L 28 B 2176/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 AS 31353/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 2176/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wohnraum steht nicht mehr zur Verfügung; Erteilung einer abstrakten, nicht auf eine konkrete Wohnung bezogenen Zusicherung nicht möglich; keine Elementenfeststellungsklage, wenn es um die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten geht
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M S ab Antragstellung gewährt. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im Wesentlichen noch die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr die Übernahme der Kosten für eine mindestens fünf Zimmer umfassende, bis zu 120 m² große Wohnung mit einer Bruttowarmmiete von bis zu 1.100,00 EUR zuzusichern. Weiter beantragt sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.

Die 1966 geborene Antragstellerin sowie ihre zwischen Juni 1991 und November 2005 geborenen sechs Kinder beziehen seit Anfang 2005 bzw. seit ihrer Geburt Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift bewohnen sie eine zum 01. Juli 1998 angemietete, sich über 90,57 m² erstreckende 3-Zimmer-Wohnung.

Im Januar 2006 beantragte die Antragstellerin erstmals eine Mietübernahmegarantie, deren Erteilung der Antragsgegner unter Hinweis auf die Unangemessenheit der für die gewählte Wohnung zu zahlenden Miete (1.217,68 EUR) ablehnte. Zwischen August 2006 und Juni 2008 legte die Antragstellerin dem Antragsgegner mehrere weitere Wohnungsangebote über Wohnungen bzw. ein Reihenhaus in den B Bezirken L, G, N und R mit einer Größe zwischen 110,45 m² und 161,51 m² vor. Die jeweils zu zahlenden Bruttowarmmieten beliefen sich auf 993,93 EUR bis 1.289,09 EUR. In allen Fällen lehnte der Antragsgegner die Erteilung der begehrten Zusicherung unter Hinweis darauf ab, dass nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) für einen Haushalt mit sechs und mehr Personen eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 805,00 EUR angemessen sei. Darüber hinausgehend erklärte er sich in einigen Verfahren bereit, im Sinne einer "10 %-Regelung" eine Bruttowarmmiete von bis zu 885,00 EUR als zustimmungsfähig anzusehen. Die Mieten in den jeweiligen Wohnungsangeboten seien damit zu hoch.

Am 9. Oktober 2008 beantragte die Antragstellerin schließlich die Übernahme der Mietkosten für eine 113,75 m² große, über Terrasse und Garten verfügende 5-Zimmer-Wohnung in der Cstraße in B, für die eine Bruttowarmmiete in Höhe von 1.079,17 EUR zu zahlen war.

Mit Bescheid vom selben Tage lehnte der Antragsgegner die Erteilung der begehrten Zusicherung mit der Begründung ab, dass für einen Haushalt mit sechs und mehr Personen eine Bruttowarmmiete in Höhe von 805,00 EUR angemessen sei, das Wohnungsangebot diesen Grenzbetrag aber übersteige. Den hiergegen am 16. Oktober 2008 eingelegten Widerspruch der Antragstellerin, mit dem sie geltend machte, dass eine 3-Zimmer-Wohnung für sieben Personen unzumutbar sei, wies er mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Wohnung, für die die Zusicherung begehrt werde, weder nach den AV-Wohnen noch in Anwendung der - nach der Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts maßgeblichen - Produkttheorie angemessen sei. Unter Ansatz von 120 m² Wohnfläche, einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von 4,38 EUR/m², "kalten" Betriebskosten in Höhe von 1,75 EUR/m² und Heizkosten in Höhe von 0,85 EUR/m² ergebe sich eine Angemessenheitsgrenze von 837,60 EUR. Diese Kostengrenze werde mit der angebotenen Wohnung deutlich überschritten.

Bereits am 9. Oktober 2008 hatte die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend seine Zustimmung zum Umzug in die Wohnung in der CB zu geben sowie die Kaution in Höhe von drei Kaltmieten, die Umzugskosten und evtl. Renovierungskosten zu übernehmen.

Der Antragsgegner blieb bei seiner Auffassung, dass die Wohnung nicht angemessen sei, und legte drei Angebote für Wohnungen in B-S vor, die seines Erachtens die von ihm zugrunde gelegten Kriterien erfüllen.

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 hat das Sozialgericht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Umzug der Antragstellerin mit ihren Kindern zwar dringend erforderlich, die Miete der von ihr ausgesuchten Wohnung indes nicht angemessen sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen die vom Antragsgegner in Anwendung der Produkttheorie ermittelte Angemessenheitsgrenze von 837,60 EUR bestätigt und die gewählte Wohnung auf dieser Grundlage als nicht angemessen angesehen.

Gegen diesen ihr am 29. Oktober 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. November 2008 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Zugleich hat sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, dass es im Bezirk S-Z keine Wohnungen zu einer Kaltmiete von 525,60 EUR bzw. Bruttowarmmiete von 837,60 EUR gebe. Derartige Wohnungen seien allenfalls in M oder N erhältlich. Es sei ihr und ihren Kindern jedoch nicht zuzumuten, in andere Bezirke umzuziehen. Sie hätten ein Recht darauf, in ihrem sozialen Umfeld leben zu können. Ihre drei älteren Kinder besuchten die B-Oberschule in L, die sie mit dem Bus in 20 Minuten erreichten. Ihre sieben- und zehnjährigen Töchter hätten jeweils schon eine Klasse wiederholen müssen und besuchten die G Grundschule am Odamm und anschließend einen angegliederten Hort. Sie erreichten beides mit dem Bus in 10 Minuten.

Auf Anfrage der Berichterstatterin hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin am 18. Februar 2009 mitgeteilt, dass die Wohnung, für die die Zusicherung begehrt worden sei, inzwischen anderweitig vermietet sei. Allein dies könne jedoch nicht zu einer Zurückweisung der Beschwerde der Antragstellerin führen, weil damit faktisch ihr Zugang zum Recht vereitelt sei.

Die Antragstellerin beantragt neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe nunmehr noch,

den Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2008 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr die Zustimmung zum Umzug in eine höchstens fünf Zimmer umfassende, bis zu 120 m² große Wohnung im Bezirk S (L) bis zu einer Miethöhe von 1.100,00 EUR bruttowarm, hilfsweise im Bereich der unteren Miethöhe der tatsächlich anmietbaren Wohnungen in diesem Bezirk zu erteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2008 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Nicht jedoch ist sie begründet.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen. Im Gegenteil hält der Senat ihr Begehren für unzulässig, auch wenn er nicht verkennt, dass es für die Antragstellerin nicht leicht ist, ihr Begehren sachgerecht zu verfolgen.

Das ursprüngliche Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Übernahme der Miete für eine in der Cstraße in Bgelegene113,75 m² große 5-Zimmer-Wohnung zu einer Bruttowarmmiete in Höhe von 1.079,17 EUR zuzusichern, hat sich dadurch erledigt, dass die Wohnung nach den Angaben ihres Verfahrensbevollmächtigten zwischenzeitlich anderweitig vermietet worden ist.

Soweit die Antragstellerin dieser Situation damit Rechnung zu tragen versucht, dass sie nunmehr nicht mehr die Erteilung einer Zusicherung für eine konkrete Wohnung begehrt, sondern – wie von Anfang an mit der Beschwerde hilfsweise geltend gemacht - für eine abstrakt nach Größe, Raumanzahl und Miethöhe umschriebene Unterkunft, ist dies zur Überzeugung des Senats nicht zulässig. § 22 Abs. 2 SGB II sieht in seinem Satz 1 vor, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen soll. Nach Satz 2 ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen. Die danach zu erteilende Zusicherung muss sich jedoch auf eine bestimmte Unterkunft mit Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in bestimmter Höhe beziehen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 75, 85, Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15.12.2006 - L 5 B 1147/06 AS ER, dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de; Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.03.2007 – L 13 AS 38/07 ER – zitiert nach juris, Rn. 15). Eine sich nicht auf eine konkrete Wohnung beziehende Zusicherung kann nicht erteilt werden. Das hierauf gerichtete Begehren ist unzulässig.

Auch wäre der Antragstellerin nicht mit einer Auslegung ihres Antrages in einen Feststellungsantrag geholfen.

Ein Antrag festzustellen, dass die Ablehnung der Erteilung der für die Wohnung in der Cstraße in B begehrten Zusicherung rechtswidrig war, wäre ebenfalls unzulässig. Es kann dahinstehen, ob im Einzelfall ausnahmsweise ein Interesse daran bestehen kann, in einem Hauptsacheverfahren mit einem Antrag nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Zusicherung zu überprüfen. Jedenfalls wäre ein solcher Fortsetzungsfeststellungsantrag im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zulässig (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21.07.2008 – L 26 B 807/08 AS ER -, zitiert nach juris, Rn. 4 m.w.N.).

Ebenso wenig wäre ein Antrag auf Feststellung, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung für eine bis zu 120 m² große, höchstens fünf Zimmer umfassende Wohnung im B Bezirk S (L) zu einer Bruttowarmmiete von bis zu 1.100,00 EUR oder im Bereich der unteren Miethöhe der tatsächlich anmietbaren Wohnungen in diesem Bezirk hat, zulässig. Einem dahingehenden Antrag entspräche in der Hauptsache eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, mit der die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden kann. Nicht hingegen sieht das Gesetz eine Feststellungsklage wegen einzelner Elemente, z.B. Rechts- oder Vorfragen, vor. Ob in Fällen, in denen seitens eines Leistungsträgers die Erforderlichkeit eines Umzuges pauschal in Abrede gestellt wird, im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie ausnahmsweise eine so genannte Elementenfeststellungsklage zulässig ist (so Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15.12.2006, L 5 B 1147/06 AS ER, dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de), bedarf hier keiner Klärung. Denn die Erforderlichkeit des Umzuges ist vorliegend zwischen den Beteiligten unstreitig und ausdrücklich auch vom Sozialgericht Berlin bejaht worden. Der Senat lässt es offen, ob er in diesen Fällen eine Elementenfeststellungsklage für zulässig erachtet. Nicht jedenfalls hält er diese für möglich, wenn es – wie im vorliegenden Fall – allein um die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten geht. Auf einen dahin gerichteten Antrag hätte das Gericht letztlich ein Rechtsgutachten zur Höhe der maximal als angemessen anzusehenden Kosten für die Unterkunft und Heizung zu erstatten. Hierzu aber sind die Gerichte – und dies vor allem nicht im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – nicht berufen.

Allerdings weist der Senat darauf hin, dass der Antragsgegner und ggf. das Sozialgericht in einem etwaigen Folgeverfahren zu beachten haben werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht nur die abstrakte Angemessenheit der Unterkunftskosten festzustellen ist, sondern in einem weiteren Schritt auch zu prüfen ist, ob es zu den als angemessen erachteten Kriterien konkret Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt gibt. Dabei dürfte im Falle der Antragstellerin und ihrer sechs Kinder besonderes Augenmerk auf die Frage zu lenken sein, wie viele Zimmer die Familie benötigt und ob Wohnungen in der als angemessen erachteten Größe mit der erforderlichen Zimmeranzahl auch tatsächlich anzumieten sind. Schließlich wird – unter Beachtung insbesondere der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Februar 2009 (B 4 AS 30/08 R, zitiert nach dem Terminbericht Nr. 10/09 vom 19. Februar 2009) – zu klären sein, ob entsprechende Wohnungen in einem örtlichen Nahbereich zu erhalten sind, in dem die Aufrechterhaltung des sozialen Umfeldes insbesondere der Kinder gesichert ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Der bedürftigen Antragstellerin war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren (§ 73a SGG i.V.m. 114 ff. ZPO). Im Hinblick auf die Vielzahl erfolgloser Anträge der Antragstellerin auf Erteilung einer Zusicherung und die fehlenden Ausführungen sowohl in dem angefochtenen Bescheid des Antragsgegners als auch im erstinstanzlichen Beschluss zur konkreten Verfügbarkeit des abstrakt als angemessen erachteten Wohnraums geht der Senat davon aus, dass das Beschwerdeverfahren hinreichende Erfolgsaussichten hatte und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig war.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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