L 27 RJ 106/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 659/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 RJ 106/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Mai 2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Rente des Klägers unter Änderung des Bescheids vom 22. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 rückwirkend zum 1. Januar 1997 ohne Berücksichtigung der Zeit ab dem 1. Januar 1973 als Verfolgungszeit neu festzustellen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seiner Altersrente, und zwar teilweise ohne Berücksichtigung von Verfolgungszeiten.

Der im Jahre 1924 geborene Kläger absolvierte in den Jahren 1946 bis 1951 eine Lehrerausbildung und war ab September 1951 als Oberstufenlehrer und Direktor einer Polytechnischen Oberschule im Beitrittsgebiet beschäftigt. Am 20. Oktober 1967 wurde ihm Berufsverbot erteilt. Ab November 1967 war er als Leiter der Materialwirtschaft eines Volkseigenen Betriebes (VEB) beschäftigt.

In der Zeit von September 1983 bis Dezember 1984 war er infolge einer weiteren Verfolgungsmaßnahme zunächst als Normer beschäftigt, danach bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit als Verkaufsleiter. Bis zu seinem Berufsverbot im Jahr 1967 hatte der Kläger ein jährlich ansteigendes Einkommen erzielt, welches sich im Jahr 1966 auf 12.160,- Mark der DDR belief. In den Jahren 1967 bis 1972 erzielte der Kläger hingegen Jahresverdienste, die unterhalb der damaligen Beitragsermessungsgrenze (7.200,- DDR-Mark) lagen. Erst ab November 1972 überschritt er diesen Grenzwert und entrichtete Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).

Mit Bescheid vom 23. August 1995 stellte das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg als zuständige Rehabilitierungsbehörde fest, dass der Kläger als Opfer rechtsstaatswidriger bzw. politischer Verfolgung durch das DDR-Regime zum Ausgleich beruflicher Benachteiligung für die Verfolgungszeiträume 20. Oktober 1967 bis 31. Dezember 1982 und 1. September 1983 bis 31. Dezember 1984 berechtigt sei. Der Kläger beantragte daraufhin bei der Beklagten die Neuberechnung seiner Sozialversicherungsrente. Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 1996, der bestandskräftig wurde.

Nachdem das Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (berufliches Rehabilitierungsgesetz – BerRehaG) im Jahre 2001 rückwirkend zum 1. Juli 1994 geändert worden war, stellte auf Antrag des Klägers zur Neuberechnung seiner Rente der Beklagte rückwirkend zum 1. Juli 1994 mit Bescheid vom 3. Mai 2002 fest, dass sich auch durch die Änderung BerRehaG eine Änderung der Altersrente nicht ergebe. Zwar sei nunmehr das Einkommen in den letzten drei Jahren vor dem Berufsverbot, also in den Jahren 1964 bis 1966, bei einer Vergleichsberechnung zugrunde zu legen, jedoch habe sich gegenüber der Rentenberechnung vom 22. Juli 1996 kein günstigerer Betrag für den Kläger ergeben, so dass eine Neuberechnung der Rente nicht erfolgt sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 zurück: das BerRehaG bezwecke den Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung für solche Personen, die im Beitrittsgebiet infolge von politischer Verfolgung im Beruf im erheblichen Maße benachteiligt worden seien. Die hierbei anzusetzenden Entgelte seien nach einem pauschalierten, im Gesetz vorgegebenen Verfahren zu bemessen, so dass für eine individuelle Berechnung kein Raum bleibe.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 27. Mai 2003 abgewiesen: Die Beklagte sei an den Rehabilitierungszeitraum gebunden, den die Rehabilitierungsbehörde mit ihrem Bescheid vom 23. August 1995 festgestellt habe. Dieser Bescheid besitze eine bindende Tatbestandswirkung. Soweit das BerRehaG auch einen Nachteilsausgleich vorsehe, erfolge dieser nur nach einem pauschalierten Verfahren. Bei festgestellten Zeiten der Rehabilitierung sei nicht individuell abzuweisen. Gegen dieses ihm am 23. Juli 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. August 2003 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, er habe nach dem 31. Dezember 1972 ein höheres Einkommen erzielt, als es nach den Vorschriften des BerRehaG zugrunde gelegt werde und hierauf auch entsprechend Beiträge entrichtet. Deshalb seien die Zeiten bis zum Ablauf des Jahres 1972 als Verfolgungszeiten zu bewerten, die Zeiten ab dem Jahre 1973 hingegen nicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5. März 2009 hat der Kläger seinen Antrag nach § 10 Satz 2 BerRehaG für die Zeit ab dem 1. Januar 1973 ausdrücklich zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Mai 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Rente des Klägers unter Änderung des Bescheids vom 22. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 rückwirkend zum 1. Januar 1997 ohne Berücksichtigung der Zeit ab dem 1. Januar 1973 als Verfolgungszeit neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Auf Veranlassung des Gerichts hat die Beklagte am 30. September 2005 eine hypothetische Vergleichsberechnung zugunsten des Klägers erteilt, bei der die Zeiten bis zum Jahre 1972 als Verfolgungszeiten bewertet werden, die Zeiten ab dem Jahre 1973 hingegen nicht. Daraus ergibt sich eine für den Kläger höhere Rente.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen, die Niederschriften zu den Erörterungsterminen mit dem Berichterstatter vom 27. Mai 2003, 25. April 2005 und 17. Februar 2006 sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 153 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist auch in der Sache begründet. Das Urteil des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben, denn dem Kläger steht der aus dem Tenor ersichtliche Anspruch zu.

1. Das Begehren des Klägers ist im Ergebnis darauf gerichtet, zu seinen Gunsten eine Überprüfung des bestandskräftigen Rentenbescheides vom 22. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 zu erreichen. Demgegenüber war es während des gesamten Rechtsschutzverfahrens nicht das Ziel des Klägers, eine Neufeststellung seiner Rente auf der Grundlage des § 13 Abs. 1a BerRehG zu erreichen. Die Einführung des § 13 Abs. 1a BerRehaG durch Art. 7 Nr. 2 Buchst. A nach Maßgabe des Art. 11 des Gesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBL I S. 1939) war lediglich der Anlass dafür, dass der Kläger eine Neuberechnung seiner Rente begehrte. Nachdem jedoch die Beklagte die Neuberechnung durchgeführt, dabei keine Verbesserung der Rentenhöhe ermittelt und dementsprechend mit den hier angefochtenen Bescheiden eine Neufeststellung abgelehnt hatte, hat der Kläger im anschließenden Rechtsschutzverfahren die Berechnung nach § 13 Abs. 1a BerRehaG nicht in Frage gestellt und auch keine Einwände dagegen erhoben, dass aufgrund dieser Vorschrift keine Neufeststellung seiner Rente erfolgte. Die Einwände des Klägers waren vielmehr von Anfang an darauf gerichtet, dass seine rentenversicherungsrechtlichen Zeiten ab dem Jahre 1973 nicht als Verfolgungszeiten, sondern als Beitragszeiten entsprechend den tatsächlich entrichteten Rentenbeiträgen bewertet wurden. Der Sache nach stellte sich dieses Begehren von vornherein nicht als Neufeststellungsbegehren nach § 13 Abs. 1a BerRehaG dar, sondern vielmehr als Überprüfungsbegehren nach § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X).

2. In diesem Sinne verstanden, ist die Klage zulässig. Dem steht insbesondere auch nicht ein etwa fehlendes Verwaltungsverfahren nach § 54 SGG entgegen. Zwar hat die Beklagte – ausgehend von der irrigen Annahme, der Kläger greife eine Ablehnung der Neufeststellung nach § 13 Abs. 1a BerRehaG an – die Vorschrift des § 44 SGB X bei ihrer Prüfung nicht in den Blick genommen und aus ihrer Sicht auch keinen auf § 44 SGB X gestützten Bescheid erteilt. Dies ändert aber nichts daran, dass im hier allein betroffenen Bereich des gebundenen Verwaltungshandelns nicht die von der Beklagten herangezogene Rechtsgrundlage den Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens umschreibt, sondern vielmehr die vom Kläger begehrte Rechtsfolge. Diese wiederum war und ist darauf gerichtet, für die Zeit ab dem 1. Januar 1973 eine günstigere Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten zu erlangen, und die Herbeiführung genau dieser Rechtsfolge hat die Beklagte in ihren angefochtenen Bescheiden – wenn auch unter Prüfung anderer rechtlicher Voraussetzungen – abgelehnt. Gleichfalls erstreckt sich auch das erstinstanzliche Urteil auf eben diese Rechtsfolge.

3. Die Klage ist für den nunmehr nur noch geltend gemachten Zeitraum ab dem 1. Januar 1997 auch begründet.

a) Der Bescheid vom 22. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 erweist sich als rechtswidrig. Der Kläger besitzt einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die vorgenannten Bescheide aufhebt und seine ab dem Jahre 1973 zurückgelegten rentenversicherungsrechtlichen Beitragszeiten entsprechend der Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge und nicht als Verfolgungszeiten im Sinne des BerRehaG bewertet. Denn die rentenversicherungsrechtlichen Zeiten des Klägers ab dem Jahre 1973 sind keine Verfolgungszeiten im Sinne der §§ 10 ff BerRehaG.

Nach § 10 Satz 1 BerRehaG ergänzen diese Vorschriften zugunsten des Verfolgten die allgemein anzuwendenden rentenrechtlichen Vorschriften. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob nicht bereits aufgrund dieser Formulierungen des Gesetzgebers die Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten des Klägers ab dem Jahre 1973 als Verfolgungszeiten ausgeschlossen ist. Denn in der Zeit ab dem Jahre 1973 hat der Kläger tatsächlich höhere Beiträge zur Rentenversicherung einschließlich der FZR entrichtet, als es einer Bewertung der Zeiten als Verfolgungszeiten entsprechen würde. Es spricht aus Sicht des Senats vieles dafür, dass die Bewertung dieser Zeiten als Verfolgungszeiten unterhalb der tatsächlichen Beiträge eine den Verfolgten benachteiligende Rechtsfolge ist, die durch die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung "zugunsten" gerade ausgeschlossen werden sollte. Der Einwand der Beklagten, die Anwendung der §§ 10 ff. BerRehaG "zugunsten" des Verfolgten beziehe sich lediglich auf den gesamten Versicherungsverlauf und lasse es zu, dass der Verfolgte in einzelnen Abschnitten seines Versicherungsverlaufs durchaus durch die Anwendung der §§ 10 ff. BerRehaG benachteiligt werde, erscheint dem Senat als wenig überzeugend. Jedenfalls hat sie im Wortlaut des Gesetzes keine ausdrückliche Stütze gefunden. Darüber hinaus ordnet § 14 Abs. 1 BerRehaG an, dass Verfolgungszeiten nur dann als dort näher bezeichnete rentenversicherungsrechtliche Zeiten gelten, "soweit sie nicht nach den allgemein anzuwendenden Vorschriften Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit oder Beitragszeiten zur FZR sind". Dies deutet aus Sicht des Senats darauf hin, dass Verfolgungszeiten jedenfalls durch günstigere "echte" Beitragszeiten verdrängt werden.

Dies bedarf jedoch im Ergebnis keiner Entscheidung, denn zur Überzeugung des Senats ist die Bewertung der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten des Klägers als Verfolgungszeiten ab dem Jahre 1973 jedenfalls durch die Vorschrift des § 10 Satz 2 BerRehaG ausgeschlossen. Hiernach werden Leistungen nach den §§ 10 ff BerRehaG auf Antrag erbracht; im Einzelfall können sie auch von Amts wegen erbracht werden. An einem derartigen Antrag des Klägers fehlt es für die Zeit ab dem Jahre 1973. Zwar hat der Kläger ursprünglich einen derartigen Antrag gestellt. Diesen Antrag hat er indessen im späteren Verlauf mehrfach zurückgenommen. So spricht bereits vieles dafür, dass schon im Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. Juni 1996 eine sinngemäße Rücknahme des Antrags lag. Jedenfalls hat der Kläger während des hier streitigen Überprüfungsverfahrens, welches er im Jahre 2001 in Gang setzte, mehrfach sinngemäß und während des Gerichtsverfahrens schließlich auch ausdrücklich seinen Antrag für die Zeit ab dem Jahre 1973 zurückgenommen. Der Senat hegt keine Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Antragsrücknahme. Zwar hat der Kläger seine Antragsrücknahme nur auf einen Teil des ursprünglichen Antrags – nämlich auf die Zeit ab dem Jahre 1973 – beschränkt. Es findet sich im BerRehaG indessen kein Hinweis darauf, dass eine Antragsrücknahme nicht teilbar sein soll. Vielmehr spricht die Anknüpfung an einzelnen rentenversicherungsrechtlichen Zeiten gerade dafür, dass der Antrag nach § 10 Satz 2 BerRehaG gerade auf einzelne, gegebenenfalls auch kurze Zeitabschnitte bezogen, beschränkt und auch zurückgenommen werden kann. Gleichfalls findet sich im BerRehaG auch kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die nach allgemeinen Grundsätzen zulässige rückwirkende Antragsrücknahme gerade hier ausschließen wollte.

b) Die Neufeststellung der Rente begegnet auch in zeitlicher Hinsicht keinen Bedenken. Der Kläger hat nach richterlichem Hinweis sein Neufeststellungsbegehren auf Rentenleistungen ab dem Jahre 1997 beschränkt und bewegt sich damit im Rahmen der materiell-rechtlichen Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X. Die Frage, ob Neufeststellungen außerhalb eines Verfahrens nach § 44 SGB X nach Maßgabe des § 13 Abs. 1a BerRehaG gegebenenfalls auch weiter zurück reichen können (hierzu vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. November 2007, L 21 R 327/05, juris Randnummer 35), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Die vom Kläger im Berufungsverfahren nach richterlichem Hinweis vorgenommene zeitliche Beschränkung seines Begehrens fällt im Hinblick darauf, dass zwischen den Beteiligten die Neufeststellung dem Grunde nach vorrangig im Streit war, nicht erheblich ins Gewicht.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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