L 17 RA 57/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 373/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RA 57/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Gestritten wird über die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz – AVItech – (Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG -).

Die Klägerin ist die Witwe des 1930 geborenen Versicherten E G (im Folgenden: Versicherter). Dem Versicherten wurde am 3. Oktober 1964 nach einem Fernstudium an der Ingenieurschule R die Berechtigung verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur für Hüttentechnik zu führen. Sodann war der Versicherte nach seinen Angaben beim VEB M-P bis 1980 und danach beim VEB I zunächst als Konstrukteur und zuletzt als Leiter der Schutzgüteleitstelle bis Mai 1982 beschäftigt. Er war 1971 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung – FZR – beigetreten und erhielt ab 1. Mai 1982 aus dieser sowie aus der Sozialpflichtversicherung eine Invalidenrente. Am 27. Juli 1984 verstarb der Versicherte.

Die Klägerin, der von der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträger Witwenrente seit 1992 aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehegatten gewährt wird, beantragte im Februar 2001 die Feststellung von Zusatzversorgungszeiten zugunsten dieser Versicherung. Mit Bescheid vom 16. Mai 2002 und Widerspruchsbescheid vom 14. November 2002 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und führte zur Begründung der Entscheidung aus, der Versicherte habe keine positive Versorgungszusage erhalten und am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausüben können, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen ist.

Gegen den am 27. Dezember 2002 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit der am 23. Januar 2003 beim Sozialgericht erhobenen Klage gewandt. Zu deren Begründung hat sie geltend gemacht, sie dürfte als Witwe nicht schlechter gestellt werden, als wenn der Versicherte den Stichtag noch erlebt hätte.

Mit Urteil vom 17. Juni 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung dieser Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Regelungen des AAÜG könnten nicht zur Anwendung gelangen, weil dem Versicherten kein Versorgungsanspruch und auch keine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden sei. Er sei nicht in die AVItech einbezogen worden und erfülle auch nicht die vom Bundessozialgericht – BSG – aufgestellten Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der Einbezogenen. Eine fingierte Versorgung nach dieser Rechtsprechung setze voraus, dass am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt wurde, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG benannten Versorgungssysteme vorgesehen gewesen sei. Diese Voraussetzung werde nicht erfüllt, da die Beschäftigung des Versicherten 1982 geendet habe. Nicht ausreichend sei, wenn vor dem 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt wurde, aufgrund derer nach dem maßgeblichen Versorgungsrecht zwingend hätte eine Versorgungszusage erteilt werden müssen.

Gegen das ihr am 9. Juli 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Juli 2003 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung macht sie geltend, der Versicherte habe bereits während seiner Erwerbstätigkeit sämtliche Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt. Wenn bei Witwenrenten der Versorgungsfall vor dem 30. Juni 1990 eingetreten sei, dürfe man die Stichtagsregelung nicht schematisch anwenden. Würde man der Argumentation des Sozialgerichts folgen, bekäme niemand Hinterbliebenenrente, wenn der Versicherungsfall vor dem Stichtag eingetreten wäre. Eine solche Auffassung widerspreche der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die einen Bestandsschutz für die Ansprüche fordere, die bereits zu DDR-Zeiten erworben wurden. Es sei auch verfassungswidrig, diejenigen Hinterbliebenen, deren Anspruch auf eine Versorgungsleistung vor dem 30. Juni 1990 entstanden sei, anders zu behandeln, als diejenigen, deren Ehepartner am Stichtag noch gelebt hätten.

Nach ihrem Vorbringen beantragt die Klägerin,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2002 aufzuheben und diese zu verpflichten, die Beschäftigungszeit des Versicherten vom 1. Oktober 1964 bis 31. Mai 1982 als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht im Übrigen geltend, für die Zeit vor Einführung der FZR am 1. März 1971 werde gemäß § 253 a Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI – ohnehin das gesamte tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt bei der Rentenberechnung berücksichtigt, so dass sich der Zeitraum von 1964 bis Februar 1971 auch im Falle eines Obsiegens nicht rentensteigernd auswirken könne. Da der Versicherte Beiträge zur FZR entrichtet habe, gelte das Gleiche auch für Zeiten von März 1971 bis Dezember 1978, in denen die erzielten Entgelte bereits bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze bei der (Witwen-) Rentenberechnung berücksichtigt worden seien.

Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereiteten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Die Rentenakten der Beklagten zum Aktenzeichen sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts B zum Aktenzeichen S 16 RA 373/03 haben dem Senat vorgelegen.

II.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – die sich nicht gegen einen Gerichtsbescheid richtende Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die von der Klägerin ausdrücklich versagte Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht erforderlich.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, denn entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Regelungen des AAÜG nicht auf das für die Witwenrente maßgebliche Versicherungsverhältnis des Versicherten anwendbar. Die Klägerin ist als rentenberechtigte Witwe des verstorbenen Versicherten berechtigt i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG, die für die Feststellung der (Hinterbliebenen-)Rente maßgeblichen Daten, zu denen auch die Arbeitsentgelte gehören (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG), durch Bescheid der Beklagten feststellen zu lassen.

Der persönliche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG ist in Bezug auf den Versicherten nicht eröffnet. Es bedarf deshalb keiner Prüfung, ob Pflichtbeitragszeiten im Sinne von § 5 AAÜG vom Versicherten zurückgelegt wurden. Der Versicherte ist zu keinem Zeitpunkt in die AVItech oder ein anderes Versorgungssystem nach den Anlagen zum AAÜG einbezogen worden. Er hatte keine Versorgungszusage erhalten. Er hatte auch keine Versorgungsanwartschaft erlangt, die er bei einem Ausscheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis hätte wieder verlieren können. Nur in diesem Fall wird Kraft Gesetzes eine Anwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG fingiert.

Da der Versicherte bereits zuvor verstorben war, konnte er am 30. Juni 1990 als maßgeblichen Stichtag auch keine Beschäftigung mehr ausüben, die aufgrund der vom BSG vorgenommenen erweiterten Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG eine sogenannte fingierte oder fiktive Versorgung hätte vermitteln können. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung, der sich der Senat nach eigener Prüfung insoweit anschließt, entschieden, dass ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage im Bereich der AVItech unter anderem davon abhängt, dass am 30. Juni 1990 eine Tätigkeit ausgeübt wurde, die nach den maßgeblichen Regelungen des Versorgungssystems im rechtsstaatlichen Umfeld eine Versorgungszusage zwingend hätte bewirken müssen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 – B 4 RA 56/03 R –, wie auch alle folgend benannten Entscheidungen zitiert nach juris). Der maßgebliche Stichtag (30. Juni 1990) beruht auf vom BSG angestellten Vertrauensschutzerwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2001 – B 4 RA 117/00 R – zur Rn. 20 bei juris). Da der DDR-Gesetzgeber in § 22 Rentenangleichungsgesetz eine Schließung der bestehenden Zusatzversorgungssysteme und ein Verbot von Neueinbeziehungen angeordnet hatte, sollten bis dahin geschaffene Vertrauenstatbestände für Personen, die noch am Stichtag sämtliche Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllten, aus verfassungsrechtlichen Erwägungen Eingang in die Regelungen des AAÜG durch eine verfassungskonforme erweiternde Auslegung dieses Gesetzes finden. Zu einer noch weiter gehenden Gleichstellung von nicht einbezogenen Versicherten, mit denen, die eine Versorgungszusage erhalten haben, hat sich das BSG jedoch nicht veranlasst gesehen. Entgegen der Einschätzung der Klägerin ist deshalb völlig unbeachtlich, ob der Versicherte bereits vor diesem Stichtag, das heißt bis zu seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aufgrund von Invalidisierung, zu irgendeinem Zeitpunkt eine Beschäftigung ausübte, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in der AVItech oder einem anderen Versorgungssystem vorgesehen war. Auf die Gründe für das Ausscheiden ohne erteilte Versorgungszusage kommt es nicht an. Unerheblich ist deshalb beispielsweise, ob eine Beschäftigung vor dem Stichtag durch Kündigung endete (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 – B 4 RA 56/03 R) oder wegen einer Änderung der Rechtsform des Beschäftigungsbetriebs nicht mehr sämtliche Voraussetzungen für eine Einbeziehung nach den Regelungen der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 vorlagen. Einer fiktiven oder fingierten Einbeziehung in ein Versorgungssystem steht auch entgegen, wenn am 30. Juni 1990 wegen bereits zuvor eingetretener Invalidität keine Beschäftigung mehr ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R -, sowie LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Juni 2007 – L 3 R 62/06). Dies gilt selbst dann, wenn die Invalidität nicht von Dauer war und nach dem Stichtag wieder eine Beschäftigung aufgenommen wurde (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 3/05 R).

Die nur eingeschränkte Erweiterung der Regelungen des AAÜG auf Personen, die noch am 30. Juni 1990 sämtliche Voraussetzungen für eine tatsächlich nicht erfolgte Einbeziehung in ein Versorgungssystem erfüllten, ist von Verfassungswegen nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Beschluss vom 26. Oktober 2005 (Az.: 1 BvR 1921/04 u. a.) ausgeführt, das BSG sei hinsichtlich des von ihm entwickelten fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten gewesen, diese wenige betreffende Sonderregelung auf alle auszudehnen, die zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine nicht erfolgte Einbeziehung erfüllt hätten.

Das Verfahren der Klägerin bietet keine Veranlassung, von den vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätzen abzuweichen. Insbesondere kann die Klägerin als Bezieherin einer vom Versicherten abgeleiteten Hinterbliebenenrente nicht beanspruchen, besser gestellt zu werden, als der Versicherte selber, wenn ihm noch eine Rente zustünde. Die Klägerin verkennt bei ihrem Vorbringen, dass der Versicherte nach den objektiven Regelungen des Versorgungssystems zwar möglicherweise alle Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllte, aufgrund der willkürlichen und damit rechtsstaatswidrigen Verwaltungspraxis der DDR aber niemals eine Versorgungszusage erhalten und deshalb auch nie Anspruch auf eine Leistung aus einer Versorgung erlangt hat. Weder der Versicherte noch die Klägerin haben damit Rechtspositionen in Bezug auf eine Versorgung erlangt (auch nicht vor dem 30. Juni 1990). Wegen des Fehlens solcher Positionen geht auch der Hinweis auf Bestandsschutz ins Leere. Offensichtlich substanzlos ist die Einwendung der Klägerin, nach der Argumentation des Sozialgerichts bekäme niemand Hinterbliebenenrente, wenn der Versicherungsfall vor dem Stichtag eingetreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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