L 33 R 1326/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 398/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 33 R 1326/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nummer 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. November 1969 bis zum 30. November 1976 und vom 1. August 1979 bis zum 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen. Der 1939 geborene Kläger erwarb nach dem Besuch der Ingenieurschule für Flugzeugbau D mit Urkunde vom 22. Dezember 1961 das Recht, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen Vom 2. Januar 1962 bis zum 31. Januar 1968 war er zunächst als Fertigungstechnologe und im Anschluss als Abteilungsleiter beim VEB S tätig. Vom 1. Februar 1968 bis zum 31. Oktober 1969 arbeitete er als wissenschaftlicher Angestellter bei der D A der L zu Berlin. Vom 1. November 1969 bis zum 31. Dezember 1973 war er beim VEB KR Z und vom 1. Januar 1974 beim VEB R V B (im Folgenden: RVB) tätig. Zunächst arbeitete er als Kundendienstingenieur, im Anschluss als Leiter der Service-Organisation, als Abteilungsleiter und zuletzt als Direktor Export/Import. Vom 1. Dezember 1976 bis zum 31. Juli 1979 war er als Beratungsingenieur bei der B-E GmbH, die später unter den Namen VE betrieb R E- I firmierte, tätig. Ab dem 1. August 1979 bis zum 30. Juni 1990 war er wiederum beim RVB als Leiter des Kundendienstes bzw. als Außenhandelsdirektor (Direktor Export-Import) beim RVB beschäftigt. Eine Versorgungszusage eines Versorgungssystems ist dem Kläger in der DDR nicht erteilt worden.

Mit Bescheid vom 28. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG mit der Begründung ab, der Kläger habe am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausgeübt, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden. Das AAÜG sei deshalb auf ihn nicht anwendbar.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger sein Begehren, die Beklagte zu verpflichten, die Anwendbarkeit des AAÜG und die Zeit vom 1. November 1969 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen, weiter verfolgt. Das Sozialgericht Berlin hat Niederschriften über die Vernehmungen des Zeugen W K (Direktor der Abteilung Forschung und Entwicklung im RVB von Januar 1986 bis zum 30. Juni 1990) und des Zeugen HE (zunächst Programmierer und Softwareentwickler im RVB, ab 1985 ökonomischer Direktor und nach 1990 Betriebsleiter) durch das Sozialgericht Berlin in dem Verfahren S 9 RA 3399/01 in das Verfahren eingeführt und sodann den in der Zeit vom 01. Januar 1974 bis zum 15. Mai 1990 amtierenden Betriebsdirektor des RVB, Dr. M S, als Zeugen vernommen. Darüber hinaus hat es die Niederschrift über die Vernehmungen des Zeugen F Wokurka (Generaldirektor des VEB K R) und der Vernehmung des vorgenannten Zeugen Dr. M S durch das Landessozialgericht (LSG) für das Land Brandenburg in dem Verfahren L 2 RA 14/03 in das Verfahren eingeführt. Nach Hinweis des Sozialgerichts in dem Termin zur mündlichen Verhandlung, dass für die Zeit beim VEB S und bei der D A bereits Überentgelte vom Rentenversicherungsträger berücksichtigt worden seien, hat der Kläger sein Feststellungsbegehren auf die Zeit vom 1. November 1969 bis zum 30. Juni 1990 beschränkt. Mit Urteil vom 26. April 2005 hat das Sozialgericht Berlin der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte verpflichtet hat, die Anwendbarkeit des AAÜG und die Zeit vom 1. November 1969 bis zum 30. November 1976 sowie die Zeit vom 1. August 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung der vorgenannten Zugehörigkeitszeiten zur AVItech sowie der entsprechenden tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte unter Anwendung des AAÜG. Das AAÜG sei auf den Kläger anwendbar, weil er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AAÜG erfülle. Er habe aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen fiktiven Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Denn er habe am Stichtag die persönlichen, sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVItech erfüllt. Er sei berechtigt gewesen, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen; er habe auch eine ingenieurtechnische Tätigkeit am Stichtag, nämlich die des Direktors Export-Import ausgeführt. Schließlich sei er am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie beschäftigt gewesen. Bei dem RVB handele es sich um einen derartigen Produktionsbetrieb. Dies stehe aufgrund der Aussage des langjährigen Betriebsdirektors Dr. S zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge habe dargelegt, dass der Hauptzweck der betrieblichen Tätigkeit des RVB in der Endproduktion von Datenverarbeitungsanlagen bestanden habe, insbesondere der Datenverarbeitungsanlage "1840", von der jährlich etwa 250 Stück hergestellt worden seien. Hierbei habe es sich um industrielle Produktion gehandelt und nicht um die Erbringung von Dienstleistungen. Dies gelte ungeachtet dessen, dass der Betrieb den größten Teil der Komponenten für die zu produzierenden Anlagen nicht selbst gefertigt habe. Denn der Betrieb habe die Anlagen serienmäßig endproduziert, ähnlich wie in der Automobilproduktion. Dass lediglich geringe Stückzahlen der Bildverarbeitungsanlagen hergestellt worden seien, rechtfertige keine andere Beurteilung. Neben der Produktion von Konsumgütern im Werk S sei die Endproduktion von Bildverarbeitungsanlagen die wesentliche Aufgabe des RVB gewesen; diese Fertigung habe dem RVB geprägt. Die sich aus dem Statut ergebenden gegenteiligen Anhaltspunkte seien lediglich widerlegbare Indizien. Die Zeugen K, E, Dr. S und W hätten übereinstimmend ausgesagt, dass dem Vertrieb nur eine untergeordnete Rolle zugekommen sei. Auch die Tatsache, dass der Betrieb im statistischen Betriebsregister der DDR als Reparatur- und Montagebetrieb und nicht als Produktionsbetrieb geführt worden sei, sei lediglich ein – vorliegend widerlegtes – Indiz dafür, dass es sich nicht um einen Produktionsbetrieb gehandelt habe. Hinsichtlich der Zeit vom 1. November 1969 bis zum 31. Dezember 1973 sei die Klage abzuweisen gewesen, weil die betrieblichen Voraussetzungen einer Einbeziehung in die AVItech nicht gegeben seien. Der Kläger sei in dieser Zeit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb beschäftigt gewesen. Gegen das ihr am 20. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 5. Juli 2005, zu deren Begründung sie vorträgt, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht davon auszugehen sei, dass es sich bei dem RVB um einen industriellen Produktionsbetrieb gehandelt habe. Die ihm nach dem Statut des VEB K R zugewiesenen Aufgaben würden keine materielle Produktion darstellen. Auch die Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR bestätige, dass der RVB nicht dem Geltungsbereich der AVItech unterfalle, sondern der Wirtschaftsgruppe 16649 (Reparatur- und Montagebetriebe der Datenverarbeitungs- und Büromaschinenindustrie). Auf das Urteil des LSG Berlin vom 21. April 2004 (– L 17 RA 104/03 –) werde insoweit Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Vernehmung des Herrn V EFstrBals Zeugen, zum Beweis der Tatsache, dass der Beschäftigungsbetrieb des Klägers dem industriellen Produktionssektor der DDR zuzurechnen war, die in der industriellen Herstellung von Sachgütern durch Produktionsbetriebe der DDR verwirklichten Elemente des Fordismus auch in der Organisation, Technik und Technologie des Beschäftigungsbetriebes des Klägers ihren Niederschlag fanden und diese Art der Produktionstätigkeit für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers prägend und von erheblicher Bedeutung für die Erfüllung der Exportverpflichtungen des VEB K R gewesen ist. und die Vernehmung des Zeugen Dr. D W, Sberg 6, R zum Beweis der Tatsache, dass, soweit unter der Chiffre 1 664 1 der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR von "Anlagen" die Rede ist, nur das Grundgerät unter Einschluss darin integrierter Baugruppen verstanden wurde, nicht aber "Anlagen" als eigenständige komplexe Erzeugnisse.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die von dem Sozialgericht Berlin in dem angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen würden im Übrigen nicht bestritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech für den Zeitraum vom 1. November 1969 bis zum 30. November 1976 und vom 1. August 1979 bis 30. Juni 1990 und damit auch keinen Anspruch auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte. Er hat keine Anwartschaft aufgrund einer Zugehörigkeit zur AVItech erworben. Er erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in dieses Versorgungssystem.

Nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 AAÜG hat der vor der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften zuständige Versorgungsträger dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung unverzüglich die Daten mitzuteilen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlich sind. Dazu gehören auch das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen des Berechtigten oder der Person, von der sich die Berechtigung ableitet, die Daten, die sich nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG ergeben, und insbesondere die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, und die als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). Der Versorgungsträger hat dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG durch Bescheid bekannt zu geben (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG).

Im vorliegenden Fall ist das AAÜG auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 01. August 1991, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte – unstreitig – bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat auch in den angefochtenen Bescheiden eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG nicht getroffen.

§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (Urteile des Bundessozialgericht [BSG] vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie – B 4 RA 18/01 R – zitiert nach Juris). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (Urteile des BSG vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R - sowie vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R – zitiert nach Juris). Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVItech in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl. 487) und der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) dazu. Die genannten Vorschriften der DDR sind unabhängig von deren Verwaltungs- und Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; Urteil des BSG vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – zitiert nach Juris). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch auf eine Versorgungszusage nur vor, wenn der Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung; vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Der Kläger war am 30. Juni 1990 berechtigt, die ihm durch staatlichen Zuerkennungsakt verliehene Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Unentschieden lassen kann der Senat hingegen, ob der Kläger im Hinblick auf seine Tätigkeit als Außenhandelsdirektor des RVB (Direktor Export-Import) die sachliche Voraussetzung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit bzw. Beschäftigung am 30. Juni 1990 erfüllt hat. Denn jedenfalls ist die betriebliche Voraussetzung für eine Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech nicht gegeben, weil der RVB kein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens war, da eine industrielle Produktion ihm nicht das Gepräge gegeben hat (vgl. zum RVB auch Urteil des LSG Berlin vom 21. April 2004 – L 17 RA 104/03 -, Urteil des LSG für das Land Brandenburg vom 14. Dezember 2004 – L 2 RA 14/03 - und Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 29. März 2006 - L 16 R 471/05 -, vom 30. Januar 2007 - L 12 RA 32/02 -, vom 30. August 2007 - L 21 R 59/05 –, vom 12. Oktober 2007 – L 1 RA 44/04 – und vom 20. Dezember 2007 – L 1 R 1851/06 - sowie Beschlüsse des BSG vom 5. März 2007 - B 4 RS 58/06 B - und vom 25. März 2008 - B 4 RS 45/07 B -).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Hauptzweck des RVB nicht in der industriellen (serienmäßig wiederkehrenden) Massenfertigung (Herstellung, Anfertigung, Fabrikation) von Sachgütern, sondern im Bereich der Endmontage von Datenverarbeitungsanlagen beim Endabnehmer nach dessen individuellen Erfordernissen aus im Wesentlichen von anderen Betrieben industriell vorgefertigten Komponenten bestand. Nach den Aussagen der von dem Sozialgericht in das Verfahren eingeführten und im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Aussagen der Zeugen K und E aus dem Verfahren des Sozialgerichts Berlin mit dem Aktenzeichen S 9 RA 3399/01 und den ebenfalls von dem Sozialgericht in dieses Verfahren eingeführten Aussagen der Zeugen Dr. S und F W aus dem Verfahren des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg mit dem Aktenzeichen L 2 RA 14/03 sowie des vom Sozialgericht vernommenen Zeugen Dr. S ergibt sich zunächst, dass im RVB insoweit produziert worden ist, als in dem zum Betrieb gehörenden Werk in S ab 1974/1975 Radiogeräte gefertigt worden sind. Diese Produktion hat dem Betrieb allerdings nicht sein Gepräge gegeben, weil nur eine Minderzahl der Beschäftigten an der Produktion der Radiogeräte beteiligt gewesen ist. So waren im Werk S ca. 500 bis 600 Mitarbeiter beschäftigt, während im Vergleich dazu der RVB im Juni 1990 4500 Mitarbeiter hatte. Prägend für den RVB war demgegenüber die Montage und Installation von Großrechenanlagen (vgl. dazu die Aussage der Zeugen K und E aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin S 9 RA 3399/01). Die Zahl der derart montierten und installierten Großrechenanlagen, insbesondere der Anlage "1840", belief sich auf etwa 240 bis 250 im Jahr, woraus sich ergibt, dass eine industrielle Produktion im Sinne einer serienmäßig wiederkehrenden – fabrikmäßigen – Massenproduktion rein zahlenmäßig gar nicht vorgelegen haben kann. Die dergestalt installierten Anlagen wurden darüber hinaus bis zur abgeschlossenen Ausbildung der Mitarbeiter des Endabnehmers und bei größeren Problemen bei der Anwendung auch darüber hinaus vom RVB gewartet. Eigentlicher Gegenstand der Betriebstätigkeit des RVB war aber - neben der Wartung von Computeranlagen, die indessen offensichtlich nicht unter den Begriff der industriellen Produktion fällt - die Zusammenstellung von EDV-Anlagen aus vorgefertigten Komponenten nach Kundenwünschen, wofür auch ein Bildverarbeitungssystem, Steckverbindungen und Kabelbäume produziert worden sind. Das ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen Dr. S und F W vor dem LSG Brandenburg – L 2 RA 14/03. Selbst wenn das Zusammenstellen von EDV-Anlagen nicht als Dienstleistung, sondern als Herstellung eines neues Produkt anzusehen wäre wofür spricht, dass nicht nur Geräte mit schon vorhandenen Nutzungsmöglichkeiten ausgeliefert, sondern die Möglichkeiten zur Nutzung der vorgefertigten Geräte durch den Zusammenbau qualitativ verändert worden sind – ist jedenfalls keine Produktion im Sinne des fordistischen Produktionsmodells gegeben.

Wesentliches Kennzeichen der industriellen Fertigung fordistischer Prägung ist der Massenausstoß von Produkten, die durch Wiederholung von gleichartigen Bearbeitungsvorgängen unter Einsatz von Maschinen, die an die Stelle menschlicher Arbeitskraft treten, hergestellt worden sind. Sofern das Zusammenstellen von Computeranlagen überhaupt als Produktion anzusehen ist, liegt darin jedenfalls eine andere Art der Herstellung von Sachgütern als die Produktion fordistischer Prägung. Der RVB nahm die (endgültige) Zusammensetzung der Anlagen beim Kunden vor. Die "Produktion" erfolgte damit nicht auf dem Betriebsgelände eines Herstellers, wie es für eine industrielle Fertigung fordistischer Art typisch wäre. Insbesondere fehlt es aber an dem Einsatz von Maschinen im Herstellungsprozess. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass bei der Zusammenstellung der Anlagen maschinengestützte Produktionsschritte angefallen sind. Der Zeuge S hat in seinen Aussagen in dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin S 9 RA 398/03 und dem Landesozialgericht Brandenburg L 2 RA 14/03 angegeben, dass die besonderen technischen Produktionsmittel des RVB, die beim Zusammenbau der Anlagen Verwendung gefunden hätten, spezielle Mess- und Prüfgeräte gewesen seien. Mess- und Prüfgeräte dienen aber nur der Kontrolle, sie bewirken keine Umgestaltung. Es gab danach keine maschinelle Bearbeitung der Vorprodukte. Eine Produktion fordistischer Art setzt indessen voraus, dass der Herstellungsprozess in einzelne maschinelle Bearbeitungsschritte aufgespalten ist. Fehlen diese, sind die Bedingungen industrieller Fertigung nicht gegeben. Schon aus diesem Grund kann die im Beschäftigungsbetrieb des Klägers vorgenommene Zusammensetzung von Computeranlagen nicht als Gegenstand industrieller Produktion angesehen werden. Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme einer industriellen Produktion auch daran scheitern muss, dass die Zahl der zusammengesetzten Anlagen nicht ausreichte, um die Voraussetzung einer Massenproduktion zu erfüllen. Exakte Vorgaben zur erforderlichen Stückzahl sind insoweit schwierig zu bestimmen, weil die Schwelle zur Massenproduktion auch von der Art des Produktes abhängig ist.

Danach steht fest, dass am maßgeblichen Stichtag (30. Juni 1990) der Hauptzweck des RVB nicht in der industriellen Produktion von Sachgütern lag, sondern in der Montage bzw. Installation von Großrechenanlagen, insbesondere der Anlage "1840", aus vorgefertigten Komponenten beim Endabnehmer, und zwar nach dessen Anforderungen und Bedürfnissen und der sich hieraus ergebenden "Konfiguration" auch im Hinblick auf die eingesetzte Anwendersoftware.

Dass es sich bei dem RVB nicht um einen Produktionsbetrieb der Industrie gehandelt hatte, ergibt sich auch aus der Gründungsanweisung des RVB vom 20. Dezember 1973 (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2) und dem Statut des VEB K R vom 19. Dezember 1973. § 7 dieses Statuts bestimmte, dass dem RVB der Vertrieb, der technische Kundendienst für Geräte der Datenverarbeitungs- und Rechentechnik, der Vertrieb von Systemunterlagen in den Nordbezirken der DDR und die Wahrnehmung von Leitfunktionen entsprechend der geltenden Kombinatsordnung sowie die Anwenderschulung auf dem Gebiet der Prozessrechentechnik oblagen. Eine inhaltliche Änderung dieses Aufgabenbereichs ist auch in den Nachfolgestatuten des VEB K R nicht erfolgt. In dem am Stichtag maßgebenden Statut des VEB K R vom 25. Juni 1984 heißt es vielmehr in § 8 (Aufgaben der Kombinatsbetriebe), dass die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinatsbetriebe im Reproduktionsprozess des Kombinates in Anwendung der Spezialisierung, Konzentration und Kooperation in den Plankennziffern, anderen Leitungsentscheidungen des Kombinates sowie in Kombinatsordnungen festgelegt werden. Aus den genannten Vorschriften lässt sich nicht einmal ansatzweise entnehmen, dass sich der Schwerpunkt des RVB bis zum maßgebenden Stichtag hin zu einem Produktionsbetrieb der Industrie geändert hätte. Gleiches gilt für die Kennziffer, die der RVB nach der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR hatte. Er unterfiel nämlich der Wirtschaftsgruppe 16649, die Reparatur- und Montagebetrieben der Datenverarbeitungs- und Büromaschinenindustrie vorbehalten war. Er mag daher zwar ein "Industriebetrieb" gewesen sein, aber eben kein Produktionsbetrieb der Industrie, dessen Hauptzweck die industrielle (serienmäßige wiederkehrende) Massenfertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion von Sachgütern war.

Den insoweit hilfsweise gestellten Beweisanträgen des Klägers war nicht zu folgen. Ob es sich bei dem RVB um einen Produktionsbetrieb im Sinne der AVItech gehandelt hat, ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten im RVB zu beurteilen. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist durch die in diesem Rechtsstreit erfolgte umfangreiche Beweisaufnahme geklärt und zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2008 insoweit zu Protokoll gegeben, dass die von dem Sozialgericht in seinem Urteil vom 26. April 2005 festgestellten Tatsachen nicht bestritten werden. Weitere Anknüpfungs- bzw. Einzeltatsachen, die beweisbedürftig sind und über die Beweis durch die vom Kläger genannten Beweismittel zu erheben wäre, liegen vor diesem Hintergrund nicht vor. Die aufgrund der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen hat der Senat rechtlich zu würdigen. Er hat sich die Überzeugung zu verschaffen, ob die industrielle Produktion fordistischer Art dem RVB sein Gepräge gegeben hat. Diese rechtliche Würdigung hat der Senat vorgenommen. Die Beweisanträge des Klägers zielen deshalb nicht auf die Feststellung anderer, noch ungeklärter Tatsachen ab, sondern auf eine andere Würdigung der bereits aufgrund der erfolgten Beweisaufnahme festgestellten und von den Beteiligten nicht bestrittenen Tatsachen.

Der RVB war auch kein gleichgestellter Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB. Maßgeblich für die Gleichstellung ist ausschließlich das Versorgungsrecht der DDR (Urteil des BSG vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 ). In versorgungsrechtlicher Sicht ist keine Gleichstellung eines Vertriebsunternehmens mit einem Produktionsbetrieb erfolgt, was sich daran zeigt, dass Vertriebsunternehmen in § 1 Abs. 2 der 2. DB nicht erwähnt sind.

Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des BSG vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. Urteil des BSG vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 1/03 R-, BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2). Zwischenzeitlich hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Auslegung der Texte der Zusatzversorgungsordnungen durch die Fachgerichte, insbesondere durch das BSG, nicht willkürlich ist (vgl. BVerfGE, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – nicht veröffentlicht –; Beschluss vom 08. September 2004 – 1 BvR 1503/04; und zuletzt Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – nicht veröffentlicht).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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