L 31 U 364/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 52/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 U 364/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Basalzellenkarzinoms als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Erkrankungen durch ionisierende Strahlen -.

Der 1942 geborene Kläger war nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung im März 1967 durchgehend als Krankenpfleger tätig. Hierbei verrichtete er in der Zeit von Oktober 1969 bis März 1972 im Klinikum S der F B Pflegedienst mit Dauernachtwache auf einer Isolierstation mit 12 Strahlentherapiebetten. Von Oktober 1976 bis März 1977 war er im M-Krankenhaus B auf einer unfallchirurgischen und einer kleinen inneren Station tätig. Hierbei wurde er auch zur Betreuung der Patienten in einem Radiumzimmer mit herangezogen. Seit Juli 1980 bis zur Aufgabe seiner Tätigkeit Ende April 2002 arbeitete er (mit einer mehrmonatigen Unterbrechung 1987) im stationären Bereich der Nuklearmedizinischen Klinik des Universitätsklinikums S der F B, jetzt B-Klinikum der FU Berlin. Seit Mai 2002 bezieht der Kläger eine Rente.

Im Dezember 2000 wurde dem Kläger ein kurz zuvor festgestelltes basozelluläres Karzinom der Haut im rechten Augenwinkel und am Nasenabhang entfernt. In der Folgezeit wurden insgesamt vier weitere operative Eingriffe erforderlich, so dass sich im Bereich der breiten Resektionsstelle ein ca. 3,5 cm großer, zunächst nicht heilender gangränöser Haut- und Weichteildefekt entwickelte, der erst nach etwa einem halben Jahr vollständig abheilte.

Im März 2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung der genannten Erkrankung als Berufskrankheit. Das Universitätsklinikum B F erstattete im August 2001 ebenfalls Anzeige über eine Berufskrankheit. Vom Kläger wurden beigebracht eine Beschreibung seiner Tätigkeiten, Unterlagen und Zeugnisse hierzu, ein Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Versorgungsamt, vom 21. Februar 2001 über die Feststellung seiner Schwerbehinderung, aus dem sich u. a. eine Diabetes mellitus-Erkrankung ergibt, Messergebnisse für seine Tätigkeit im Institut für Nuklearmedizin seit 1980 sowie Arztbriefe, Operationsprotokolle und sonstige medizinischen Befunde. Die Beklagte ermittelte durch Befragung der verschiedenen Arbeitgeber des Klägers, Beiziehung der betriebsärztlichen Unterlagen und der Gesundheitskartei über arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen des Universitäts-Klinikums B F, Einholung eines Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkassen des Klägers und Einholung von Befundberichten des behandelnden Chirurgen Dr. H, der am 17. Mai 2001 Arbeitsunfähigkeit ab 15. Dezember 2000 voraussichtlich bis auf Weiteres bescheinigte, und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. Für die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege teilte Dr. P der Beklagten auf Anfrage bezüglich der Tätigkeit des Klägers im M-Krankenhaus (Oktober 1976 bis März 1977) mit, dass der Kläger dort für sechs Monate als Nachtwache auf einer Station gearbeitet habe, die u. a. für die Mitbetreuung des so genannten "Radiumzimmers" zuständig gewesen sei. Nach Angaben des Krankenhauses sei dort ca. einmal im Monat eine Patientin mit Unterleibstumor behandelt worden, die sechs Stunden in diesem Zimmer hätte verbleiben müssen. Die Betreuung dieser Patientin sei abwechselnd von zwei Stationen wahrgenommen worden. Genauere Angaben seien nicht mehr möglich, Dosimeter seien vom Pflegepersonal nicht getragen worden. Im Beschäftigungszeitraum habe der Kläger demnach dort ca. 6 Patientinnen jeweils in der Zeit von Dienstbeginn 20.00 Uhr bis 23.00 Uhr betreut. Nach Auskunft des Bundesamtes für Strahlenschutz habe es sich vermutlich um eine Therapie mit Radium 226 gehandelt. Bei Annahme von worst-case-Bedingungen könne der Kläger im Extremfall eine Dosis von 45 Milli Sievert (mSv) erhalten haben. Dabei unterstelle man, dass der Kläger immer gerade dann im Dienst gewesen sei, wenn derartige Therapien stattgefunden haben, dass er seine gesamte Dienstzeit ausschließlich im Radiumzimmer verbracht habe und dass während dieser Betreuungszeit die Entfernung zwischen Strahlenquelle und Kläger konstant 50 cm betragen habe. Realistischerweise sei von einer weit geringeren Strahlendosis für die Zeit der Tätigkeit im M Krankenhaus auszugehen.

Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD), Abteilung Prävention, ein, für den am 02. Oktober 2002 Herr A u. a. aufgrund einer Besprechung mit dem Leiter der Nuklearmedizin der Freien Universität Berlin, Abteilung Radiologie und Nuklearmedizin, Dr. H ausführte, dass eine Exposition in der Zeit von 1980 bis 1986 an insgesamt 110 Tagen auf der Radiumstation vorgelegen habe. Seit 1986 gebe es Arbeiten mit dem – vorliegend vor allem interessierenden - Radium 226 nicht mehr. Dosiswerte für die Zeit von 1969 bis 1972 seien nicht bekannt; hier sei er jedoch aufgrund der gleichen Tätigkeit (bis auf die Operationen) mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich exponiert gewesen. Zulässiger Lebensdosiswert nach der Strahlenschutzverordnung seien 400 mSv. Für den Kläger seien 37,55 mSv zu ermitteln, also ca. ein Zehntel des Grenzwertes. Unter Berücksichtigung des Lebensdosiswertes der Strahlenschutzverordnung habe daher keine Gefährdung vorgelegen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Strahlenmessstelle, teilte mit Schreiben vom 04. Oktober 2002 mit, dass die akkumulierte Dosis für den Kläger 23,4 mSv betrage. Da der Kläger bereits bei Antragstellung vorgetragen hatte, dass sich die Plakette, die er am Körper getragen habe, hinter einer Bleiwand befunden habe und sein Gesicht beim Hantieren einer Strahlung ausgesetzt gewesen sei, die durch die Messung nicht ausreichend erfasst worden sei, holte die Beklagte hierzu eine weitere Stellungnahme ein. Mit Schreiben vom 08. Oktober 2002 teilte Dr. H zur Frage der Exposition ohne Bleiabdeckung daraufhin mit, dass deswegen ein Schwächungsfaktor 12,5 für Ra-226 durch 5 cm Blei zu berücksichtigen sei. Die "tatsächliche" Personendosis für den Zeitraum von 440 Stunden bezogen auf sechs Jahre ergebe daher 22,1 mSv. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit Berlin - LAGetSi - teilte der Beklagten mit Schreiben vom 18. November 2002 mit, dass eine Anerkennung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit nicht empfohlen werden könne. Der beim Kläger aufgetretene Tumor habe im Berufskrankheitengeschehen keine besondere Bedeutung. Üblicherweise werde durch TAD- Beurteilung ein BK-relevantes Ausmaß von Strahlenbelastung ausgeschlossen. Eine an sich unwahrscheinliche Teilkörperbestrahlung sei aufgrund der verwendeten Strahlenmaterialien und der üblichen Arbeitsabläufe unwahrscheinlich. Vielmehr sei an eine multifaktorielle Verursachung des in der Altersgruppe des Versicherten durchaus bekannten Krebses zu denken.

Durch Bescheid vom 17. Februar 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Hauterkrankung des Klägers als Berufskrankheit ab. Der ermittelte Strahlendosiswert sei zu gering, als dass er die beim Kläger bestehende Erkrankung hätte verursachen können. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 zurück. Der Nachweis einer berufsbedingten Einwirkung mit konkretem Schädigungspotential sei nicht geführt. Durchschnittlich habe die Strahlenbelastung von 1980 bis 2001 pro Jahr 1,87 mSv betragen. Zum Vergleich betrage der Wert der Strahlenbelastung für die Bundesrepublik Deutschland im Mittel 2,4 mSv/Jahr. Die Tätigkeit von 1969 bis 1972 sei von der Exposition her ähnlich einzuschätzen, so dass sich der Wert der erhaltenden Lebensdosis dadurch nur geringfügig erhöhe.

Im Klageverfahren übersandte die Beklagte auf Anfrage des Gerichts eine ergänzende Stellungnahme ihres TAD vom 19. Oktober 2004 zur Frage der vom Kläger geltend gemachten Teilkörperbestrahlung, wonach die fahrbaren Bleiwände und die Schürzen nicht sein Gesicht geschützt hätten. Der TAD führte nach Rücksprache mit Dr. H aus, dass die Strahlenbelastung des Klägers von 1980 bis 2000 lückenlos überwacht worden sei. Nicht ausreichend berücksichtigte Teilkörperbestrahlungen habe es nicht gegeben. Die Strahlenbelastung des Gesichts und der Hände seien ausgehend von den gemessenen Werten auf der Plakette bereits korrigiert worden. Die ergänzenden Ermittlungen hätten keinen Hinweis ergeben, dass die errechnete Belastung fehlerhaft sei. Für die pflegerische Arbeit unter Strahlenbelastungen mit anderen Materialien (Goldspickungen, radioaktives Jod 131, radioaktives Jod 135, radioaktiver Phosphor 32 und radioaktives Ytrium 90) sei eine Korrektur der gemessenen Belastungswerte nicht erforderlich. Veränderungen an der Haut seien typische Erkrankungen für Expositionen im Bereich höherer Dosen größer als 100 mSv; allerdings könnte die Einordnung derartiger Erkrankungen nur Risikoabschätzung sein, da die Schäden sowohl durch die natürliche Strahlung der Umwelt als auch durch technisch provozierte Strahlung hervorgerufen werden könnte.

Das Gericht hat sodann ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, Umweltmedizin Prof. Dr. A vom 28. Februar 2006 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen

- operativ behandeltes Basalzellenkarzinom im Augenwinkel- und Nasenbereich rechts mit plastischer Deckung eines nicht heilenden großen Hautulcus bei bleibender kosmetisch auffälliger multipler Narbenbildung im Gesicht,

- leichter epidermaler Hautschaden mit Mikroangiopathie an den Fingerkuppen beider Hände ohne wesentliche Funktionsstörung und

- Augenlinsentrübungen beiderseits mit Visusbeeinträchtigung und Blendeffekt

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen im Sinne der BK 2402 seien und mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden seien. Beim Kläger habe in der Zeit vom 01. Juli 1980 bis 14. Dezember 2000 mit Unterbrechung im Jahre 1987 eine insgesamt mehr als 19jährige ständige Tätigkeit als beruflich strahlenexponierte Person in den Abteilungen Strahlentherapie und Nuklearmedizin der Klinik für Radiologie des B Klinikums der F B bestanden. Die amtliche Personendosis belaufe sich für diese Zeit auf 37,55 mSv, die effektive Summationsdosis auf 38,22 mSv. Die Belastungsbedingungen bei den vorherigen beruflichen Strahlenexpositionen im Klinikum S in den Jahren 1969 bis 1972 seien nicht viel anders zu quantifizieren als die des Zeitraumes 1980 bis 1986, also für jene "drei Jahre" 15,45 mSv. Die halbjährige zeitweilige Strahlenexposition im M Krankenhaus 1976/1977 könne im Extremfall 45 mSv betragen haben. An einem besonderen Vorkommnis mit höherer Strahlenbelastung ist der Kläger nach eigenen Angaben und laut vorliegenden Aktenunterlagen nie beteiligt gewesen. Summiere man die Zahlenwerte der Filmdosimetrie der Jahre 1980 bis 2000 mit den vorsichtig abgeschätzten Ganzkörperdosen, erhalte man einen Gesamtdosiswert von 88 mSv, der allerdings per se für den zu klärenden Sachverhalt nur eine begrenzte Aussagekraft besitze.

Für den dosimetrisch überschaubaren 19jährigen Expositionszeitraum von 1980 bis 2000 sei der heute vorgegebene Jahresgrenzwert von 20 mSv und der auf 400 mSv durch Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 begrenzte berufliche Lebenszeitdosiswert zwar um nahezu einer Zehnerpotenz unterschritten worden. Allerdings gebe dieser Filmdosimeterwert nicht die tatsächliche Strahlendosis und schon gar nicht die im ungeschützten Teilkörperbereich des Gesichts aufgenommene Strahlendosis wieder. Denn die Patienten hätten sich sowohl im OP als auch in den Isolierzimmern hinter fahrbaren Blei-Abschirmwänden mit einer Höhe von etwa 130 cm befunden. Hände, Hals und Gesicht des Pflegepersonals seien dabei ungeschützt den ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen. Stärkere Strahlenbelastungen von kaum oder völlig ungeschützten Teilkörperabschnitten wie Hände, Gesicht oder Hals müssten hier einkalkuliert werden.

Das Basaliom sei als semimaligne zu bezeichnen, da es kaum eine Tendenz zur Absiedelung von Tochtergeschwülsten des Primärtumors aufweise (kleiner als 1 Promille). Es trete sehr häufig in der Normalbevölkerung auf, vorwiegend im höheren Lebensalter, wobei Männer etwa doppelt so stark betroffen seien wie Frauen; die Häufigkeit steige mit dem Lebensalter an. Das Basaliom komme zu 90 Prozent am Kopf vor. An der Fähigkeit ionisierender Strahlen, so genannte nichtmelanomatöse Hauttumore zu induzieren, bestehe kein Zweifel. Die Latenzzeit werde im Allgemeinen mit 3 bis mehr als 30 Jahren angegeben.

Zu notwendigen Strahlendosisbeständen existierten bislang keine absolut verlässlichen Zahlen. Der aufsummierte Ganzkörperwert von 88 mSv reiche unter Berücksichtigung der Erläuterungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung für die Begründung einer Kausalität zwischen der langjährigen beruflichen Strahlenexposition des Klägers und seiner Hautkrebserkrankung im Gesicht zwar nicht aus. Wegen der unzureichenden Datenlage hinsichtlich Ganz- und Teilkörperdosis habe er sich auf den Versuch eines objektiven Nachweises von möglichen klinischen oder subklinischen Strahlenreaktionen im Bereich der Teilkörperabschnitte Hände und Augenlinse konzentriert, um eventuell dort Hinweise auf biologisch-dosimetrisch zu bewertende Strahleneffekte zu gewinnen. Bei deterministischer Strahlenwirkung könne man bei fehlender Kenntnis der aufgenommenen Strahlenmenge oder bei Vorliegen eines entsprechenden Schadensmusters in etwa die Höhe der aufgenommenen Strahlendosis bestimmen (biologische Dosimetrie). Voraussetzung hierfür sei, dass tatsächlich eine Strahlenexposition bestanden habe und dass ein für eine Strahlenschädigung typisches Schadensbild vorliege, z. B. die Morphe einer radiogenen Augenlinsentrübung oder ein typischer Strahlenschaden an der Haut der Hände. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger nachweislich erfüllt. Das augenärztliche Zusatzgutachten des Dr. M vom 27. Januar 2006 beschreibe an beiden Augenlinsen für Strahlenwirkungen charakteristische Linsentrübungen in Form von Farbschillern und umschriebenen oder durchgehenden Trübungen in der hinteren subkapsulären Zone bei gleichförmiger hinterer Linsentrübung. Daher sei der Zusatzgutachter der Auffassung, dass mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Linsenschädigung durch Strahleneinwirkung ausgegangen werden könne. Beim Nachweis von Linsenveränderungen dieser Art müsse angenommen werden, dass hier die Schwellendosis für einen Strahlenkatarakt infolge akkumulierter Dosen von etwa 4 Sv bzw. 4000 mSv erreicht worden sei und dass die Gesichtshaut mindestens einer ebenso hohen Strahlendosis ausgesetzt gewesen sei. Bei einem solchen Dosiswert als wahrscheinlichem Belastungswert für die Gesichtshaut sei die Verdoppelungsdosis für das Hautkarzinom von größer = 1000 mSv deutlich überschritten und eine Verursachungswahrscheinlichkeit von weit mehr als 50 Prozent gegeben. Da das Schadensbild einer Krebserkrankung hinsichtlich ihrer ätiologischen Zuordnung keine charakteristischen Merkmale aufweise, bediene man sich bei den Kausalitätserwägungen stets epidemiologisch ermittelter Verdopplungsraten für die verschiedenen Krebsarten in einer definiert strahlenbelasteten Personengruppe. Damit sei auf indirektem Wege die haftungsausfüllende Kausalität begründet. Für eine wesentlich höhere Teilkörperbelastung als die rechnerisch ermittelte Ganzkörperdosis spreche auch der klinische Befund an der Fingerhaut beider Hände. Hier hätten sich eine Reduzierung und teilweise Zerstörung des Papillarleistenreliefs an allen Fingerbeeren sowie eine Längsriffelung sämtlicher Fingernagelplatten gefunden, die in Verbindung mit dem kapillarmikroskopischen Bild einer Mikroangiopathie als Ausdruck einer epidermalen chronischen Strahlenschädigung der Haut der Fingerendglieder gewertet werden müsse. Hier sei nach eigener langjähriger strahlenschutzmedizinischer Erfahrung davon auszugehen, dass die chronische Schwellendosis der Haut in Höhe von 12 bis 15000 mSv erreicht worden sein müsse.

Allerdings müsse selbst bei der überzeugenden wissenschaftlichen Begründung der Strahlenverursachung des Gesichtshautkrebses sowie des Strahlenkatarakts und des leichten radiogenen Hautschadens an den Fingern beider Hände eingeräumt werden, dass es bei den in den letzten Jahrzehnten streng reglementierten Strahlenschutzvorschriften in den Strahlenkliniken nach wie vor unklar bleibe, wie es zu den recht hohen gesundheitsschädigenden Teilkörperbelastungen habe kommen können. Zu diskutieren sei, ob des Öfteren der erforderliche räumliche Abstand zur Strahlenquelle Mensch unterlassen worden sei. Offen bleibe auch die Frage, welchen Beitrag die Strahlenbelastung durch die wiederholten Radionuklid-Kontaminationen der Hände zur Entstehung der Hautschäden an den Fingern geleistet habe. Fingerringdosimeterwerte lägen bedauerlicherweise nicht vor.

Eine berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit habe im Zeitraum 15. Dezember 2000 bis zum Beginn der Rentenzahlung wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01. Mai 2002 bestanden, wobei die bestehenden chronischen Skeletterkrankungen mit ihren Schmerzzuständen die Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit mitbegründet hätten. Die MdE sei bis zum Ablauf einer Heilungsbewährung am 31. Dezember 2003 mit 50 v. H., für die Folgezeit mit 30 v. H. und ab Feststellung der berufsbedingten doppelseitigen Augenlinsentrübungen am 19. Januar 2006 mit 40 v. H. zu bewerten.

Der Facharzt für Augenheilkunde Dr. M hat im Gutachten vom 27. Januar 2006 ausgeführt, dass Trübungen der vorderen Linsenanteile und Kerntrübungen beständen, die nicht primär durch Einwirkung von ionisierenden Strahlen entstanden seien, während die subkapsulären Veränderungen am hinteren Linsenanteil auf eine Strahlenschädigung hinwiesen. Auffällig sei besonders das Farbschillern.

Hiergegen wandte die Beklagte ein, dass die gefährdende Exposition im Vollbeweis feststehen müsse. Eine Vermutung nach § 9 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) komme nur in Betracht, sofern keine Anhaltspunkte für eine außerberufliche Verursachung sprächen. Als Hauptursache für das beim Kläger bestehende Basaliom, welches die häufigste Hautkrebserkrankung überhaupt sei, werde eine erhöhte UV-Exposition im Kindes- und Jugendalter angesehen. Nur an drei Prozent der Krebserkrankungen seien physikalische Faktoren als Ursache beteiligt. Eine Strahlenbelastung als Ursache für Tumore sei lediglich dann anzunehmen, wenn die berufliche Exposition wenigstens der Tumor-Verdoppelungsdosis entspräche, welche für Hauttumore im Bereich von 2 Sv liege. Die im Vollbeweis objektiv nachgewiesenen Dosiswerte von 37,55 mSv unterschritten die heute gesetzlich vorgesehenen Jahresgrenzwerte um nahezu eine Zehnerpotenz. Die nachgewiesenen Werte seien bereits so ausgerechnet worden, als wäre der Kläger der Strahlung während seiner gesamten Arbeitszeit ungeschützt ausgesetzt gewesen. Zu beachten sei ferner, dass die Strahlung mit steigender Entfernung vom Strahlungsherd quadratisch abnehme, so dass zwar eine gewisse Erhöhung des Wertes für die Hände noch erklärlich wäre, nicht jedoch für das Gesicht. Der berechnete Gesamtdosiswert betrage 88 mSv (0,088 Sv) und unterschreite damit die erforderliche Tumorverdoppelungsdosis für Hauttumore um das 25fache. Das Gutachten lasse es im Übrigen an der geforderten sorgfältigen Differenzierung der Folgen eines Vorschadens, der nicht beruflichen Erkrankungen und der auf eine berufliche Verursachung zurückgeführten Erkrankungen fehlen. Die aufgeführten Hauterscheinungen bzw. Augenerkrankungen könnten auf anderen Ursachen als einer beruflichen Bestrahlung beruhen. Die Mikroangiopathie der Hände sei eine typische Erkrankung bei Diabetes und keine spezifische Strahlenerkrankung, sämtliche Risikofaktoren (Hypertonie, Rauchen, erhöhte Blutfette) seien beim Kläger nachgewiesen. Die Längsriffelung von Nägeln sei eine häufige Alterserscheinung. Auch die Augenlinsentrübung (Katarakt) habe viele Entstehungsursachen, neben medikamentösen und infektiösen würden insbesondere stoffwechselbedingte (Diabetes) genannt; auch trete diese altersbedingt gehäuft auf. Auch Augapfelprellungen (1969 habe der Kläger eine Gesichtsmehrfragmentfraktur erlitten) könnten Linsentrübungen hervorrufen. Zu beachten sei, dass die Trübungen der vorderen Linsenanteile und die Kerntrübungen auch nach dem augenärztlichen Gutachten nicht beruflich verursacht worden seien. Nicht aufgeführt sei auch, ob und seit wann der Kläger eine Sehhilfe benötige. Die Bedeutung des Farbschillerns sei hier nicht bekannt. Letztlich komme auch eine außerberufliche Verursachung von Strahlenschäden in Betracht.

Hierzu hat Prof. Dr. A in einer Rückäußerung vom 26. Juni 2006 ausgeführt, an seiner Beurteilung festzuhalten. Die Differenzierung zwischen Ganzkörper- und Teilkörperbelastung sei unbedingt erforderlich. Differierende Unterschiede um Größenordnungen habe er während seiner mehr als 30jährigen strahlenschutzmedizinischen Überwachungs- und Begutachtungspraxis immer wieder feststellen können. Das Augenlinsenepithel sei wesentlich strahlensensibler als die Epidermis der Haut und weise charakteristische morphologische Veränderungen auf, wenn bei chronischer Strahlenexposition eine Summationsdosis von gleich oder mehr als 4000 mSv akquiriert worden sei. Solche spezifischen Veränderungen seien vom habilitierten Augenarzt und Linsenspezialisten Dr. M beschrieben worden. Eine derartige biologisch-dosimetrische Vorgehensweise sei eine in der strahlenschutzmedizinischen Praxis übliche und wissenschaftlich anerkannte Methode. Beispielsweise würden bei der Diagnostik von Strahlenunfallfolgen am Menschen bei fehlender physikalisch dosimetrischer Überwachung medizinisch-biologische Befunde verwendet, um die möglicherweise aufgenommene Strahlendosis zu quantifizieren und damit prognostische Aussagen über das zu erwartende Stadium der Strahlenkrankheit treffen zu können bzw. eine relevante biologische Strahlenwirkung auszuschließen. Bei der Inspektion der Gesichtshaut des Klägers hätten sich erwartungsgemäß keine Zeichen eines manifesten chronischen Radioderms gefunden, da die abgeschätzten 4000 mSv als chronische Summationsdosis nicht ausreichten, um eine makroskopisch erkennbare Strahlenreaktion an der Haut zu induzieren. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien mikroangiopathische Kapillarschäden keinesfalls "nur" typisch für Diabetes mellitus, sondern könnten in allen Geweben in abweichender Form und Ausprägung auch bei anderen Erkrankungen und chronischen Schadstoffexpositionen auftreten. Entgegen der Auffassung der Beklagten gebe es keine typische Strahlenkrebserkrankung. Zur diskutierten außerberuflichen Verursachung sei festzuhalten, dass MRT-Untersuchungen nicht mit einer Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen verbunden seien und dass mit den anderen radiologischen Verfahren nicht die zur Entstehung von Strahlenschäden erforderlichen Schwellendosen erreicht würden.

Dr. M führte mit Rückäußerung vom 27. Juni 2006 aus, dass entgegen der Auffassung der Beklagten Linsentrübungen weder altersbedingt seien noch bei über 90 Prozent der über 60jährigen aufträten. Vielmehr seien die Ursachen von Linsentrübungen sehr vielfältig. Das Trübungsmuster lasse in bestimmten Fällen eine kausale Beziehung herstellen, hierzu gehörten die Trübungsformen durch Strahlung. Vorliegend seien allein die hinteren subkapsulären Trübungszonen (auch das Farbschillern) einer Strahleneinwirkung zuzurechnen, während die vordere Rindentrübung und die Kerntrübung höchstwahrscheinlich nicht hierdurch verursacht worden seien. Die Frage der Sehhilfe sei völlig nebensächlich. Selbstverständlich sei es nicht möglich, die Visusminderung getrennt nach den einzelnen Trübungszonen der Linse darzustellen.

Mit Urteil vom 30. November 2006 hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der BK Nr. 2402 der Anlage zur BKV Heilbehandlung, für die Zeit vom 15. Dezember 2000 bis 30. April 2002 Verletztengeld dem Grunde nach und ab 01. Mai 2002 Verletztenrente nach einer MdE vom 25 v. H. zu gewähren. Zur Begründung wurde auf die Ausführungen der Prof. Dr. A und Dr. M verwiesen.

Gegen dieses am 12. Januar 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 09. Februar 2007 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt weiter vor, dass im Vollbeweis nachgewiesen lediglich eine Ganzkörperbelastung von 37,55 mSv sei. Lediglich für drei weitere Jahre sei die Belastung hochzurechnen gewesen. Der nachgewiesene Gesamtdosiswert unterschreite den heute gesetzlich vorgesehenen Jahresgrenzwert um nahezu eine Zehnerpotenz. Um den Wert zu erfassen, der auf die ungeschützten Areale des Klägers getroffen sei, seien die nachgewiesenen Werte in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Radiologie der Freien Universität unter Berücksichtigung des Schwächungsfaktors der zur Verfügung stehenden Schutzmaßnahmen so zurückgerechnet worden, als sei der Kläger der Strahlung während seiner gesamten Arbeitszeit ungeschützt ausgesetzt gewesen, auch der hieraus berechnete Gesamtdosiswert unterschreite mit 88 mSv (0,088 Sv) die erforderliche Tumorverdoppelungsdosis für Hauttumore von 2 Sv um ein Vielfaches. Es beständen erhebliche rechtliche Bedenken, ob eine im Vollbeweis nachgewiesene Arbeitstechnik durch einen ausschließlich auf Indizien beruhenden Anscheinsbeweis widerlegt werden könne. Die festgestellten Hautschäden seien keine spezifischen Strahlenerscheinungen. Auch die Augenlinsentrübung habe viele Entstehungsursachen. Nach der offiziellen Seite des Verbandes der Augenärzte trete diese altersbedingt bei immerhin 50 Prozent der zwischen 52 und 64jährigen auf. Abgesehen davon beständen erhebliche Bedenken hinsichtlich Höhe und Dauer der zu zahlenden Geldleistungen. Versicherungsfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei nach vollständiger Abheilung des Defektes ein halbes Jahr nach der Operation nicht mehr festgestellt worden. Die unfallbedingte MdE hinsichtlich der Augenschädigung sei weder konkret dargestellt noch begründet worden, da der Kläger unbestritten an verschiedenen unfallunabhängigen Erkrankungen des Auges leide, welche die Sehfähigkeit beeinträchtigten. Im Übrigen verweist die Beklagte auf das Ergebnis der vom Senat angestellten medizinischen Ermittlungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verweist auf die gutachterlichen Feststellungen der Prof. Dr. A und Dr. M sowie die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Durch den ständigen Umgang mit der ionisierenden Strahlung müsse der Vollbeweis als erbracht angesehen werden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes Befundberichte der behandelnden Ärzte, auch zu Vorerkrankungen, eingeholt. Vorbehandelnde Augenärzte nannte der Kläger trotz entsprechender Aufforderung durch die Beklagte nicht.

Das Gericht hat sodann durch den Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. W ein Gutachten eingeholt. Dieser kam unter dem 17. September 2008 zu dem Ergebnis, dass keine der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen hinreichend wahrscheinlich durch ionisierende Strahlen im Sinne der BK Nr. 2402 verursacht worden seien. Die objektivierbaren Daten ließen keine Bewertung zu, die eine Exposition oberhalb der heute gültigen Grenzwerte von 20 mSv für den Jahreszeitraum und 400 mSv für die Lebenszeitdosis begründete. Zusätzlich müsse berücksichtigt werden, dass auch eine nicht unerhebliche paraprofessionelle Strahlenbelastung aufgrund von mehrfach zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken erfolgten Injektionen mit radioaktivem Material sowie Therapien und zahlreiche Untersuchungen mit Röntgenstrahlen vorgelegen hätten. Als außerberufliche Faktoren sei insbesondere die UV-Lichtexposition infolge veränderten Freizeitverhaltens zu nennen, auch steige die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Tumor zu erleiden, mit zunehmendem Alter. Ohne Zweifel komme der Exposition gegenüber ionisierender Strahlung eine ursächliche Wirkung bei der Verursachung von Hauttumoren zu. Erstaunlicherweise sei jedoch bei den Opfern der Atombombenabwürfe in J keine Zunahme an Hautkarzinomen beobachtet worden. Bei Hauttumoren infolge einer vorangegangenen Strahlenschädigung seien Plattenepithelkarzinome die häufigsten, selten jedoch Basaliome. Auch für eine Diskussion im Sinne einer Synkarzinogenese auf der Basis der beruflichen Exposition gebe es keine Anhaltspunkte.

Es könne auch nicht gesichert werden, dass Teilkörperdosen außerhalb der Grenzwerte empfangen worden seien. Bei Hauttumoren könne man von solchen Expositionsbedingungen mit einer auf die Haut gerichteten Strahlung ausgehen, wie man sie bei der Tätigkeit von Operateuren oder Radiologen kenne. Eine ähnlich hohe Dosisbelastung auf die Gesichtshaut des Betroffenen sei vorliegend nicht wahrscheinlich zu machen. Insgesamt sei die Datenlage nicht ausreichend, um auf der Grundlage der Arbeitsplatzüberwachung eine sichere Dosisbewertung vorzunehmen. Eine biologische Dosimetrie könne bei unklarer Expositionshöhe hilfreich sein. Diese sehr häufig hilfreiche Brücke der so genannten biologischen Dosimetrie habe vorliegend jedoch ebenfalls kein Ergebnis gebracht, das die Schlussfolgerung einer Hautschädigung infolge der Exposition gegenüber ionisierender Strahlung zuließe. Brückenbefunde wären gewesen eine Atrophie, ungleichmäßige Pigmentierungen, Warzenbildung und/oder Verhornungen; hierfür habe es keine genügenden Anhaltspunkte gegeben. Die Mikroangiopathie der Hände sei nicht spezifisch für eine Strahlenexposition. Ein strahlenbedingter Katarakt hätte als Brückenbefund bei der Lokalisation des Hauttumors eine Verursachung infolge der beruflichen Tätigkeit mit Sicherheit annehmen lassen, da dann die Hautbelastung auch ein entsprechend hohes Niveau hätte haben müssen. Ausschlaggebend wäre daher durchaus eine Bewertung der Augenbelastung mit der Herausbildung einer Linsentrübung (Katarakt). Insoweit werde jedoch auf das von ihm eingeholte weitere augenärztliche Gutachten verwiesen.

Am 08. August 2008 hatte der Facharzt für Augenheilkunde Prof. Dr. R nach einer Untersuchung des Klägers ausgeführt, dass beim Kläger ein beginnender grauer Star (Cataracta incipiens) vorliege. Daneben beständen eine Abweichung der Sehachsen mit Schwachsichtigkeit links, angeboren, das linke Auge des Klägers habe seit seiner Kindheit nur eine mittlere Sehschärfe, sowie eine Alterssichtigkeit und Weitsichtigkeit. Vorliegend sei nur die Bewertung des beginnenden grauen Stars von Interesse. Das morphologische Bild der Katarakte beider Augen gleiche dem Beginn einer altersbedingten Linsentrübung mit geringer Beeinträchtigung der Sehschärfe. Der Linsenbefund entspreche dem Lebensalter des Klägers. Eine durch Strahlenexposition verursachte Linsentrübung könne aus dem Linsenbefund nicht abgeleitet werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung seiner Basaliomerkrankung als Berufskrankheit. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das zusprechende erstinstanzliche Urteil war daher aufzuheben.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch ionisierende Strahlen.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne eines Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lediglich für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits und zwischen der schädigenden Einwirkung und der eingetretenen Erkrankung andererseits reicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – aus (Bundessozialgericht (BSG), SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.).

Unter Beachtung dieser Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der BK 2402 der Anlage zur BKV vorliegen bzw. auf Gewährung von Leistungen wegen einer solchen BK.

Im Falle des Klägers ist eine ausreichende Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen im Sinne der BK 2402 nicht im nötigen Vollbeweis nachgewiesen. Das Gericht schließt sich den Feststellungen des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. W in dessen Gutachten vom 17. September 2008 und den Feststellungen des Prof. Dr. R in dessen Gutachten vom 08. August 2008 hier und im Folgenden an. Dr. W kam zu dem Ergebnis, dass die objektivierbaren Daten keine Exposition oberhalb der heute gültigen Grenzwerte von 20 mSv für den Jahreszeitraum und 400 mSv für die Lebenszeitdosis begründeten. Das Gericht folgt dieser zwar knappen Zusammenfassung des Dr. W, weil diese im Ergebnis unter Berücksichtigung der umfangreichen durch die Beklagte vorgebrachten Einwände überzeugt, während das für den Kläger günstige Gutachten des Prof. Dr. A trotz seiner umfangreichen Darstellung und Argumentation letztlich nicht haltbar ist.

Die beruflich bedingte Strahlenbelastung des Klägers ist für den ganz überwiegenden Zeitraum seiner Tätigkeit gemessen worden. Durch diese Messungen wurde für die über 19jährige Tätigkeit des Klägers im B Klinikum der F B von Juli 1980 bis Dezember 2000 eine Strahlenbelastung von 37,55 mSv nachgewiesen. Zu addieren sind hier Werte für die Belastung des Klägers während seiner Tätigkeit als Nachtwache mit Mitbetreuung des so genannten "Radiumzimmers" im M Krankenhauses Oktober 1976 bis März 1977, in denen keine Messung durch Dosimeter erfolgt ist. Bei einer worst-case-Betrachtung sind hier 45 mSv in Ansatz zu bringen, wie Dr. P mit Schreiben gegenüber der Beklagten vom 03. Dezember 2001 nachvollziehbar ausgeführt hat, wobei tatsächlich von einer weit geringeren Strahlendosis für den Kläger auszugehen ist. Weiter ist für die Exposition von Oktober 1969 bis März 1972, wo der Kläger zeitweilig bereits mit der Betreuung und Überwachung von strahlenbehandelten Patienten im Klinikum S der F B tätig war, ein Wert in Ansatz zu bringen, den Prof. Dr. A aufgrund eines Vergleiches mit der Belastung in den Jahren 1980 bis 1986 für drei Jahre mit 15,45 mSv errechnete. Da der Kläger hier nicht drei, sondern von Oktober 1969 bis März 1962 nur zweieinhalb Jahre tätig war, ist dieser Wert jedenfalls korrigiert mit 12,88 mSv in Ansatz zu bringen. Dies ergibt bei Zugrundelegung der worst-case-Betrachtung für die Zeit im M Krankenhaus eine Gesamt-Belastung von 95,43 mSv. Die Beklagte und der TAD gehen - offenbar unter Zugrundelegung einer Jahresdurchschnittsbelastung von 1,87 mSv für die Tätigkeit bei der FUB – ebenfalls nachvollziehbar von einer Gesamtbelastung von 88 mSv aus. Letztlich sind diese Werte insoweit nicht im Vollbeweis bewiesen, weil die Hälfte von ihnen lediglich aufgrund einer Schätzung bei worst-case-Betrachtung ermittelt wurde, tatsächlich dürfte dieser Wert erheblich geringer sein. Insgesamt jedenfalls ist auch bei Zugrundelegung des höheren Wertes von 95,43 mSv die nach § 56 der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionosierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung – StrlSchV-) zulässige Gesamtlebensdosis von 400 mSv nicht zu einem Viertel erreicht.

Dieser Wert reicht nicht aus, um eine ausreichende Gefährdung zu begründen und dem folgend eine wesentliche Verursachung der Erkrankung des Klägers wahrscheinlich zu machen. Auch Prof. Dr. A ging davon aus, dass unter Berücksichtigung seiner Erläuterungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung ein Ganzkörperwert von 88 mSv für die Begründung einer Kausalität zwischen der langjährigen Strahlenexposition und seiner Hautkrebserkrankung im Gesicht nicht ausreicht (Bl. 21 des Gutachtens).

Eine wesentlich höhere Strahlenbelastung unterstellt Prof. Dr. A dann aufgrund eines Rückschlusses aus - von ihm angenommenen - strahlenbedingten Augenschäden. Eine derartige Vorgehensweise ist jedoch jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden bereits grundsätzlich nicht zulässig. Prof. Dr. A begründet seine Vorgehensweise damit, dass derartige Rückschlüsse für zulässig zu erachten seien, weil man beispielsweise bei fehlender physikalisch-dosimetrischer Überwachung etwa bei der Diagnostik von Strahlenunfallfolgen ja ebenfalls zulässigerweise Rückschlüsse aufgrund des Schadensbildes ziehe (Rückäußerung vom 26. Juni 2006, Bl. 2 f.). Dieser Behelf mag nahe liegen und gestattet sein in Fällen des Fehlens jeglicher Daten; die Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens in solchen Fällen gestattet jedoch nicht, derart angestellte Schätzungen an die Stelle tatsächlich und ordnungsgemäß erhobener Daten zu setzen. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass hier die Richtigkeit von im Vollbeweis festgestellten Daten durch einen lediglich durch Indizien gestützten Anscheinsbeweis widerlegt werden soll. Dies ist nicht zulässig. Grundsätzlich ist zwar der Beweiswürdigungsgrundsatz über den Beweis des ersten Anscheins auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar. Der Anscheinsbeweis ermöglicht bei so genannten typischen Geschehensabläufen, nach der Lebenserfahrung von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen (BSGE 81, 288, 293). Diese Möglichkeit ist jedoch bereits dann ausgeschlossen, wenn mehrere typische Geschehensabläufe oder Vorgänge möglich sind, auch wenn der eine wahrscheinlicher ist als der andere (BSG, SozR 1500 § 128 Nr. 35, und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Auflage, § 128 Rdnr. 9 bis 9 d). Dies gilt erst recht, wenn – wie vorliegend - nicht nur ein anderer Geschehensablauf möglich, sondern sogar durch Vollbeweis erbracht ist.

Die Höhe der Strahlenbelastung des Klägers ist während des ganz überwiegenden Zeitraumes seiner Tätigkeit gemessen worden; die Ergebnisse der Messungen sind bekannt und oben dargestellt worden. Etwas anderes gilt nicht deshalb, weil die Belastung für weitere, geringere Zeiträume, für die keine Messungen vorliegen, geschätzt werden musste. Gegen die Richtigkeit der ergänzenden Schätzung für die Jahre 1969 bis 1972 und 1976/77 auf der Grundlage der vorliegenden Daten sind weder seitens des Klägers noch von Prof. Dr. A Argumente vorgebracht worden; vielmehr hat auch Prof. Dr. A eine entsprechende Hochrechnung vorgenommen und für richtig gehalten. Wegen der Problematik einer möglichen Teilkörperbestrahlung, die aufgrund eines Schutzes durch Blei durch den vom Kläger getragenen Dosimeter nicht erfasst worden sein könnte, hat die Beklagte nach Rücksprache mit dem Leiter der Nuklearmedizin der F B Dr. H eine Korrektur der erhobenen Daten dahingehend vorgenommen, dass bei der mit dem Dosimeter ermittelten Strahlung ein Schwächungsfaktor durch den Bleischutz für die geschützten Körperteile berücksichtigt und der dergestalt korrigierte Wert beurteilt worden ist. Diese Vorgehensweise begegnete keinen Bedenken; das so gefundene Ergebnis beruht auf den erhobenen Daten und einem nachvollziehbaren Rechenschritt und kann daher insgesamt noch als im Vollbeweis festgestellt angesehen werden. Die Richtigkeit derart festgestellter Daten ist durch einen bloßen Rückschluss aus einem Schaden nicht zu widerlegen.

Abgesehen davon überzeugte die diesbezügliche Argumentation des Prof. Dr. A auch aus anderen Gründen nicht. Insbesondere ging der Gutachter trotz der überzeugenden Gegenargumente der Beklagten auf diese nicht ein. Auf die Einwände der Beklagten, dass der fehlende Schutz für das Gesicht des Klägers ja bereits rechnerisch ermittelt und in die Berechnung eingeflossen sei, ist Prof. Dr. A weder in seinem Gutachten vom 28. Februar 2006 noch in seiner Rückäußerung vom 26. Juni 2006 eingegangen. Die Beklagte hat des Weiteren überzeugend eingewandt, dass aus möglichen an den Händen festgestellten Schäden nicht auf eine Strahlenbelastung im Gesicht rück geschlossen werden könne, weil das Gesicht von der Strahlenquelle weiter entfernt sei als die Hände und die Strahlung mit der Entfernung erheblich abnehme. Dies erscheint insbesondere deshalb überzeugend, weil der Kläger ganz überwiegend in der Nachbetreuung strahlenbehandelter Patienten tätig und daher an der Strahlenquelle Mensch mit den Händen wesentlich näher war als mit seinem Gesicht. Auch auf diese Argumente ist Prof. Dr. A weder in seinem Gutachten noch in seiner Rückäußerung eingegangen. Diesen Aspekt hielt auch Dr. W für relevant, der ausführte, dass Hauttumore aufgrund von Expositionsbedingungen vor allem dort erklärlich seien, wo die Strahlung auf die Haut gerichtet sei, wie dies etwa bei Operateuren der Fall ist.

Letztlich konnten auch die von Prof. Dr. Aals Brückensymptome für eine ausreichende Strahlenbelastung herangezogenen Augenschäden nicht festgestellt werden. Der durch den Gutachter Dr. W herangezogene Sachverständige Prof. Dr. R kam in seinem Gutachten vom 08. August 2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger lediglich eine altersbedingte Linsentrübung besteht, während eine durch Strahlungsexposition verursachte Linsentrübung aus dem Linsenbefund nicht abgeleitet werden könne. Auch dieses Gutachten des Prof. Dr. R erscheint trotz seiner Knappheit insgesamt überzeugender als das durch Prof. Dr. A eingeholte Zusatzgutachten des Dr. M Denn letzterem ist irgendeine Begründung für die Annahme von strahlenbedingten Veränderungen nicht zu entnehmen, auch seine Rückäußerung auf die erheblichen Einwände der Beklagten ist insoweit unergiebig; die bloße Behauptung einer vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung ohne irgendeine Erläuterung war insoweit nicht ausreichend. Die Bedeutung des Farbschillerns ist nicht erklärt worden. Lediglich für die – vorliegend im Ergebnis nicht relevante - Einschätzung, dass die Trübungen der vorderen Linsenanteile und die Kerntrübungen nicht der Einwirkung von ionisierenden Strahlen zuzurechnen sind, ist eine, allerdings auch nicht nachvollziehbare, Quelle genannt worden. Unklar blieb, weshalb Teile der Linsentrübungen altersbedingt und andere Teile strahlenbedingt sein sollen.

Das Gutachten des Prof. Dr. A überzeugte auch aus weiteren Gründen nicht. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Gutachten jegliche Abwägung von Möglichkeiten einer außerberuflichen Verursachung des Basalioms fehlt. Dies wäre angesichts des Umstandes, dass auch nach Prof. Dr. Adas beim Kläger aufgetretene Basaliom in der Normalbevölkerung "sehr häufig" auftritt (Bl. 19 des Gutachtens), sowie weiter angesichts der auch von Prof. Dr. A eingeräumten Bedenken, dass es angesichts der streng reglementierten Strahlenschutzvorschriften in den Strahlenkliniken nach wie vor unklar bleibe, wie es zu der von ihm angekommenen recht hohen gesundheitsschädigenden Teilkörperbelastung beim Kläger gekommen sein soll, jedoch unabweisbar notwendig gewesen. Die Antworten auf die diesbezüglichen Einwände der Beklagten überzeugten nicht. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass insbesondere die Folgen der beim Kläger bestehenden zahlreichen anderen Erkrankungen wie z. B. der Diabeteserkrankung bei der Frage der Verursachung hätten gewürdigt werden müssen. Hier etwa antwortete Prof. Dr. A, dass die von ihm festgestellten mikroangiopathischen Kapillarschäden keinesfalls "nur" typisch für Diabetes mellitus seien. Abgesehen davon, dass dies von der Beklagten nicht behauptet worden war, ersetzt eine derartige Antwort nicht die notwendige differenzialdiagnostische Abwägung, die auch in Bezug auf die von Prof. Dr. A angenommen Augenschäden interessiert hätte.

Nach alledem war der Berufung der Beklagten daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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