L 3 R 785/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RA 4055/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 785/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. April 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten.

Die 1926 in Sarajevo im ehemaligen Jugoslawien geborene Klägerin lebt seit Dezember 1948 in Israel, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Sie ist als Jüdin anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus.

Im Entschädigungsverfahren gab sie – bestätigt durch Zeugenaussagen - u. a. an, sie habe mit der Besetzung Jugoslawiens durch die deutsche Armee im April 1941, als sie Studentin der Bürgerschule in Sarajevo gewesen sei, den Judenstern tragen müssen. Anfang Dezember 1941 seien sie und ihre Familie in die Stadt Mostar geflüchtet, die unter italienischer Besetzung gestanden habe. Auch dort habe sie noch den Judenstern tragen müssen. Etwa Ende September 1942 sei sie von den Italienern interniert und nach Jelsa fortgeführt worden, von wo man sie nach zwei Monaten nach der Insel Hvar verbracht habe. Sie sei dort bis Januar 1943 geblieben. Anschließend sei sie von den Italienern auf die Insel Rab gebracht worden, wo sie bis zur Kapitulation Italiens im November 1943 geblieben sei. Danach sei sie vor der bevorstehenden Besetzung durch deutsche Truppen in die Likaer Berge geflüchtet, wo sie sich bis zur Befreiung aufgehalten habe (eidesstattliche Versicherung vom 22. August 1956).

Die Klägerin bezieht nach einer Nachentrichtung von Beiträgen in die deutsche gesetzliche Rentenversicherung für die Zeit vom 01. Januar 1956 bis zum 30. Juni 1980 nach Art. 12 der Durchführungsvereinbarung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DV-Israel) seit dem 01. August 1989 von der Beklagten ein Altersruhegeld, das ihr mit Bescheid vom 03. Januar 1991 in Höhe von 1.339,30 DM bewilligt wurde.

Am 10. Juni 2003 ging bei der Beklagten ein Antrag der Klägerin auf eine Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten ein. Sie gab an, in den Ghettos Jelsa, Hvar und Rab von Mai 1942 bis Oktober 1943 (später: März 1942 bis September 1943) in einem Krankenhaus täglich sechs Stunden Reinigungsarbeiten verrichtet zu haben. Sie habe für die von der Ghettoverwaltung vermittelte Arbeit wöchentlich 10 bis 15 Dinar erhalten. Nach Auswertung der beigezogenen Entschädigungsakte lehnte die Beklagte den Antrag, den sie als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wertete, durch Bescheid vom 26. Februar 2004 mit der Begründung ab, der Be-scheid vom 03. Januar 1991 sei rechtmäßig, da weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) finde keine Anwendung, da bereits eine Leistung mit dem Rentenbeginn vor dem 01. Juli 1997 gezahlt werde. Die Zeit von März 1942 bis September 1943 könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil sich das Ghetto nicht in einem vom Deutschen Reich eingegliederten oder besetzten Gebiet befunden habe. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie geltend machte, sie habe als sehr junge Frau ohne Berufsausbildung in Jelsa und Hvar Reinigungsarbeiten verrichtet und dafür von der Ghettoverwaltung Geld erhalten. In Rab, das unter italienischer Aufsicht, aber unter deutscher Kommandantur gestanden habe, habe sie in einem Spital Reinigungsarbeiten verrichtet und dafür auch Geld erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Juni 1967 – 8 U (WG) 1055/66 - zurück. Danach erfolgten die durch die italienischen Behörden bereits vor dem 01. November 1942 durchgeführten Internierungen zum Schutz des italienischen Staats und beruhten nicht auf deutscher Veranlassung.

Dagegen hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, es sei zutreffend, dass sie in Jelsa und Hvar gewesen sei. Die Plätze seien so wie jedes Ghetto gewesen. Sie habe dort gearbeitet, damit sie davon habe leben können. Sie sei dorthin nur gekommen, weil die Deutschen sie nach dort vertrieben hätten. Deshalb glaube sie, eine Rente beanspruchen zu können.

Durch Urteil vom 02. April 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine höhere Rente. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 03. Mai 2005 – B 13 RJ 34/04 R – die Auffassung der Beklagten, ein Anspruch auf Änderung der Rentenbewilligung und Neubescheidung unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG komme schon wegen § 306 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht in Betracht, nicht geteilt. Allerdings habe das BSG bestätigt, dass auch auf Beschäftigungen im Ghetto die herkömmlichen gesetzlichen Grundlagen für das Bestehen von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen anzuwenden seien. Die Klägerin habe keinerlei Beweismittel über eine Beitragsentrichtung für die vorgetragene Reinigungstätigkeit in den Krankenhäusern in Jelsa, auf Hvar und Rab vorgelegt. Außerdem habe sich die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen und dem ihrer Zeugen seit März 1942 in italienischem Gewahrsam befunden. Damit falle sie nicht unter den Geltungsbereich des ZRBG.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie erneut geltend macht, 1941 von den Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben worden zu sein. Die Italiener hätten nur auf deutschen Befehl Ghettos in Rab errichtet. Auf Befragen des Senats hat die Klägerin angegeben, von März 1942 bis September 1943 in den Ghettos in Jelsa, Hvar und Rab als Krankenschwestergehilfin gearbeitet zu haben. In Jelsa habe sie 15-16 Dinar wöchentlich, in Hvar und Rab 14 Kuna-Dinar erhalten. Die Arbeit sei durch die Ghettoverwaltung vermittelt und von ihr freiwillig verrichtet worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. April 2007 und den Bescheid vom 26. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten von März 1942 bis September 1943 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Entschädigungsakte des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Klägerin ist trotz ordnungsgemäßer Ladung unter Hinweis auf die Folgen ihres Ausbleibens zu dem Termin der mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig aber unbegründet. Ihr steht ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten nach dem ZRBG nicht zu.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 1 SGB X i. V. m den Vorschriften des ZRBG.

Durch das Inkrafttreten des ZRBG rückwirkend zum 01. Juli 1997 (Art. 3 Abs. 2, Art. 1 ZRBG/SGB VI-ÄndG) ist ab diesem Zeitpunkt eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die bei Erlass des Altersruhegeldbescheids vom 03. Januar 1991 vorgelegen haben. Zwar käme eine Neubestimmung der der bisherigen Rente zugrunde liegenden persönlichen Entgeltpunkte aufgrund des ZRBG nach dem Wortlaut des § 306 Abs. 1 SGB VI nicht in Betracht, allerdings hat das BSG in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 03. Mai 2005 (abgedruckt in SozR 4-5075 § 2 Nr. 1) entschieden, es sei das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel gewesen, allen Verfolgten, die in einem Ghetto eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten, auch in den Genuss einer Rentenzahlung ins Ausland kommen zu lassen. Der Gesetzgeber habe es bei der Fassung des ZRBG jedoch schlicht versäumt, durch eine Ausnahmevorschrift zu § 306 SGB VI den Personenkreis der Berechtigten in die Rechtswohltat des Gesetzes einzubeziehen, der maßgeblichen Anteil daran gehabt habe, dass es zu dem der Rechtsänderung zugrunde liegenden Urteil des BSG vom 18. Juni 1997 gekommen sei. Folgerichtig sei die vorhandene Gesetzeslücke durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen. Dieser Auffassung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Eine Neuberechnung des Altersruhegelds scheitert jedoch daran, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Ghettobeitragszeit in dem geltend gemachten Zeitraum von März 1942 bis September 1943 nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 1 ZRBG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG)) feststellbar sind.

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZRBG setzt voraus, dass die Beschäftigung in einem Ghetto aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, dass vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.

Diese Voraussetzungen sind nur zum Teil erfüllt. Dabei steht der Glaubhaftmachung der geltend gemachten Beschäftigung nicht entgegen, dass die Angaben der Klägerin zu dem zeitlichen Umfang schwankend sind und nicht exakt mit den Angaben im Entschädigungsverfahren übereinstimmen. Nach ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 22. August 1956 flüchtete sie im Dezember 1941 von Sarajevo nach Mostar, wurde etwa Ende September 1942 – also nicht bereits im März 1942 - von dort nach Jelsa und zwei Monate später nach Hvar verbracht. Von Januar 1943 bis November 1943 sei sie auf der Insel Rab gewesen. Nunmehr macht sie geltend, sich in der Zeit von März 1942 bis September 1943 an den genannten Orten aufgehalten zu haben. Die Differenzen sind durch den langen Zeitablauf und das hohe Alter der Klägerin erklärlich. Allerdings befanden sich die Beschäftigungsorte in Jelsa, einer Stadt auf der Insel Hvar, dem Ort Hvar auf der gleichnamigen Insel und auf Rab nicht in einem Gebiet, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war. Wie die Klägerin selbst angegeben hat, wurde zwar Sarajevo von den deutschen Truppen besetzt, davor flüchtete sie aber nach Mostar, einer Stadt, die unter italienischer Besatzung gestanden hatte. Die Internierung in Jelsa, auf Hvar und Rab erfolgte ebenfalls auf italienische Anordnung und endete erst mit der Kapitulation Italiens im November 1943. Die Beklagte hat keine anders lautenden Erkenntnisse. Auch im Entschädigungsverfahren wurde der Anspruch auf Entschädigung für Schaden an Freiheit in der Zeit vom September 1942 bis September 1943 wegen der Internierung durch italienische Behörden abgelehnt (Bescheid vom 28. November 1968). Letztlich wird dies auch durch die Ausführungen in der Enzyklopädie des Holocaust – Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden – Band II und III, herausgegeben von Jäckel/Longerich/Schoeps, Stichwörter Rab (S. 1177 f.), Kroatien (S. 824 ff) und Saraje-vo (S. 1276 ff.) bestätigt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht darauf an, dass sie wegen der Besetzung Sarajevos durch deutsche Truppen nach Dalmatien flüchteten musste und dort von den italienischen Behörden interniert wurde. § 1 Abs. 1 ZRBG enthält eine spezifische, abschließende Sonderregelung der rentenversicherungsrechtlichen Entschädigung für alle Verfolgten, die sich im Herrschaftsbereich des NS-Staates zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort keine Zwangsarbeit, sondern eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, soweit deren "Ghetto-Beschäftigungszeiten" nicht schon durch heutige Leistungen im Wohnsitzstaat (Deutschland oder Ausland) ausgeglichen werden. Entschädigungsbegründend ist also, wie sich aus den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R - (abgedruckt in SozR 4-5075 § 1 Nr. 3) ergibt, eine NS-Verfolgungsmaßnahme. Die Verfolgten müssen sich an einem Ort aufgehalten haben, der als "Ghetto" zu qualifizieren ist und dieser Aufenthalt muss von der NS-Gewalt erzwungen worden sein. Mit der Formulierung "in einem Ghetto ... zwangsweise aufgehalten haben" knüpft des ZRBG an den in § 43 Abs. 2 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) beispielhaft aufgeführten Fall der Freiheitsentziehung eines "Zwangsaufenthalts in einem Ghetto" an. Dieser Fall ist dort neben polizeilicher oder militärischer Haft, Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Straflagerhaft und Konzentrationslagerhaft genannt. Es musste sich demnach um eine besonders intensive Beeinträchtigung der Freiheit handeln, die darin bestand, dass durch eine Aufenthaltsbeschränkung auf einen zugewiesenen - in der Regel von Juden bewohnten - Wohnbezirk ("Ghetto") der NS-Verfolgte vollständig und nachhaltig von der Umwelt abgesondert wurde (vgl. etwa die im Generalgouvernement geltende Verordnung über den jüdischen Wohnbezirk in Warschau vom 19. April 1941, VBl. GG 1941, 211; Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Warschau und Lublin vom 28. Oktober 1942, VBl. GG 1942, 665; Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Radom, Krakau und Galizien vom 10. November 1942, VBl. GG 1942, 683). Diese Aufenthaltsbeschränkung wurde durch die Androhung schwerster Strafen bis hin zur Todesstrafe erzwungen (dazu § 4b der im Generalgouvernement geltenden Dritten Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen vom 15. Oktober 1941, VBl. GG 1941, 595; § 3 Abs. 1 der Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Warschau und Lublin vom 28. Oktober 1942, a. a. O.; § 3 Abs. 1 der Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Radom, Krakau und Galizien vom 10. November 1942, a. a. O.). Deshalb reicht – wie von der Klägerin geltend gemacht - eine Beschäftigung in einem italienischen Internierungslager oder Ghetto nicht aus.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved