Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 42 SB 2291/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 271/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2007 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Dem 1947 geborenen Kläger erkannte der Beklagte auf dessen im September 2001 gestellten Antrag mit Bescheid vom 30. November 2001 einen GdB von 50 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu, deren verwaltungsintern berücksichtigte Einzel-GdB sich aus den Klammerzusätzen ergeben:
a) Herzleistungsminderung bei dilatativer Kardiomyopathie (40) b) Degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung und Brustwirbelkörper 12-Fraktur, fehlender Bogenschluss bei S 1 (20) c) Tablettenpflichtiger Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Übergewicht (20) d) Seelisches Leiden (10) e) Deformierende Arthrose des oberen Sprunggelenkes rechts (10)
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, nicht mehr in der Lage zu sein, längere Gehwegstrecken in normalem Fußgängertempo zurückzulegen, und legte ein Attest des Praktischen Arztes B vor. Der Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Arzt D, der die Herzinsuffizienz als medikamentös kompensiert mit Dyspnoe nach cirka 300 Metern und Treppensteigen von 2 Etagen beschrieb. Der Einzel-GdB für das Wirbelsäulenleiden sei auf 30 zu erhöhen, da eine langanhaltende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Lumboischialgien und Cervikobrachialgien vorliege. Es bestehe auch eine chronifizierte Depression mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 60. Bei einer endgradig schmerzhaften Funktionseinschränkung im rechten Sprunggelenk und einem beiderseits durchführbaren Einbeinstand seien die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht erfüllt. Dem folgend gab der Beklagte dem Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 dahingehend statt, dass der GdB nunmehr 60 betrage, und wies ihn im Übrigen zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin u.a. einen im August 2003 von dem Praktischen Arzt B erstellten Befundbericht eingeholt und einen Arztbrief des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 26. November 2003 sowie einen EMG-Befund vom 15. Dezember 2003 zur Akte genommen. Anschließend hat es ein orthopädisches Sachverständigen-Gutachten von Dr. E vom 7. Januar 2007 eingeholt, der auf orthopädischem Fachgebiet als sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsbeeinträchtigungen ein Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgien als pseudoradiculäres Schmerzsyndrom bei im MRT nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen auf dem Boden erheblicher degenerativer Wirbelveränderungen, einen geringgradigen Verschleißzustand des rechten Kniegelenkes und beginnenden Verschleiß des Kniescheibengleitlagers links und einen folgenlos verheilten Knöchelbruch rechts festgestellt hat. Bei der Gehprüfung habe sich von Anfang an ein steifbeiniges, etwas kleinschrittiges Gangbild gezeigt. Nach cirka 200 Metern habe der Kläger eine Pause von 10 Sekunden, bedingt durch Atemnot, machen müssen. Nach 300 Metern seien ein Kribbeln in den Beinen und verstärkte Kreuzschmerzen angegeben worden und diverse, durch Atemnot bedingte Pausen erforderlich geworden. Im Vordergrund der Minderung der Gehfähigkeit des Klägers stehe die Herzminderleistung, die im Zusammenhang mit den auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Leistungseinschränkungen eine erhebliche Gehbehinderung begründe.
Auf den Einwand der vom Beklagten gehörten Fachärztin für Chirurgie H, dass eine erhebliche Gehbehinderung bei einer Herzminderleistung nur dann anerkannt werden könne, wenn diese bereits bei alltäglicher, leichter Belastung zu einer Leistungsbeeinträchtigung führe, ist der Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Mai 2007 bei seiner Auffassung geblieben. Die Herzminderleistung, das degenerative Wirbelsäulenleiden und die deformierende Arthrose des oberen Sprunggelenkes wirkten sich gemeinsam negativ auf das Gehvermögen aus.
Durch Urteil vom 29. August 2007 hat das Sozialgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger das Merkzeichen "G" zuzuerkennen. Dr. E habe die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" auf der Grundlage einer Gesamtschau der orthopädischen und inneren Leiden bejaht. Dies entspreche allgemein den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, wie sie u.a. im Urteil des 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 8. Juni 2006 –L 11 SB 1021/05- dargelegt würden, und sei im konkreten Fall nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gerechtfertigt.
Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, bei der Behinderung seitens des Herz-Kreislauf-Systems handele es sich um eine dilatative Kardiomyopathie mit leichtgradiger Einschränkung der kardialen Pumpfunktion, so dass sich diese Gesundheitsstörung und die Funktionsstörungen des Skelettsystems keinesfalls gegenseitig verstärkten, sondern von einer Überschneidung auszugehen sei. Abgesehen davon umfasse das degenerative Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 30 nicht nur den LWS- Bereich, so dass eine Funktionsstörung in diesem Bereich, die sich wesentlich auf die Fortbewegung auswirke, nicht gegeben sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Hinweis des Senats auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 7/06 R) ist der Beklagte bei seiner Auffassung geblieben. Die Fachärztin für Innere Medizin MD R hat in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 8. Oktober 2008 die Auffassung vertreten, ein Schaden im Bereich der unteren Extremitäten wirke sich nicht zusätzlich auf die Herzleistungsminderung aus, weil der Betroffene entsprechend langsamer gehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hat. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ist es allerdings nicht ausreichend, dass eine Wegstrecke von 2000 Metern nicht in einem bestimmten Zeitraum zurückgelegt werden kann, sondern Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine sich auf das Gehvermögen auswirkende Behinderung sein. Hierzu beschreiben die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltspunkte) in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 die Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind (BSG, a.a.O.). Am 1. Januar 2009 sind die in der Anlage Teil D Nr. 1 zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VmV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft getreten, welche die Anhaltspunkte – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.
Die Anhaltspunkte geben als antizipierte Sachverständigengutachten auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen.
Die Voraussetzungen für eine erhebliche Gehbehinderung sind nach Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte 2004/2005, S. 138 (bzw. ab Januar 2008 der Anhaltspunkte 2008, S. 137) u.a. dann erfüllt, wenn Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, oder bei Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Dem gleichgestellt werden innere Leiden, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit verbunden sind. Diese liegt nach Nr. 30 Abs. 3, S. 138 der Anhaltspunkte 2004/2008 bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (siehe Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (siehe Nr. 26.8) vor. Insoweit ist es übereinstimmend für beide Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich, dass eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen - 3-4km/h -, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichter körperlicher Arbeit) eintritt.
Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" allein aufgrund der Herzschäden erfüllt der Kläger nicht, da seine Herzminderleistung vom Arzt D mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet worden ist und im sozialgerichtlichen Verfahren keine medizinischen Unterlagen zur Akte gelangt sind, die Zweifel an dieser Einstufung aufkommen lassen können.
Der Sachverständige Dr. E hat jedoch nicht allein auf den von dem Arzt D aufgrund dessen Untersuchung als zutreffend angesehenen Einzel-GdB von 40 verwiesen, sondern maßgeblich darauf abgestellt, dass sich bei dem Kläger gerade die Kombination der Herzminderleistung mit der Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule und der deformierenden Arthrose des oberen Sprunggelenkes negativ auf die Gehfähigkeit auswirke. Dies hat er für den Senat überzeugend durch die Beschreibung der bei der Gehprüfung aufgetretenen Einschränkungen belegt, die sich gerade nicht nur in Form von Atemnot, sondern auch durch das Kribbeln in den Beinen und die verstärkten Kreuzschmerzen bemerkbar machten.
Soweit die Fachärztin für Innere Medizin MD R in ihrer Stellungnahme vom 8. Oktober 2008 hiergegen einwendet, dass sich der Schaden im Bereich der unteren Extremitäten nicht auf die Herzleistungsminderung zusätzlich auswirke, weil der Betroffene langsamer gehe, kann dem nicht gefolgt werden, da Dr. E als erfahrener Sachverständiger gerade ausgehend von einem kleinschrittigen Gangbild die zusätzlich auftretende Atemnot beschrieben hat, also die wechselseitige negative Beeinflussung dargestellt hat.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Dem 1947 geborenen Kläger erkannte der Beklagte auf dessen im September 2001 gestellten Antrag mit Bescheid vom 30. November 2001 einen GdB von 50 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu, deren verwaltungsintern berücksichtigte Einzel-GdB sich aus den Klammerzusätzen ergeben:
a) Herzleistungsminderung bei dilatativer Kardiomyopathie (40) b) Degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung und Brustwirbelkörper 12-Fraktur, fehlender Bogenschluss bei S 1 (20) c) Tablettenpflichtiger Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Übergewicht (20) d) Seelisches Leiden (10) e) Deformierende Arthrose des oberen Sprunggelenkes rechts (10)
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, nicht mehr in der Lage zu sein, längere Gehwegstrecken in normalem Fußgängertempo zurückzulegen, und legte ein Attest des Praktischen Arztes B vor. Der Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Arzt D, der die Herzinsuffizienz als medikamentös kompensiert mit Dyspnoe nach cirka 300 Metern und Treppensteigen von 2 Etagen beschrieb. Der Einzel-GdB für das Wirbelsäulenleiden sei auf 30 zu erhöhen, da eine langanhaltende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Lumboischialgien und Cervikobrachialgien vorliege. Es bestehe auch eine chronifizierte Depression mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 60. Bei einer endgradig schmerzhaften Funktionseinschränkung im rechten Sprunggelenk und einem beiderseits durchführbaren Einbeinstand seien die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht erfüllt. Dem folgend gab der Beklagte dem Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 dahingehend statt, dass der GdB nunmehr 60 betrage, und wies ihn im Übrigen zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin u.a. einen im August 2003 von dem Praktischen Arzt B erstellten Befundbericht eingeholt und einen Arztbrief des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 26. November 2003 sowie einen EMG-Befund vom 15. Dezember 2003 zur Akte genommen. Anschließend hat es ein orthopädisches Sachverständigen-Gutachten von Dr. E vom 7. Januar 2007 eingeholt, der auf orthopädischem Fachgebiet als sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsbeeinträchtigungen ein Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgien als pseudoradiculäres Schmerzsyndrom bei im MRT nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen auf dem Boden erheblicher degenerativer Wirbelveränderungen, einen geringgradigen Verschleißzustand des rechten Kniegelenkes und beginnenden Verschleiß des Kniescheibengleitlagers links und einen folgenlos verheilten Knöchelbruch rechts festgestellt hat. Bei der Gehprüfung habe sich von Anfang an ein steifbeiniges, etwas kleinschrittiges Gangbild gezeigt. Nach cirka 200 Metern habe der Kläger eine Pause von 10 Sekunden, bedingt durch Atemnot, machen müssen. Nach 300 Metern seien ein Kribbeln in den Beinen und verstärkte Kreuzschmerzen angegeben worden und diverse, durch Atemnot bedingte Pausen erforderlich geworden. Im Vordergrund der Minderung der Gehfähigkeit des Klägers stehe die Herzminderleistung, die im Zusammenhang mit den auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Leistungseinschränkungen eine erhebliche Gehbehinderung begründe.
Auf den Einwand der vom Beklagten gehörten Fachärztin für Chirurgie H, dass eine erhebliche Gehbehinderung bei einer Herzminderleistung nur dann anerkannt werden könne, wenn diese bereits bei alltäglicher, leichter Belastung zu einer Leistungsbeeinträchtigung führe, ist der Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Mai 2007 bei seiner Auffassung geblieben. Die Herzminderleistung, das degenerative Wirbelsäulenleiden und die deformierende Arthrose des oberen Sprunggelenkes wirkten sich gemeinsam negativ auf das Gehvermögen aus.
Durch Urteil vom 29. August 2007 hat das Sozialgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger das Merkzeichen "G" zuzuerkennen. Dr. E habe die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" auf der Grundlage einer Gesamtschau der orthopädischen und inneren Leiden bejaht. Dies entspreche allgemein den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, wie sie u.a. im Urteil des 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 8. Juni 2006 –L 11 SB 1021/05- dargelegt würden, und sei im konkreten Fall nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gerechtfertigt.
Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, bei der Behinderung seitens des Herz-Kreislauf-Systems handele es sich um eine dilatative Kardiomyopathie mit leichtgradiger Einschränkung der kardialen Pumpfunktion, so dass sich diese Gesundheitsstörung und die Funktionsstörungen des Skelettsystems keinesfalls gegenseitig verstärkten, sondern von einer Überschneidung auszugehen sei. Abgesehen davon umfasse das degenerative Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 30 nicht nur den LWS- Bereich, so dass eine Funktionsstörung in diesem Bereich, die sich wesentlich auf die Fortbewegung auswirke, nicht gegeben sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Hinweis des Senats auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 7/06 R) ist der Beklagte bei seiner Auffassung geblieben. Die Fachärztin für Innere Medizin MD R hat in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 8. Oktober 2008 die Auffassung vertreten, ein Schaden im Bereich der unteren Extremitäten wirke sich nicht zusätzlich auf die Herzleistungsminderung aus, weil der Betroffene entsprechend langsamer gehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hat. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ist es allerdings nicht ausreichend, dass eine Wegstrecke von 2000 Metern nicht in einem bestimmten Zeitraum zurückgelegt werden kann, sondern Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine sich auf das Gehvermögen auswirkende Behinderung sein. Hierzu beschreiben die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltspunkte) in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 die Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind (BSG, a.a.O.). Am 1. Januar 2009 sind die in der Anlage Teil D Nr. 1 zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VmV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft getreten, welche die Anhaltspunkte – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.
Die Anhaltspunkte geben als antizipierte Sachverständigengutachten auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen.
Die Voraussetzungen für eine erhebliche Gehbehinderung sind nach Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte 2004/2005, S. 138 (bzw. ab Januar 2008 der Anhaltspunkte 2008, S. 137) u.a. dann erfüllt, wenn Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, oder bei Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Dem gleichgestellt werden innere Leiden, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit verbunden sind. Diese liegt nach Nr. 30 Abs. 3, S. 138 der Anhaltspunkte 2004/2008 bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (siehe Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (siehe Nr. 26.8) vor. Insoweit ist es übereinstimmend für beide Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich, dass eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen - 3-4km/h -, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichter körperlicher Arbeit) eintritt.
Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" allein aufgrund der Herzschäden erfüllt der Kläger nicht, da seine Herzminderleistung vom Arzt D mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet worden ist und im sozialgerichtlichen Verfahren keine medizinischen Unterlagen zur Akte gelangt sind, die Zweifel an dieser Einstufung aufkommen lassen können.
Der Sachverständige Dr. E hat jedoch nicht allein auf den von dem Arzt D aufgrund dessen Untersuchung als zutreffend angesehenen Einzel-GdB von 40 verwiesen, sondern maßgeblich darauf abgestellt, dass sich bei dem Kläger gerade die Kombination der Herzminderleistung mit der Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule und der deformierenden Arthrose des oberen Sprunggelenkes negativ auf die Gehfähigkeit auswirke. Dies hat er für den Senat überzeugend durch die Beschreibung der bei der Gehprüfung aufgetretenen Einschränkungen belegt, die sich gerade nicht nur in Form von Atemnot, sondern auch durch das Kribbeln in den Beinen und die verstärkten Kreuzschmerzen bemerkbar machten.
Soweit die Fachärztin für Innere Medizin MD R in ihrer Stellungnahme vom 8. Oktober 2008 hiergegen einwendet, dass sich der Schaden im Bereich der unteren Extremitäten nicht auf die Herzleistungsminderung zusätzlich auswirke, weil der Betroffene langsamer gehe, kann dem nicht gefolgt werden, da Dr. E als erfahrener Sachverständiger gerade ausgehend von einem kleinschrittigen Gangbild die zusätzlich auftretende Atemnot beschrieben hat, also die wechselseitige negative Beeinflussung dargestellt hat.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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