betreuungsaufwand keine Katalogverrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI dar (vgl. z. B. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 8). Des Weiteren kommt es für die Feststellung des Zeitaufwands bei der Grundpflege auf die aus seiner Sicht notwendige Überwachung seiner Atmung in der Nacht nicht an, weil es auch insoweit nur um eine bloße Beaufsichtigung, nicht jedoch um eine verrichtungsbezogene Hilfestellung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI geht (vgl. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 11). Auch die psycho-soziale Betreuung ist für die Grundpflege ohne Belang, weil sie ebenfalls keine Katalogverrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI ist. Weiterhin ist der Hilfebedarf bei Migräneanfällen nicht berücksichtigungsfähig, weil er nicht regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfällt. Schließlich sind auch die für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlichen Hilfen außer Betracht zu lassen, die im Fall des Klägers allein der Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben dienen. Denn Hilfen bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich sind, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim vermeiden (vgl. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 16). Dies ist bei den vom Kläger geltend gemachten Hilfen nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab dem 1. Dezember 2003.
Der 1987 geborene Kläger leidet neben einer Kyphoskoliose und einer Muskelathrophie insbesondere am Vollbild des Morbus Recklinghausen, d.h. einer erblichen Krankheit, die vor allem durch Ausbildung zahlreicher gutartiger Geschwülste der peripheren Nerven gekennzeichnet ist; des Weiteren werden seine Nieren beidseits über ein Urostoma abgeleitet. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 100 als Schwerbehinderter anerkannt und berechtigt, Nachteilsausgleiche im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Merkmalen "aG", "H" und "RF" in Anspruch zu nehmen. Er lebt u. a. mit seiner Mutter in einer über einen Fahrstuhl erreichbaren behindertenfreundlichen 6-Zimmer-Wohnung ohne Türschwellen, die mit einem Badezimmer mit einer Badewanne ausgestattet ist. Seit dem 1. April 1995 bezieht er von der Beklagten Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe, und zwar zunächst nach der Pflegestufe I bzw. seit dem 1. Februar 1997 nach der Pflegestufe II; er wird insbesondere von seiner Mutter betreut und gepflegt.
Im Dezember 2003 beantragte er bei der Beklagten, ihm nunmehr Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren, weil sich sein Pflegebedarf weiter erhöht habe. Die Beklagte ließ ihn daraufhin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung des Bundeseisenbahnvermögens (MD-BEV) begutachten, für den die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H nach Durchführung eines Hausbesuchs in ihrem Gutachten vom 8. Januar 2004 zu dem Ergebnis kam: Der Kläger sei weiterhin nur der Pflegestufe II zuzuordnen. Denn sein Pflegebedarf betrage insgesamt nur 204 Minuten täglich, wobei bereits auf die Grundpflege nur 124 Minuten entfielen. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit ihrem Bescheid vom 21. Januar 2004 ab. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004).
Mit seiner Klage hat der Kläger u. a. Atteste des Chefarztes der Kinderchirurgischen Klinik des K B Prof. Dr. S und des Kinderarztes Dr. K vom 13. bzw. vom 27. März 2001 überreicht und geltend gemacht: Die Beklagte habe seinen Pflegebedarf unzureichend eingeschätzt. Soweit sie sich insoweit auf das Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H gestützt habe, habe sie verkannt, dass dieses Gutachten nicht brauchbar sei. Denn darin seien weder die bei ihm vorliegenden Erkrankungen noch die darauf beruhenden Funktionseinschränkungen ausreichend beschrieben worden. Anders als in dem Gutachten dargestellt, leide er nämlich an einem unaufhaltsamen Wachsen monströser Tumormassen, die mit erheblichen Rucksackbildungen einhergingen und das gesamte Abdomen ausmauerten. Das Wachsen dieser Tumormassen habe bereits zu schweren Verformungen des Skeletts sowie zu massiven Schädigungen der inneren Organe geführt, in deren Folge ihm kutane Ureterostomien hätten angelegt werden müssen und seine Atmung erschwert sei. Ferner bestünden erhebliche Hautschäden und es komme immer wieder zu Infektionen der Harnwege. Darüber hinaus lägen psychische Beeinträchtigungen vor. Aufgrund dieser gravierenden Leiden unterliege er zahlreichen funktionellen Einschränkungen und bedürfe für die zur Grundpflege und zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehörenden Verrichtungen Hilfe im Umfang von mindestens 5 Stunden täglich. Hierbei liege sein Grundpflegebedarf deutlich über 4 Stunden täglich, wobei allein auf die Körperpflege mindestens 3 Stunden täglich entfielen, weil wegen der bestehenden Infektionsgefahr sowie der Stomaversorgung insbesondere beim Waschen und Baden besondere Vor- und Nachbereitungshandlungen erforderlich und Vorsicht und Umsicht geboten seien. Zudem falle nach dem Waschen und Baden auch eine intensive Wundversorgung an. Ein erhöhter Hilfebedarf sei ferner für das Entleeren und Wechseln der Urinbeutel zu berücksichtigen. Auch in den Bereichen der Ernährung und der Mobilität liege sein Hilfebedarf deutlich über dem von der Gutachterin des MD-BEV ermittelten Zeiten, weil sie insbesondere um die Zeiten ergänzt werden müssten, die für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben anfielen. Über die von der Gutachterin ermittelten Zeiten hinaus seien überdies auch die Zeiten ergänzend zu berücksichtigen, die für die Pflege im Zusammenhang mit häufiger auftretenden Migräneanfällen entstünden, sowie die Zeiten, die für Gespräche aufgewendet werden müssten, um seinen psychischen Zustand zu stabilisieren. Schließlich seien in die Feststellung des Pflegebedarfs auch die Zeiten einzubeziehen, die dadurch entstünden, dass er nachts wegen seiner sehr flachen und unregelmäßigen Atmung beim Schlafen beobachtet werden müsse.
Das Sozialgericht hat die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. B ist in ihrem Gutachten vom 29. Juli 2005 nach Durchführung eines Hausbesuchs zu dem Ergebnis erlangt: Der Kläger leide an einer massiven Tumorbildung bei Morbus Recklinghausen (seit Geburt) mit Einengung der Bauchorgane und der Lunge, einem Zustand nach Anlage einer künstlichen Urinableitung aus beiden Nieren (Urostoma, im 3. Lebensjahr), Abnutzungserscheinungen bzw. Abnutzung des Skelettssystems, Untergewicht und Minderwuchs sowie Kreislaufregulationsstörungen. Er benötige Hilfe in der Grundpflege im Umfang von insgesamt 178 Minuten täglich, wobei auch auf die nachts erforderliche Körperpflege 139 Minuten, die Ernährung 20 Minuten und die Mobilität 19 Minuten entfielen. In der hauswirtschaftlichen Versorgung liege der Hilfebedarf bei 60 Minuten täglich. Für krankenspezifische Pflegemaßnahmen, die für die Wundpflege sowie für die Versorgung mit Pflasterverbänden bei – zum Zeitpunkt des Hausbesuchs nicht vorhandenen – Hautläsionen erforderlich seien, seien 10 Minuten täglich zu veranschlagen.
Nachdem der Kläger hiergegen eingewandt hatte, dass die von der Sachverständigen ermittelten Zeitwerte zum Teil zu niedrig seien und die Sachverständige verschiedene Hilfen wie das zweimal täglich erforderliche Eincremen, ergänzende Pflegemaßnahmen im Zusammenhang mit dem Entleeren und Wechseln der Urinbeutel, das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben, Pflegemaßnahmen bei Migräneanfällen, die Atmungskontrolle in der Nacht sowie die psycho-soziale Betreuung in Form von stundenlangen Gesprächen zu Unrecht unberücksichtigt gelassen habe, hat das Sozialgericht die Sachverständige Dr. B um Überprüfung ihrer Beurteilung gebeten. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 15. November 2005 hat Dr. B ausgeführt: Das Vorbringen des Klägers rechtfertige keine andere Bewertung, weil die vom Kläger vermissten Hilfestellungen entgegen seiner Auffassung entweder bereits in ausreichendem Maße berücksichtigt worden seien oder aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt werden könnten.
Mit seinem Urteil vom 18. Juli 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld der Pflegestufe III ab dem 1. Dezember 2003. Denn er sei nicht schwerstpflegebedürftig im Sinne der insoweit maßgeblichen Bestimmungen des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI). Soweit hiernach u. a. ein Pflegebedarf von mindestens 5 Stunden im Tagesdurchschnitt vorliegen müsse, von denen mindestens 4 Stunden auf den Bereich der Grundpflege entfallen müssten, fehle es hier jedenfalls an der zweiten Voraussetzung. Nach einer von der Kammer vorgenommenen eigenen Berechnung, die auf den Gutachten von Dr. H und insbesondere Dr. B sowie den Angaben des Klägers aufbaue, belaufe sich der Hilfebedarf in der Grundpflege nämlich auf 228,5 Minuten und erreiche den erforderlichen Grenzwert damit nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers seien hierbei die intensive Wundpflege und die Versorgung mit Pflasterverbänden sowie der mit den Migräneanfällen im Zusammenhang stehende Bedarf nicht zu berücksichtigen, weil insoweit keine Regelmäßigkeit im Sinne eines einmal pro Woche anfallenden Betreuungserfordernisses gegeben sei. Auf den allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsaufwand komme es von vornherein nicht an und auch der Zeitaufwand, der im Zusammenhang mit dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben entstehe, sei unerheblich, weil die insoweit erforderlichen Hilfen nicht der Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause dienten.
Gegen dieses ihm am 19. Februar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. März 2007 bei Gericht eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger überreicht Atteste des Kinderarztes Dr. K und des Oberarztes der Kinderchirurgischen Klinik des K B Dr. L vom 16. bzw. 23. Mai 2007 und macht zur Begründung seiner Berufung geltend: Der Einschätzung des Sozialgerichts, wonach sich sein Hilfebedarf in der Grundpflege auf lediglich 228,5 Minuten belaufe, könne nicht gefolgt werden. Denn es fehlten insoweit (weitere) Hilfen für die Zahnpflege, für die Impulsgabe zum Trinken, für das Gehen und Stehen und für die Wundpflege und Versorgung mit Pflasterverbänden sowie vor allem der ununterbrochene nächtliche Aufsichts- und Betreuungsaufwand. Davon abgesehen habe sich sein Gesundheitszustand inzwischen weiter verschlechtert. Entzündungen und Ulcerationen seien nunmehr permanent lokal zu behandeln; ferner sei eine "Lagerungstherapie" erforderlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2004 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Dezember 2003 Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil im Ergebnis auch weiterhin für zutreffend.
Das Landessozialgericht hat einen Befundbericht des Kinderarztes Dr. K vom 12. Juni 2007 eingeholt und die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B unter Ernennung zur Sachverständigen auch für das Berufungsverfahren zu einer ergänzenden Äußerung aufgefordert. Dr. B hat in ihrer Stellungnahme vom 9. August 2007 nach erneuter Durchführung eines Hausbesuchs ausgeführt: Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich weiter verschlechtert. Die Hauttumore hätten sich vergrößert, die Wirbelsäule und der Rumpf weiter verformt. Im Übrigen lasse sich zurzeit eine Ulceration im Bereich des Gesäßes feststellen. Aufgrund dieser Verschlechterungen habe sich der Pflegebedarf dahingehend geändert, dass nunmehr für das Waschen und Kämmen der Haare, das Waschen und die zusätzliche Säuberung der Haut, das abendliche und nächtliche Lagern sowie den Transfer insgesamt weitere 31 Minuten täglich aufgewandt werden müssten. Darüber hinaus sei bei heißem Wetter ein weiterer Wechsel der Urinbeutel erforderlich. Für die Wundversorgung der seit Längerem bestehenden Ulceration, die meist im Zusammenhang mit dem Waschen und vor dem Ankleiden erfolge, seien 10 – 15 Minuten zu veranschlagen. Verbandswechsel fielen im Umfang von ebenfalls 10 – 15 Minuten täglich an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Denn die zutreffend als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhobene Klage erweist sich ebenfalls als zulässig, aber unbegründet.
Der mit der Klage angegriffene Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe III für die Zeit ab dem 1. Dezember 2003 nicht zu.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 – 3 SGB XI setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe III u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und der Pflegestufe III zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und das Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäschen und Kleidung oder das Beheizen. Die Zuordnung zur Pflegestufe III setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf, und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Des Weiteren muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen müssen.
Die vorgenannten Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Denn entgegen seiner Auffassung fehlt es hier bereits an einem Grundpflegebedarf von mindestens 4 Stunden wöchentlich im Tagesdurchschnitt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B vom 29. Juli 2005 sowie ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 15. November 2005 und 9. August 2007. Hiernach benötigt der Kläger zwar Hilfen im Bereich der Körperpflege beim Waschen und Baden, beim Waschen und Kämmen der Haare, bei der Mundpflege sowie vor allem bei der Blasen- und Darmentleerung, im Bereich der Ernährung bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung sowie bei der Getränkezufuhr in Form von Impulsgaben und im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden, beim Gehen und Stehen sowie mittlerweile beim abendlichen und nächtlichen Lagern. Daneben sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen in Gestalt von Hilfen für die Wundpflege und die Versorgung mit Pflasterverbänden erforderlich. Der für diese Hilfen notwendige Zeitaufwand hat jedoch zu Beginn des hier streitbefangenen Zeitraums ab dem 1. Dezember 2003 unter Außerachtlassung der Zeiten für die vorstehend beschriebenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nur bei maximal 178 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt gelegen und auch unter Hinzurechnung der Zeiten für die krankheitsspezifischen Pflegemaßnamen – ungeachtet ihrer rechtlichen Relevanz – nur einen Wert von maximal 188 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt erreicht. Der unter Außerachtlassung der krankheitsspezifischen Pflegmaßnahmen ermittelte Zeitbedarf von 178 Minuten täglich hat sich sodann infolge der im Gesundheitszustand des Klägers eingetretenen Verschlechterungen auf 209 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt erhöht, weil der Kläger inzwischen ergänzende Hilfen für das Waschen und Kämmen der Haare, das Waschen im Übrigen und die zusätzliche Säuberung der Haut, das abendliche und nächtliche Lagern sowie den Transfer im Umfang von weiteren 31 Minuten täglich benötigt.
An der Richtigkeit dieser Einschätzungen zu zweifeln, sieht der Senat keinen Anlass. Denn sie beruhen auf ausführlichen Gesprächen der Sachverständigen mit dem Kläger und seiner Mutter über die Wohn- und Betreuungssituation des Klägers, körperlichen Untersuchungen des Klägers am 28. Juli 2005 und 31. Juli 2007 in dessen häuslicher Umgebung nebst jeweiliger Befunderhebung sowie einer Auswertung der in den Akten vorhandenen medizinischen Unterlagen. Sie decken sich hinsichtlich der festgestellten Diagnosen im Wesentlichen mit den von den behandelnden Ärzten des Klägers mitgeteilten Gesundheitsstörungen und fußen des Weiteren auf einer differenzierten Darstellung der hieraus abzuleitenden Funktionsbeeinträchtigungen, auf die es für die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs allein ankommt.
Mit dem von Dr. B ermittelten Zeitbedarf von inzwischen 209 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt unterschreitet der Kläger den vom Gesetz geforderten Schwellenwert für die Pflegestufe III in der Grundpflege noch immer um 31 Minuten. Dass diese fehlenden 31 Minuten durch die von der Sachverständigen Dr. B in ihrer letzten Stellungnahme vom 9. August 2007 des Weiteren für notwendig befundenen Hilfen gefüllt werden könnten, ist nicht ersichtlich. Insoweit ist zunächst für die Berücksichtung eines weiteren Wechsels der Urinbeutel kein Raum, weil die Sachverständige diesen Wechsel nur "bei heißem Wetter" und dann auch nur "oftmals" für erforderlich gehalten hat, so dass es an der in § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI geregelten Voraussetzung fehlt, wonach die in Rede stehende Verrichtung mindestens einmal pro Woche anfallen muss (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 29. April 1999 – B 3 P 12/98 R -, zitiert nach juris). Des Weiteren sind die von der Sachverständigen für notwendig erachteten und mit 10 – 15 Minuten täglich veranschlagten Verbandswechsel nicht berücksichtigungsfähig. Denn bei diesen Verbandswechseln handelt es sich um zur Behandlungspflege gehörenden krankheitsspezifischen Pflegmaßnahmen, die nach § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB XI nicht dem Bereich der Grundpflege zugerechnet werden können, weil sie weder untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI sind noch mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehen. Damit bedarf hier keiner Entscheidung, ob Letzteres auch für die von der Sachverständigen weiter für notwendig erachtete Wundversorgung inklusive Sitzbad zur Wundreinigung zu gelten hat oder ob diese Verrichtung – sofern sie überhaupt für einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten regelmäßig einmal pro Woche anfallen sollte – in den Bereich der Grundpflege fällt. Denn die Sachverständige hat den zeitlichen Bedarf hierfür ebenfalls nur auf maximal 15 Minuten täglich veranschlagt, der jedoch für sich genommen nicht genügt, um den Schwellenwert von 4 Stunden zu erreichen.
Weitere Hilfen als die von der Sachverständigen Dr. B in Betracht gezogenen Verrichtungen sind entgegen der Auffassung des Klägers in seinem Fall nicht zu berücksichtigen. Denn anders als der Kläger meint, stellt zunächst der von ihm geltend gemachte allgemeine Aufsichts- und Betreuungsaufwand keine Katalogverrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI dar (vgl. z. B. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 8). Des Weiteren kommt es für die Feststellung des Zeitaufwands bei der Grundpflege auf die aus seiner Sicht notwendige Überwachung seiner Atmung in der Nacht nicht an, weil es auch insoweit nur um eine bloße Beaufsichtigung, nicht jedoch um eine verrichtungsbezogene Hilfestellung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI geht (vgl. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 11). Auch die psycho-soziale Betreuung ist für die Grundpflege ohne Belang, weil sie ebenfalls keine Katalogverrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI ist. Weiterhin ist der Hilfebedarf bei Migräneanfällen nicht berücksichtigungsfähig, weil er nicht regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfällt. Schließlich sind auch die für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlichen Hilfen außer Betracht zu lassen, die im Fall des Klägers allein der Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben dienen. Denn Hilfen bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich sind, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim vermeiden (vgl. BSG SozR 3 – 3300 § 14 Nr. 16). Dies ist bei den vom Kläger geltend gemachten Hilfen nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
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