L 28 B 853/08 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 25 AS 892/05 PKH
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 853/08 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Klageverfahren ist in der Regel der der Entscheidungsreife des Antrages.
Anderes gilt dann, wenn sich dieser Zeitpunkt aufgrund einer offensichtlich unsachgemäßen Bearbeitung durch das Gericht zum Nachteil des Betroffenen verzögert.
In der Sache ist erst nach Bescheidung des PKH-Antrages und Ablauf der Beschwerdefrist zu entscheiden.
Auf die Beschwerde der Klägerin zu 2) wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Februar 2008 aufgehoben. Der Klägerin zu 2) wird Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab dem 29. Oktober 2007 unter Beiordnung von Rechtsanwalt R V gewährt. Beträge aus dem Einkommen oder Vermögen sind nicht zu zahlen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 11. April 2008 eingelegte Beschwerde der Klägerin zu 2) gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Februar 2008 ist statthaft. Insbesondere steht der Statthaftigkeit nicht der zum 1. April 2008 in Kraft getretene § 172 Abs. 3 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entgegen. Das Sozialgericht hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht auf das mangelnde Vorliegen der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe gestützt, sondern bezogen auf den als maßgeblich erachteten Zeitpunkt am 6. Dezember 2007 das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verneint. Weiter ist die Beschwerde zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Auch ist sie zur Überzeugung des Senats begründet. Die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Voraussetzungen liegen vor.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Potsdam die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf das Fehlen hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt. Soweit es dabei davon ausgegangen ist, dass es für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbegehrens auf den 6. Dezember 2007 ankommt, mithin den Tag, an dem - der dort zuletzt vertretenen Rechtsauffassung zufolge - ausreichende Angaben und Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin vorlagen, vermag der Senat ihm nicht zu folgen.

Ob eine für die Gewährung von Prozesskostenhilfe hinreichende Erfolgsaussicht besteht, hängt – wie der vorliegende Fall zeigt – wesentlich von dem Zeitpunkt ab, auf den für die Erfolgsprüfung abgestellt wird. Bzgl. dieses Zeitpunktes ist den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere § 114 Satz 1 ZPO, keine klare Vorgabe zu entnehmen. Die Entscheidung ist daher insbesondere im Lichte des Zwecks der Prozesskostenhilfe, auch dem bedürftigen Beteiligten die Verwirklichung des Rechtsschutzes zu ermöglichen, zu treffen. Dieses Ziel erfordert grundsätzlich eine Entscheidung des Gerichts über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sobald das Gesuch entscheidungsreif ist (vgl. Beschluss des 28. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 18. November 2008, L 28 B 1966/08 AS ER, dokumentiert unter juris.de und sozialgerichtsbarkeit.de). Denn nur so wird dem bedürftigen Rechtsschutz Suchenden im sozialgerichtlichen, gemäß § 183 SGG vom Grundsatz der Gerichtskostenfreiheit geprägten Verfahren Gewissheit verschafft, ob er den Rechtsstreit mit anwaltlicher Hilfe führen kann. Allerdings kann es zur Überzeugung des Senats dann nicht auf diesen Zeitpunkt ankommen, wenn sich der Eintritt der Entscheidungsreife des Gesuchs aufgrund einer offensichtlich unsachgemäßen Bearbeitung des Verfahrens durch das Sozialgericht zum Nachteil des Betroffenen verzögert. So aber liegt der Fall hier.

Nachdem das Verfahren zunächst nur durch die Mutter der Klägerin zu 2) geführt und dieser mit Beschluss vom 29. November 2005 Prozesskostenhilfe gewährt worden war, hat der damalige Kammervorsitzende im Erörterungstermin am 27. August 2007 die Einbeziehung der Klägerin zu 2) in das Verfahren angeregt, den Prozessbevollmächtigten diesbezüglich eine zweiwöchige Erklärungsfrist eingeräumt und schließlich eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid angekündigt. Die Prozessbevollmächtigten haben daraufhin am 17. September 2007 eine Einbeziehung der Klägerin zu 2) sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für diese beantragt und am Tag darauf einen von der Klägerin zu 2) ausgefüllten Vordruck über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Obwohl das Sozialgericht die dortigen Angaben, wie der weitere Verlauf zeigt, nicht für ausreichend erachtet hat, hat es nicht reagiert. Vielmehr hat es mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2007 in der Sache entschieden, der Klage teilweise stattgegeben und erstmals mit Schreiben vom 13. November 2007 unter Hinweis auf § 118 Abs. 2 ZPO auf eine Klarstellung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hingewirkt. Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin daraufhin am 6. Dezember 2007 ergänzende Angaben zu den Verhältnissen ihrer Mandantin gemacht und Unterlagen vorgelegt hatten, wurde seitens des Sozialgerichts Potsdam nunmehr die Rechtsauffassung geäußert, dass zum Zeitpunkt der Vorlage der erforderlichen Unterlagen am 6. Dezember 2007 der Rechtsstreit bereits erledigt gewesen sei, sodass die Gewährung von Prozesskostenhilfe ausscheide. Auf den umgehenden Protest der Prozessbevollmächtigten, die zugleich die Durchführung der mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG beantragt haben, hat das Gericht unter dem 19. Dezember 2007 weitere Unterlagen zur Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zu 2) angefordert und unter dem 21. Januar 2008 nochmals angemahnt. Schließlich hat es dann aber mit Beschluss vom 15. Februar 2008 die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin zu 2) mit der Begründung abgelehnt, dass das Prozesskostenhilfegesuch am 6. Dezember 2007 entscheidungsreif gewesen sei, zu diesem Zeitpunkt aber der Rechtsstreit keine Aussicht auf Erfolg mehr gehabt habe, nachdem über die Klage bereits mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2007 entschieden worden sei. Soweit die Klägerinnen mündliche Verhandlung beantragt hätten, könne sich ihr Begehren nur noch auf den abgewiesenen Teil ihres Klagebegehrens beziehen. Insoweit habe die Klage jedoch aus den Gründen des Gerichtsbescheides keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Diese Vorgehensweise, die bereits in sich nicht schlüssig ist und den Beteiligten kaum mehr nachvollziehbar erscheinen kann, ist offensichtlich sachwidrig.

Wie das Sozialgericht Potsdam geht auch der Senat davon aus, dass die ursprünglichen Angaben der Klägerin zu 2) im am 18. September 2007 vorgelegten Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unvollständig und teilweise inhaltlich jedenfalls zweifelhaft waren. Denn abgesehen davon, dass Angaben zu einer Rechtsschutzversicherung fehlten, hat die Klägerin Kindergeld als Einkommen angegeben, obwohl dieses bis dahin – soweit ersichtlich – bei ihrer Mutter als Einkommen berücksichtigt worden war. Des Weiteren hat sie mitgeteilt, keine Wohnkosten zu haben, was angesichts des Zusammenlebens mit ihrer Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches beziehenden Mutter jedenfalls in der rechtlichen Bewertung zweifelhaft sein könnte. Wenn der Senat insoweit auch wenig Verständnis dafür hat, dass der Vordruck durch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin offensichtlich eingereicht worden ist, ohne dass die Angaben zuvor auch nur ansatzweise einer Prüfung unterzogen worden wären, so rechtfertigte dies gleichwohl nicht das weitere Vorgehen des Sozialgerichts. Dieses hätte umgehend – jedenfalls vor einer Entscheidung in der Sache – auf eine Klarstellung durch die Prozessbevollmächtigten hinwirken müssen. Zunächst aber in der Sache zu entscheiden und dann das Prozesskostenhilfegesuch zu bearbeiten, dürfte schon mit der durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz garantierten Effektivität des Rechtsschutzes nur schwerlich vereinbar sein und eine Ungleichbehandlung Bedürftiger bedeuten. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes, was beinhaltet, dass Bedürftigen, die sich durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt fühlen, die Anrufung der Gerichte im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – zitiert nach juris, Rn. 23 ff.; BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06 – zitiert nach juris, Rn. 30 ff.). Dies aber ist der Fall, wenn Bedürftige noch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Sache keine Gewissheit darüber haben, ob ihnen Prozesskostenhilfe gewährt wird oder nicht. Die mögliche langfristige Ungewissheit, ob die ggf. bereits entstandenen Kosten für einen Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin alleine zu tragen sind, dürfte einen erheblichen Hinderungsgrund darstellen, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Der Senat hält es vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des im Prozesskostenhilfeverfahren – in der Regel – bestehenden Beschwerderechts in einem Klageverfahren für geboten, vor einer Entscheidung in der Sache zunächst über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden und – im Falle der Ablehnung – den Beteiligten Gelegenheit zu geben, die für sie negative Entscheidung in einem Beschwerdeverfahren überprüfen zu lassen.

Nach alledem kann es hier für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht auf den 6. Dezember 2007 ankommen. Vielmehr ist die Klägerin so zu stellen, als hätte das Sozialgericht die Erfolgsaussicht vor der Entscheidung in der Sache am 30. Oktober 2007 geprüft. Zu diesem Zeitpunkt aber hätte das Sozialgericht Potsdam bei der Klägerin zu 2) das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens annehmen müssen. Denn für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf daher nur dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Sache fern liegend ist (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – zitiert nach juris, Rn. 26). Dies aber war hier offensichtlich nicht der Fall. Abgesehen davon, dass das Sozialgericht auch der Mutter der Klägerin zu 2), der Klägerin zu 1), bereits mit Beschluss vom 29. November 2005 Prozesskostenhilfe gewährt hatte, hat es insbesondere mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2007 der Klage jedenfalls teilweise stattgegeben. Mutwillig war das Rechtsschutzbegehren damit offensichtlich nicht.

Schließlich ist die ledige Klägerin zu 2), die derzeit neben einer Ausbildungsvergütung in Höhe von monatlich 215,00 EUR Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 421,00 EUR im Monat bezieht, nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen weiterhin nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung zu tragen. Ihre Bedürftigkeit ist auch nicht aufgrund eines Kostenerstattungsanspruchs gegen die Beklagte entfallen. Denn ausweislich des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids hat diese lediglich 30 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin - welcher wird nicht mitgeteilt – zu tragen.

Auch der Klägerin zu 2) war damit Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt V zu gewähren. Soweit der Senat die Bewilligung mit Wirkung zum 29. Oktober 2007 ausgesprochen hat, ist dieser Zeitpunkt fiktiv gewählt worden. Er hat dabei berücksichtigt, dass das Sozialgericht nach Eingang des Antrags Mitte September 2007 weitere Ermittlungen hätte anstellen, jedoch vor der Entscheidung in der Sache, die hier am 30. Oktober 2007 erfolgt ist, über das Prozesskostenhilfegesuch hätte befinden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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