L 28 AS 489/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 116 AS 2284/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 489/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II kann auch dadurch begründet sein, dass die Fortführung der Ausbildung und der Verbleib in der eigenen Wohnung existentielle stabilisierende Faktoren in einer schwierigen psychischen, familären und sozialen Situation darstellen.
Der Annahme eines Härtefalls und Zuerkennung von Leistungen in (teilweiser) Höhe der Kosten der Unterkunft auf Basis eines Darlehens steht ein Ausschluss von ergänzenden Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II wegen Anrechnung des Elterneinkommens nicht entgegen. Die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (BGBl I 2006, 1706, 1709), mit dem die zusätzliche Fördermöglichkeit eines Zuschusses zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft eingeführt wurde, verweist ausdrücklich darauf, dass es bei Nichterfüllung der Voraussetzungen im Übrigen bei der bisherigen Rechtslage verbleibt.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2009 wird als unzulässig verworfen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2009, mit dem das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, der Antragstellerin ab dem 26. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 121,00 EUR auf Darlehensbasis zu gewähren, ist nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht statthaft ist.

Gemäß § 172 Absatz 3 Nr. 1 SGG in der seit dem 01. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444) ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Dies ist vorliegend der Fall. Denn nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG ist die Berufung bei einer auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteten Klage bzw. einem hierauf gerichteten Verwaltungsakt nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt, es sei denn, es handelt sich um wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verpflichtung, insgesamt 629,19 EUR (5 Monate und 6 Tage - 121 EUR) auf Darlehensbasis zu gewähren. Damit ist der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes nicht erreicht. Dass der erstinstanzliche Beschluss eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung enthält, rechtfertigt keine andere Entscheidung und hat insbesondere keine Bindungswirkung für den Senat.

Unabhängig davon ist auch im Hinblick auf künftige Bewilligungsabschnitte darauf hinzuweisen, dass die Beschwerde auch in der Sache unbegründet sein dürfte. Nach § 7 Abs. 5 Satz 2 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB II) können trotz des Leistungsausschlusses bei einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings nur als Darlehen und nicht als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die Verwaltung unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick auf das "Ob" der Leistungsgewährung wird alsdann im Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein (vgl. Entscheidungen des BSG vom 6. September 2007, - B 14/7b AS 36/06 R und B 14/7b AS 28/06 R - zitiert nach juris). Bei dem Tatbestandsmerkmal "besonderer Härtefall" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 11b/7b AS 36/06 R - zitiert nach juris, Rn. 22). Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung besteht nicht. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs folgt den allgemeinen Grundsätzen der Normauslegung. Nach der Rechtsprechung des BVerwG zur Vorgängervorschrift nach § 26 BSHG (BVerwGE 94, 224 ff) ist ein besonderer Härtefall dann anzunehmen, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber in Kauf genommen wird. Mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, müsse der Ausschluss von der Ausbildungsförderung als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen. Dazu sind verschiedene Fallgruppen entwickelt worden.

So ist ein besonderer Härtefall unter dem Gesichtspunkt gegeben, dass die konkrete Ausbildung bei objektiver Betrachtung die einzige realistische Chance darstellt, Zugang zum Erwerbsleben zu erhalten. Denn auch im Anwendungsbereich der Härteregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II muss dem bereits in § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB II verankerten Ziel der Grundsicherung, die erwerbstätigen Hilfebedürftigen bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen, hinreichend Rechnung getragen werden (s. hierzu BSG, Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - zitiert nach juris). Der Zielsetzung des "Förderns" entspricht es, arbeitsmarktbezogene Aspekte bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Härte zuzulassen (BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 28/07 R - zitiert nach juris Rn. 22). Zusätzlich können besondere soziale und/oder persönlichkeitsbedingte Problemlagen dazu führen, dass eine Ausbildung für den Zugang zum Erwerbsleben eine so herausragende Bedeutung erlangt, dass es unzumutbar wird, eine Ausbildung aus finanziellen Gründen abzubrechen (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R - zitiert nach juris, Rn. 37).

In einer derartig außergewöhnlichen Situation hinsichtlich ihrer Ausbildung befindet sich die 1988 geborene Antragstellerin. Nach dem vom Bezirksamt M v B (sozialpsychiatrischer Dienst und Fachstelle für Wohnungsnotfälle) in mehreren Stellungnahmen und Aktenvermerken im Wesentlichen bestätigten Vortrag stellen die Durchführung der Ausbildung an der Fachoberschule für Gestaltung zum Fachabitur im Medienbereich und der Verbleib in der eigenen Wohnung existenzielle stabilisierende Faktoren in einer schwierigen psychischen, familiären und sozialen Situation der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin leidet an einer tief greifenden psychischen Störung (Borderline-Störung mit depressiven Episoden und suizidalen Krisen). Nach längerer Zeit der Obdachlosigkeit wird sie seit Ende 2006 von der T B g G mbH im Rahmen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten betreut. Ab 2007 lebte sie im Rahmen des betreuten Einzelwohnens in einem Wohnprojekt der T. Wegen vielfältiger sozialer Schwierigkeiten wurde nach Einschätzung der Leistungsträger die Rückführung in den elterlichen Haushalt der getrennt und außerhalb von B lebenden Eltern nicht vorgesehen. Seit Auslaufen der Maßnahme lebt die Antragstellerin in einer 1 ½ Zimmer-Wohnung, für die sie derzeit 359,84 EUR zu zahlen hat. Sie wird weiterhin vom sozialpsychiatrischen Dienst des B und der T betreut. Die Aufnahme der Schulausbildung zum 1. September 2008 wurde mit der Berufsberatung, der T und dem B im Rahmen der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten abgestimmt. Die Antragstellerin konnte sich im Laufe der Betreuung wesentlich psychisch stabilisieren. Sie hat zur Vorbereitung der Ausbildung verschiedene Kurse besucht und ist für die Ausbildung motiviert.

Der Antragsgegner hält den Standpunkt des Sozialgerichts, der weitere Berufsweg der Antragstellerin könne durch einen Ausbildungsabbruch gestört werden, für eine abstrakte Vermutung, die nicht begründet sei. Er verweist auf häufige Fälle, in denen aus unterschiedlichen Gründen eine Ausbildung abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werde. Dies überzeugt im konkreten Einzelfall nicht. Vielmehr belegen die Stellungnahmen des sozialpsychiatrischen Dienstes nachvollziehbar, dass nach der Erfahrung der Obdachlosigkeit, in der die Antragstellerin weder einer Schulausbildung noch einer Tätigkeit nachging, die jetzige Schulbildung bei gesicherten Unterkunftsverhältnissen von wesentlicher Bedeutung für ihre berufliche Integration und psychische Stabilität ist und ein Ausbildungsabbruch oder die Gefahr erneuter Obdachlosigkeit zu einer Destabilisierung der jetzigen Situation führen würde. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, dass die inzwischen 20jährige Antragstellerin bereits jetzt für ein Fachabitur vergleichsweise alt ist. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, warum die Antragstellerin bei einem späteren Ausbildungsbeginn anders als jetzt in der Lage sein sollte, aus eigenen Kräften ihren Lebensunterhalt einschließlich der Kosten für die Unterkunft zu sichern, da auch dann die Voraussetzungen für eine ergänzende Förderung nach dem SGB II als Zuschuss nicht vorliegen dürften. Selbst wenn sie sich für eine betriebliche Ausbildung entscheiden und einen Ausbildungsplatz erhalten sollte, erscheint es zweifelhaft, ob sie allein mit der Ausbildungsvergütung ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte. Soweit der Antragsgegner in seiner Beschwerdeschrift darauf verweist, dass wegen der Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB "eine andere Lösung" gefunden werden müsse, bleibt er wohl nicht ohne Grund jede Konkretisierung schuldig.

Ohne eine ergänzende Förderung durch den Antragsgegner auf Darlehensbasis ist die Antragstellerin mit ihren gegenwärtigen Mitteln nicht in der Lage, ihren Schulbesuch fortzusetzen. Ihr Existenzminimum besteht neben dem Regelsatz von 351,00 EUR aus den als angemessen anerkannten Unterkunftskosten in Höhe von knapp 360,00 EUR, beläuft sich also auf knapp 711,00 EUR. Dem stehen deutlich niedrigere Einkünfte gegenüber. Sie hat in geringem Umfang (unter 50 EUR monatlich) Nebeneinkommen und erhält nach ihren Angaben in der Beschwerdeschrift neben dem Kindergeld von jetzt 164,00 EUR von ihrem Vater monatlich 270,00 EUR und von ihrer Mutter 176,00 EUR. Leistungen, die ihr nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) dem Grunde nach gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG zustehen (383,00 EUR), erhält sie wegen der Anrechnung des Elterneinkommens nicht (vgl. Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung vom 20.10.2008). Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, hat sie daher auch keinen Anspruch auf ergänzende Leistungen zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 SGB II.

Der Annahme eines Härtefalls nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II steht dieser Ausschluss von ergänzenden Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht entgegen. Die Möglichkeit, bei Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsförderung in bestimmten Fallkonstellationen einen Zuschuss zu erhalten, ist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BGBl I 2006, 1706, 1709) zum 1. Januar 2007 eingeführt worden. Danach erhalten abweichend von § 7 Abs. 5 SGB II Auszubildende, die Leistungen nach dem BAföG oder SGB III erhalten und deren Bedarf sich unter anderem nach § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft. Begünstigt werden sollen von dieser Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers unter anderem Auszubildende, die BAföG als Schüler beziehen und nicht nach § 7 Abs. 6 SGB II anspruchsberechtigt sind. Ausdrücklich verweist die Gesetzesbegründung jedoch darauf, dass es bei Nichterfüllung der Voraussetzungen im Übrigen bei der bisherigen Rechtslage verbleibt, nach der in besonderen Härtefällen eine Darlehensgewährung möglich ist (BT-Drucks 16/1410 S 24). Dies ist schon deshalb plausibel, weil die Leistungsgewährung im Rahmen des Härtefalls lediglich auf Darlehensbasis erfolgt, während der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II endgültig gewährt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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