L 31 U 439/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 12/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 U 439/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Übergangsleistungen.

Der 1942 geborene Kläger war als Fassadenmonteur, zuletzt seit 1985 bei der Firma A SAG, tätig. Am 25. Februar 2002 wurde er wegen seit 14 Tagen bestehender rezidivierender retrosternaler, in den Rücken ausstrahlender Schmerzen stationär im Krankenhaus Neukölln aufgenommen, wo er zunächst wegen eines akuten Koronarsyndroms bei koronarer Zweigefäßerkrankung behandelt wurde. Im Entlassungsbericht vom 05. April 2002 ist als Diagnose auch der Verdacht auf ein Bronchialkarzinom des rechten Oberlappens genannt, welches in der Folgezeit operativ entfernt wurde. Durch ein pathologisches Gutachten der Prof. Dr. M/Dr. J vom 20. Dezember 2002 wurde eine relevant erhöhte Asbestbelastung des Lungengewebes festgestellt, es bestehe eine Minimalasbestose und damit ein Befund im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Prof. Dr. F kam mit Gutachten vom 18. Dezember 2002 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Befundkonstellation mit bösartigem primären Lungentumor sowie fokal asbestassoziierten Lungenveränderungen unter dem Bild einer Minimalasbestose und gesichert erhöhter beruflicher Asbeststaubexposition eine BK Nr. 4104 wahrscheinlich sei.

Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten ergaben ausweislich eines Schreibens des Messtechnikers H vom 11. März 2003, dass die Firma A S AG zwar seit Tätigkeitsaufnahme durch den Kläger im Juli 1985 keine Fassadenverkleidungen mit Asbestzementproduktion ausgeführt habe, dass jedoch gelegentlich alte Asbestzement-Fassaden hätten demontiert werden müssen. Die letzte derartige Baumaßnahme mit Asbestfaser-Exposition, bei welcher der Kläger mit tätig gewesen sei, sei im Juli 2000 durchgeführt worden. Insgesamt sei eine Asbestfaser-Exposition gegeben. Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 14. März 2002 Verletztengeld und erkannte durch Bescheid vom 25. Juli 2003 Lungenkrebs i. V. m. Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) als Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV an, gewährte eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v. H. ab 29. Juli 2003. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 14. Juni 2004 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01. Juli 2004.

Einen vom Kläger im November 2005 gestellten Antrag auf Übergangsleistungen lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. November 2005 ab. Denn der Kläger sei nur bis zu seiner Aufnahme der Tätigkeit für die Firma SAG im Juli 1985, nicht jedoch danach asbestexponiert tätig gewesen. Die davor bis Juli 1985 ausgeübte Tätigkeit sei nicht wegen der Lungenkrebserkrankung aufgegeben worden. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er ausführte, dass eine schädigende Exposition nicht auszuschließen gewesen sei, weil - wenn auch nur gelegentlich - noch alte Asbestzementfassaden demontiert werden müssten; außerdem sei die allgemeine Exposition am Arbeitsplatz z. B. durch Staub durchaus geeignet, die vorhandene BK zu verschlimmern. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den Ermittlungen des TAD könne für die Zeit nach Juli 2000 eine Asbestfaserbelastung während der beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen werden. Damit habe auch kein objektiver Zwang zur Unterlassung der beruflichen Tätigkeit als Fassadenbaumonteur bestanden.

Im hiergegen angestrengten Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin eine erneute Stellungnahme des TAD angefordert, in welcher der technische Angestellte H unter dem 05. Juli 2006 nach einer Befragung des ehemaligen Bauleiters des mittlerweile insolventen Betriebes A S AG, Herrn R, ausführte, dass nach Juli 2000 keine weiteren Arbeiten auf "Asbestbaustellen" ausgeführt worden seien.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2008 abgewiesen. Die in § 3 Abs. 2 BKV in Bezug genommene Gefahr einer Verschlimmerung einer Berufskrankheit im Sinne von § 3 Abs. 1 BKV setze entgegen der Auffassung des Klägers ebenso wie die Gefahr der Entstehung oder des Wiederauflebens einer Berufskrankheit voraus, dass weitere Gesundheitsschäden im Sinne des versicherten Krankheitsbildes gerade durch fortgesetzte berufliche Einwirkungen im Sinne des betroffenen Berufskrankheitentatbestandes drohten. Der eindeutige und keine andere Auslegung zulassende Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV verlange als Anspruchsvoraussetzung für Übergangsleistungen dementsprechend, dass wegen einer fortbestehenden Gefahr im Sinne von § 3 Abs. 1 BKV die gefährdende Tätigkeit unterlassen werde. Gefährdend im Sinne der beim Kläger bestehenden BK 4104 der Anlage zur BKV seien berufliche Tätigkeiten mit Asbeststaub-Exposition. Derartige Tätigkeiten seien nach den Ermittlungen des TAD im Betrieb des Klägers zuletzt im Juli 2000 durchgeführt worden. Im Januar 2002, als der Kläger zuletzt in seinem Betrieb gearbeitet habe, habe es zum einen eine Gefahr im Sinne von § 3 BKV und zum anderen eine gefährdende Tätigkeit, die der Kläger aufgeben konnte, nicht mehr gegeben.

Gegen diesen am 5. April 2008 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 9. April 2008 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, dass sich seine Berufskrankheit auch aufgrund anderer beruflicher Einwirkungen als durch Asbest hätte verschlechtern können. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Übrigen für die MdE-Bemessung klargestellt, dass auch nicht berufsbedingte Vorschäden, die zu einer wechselseitigen Beeinflussung der Unfallfolgen führten, durchaus zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 25. Februar 2002 bis 30. Juni 2004 Übergangsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsatz vom 08. April 2008 und vom 23. Juli 2008 mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte gemäß § 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der erstinstanzliche Gerichtsbescheid und der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Übergangsleistungen für den von ihm geltend gemachten Zeitraum.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten, der die "gefährdende Tätigkeit" einstellt, weil die Gefahr einer Entstehung, eines Wiederauflebens oder einer Verschlimmerung einer BK für ihn nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Der Kläger hat vorliegend eine gefährdende Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift nicht mehr ausgeübt und eine solche daher auch nicht aufgeben können, so dass Übergangsleistungen nicht zu gewähren sind. Zur Begründung wird zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Bezug genommen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt. Allein diese Sichtweise entspricht auch Sinn und Zweck der Übergangsleistungen, wie er in der bisher ergangenen Rechtsprechung umfassend dargelegt ist.

Die Übergangsleistung hat als unterstützende Maßnahme den Zweck, den Versicherten im Rahmen der Prävention und zur Vorbeugung weiterer Gesundheitsgefahren zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen, so genannte "Anreizfunktion". Die bei einem Arbeitsplatzwechsel auftretende Verdienstminderung und sonstigen wirtschaftlichen Nachteile sollen abgefedert und dem Versicherten so ein Übergang auf eine ggf. wirtschaftlich ungünstigere Situation erleichtert werden. Im Vordergrund steht bei § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV also der Anreiz, die gefährdende Tätigkeit einzustellen. § 3 BKV hat dabei eine klare präventive Zielrichtung und ist als Maßnahme der Vorbeugung und Krankheitsverhütung von den sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen Entschädigungsleitungen zu unterscheiden. Die Vorschrift ist in die Zukunft gerichtet und will den Versicherten vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen. Ausdrücklich führt das BSG aus, dass § 3 BKV entsprechend dieser Zielrichtung auch bei bereits eingetretenem Versicherungsfall einer BK nicht ausgeschlossen ist, "wenn er trotzdem weiterarbeitet" und damit "weiterhin den Einwirkungen dieser BK ausgesetzt ist" (BSG, Urteil vom 07. September 2004, Aktenzeichen B 2 U 1/03 R, SozR 4-5671 § 3 Nr. 1; zum Übrigen auch BSG, Urteil vom 07. September 2004, Aktenzeichen B 2 U 27/03 R, SozR 4-5671 § 3 Nr. 2, m.w.N.). Neben dem Bestehen einer konkret individuellen Gefahr als erster Voraussetzung ist als Zweitvoraussetzung für den Anspruch auf Übergangsgeld die Einstellung der "gefährdenden Tätigkeit" erforderlich. Des Weiteren ist ein doppelter Kausalzusammenhang Voraussetzung: Es muss ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden Berufskrankheit und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung und der Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile bestehen (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, Aktenzeichen B 2 U 10/00 R, SozR 3-5670 § 3 Nr. 5).

Die Zusammenschau dieser Voraussetzungen macht deutlich, dass bereits die generelle Gefahr, durch bestimmte schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme in die BK-Liste geführt haben, nicht ausreicht, um ein Tätigwerden des Versicherungsträgers bzw. Leistungen nach § 3 BKV beanspruchen zu können. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte über die generelle Gefahr hinaus den besonderen schädigenden Einwirkungen durch seine Arbeit ausgesetzt ist und deswegen unter einer "konkreten, individuellen" Gefahr steht, an einer BK zu erkranken. Das BSG hat deshalb bereits ausdrücklich ausgeführt, dass "die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen (müssen), dass sie im Sinne der Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen, wiederaufleben oder verschlimmern lassen (BSG, Urteil vom 16. März 1995, Aktenzeichen 2 RU 18/94, HV-Info 1995, 1505, m. w. N., zur Vorgängervorschrift § 3 BKVO). Eine nicht im Zusammenhang mit dem einschlägigen BK-Tatbestand stehende Exposition wie die vom Kläger beispielhaft genannte allgemeine Staubentwicklung auf Baustellen reicht damit nicht aus, um eine Gefährdung im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV zu bejahen; hierbei handelt es sich gerade nicht um eine konkrete, individuelle, sondern um eine generelle Gefahr, die man im Übrigen auch bei jeder beruflichen Stressbelastung bejahen würde. Hier würde es am notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der drohenden Berufskrankheit, die nur bei Auslösung durch eine bestimmte Exposition als solche anerkannt wird, und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit fehlen.

Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, sind daher die Voraussetzungen für die Gewährung von Übergangsleistungen nicht erfüllt. Denn der Kläger hat eine gefährdende Tätigkeit bereits zeitlich deutlich vor Bekanntwerden seiner Berufskrankheit nicht mehr ausgeführt. Der Senat entnimmt der Auskunft des TAD vom 05. Juli 2006, dass jedenfalls nach Juli 2000 durch den Betrieb, bei dem der Kläger tätig war, "ausschließlich" Leichtmetallfassaden aus Aluminium hergestellt worden sind. Irgendeine im Hinblick auf die anerkannte BK 4104 relevante oder gefährdende Tätigkeit wurde im Betrieb des Klägers damit nicht mehr verrichtet.

Den vom Kläger angeführten Grundsätzen zur MdE-Feststellung unter Berücksichtigung von Vorschäden vermochte der Senat für die hier einschlägige Problematik nichts zu entnehmen.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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