L 7 KA 65/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 20/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 65/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Im Übrigen sind Kosten der Beigeladenen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger sind die Erben (Ehemann und Sohn) der 2004 verstorbenen Augenärztin Dr. P. Die Verstorbene war in einem der Zulassungsbeschränkung unterliegenden Planungsbereich als Fachärztin für Augenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie betrieb ihre Praxis in Praxisgemeinschaft mit der Vertragsärztin Frau Dr. H in gemeinsamen Räumen in B Hdamm. Die Kläger wenden sich gegen die im Wege der Auswahl erfolgte Zulassung der Beigeladenen zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung als Nachfolgerin der Verstorbenen.

Auf Antrag der Kläger veranlasste der Zulassungsausschuss für Ärzte - Zulassungsbezirk Berlin – die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes der Verstorbenen. Als Bewerber meldeten sich im Laufe der dritten Ausschreibung u. a. die Beigeladene zu 1. und der Beigeladene zu 2., die Fachärzte für Augenheilkunde sind.

Am 26. September 2004 schlossen die Kläger mit dem Beigeladenen zu 2. einen Vertrag über den Verkauf der Augenarztpraxis der Verstorbenen zu einem Kaufpreis von 100.000,00 Euro. Der Vertragsschluss erfolgte zum 1. Oktober 2004 "unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Zulassung des Erwerbers (des Beigeladenen zu 2.) als Vertragsarzt".

Mit Beschluss vom 29. September 2004 ließ der Zulassungsausschuss die Beigeladene zu 1. zur Fortführung der Praxis der Verstorbenen zur vertragsärztlichen Versorgung ab 1. Oktober 2004 zu. Die Anträge der Mitbewerber wurden abgelehnt. Der Beschluss enthielt den Zusatz, dass die vertragsärztliche Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufzunehmen sei. Erfolge dies nicht, ende die Zulassung gemäß § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, alle Bewerber verfügten über eine gleichwertige Qualifikation, doch die Beigeladene zu 1. verfüge über die längste Erfahrung als Fachärztin für Augenheilkunde, nämlich seit Oktober 1999 (Beigeladener zu 2.: Mai 2004).

Gegen die Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen zu 1. legten die Kläger und der Beigeladene zu 2. Widerspruch ein. Die Kläger trugen zur Begründung im Wesentlichen vor: Der Praxissitz sei auf den Beigeladenen zu 2. zu übertragen, mit dem auch schon ein Kaufvertrag über die Praxis abgeschlossen worden sei; die Beigeladene zu 1. habe sich einem Vertragsschluss verweigert. Den Wünschen der Erben in Bezug auf die Praxisnachfolge müsse Rechnung getragen werden. Die Praxisräume Hdamm seien im November 2004 geräumt und – entsprechend dem Kaufvertrag vom 26. September 2004 – in die B Straße überführt worden. Für diese Räume besitze nur der Beigeladene zu 2. eine Mietoption.

In seiner Sitzung vom 8. Dezember 2004 beschloss der Berufungsausschuss für Ärzte, die Widersprüche zurückzuweisen. Die Auswahl der Beigeladenen zu 1. sei rechtsfehlerfrei erfolgt. In der Begründung des Beschlusses wies der Beklagte darauf hin, dass die Beigeladene zu 1. nun unverzüglich Gespräche mit den Klägern aufzunehmen habe mit dem Ziel, alsbald einen Praxisübernahmevertrag abzuschließen. Ohne einen solchen Vertrag könne sie die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnehmen. Nehme sie die Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses auf, ende die Zulassung gemäß § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV kraft Gesetzes.

Die Beigeladene zu 1. besaß zu diesem Zeitpunkt eine Mietoption auf die ehemaligen Praxisräume am H 81. Inventar war in den Praxisräumen nicht mehr vorhanden, weil es von der vormaligen Mitbetreiberin, der über einen eigenen Vertragsarztsitz verfügenden Dr. H, in neue Räume in der B Straße 30 mitgenommen worden war. Zu einer Einigung mit den Klägern über den Praxiskauf kam es nicht, weil kein Einvernehmen über den Verkehrswert gefunden werden konnte. Im Februar 2005 schloss die Beigeladene zu 1. einen Mietvertrag über die ehemaligen, nunmehr geräumten und renovierten Praxisräume am Hdamm. Sie erhielt ihren Vertragsarztstempel und wollte ihre Vertragsarzttätigkeit am 30. März 2005 aufnehmen.

Der Beigeladene zu 2. würde mit Wirkung zum 1. Februar 2005 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und übernahm den Vertragsarztsitz von Dr. H sowie die Praxisräume in der B zum 1. Februar 2005. Seither betreibt er dort seine Augenarztpraxis.

Am 31. Januar 2005 (Montag) haben die Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses vom 8. Dezember 2004 (zugestellt am 29. Dezember 2004) Klage erhoben. Die Beigeladene zu 3. (Arztregister) teilte der Beigeladenen zu 1. daraufhin mit, dass die Klage aufschiebende Wirkung entfalte und sie für die Dauer des Verfahrens nicht berechtigt sei, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen.

Zur Begründung haben die Kläger im Wesentlichen vorgebracht, sie hätten Anspruch auf Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Während die Beigeladene zu 1. nach wie vor nicht bereit sei, einen Kaufpreis zu entrichten, liege hierüber mit dem Beigeladenen zu 2. längst eine vertragliche Vereinbarung vor.

Die Beigeladene zu 1. ist der Klage entgegen getreten und hat darauf hingewiesen, dass die Kläger sich stets geweigert hätten, den Verkehrswert der Praxis in hinreichender Form zu belegen oder feststellen zu lassen. Der in den Raum gestellte Wert von 100.000,00 Euro sei nicht plausibel; irgendeine Leistung habe sie zudem von den Klägern nicht erhalten, da sie weder Inventar, Geräte oder Patientenkartei übernommen habe. Sie sei die einzige Bewerberin dafür, die Praxisräume am angestammten Ort am Hdamm fortzuführen. Der Beigeladene zu 2. habe sich umorientiert.

Am 29. März 2005 hat die Beigeladene zu 1. um Eilrechtsschutz nachgesucht und sinngemäß beantragt, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Berufungsausschusses vom 8. Dezember 2004 anzuordnen. Mit Beschluss vom 10. Juni 2005 hat das Sozialgericht Berlin (S 79 KA 88/05 ER) den Eilantrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. hin (L 7 B 22/05 KA ER) hat der Senat (im Einvernehmen der Beteiligten durch den Berichterstatter) mit Beschluss vom 3. August 2005 den Beschluss des Sozialgerichts geändert und die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Beklagten vom 8. Dezember 2004 angeordnet, weil ansonsten zu Lasten der Beigeladenen zu 1. eine vollständige Entwertung der Zulassungsentscheidung und der übernommenen Praxis drohe, da sie dort derzeit ausschließlich Privatpatienten behandeln dürfe. Hierauf nahm die Beigeladene zu 1. ihre Vertragsarzttätigkeit auf.

Das Sozialgericht Berlin hat der Klage stattgegeben und den Beschluss des Beklagten vom 8. Dezember 2004 aufgehoben (Urteil vom 27. März 2008). Die Kosten des Verfahrens und des Beigeladenen zu 2. hat es dem Beklagten auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 103 Abs. 4 Satz 6 SGB V hätten die Kläger Anspruch auf Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Vom Beklagten hätte berücksichtigt werden müssen, dass schon im Vorfeld ein Praxisübernahmevertrag zwischen Klägern und Beigeladenem zu 2. abgeschlossen worden sei. Ebenfalls habe sich angedeutet, dass Kläger und Beigeladene zu 1. sich nicht über einen Kaufpreis würden einigen können. Im Übrigen sei die Zulassung der Beigeladenen zu 1. nach § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV drei Monate nach dem Beschluss vom 8. Dezember 2004 erloschen.

Gegen das ihm am 4. August 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18. August 2008 Berufung eingelegt. Nach der anderweitigen Zulassung des Beigeladenen zu 2. sei die Beigeladene zu 1. die einzige Bewerberin um den Vertragsarztsitz. In diesem Fall finde keine Auswahlentscheidung nach § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V mehr statt; die wirtschaftlichen Interessen der Erben seien nur in einem Auswahlverfahren zu berücksichtigen. Der Beschluss des Zulassungsausschusses und derjenige des Berufungsausschusses seien mithin so auszulegen, als hätte es nur eine Bewerberin gegeben. Bei der Zulassungsentscheidung handele es sich um einen Dauerverwaltungsakt, für dessen Beurteilung die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich sei. Die wirtschaftlichen Interessen der Kläger habe der Beklagte auch dadurch berücksichtigt, dass er der Beigeladenen zu 1. aufgegeben habe, mit ihnen in Vertragsverhandlungen zu treten. Das Scheitern der Verhandlungen hätten offenbar beide Parteien zu vertreten. Jedenfalls hätten die Kläger durch Erhebung ihrer Klage den Eintritt der Rechtsfolge aus § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV verhindert, denn der Ablauf der 3-Monatsfrist beginne erst nach Bestandskraft des Zulassungsbeschlusses. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 1. ihre vertragsärztliche Tätigkeit nunmehr seit über drei Jahren ausübe, nachdem das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Eilverfahren die sofortige Vollziehung des angefochtenen Beschlusses angeordnet habe. Bei diesem Sachverhalt hätte das Sozialgericht die Zulassung der Beigeladenen zu 1. nicht mehr aufheben dürfen; sie dürfe jetzt darauf vertrauen, dass ihre Zulassung Bestand behalte. Die Aufhebung einer Statusentscheidung nach über dreieinhalb Jahren sei unvertretbar. Das Vertrauen der Beigeladenen zu 1. sei auch schutzwürdig, da sie die Praxis nach Räumung durch die Kläger völlig neu ausgestattet habe. Das Urteil des Sozialgerichts bewirke alles andere als eine Wahrung der Interessen der Kläger. Wenn das Ausschreibungsverfahren nämlich etwa fünf Jahre nach dem Tode der Inhaberin neu anlaufe, müsse berücksichtigt werden, dass eine funktionsfähige Praxis des Praxisgebers nicht mehr vorliege.

Die Beigeladene zu 1. hat gegen das ihr am 2. August 2008 zugestellte Urteil am 27. August 2008 Berufung eingelegt. Einer Verkehrswertermittlung hätten die Kläger sich stets widersetzt. Der Praxiswert sei durch die vollständige Räumung noch vor Dezember 2004 mehr als fraglich gewesen. Die Patientendaten seien an die vormals in Gemeinschaft praktizierende Ärztin Dr. H bzw. an den Beigeladenen zu 2. gegangen, die am ehemaligen Praxissitz den Hinweis angebracht hätten "wir sind umgezogen". Ein zu übernehmender Patientenstamm sei damit nicht mehr vorhanden gewesen. Letztlich gehe es den Klägern nur um den Verkauf der vertragsärztlichen Zulassung selbst, der unstatthaft sei.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und haben der Klägerin angeboten, die Klage gegen Zahlung von 50.000,00 Euro zurückzunehmen. Der Beigeladene zu 2. sei nach wie vor vertraglich an sie gebunden. Die aufschiebende Bedingung, dass er dem Vertragsarztsitz der verstorbenen Dr. P nachfolge, könne noch eintreten, wenn er nämlich auf seine derzeitige Zulassung verzichte. Zu einem solchen Verzicht sei er zivilrechtlich gezwungen. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses vom 8. Dezember 2004 sei im Übrigen der Zeitpunkt seines Erlasses; zu diesem Zeitpunkt habe es mehrere Bewerber gegeben. Die wirtschaftlichen Interessen der Erben seien vom Beklagten nicht berücksichtigt worden.

Die übrigen Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte (zwei Bände) und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. sind zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2008 wird der Sach- und Rechtslage nicht gerecht. Das Sozialgericht hätte die Klage schon als unzulässig verwerfen müssen (unten 1.). Überdies ist die Entscheidung des Berufungsausschusses vom 8. Dezember 2004 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (unten 2.).

1. Die Klage war unzulässig; das Sozialgericht hätte die Kläger nicht als klagebefugt ansehen dürfen (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Spätestens am 1. Februar 2005 haben die Kläger nämlich (rechtlich) die Verfügungsbefugnis über die Augenarztpraxis der Verstorbenen verloren; nach dem Umzug des gesamten Praxisinventars in die B Straße und Aufnahme des Praxisbetriebs durch den Beigeladenen zu 2. am 1. Februar 2005 war zudem (tatsächlich) keine Praxis mehr vorhanden, die auf Veranlassung der Kläger von der Beigeladenen zu 1. hätte fortgeführt werden können. Im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens (§ 103 Abs. 4 SGB V) konnten und durften die Kläger daher keine eigenen Rechte mehr geltend machen.

a) Rechtsgrundlage für die von den Erben der verstorbenen Vertragsärztin angefochtene Entscheidung des Berufungsausschusses ist § 103 Abs. 4 SGB V. Die dort enthaltenen Regelungen über Praxisnachfolgen hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Neuregelungen über die Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen getroffen (siehe Art. 1 Nr. 58 ff. Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I S. 2266, mit der Neufassung des § 103 SGB V in Art. 5 Nr. 60). Wenn für eine Arztgruppe in einem Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet worden sind (§ 103 Abs. 1 und 2 SGB V), kann dort kein Arzt mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Eine Ausnahme davon lässt das Gesetz nur zu, wenn auf Antrag eines ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben dessen Vertragsarztsitz ausgeschrieben und ein Praxisnachfolger ausgewählt wird (§ 103 Abs. 4 SGB V). Das Verfahren der Nachbesetzung ist mehrstufig ausgestaltet. Nach § 103 Abs. 4 SGB V wird, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes endet – wie hier geschehen –, auf Antrag der frei gewordene Vertragsarztsitz durch die Kassenärztliche Vereinigung ausgeschrieben (a.a.O. Sätze 1 und 2). Dann erfolgen die Auswahl und Zulassung eines Bewerbers durch den Zulassungsausschuss; unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, hat der Zulassungsausschuss den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen. Bei der Auswahl der Bewerber sind die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit zu berücksichtigen, ferner, ob der Bewerber der Ehegatte, ein Kind, ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich ausgeübt wurde. (a.a.O. Abs. 4 Sätze 3 bis 5; vgl. zu alldem Bundessozialgericht, Urteil vom 29. September 1998, B 6 KA 1/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 36 sowie Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, S. 134, Rdnr. 42).

In einer Fortführungskonstellation wie der vorliegenden, auf die § 103 Abs. 4 SGB V Anwendung findet, erfordert eine rechtliche Überprüfung der Zulassungsentscheidung grundsätzlich die strikte Trennung zwischen dem Verkauf der Arztpraxis an den Nachfolger einerseits und der diesem öffentlich-rechtlich zu erteilenden Zulassung andererseits; die Arztpraxis als solche ist - im Gegensatz zu Zulassung und Vertragsarztsitz - auch Gegenstand des Privatrechtsverkehrs und kann insbesondere durch Rechtsgeschäft übertragen werden (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 38).

b) Schon der Wortlaut des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V stellt klar, dass nur die "zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben" antrags- und gegebenenfalls klagebefugt sind. Verlieren Erben die Verfügungsbefugnis über eine Praxis, können sie im Nachbesetzungsverfahren keine eigenen Rechte mehr verfolgen; ein Klageverfahren wird unzulässig, weil sie durch die Entscheidung der Zulassungsgremien nicht mehr beschwert sein können (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG).

So liegt es hier: Die Kläger hatten die Praxis der Verstorbenen bereits vor der Entscheidung des Zulassungsausschusses (29. September 2004) durch Vertrag vom 26. September 2004 an den Beigeladenen zu 2. veräußert. Die (privatrechtlich) vereinbarte aufschiebende Bedingung der (öffentlich-rechtlich zu verstehenden) "rechtskräftigen Zulassung des Erwerbers (des Beigeladenen zu 2.) als Vertragsarzt" war zum 1. Februar 2005 eingetreten, denn der Beigeladene war von diesem Zeitpunkt an als Vertragsarzt zugelassen. "Zulassung als Vertragsarzt" im Sinne der aufschiebenden Bedingung kann nämlich nichts anderes bedeuten als die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit an einem bestimmten Ort (hier: Zulassungsbezirk B) durch öffentlich-rechtlichen Akt. Damit war gleichzeitig die Befugnis der Kläger zur Verfügung über die Praxis der Verstorbenen erloschen, denn es liegt auf der Hand, dass sie nicht wirksam in die eine Richtung (des Beigeladenen zu 2.) über die Praxis verfügen und gleichzeitig in die andere Richtung (der Beigeladenen zu 1.) ohne zeitliche Grenze Rechte im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V geltend machen können. Die vereinbarte Geschäftsgrundlage für die Veräußerung der Praxis an den Beigeladenen zu 2. hatte sich zudem verwirklicht: Die Fortführung der Praxis an einem anderen Ort, nämlich in der B Straße , war schon Gegenstand des Vertragsschlusses gewesen; zudem kann der Beigeladene zu 2. auch konkret als Nachfolger der Verstorbenen betrachtet werden, denn er übernahm – wenn auch über die Ärztin Dr. H als Zwischenglied – Inventar und Patientenstamm der Verstorbenen.

c) Doch nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus tatsächlichen Gründen stand es den Klägern nicht offen, eigene Rechte im Nachbesetzungsverfahren geltend zu machen. Das Nachbesetzungsverfahren kann nämlich nur beschritten werden, wenn es eine fortzuführende Praxis tatsächlich gibt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. September 1998, B 6 KA 1/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 37). Die Zulassungsgremien können gemäß § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V einen Zulassungsbewerber nur dann als "Nachfolger" auswählen, wenn eine vertragsärztliche Praxis tatsächlich noch existiert, die bisher von einem Vertragsarzt geführt worden ist und die - wie es § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V voraussetzt - von einem anderen Vertragsarzt fortgeführt werden kann. Ist hingegen eine Arztpraxis, die auf einen potentiellen Nachfolger übertragen werden und von diesem fortgeführt werden könnte, überhaupt nicht (mehr) vorhanden, ist keine Rechtfertigung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens erkennbar (Bundessozialgericht a.a.O., Rdnr. 40, 43).

Übertragen auf den vorliegenden Fall heißt dies: Im Zeitpunkt des Todes der vormaligen Inhaberin des Vertragsarztsitzes war eine fortzuführende Praxis tatsächlich vorhanden, so dass die Kläger den Antrag auf Nachbesetzung gemäß § 103 Abs. Abs. 4 Satz 1 SGB V stellen durften. Mit der vollständigen Räumung der Praxis, Überführung der gesamten Praxiseinrichtung einschließlich Patientenkartei und technischer Geräte in die B Straße und Fortführung der Praxis durch Dr. H bzw. – ab 1. Februar 2005 – den Beigeladenen zu 2. war keine veräußerungsfähige vertragsärztliche Praxis mehr vorhanden, die von einem anderen Vertragsarzt hätte fortgeführt werden können: Die Räume standen leer, medizinisch-technische Infrastruktur, Möbel und Patientenunterlagen waren entfernt, am Eingang wurde auf den Umzug "der Praxis" aufmerksam gemacht. Schon aus diesem Grunde waren die Kläger gegenüber der Entscheidung des Berufungsausschusses nicht (mehr) klagebefugt; es ist nicht ersichtlich, inwieweit sie die Zulassung der Beigeladenen zu 1. zur vertragsärztlichen Versorgung in eigenen Rechten verletzen sollte. Sofern die Erben nämlich in Kauf nehmen oder bewirken, dass die Vertragsarztpraxis sich nach dem Tode des vormaligen Inhabers des Vertragsarztsitzes auflöst – wie hier geschehen –, ist dem Verfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V die Grundlage entzogen, so dass die Erben insoweit auch klageweise keine eigenen Rechte geltend machen können. Diese Sicht der öffentlich-rechtlichen Seite des vorliegenden Falles korrespondiert mit der zivilrechtlichen Seite: Zur Überzeugung des Senats erheben die Kläger nämlich zu Unrecht Kaufpreisforderungen gegenüber der Beigeladenen zu 1., weil diese schlechthin keinen Vermögenswert erlangt hat, der von privatrechtlichem Belang wäre.

2. Daneben hätte die Klage auch als unbegründet behandelt werden müssen, denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte sein ihm nach § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V auszuübendes Ermessen pflichtwidrig gehandhabt hätte. Nach den in § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V enthaltenen gesetzlichen Kriterien darf nämlich bei ansonsten gleicher Qualifikation die Dauer der (fach)ärztlichen Tätigkeit entscheidungserheblich berücksichtigt werden. Hier hatte die Beigeladene zu 1. einen Vorsprung von viereinhalb Jahren gegenüber dem Beigeladenen zu 2. Es liegt auf der Hand, dass es ermessensfehlerfrei ist, dies als ausschlaggebend zu behandeln. Die wirtschaftlichen Interessen der Erben sind gleichzeitig von gewissem Belang, wie § 103 Abs. 4 Satz 6 SGB V zeigt, wonach die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben nur insoweit zu berücksichtigen sind, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswerts der Praxis nicht übersteigt. Hieraus folgt aber gerade nicht, dass Erben – wie hier die Kläger – durch verfrühten Vertragsschluss mit einem Mitbewerber die Entscheidung der Zulassungsgremien geradezu präjudizieren dürfen. Dies würde der strikten Trennung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Seite der Praxisnachfolge zuwiderlaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved