L 11 B 65/08 VG PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 VG 125/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 B 65/08 VG PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2008 wird aufgehoben. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts F R, Dstraße, B, gewährt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die 1959 geborene Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine zum Sozialgericht Berlin erhobene Klage, mit der sie Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gegen den Beklagten geltend macht, weil sie als Minderjährige in der ehemaligen DDR Opfer von Zwangsdoping als Stammspielerin der Volleyballnationalmannschaft geworden sei.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 5. August 2008 die Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es sei nach den beigebrachten Unterlagen wohl davon auszugehen, dass der Klägerin im Alter zwischen 11 und 14 Wachstumshormone verabreicht worden seien, die zu einem vergrößerten Gesichtsrelief, der relativ tiefen Stimmlage, der großen Nase, den großen Händen und der erreichten Körpergröße geführt haben könnten. Doch bezüglich der beschriebenen klinischen Auffälligkeiten sei nicht erkennbar, welche Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz daraus resultieren sollten. Behandlungsbedürftigkeit oder Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht erkennbar. Weiter habe die Klägerin keine Beweismittel für den Zeitpunkt der Verabreichung von Wachstumshormonen angeboten, nicht einmal substantiiert vorgetragen, wann genau die Hormone in welcher Dosis verabreicht worden seien. Ein solcher Vortrag, der zu beweisen sei, sei daher unverzichtbar, wenn die Klägerin angebe, von 1972 bis 1981 gedopt worden zu sein. Ansprüche kämen ohnehin erst für ab dem 16. Mai 1976 (Inkrafttreten des OEG) erfolgte Giftbeibringungen in Betracht. Hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf orthopädischen Fachgebiet, die Klägerin habe sich zahlreichen Operationen unterziehen müssen, sei zur Prüfung eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhanges erforderlich, zu wissen, welches Dopingmittel in welcher Dosis und welcher Darreichungsform wann verabreicht worden sei. Die krankhaften Zustände im Bewegungsapparat könnten nach der Stellungnahme des Dr. F vom 18. Januar 2003 auch in übermäßiger Trainingsbelastung ihre Ursache haben.

Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten am 19. August 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde vom 16. September 2008.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

Ein Beteiligter erhält auf Antrag für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73 a Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. § 114 ff. Zivilprozessordnung – ZPO –). Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann die reale Chance zum Obsiegen ausreichen, während sie bei einer nur entfernten Erfolgschance abzulehnen ist (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, BVerfGE 81, 347, 357).

Vorliegend kann eine hinreichende Erfolgsausausicht der Klage nicht verneint werden, denn das Sozialgericht wird Ermittlungen anzustellen haben, deren Ausgang offen ist.

Die vorliegend zu entscheidende Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die durch Zwang erfolgte Verabreichung von Dopingmitteln an Minderjährige bzw. junge Erwachsene in der ehemaligen DDR einen Anspruch nach dem OEG auslösen kann, ist tatsächlich und rechtlich außerordentlich schwierig und komplex, zumal zu diesem Problemkreis höchstrichterliche Entscheidungen, soweit der Senat sieht, nicht vorliegen.

Soweit das Sozialgericht gemeint hat, die Verabreichung von Dopingsubstanzen sei nach Ort, Zeit und Umfang nicht ausreichend nachzuweisen, stellt sich die Frage, inwieweit angesichts der besonderen Situationen in der ehemaligen DDR hier Beweiserleichterungen nach § 15 des Verfahrensgesetzes in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zur Anwendung kommen können. Des Weiteren hat das Sozialgericht bisher nicht alle angebotenen Beweismittel zur Vergabe der Dopingsubstanzen herangezogen. Denn die Klägerin hat eine Mitspielerin als Zeugin benannt. Diese wird zu den Umständen der möglichen Vergabe von Dopingmitteln zu befragen sein, bevor das Sozialgericht zu der Feststellung gelangen kann, dass die Vergabe von Dopingmitteln nicht nachzuweisen sei.

Ob es insoweit auf den genauen Ort und den Zeitpunkt ankommt, kann im Rahmen der PKH-Bewilligung offen bleiben. Zumindest der Privatdozent Dr. med. D hat in seinem ärztlichen Bericht vom 11. September 2007 ausgeführt, dass aus seiner Sicht kaum Zweifel bestünden, dass in der Vor- und in der Pubertätszeit Wachstumshormone und andere anabole Substanzen verabreicht worden seien.

Auch der Auffassung des Sozialgerichts, dass relevante Funktionsbeeinträchtigungen, die Ansprüche nach dem OEG auslösen könnten, vorliegend nicht gegeben seien, kann der Senat so nicht folgen. Im Arztbrief des Prof. Dr. P und des Dr. M ist ausgeführt, dass bestehende klinische Stigmata durchaus Folge des Dopings mit Wachstumshormonen in der Vorgeschichte sein könnten. Des Weiteren bestanden oder bestehen Essstörungen sowie Schmerzmittel- und Alkoholabusus in der Vorgeschichte. Inwieweit diese Gesundheitsstörungen noch bestehen oder Folgen hinterlassen haben, lässt sich ohne Ermittlungen medizinischer Art nicht sagen.

Auch der Auffassung, dass ein vergrößertes Gesichtsrelief, die relativ tiefe Stimmlage, die relativ große Nase und die großen Hände bei einer weiblichen Person nicht als von der Norm abweichender Körperzustand beurteilt werden könnten, weil keine therapeutischen Konsequenzen bestünden, vermag der Senat in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Sollten diese physiognomischen Besonderheiten hier auf den Gebrauch von Dopingmitteln zurückzuführen sein, kann durchaus eine Behinderung gegeben sein. Welche Funktionsbeeinträchtigungen diese nach sich zieht und ob auf psychischem oder psychiatrischem Fachgebiet Gesundheitsstörungen verblieben sind, lässt sich ohne weitere medizinische Ermittlungen nicht feststellen.

Daher war der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren, da sie wegen des Bezugs von Hartz-IV-Leistungen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung selbst aufzubringen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO)

Der Beschluss ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved