L 28 AS 1176/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 114 AS 12178/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 1176/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wurde ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X negativ beschieden, kommt für den betroffenen Zeitraum der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung höherer Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) unter Ansatz von Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der 1962 geborene Antragsteller bezog ab Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Schon vor Beginn des Leistungsbezuges bewohnte er unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift allein eine 73,16 m² große 3-Zimmer-Wohnung. Diese hatte seine inzwischen in M wohnhafte Mutter im Jahr 1981 angemietet. Weder war der Antragsteller bei ihrem Auszug in den Mietvertrag eingetreten, noch hatten er und seine Mutter einen schriftlichen Untermietvertrag abgeschlossen. Die Kosten für die Wohnung beliefen sich auf insgesamt 465,35 EUR, ab dem 01. April 2006 auf 507,39 EUR. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller die Unterkunftskosten zunächst in tatsächlich anfallender Höhe - abzgl. einer Pauschale von 9,00 EUR - und zahlte ihm diese Leistungen aus. Im Januar 2006 überwies der Antragsteller seiner Mutter einen Betrag in Höhe von knapp 6.000,00 EUR für "Miete 01.01.05-01.02.06". Ab dem 01. Oktober 2006 überwies der Antragsgegner die Leistungen für die Kosten der Unterkunft unmittelbar an die Vermieterin, die G. Im April 2007 endete der Leistungsbezug, nachdem der Antragsteller aus Sicht des Antragsgegners keinen Fortzahlungsantrag gestellt hatte.

Ab dem 03. Juni 2008 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller wieder Leistungen, wobei er nunmehr für die Kosten der Unterkunft nur noch 360,00 EUR ansetzte, nachdem er den Antragsteller bereits im Dezember 2006 auf die Unangemessenheit seiner Unterkunftskosten hingewiesen hatte. Im Oktober 2008 wurde der Antragsgegner von der zuständigen Hausverwaltung informiert, dass die Miete für die vom Antragsteller bewohnte Wohnung zum einen vom Konto seiner Mutter eingezogen und zum anderen vom Antragsgegner eingezahlt worden sei. Zwischen September 2006 und Oktober 2008 war es dadurch – bedingt auch durch verschiedene Heiz- und Betriebskostenrückerstattungen - zu einem Guthaben auf dem Mietkonto in Höhe von 5.683,42 EUR gekommen.

Mit diversen Änderungsbescheiden vom 27. November 2008 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller daraufhin für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis zum 30. April 2007 sowie vom 03. Juni 2008 bis zum 31. Januar 2009 Leistungen nur noch in Höhe des Regelsatzes für Alleinstehende. Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom selben Tage hob er die Leistungsbewilligung im Übrigen auf und forderte die Erstattung von 15.032,07 EUR. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 31. März 2009). Bereits mit Bescheiden vom 12. Februar 2009 hatte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 09. Februar bis zum 31. Mai 2009 sowie vom 01. Juni bis zum 30. November 2009 erneut Leistungen nur in Höhe des (anteiligen) Regelsatzes bewilligt. Diese Bescheide wurden bestandskräftig. Am 29. April 2009 beantragte der Antragsteller insoweit die Überprüfung gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Mit Bescheid vom 26. Mai 2009 lehnte der Antragsgegner eine Änderung des Bescheides vom 12. Februar 2009 ab. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 12. Juni 2009 Widerspruch ein, der bislang – soweit ersichtlich – nicht beschieden ist.

Am 18. Mai 2009 hatte der anwaltlich vertretene Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung "höherer Leistungen als bisher" begehrt. Zur Begründung hatte er ausgeführt, dass er mit seiner Mutter einen Untermietvertrag geschlossen und die Miete an diese ausgezahlt habe, soweit er vom Antragsgegner Leistungen für die Unterkunftskosten erhalten habe. Dies sei z.B. einmal durch Überweisung im Januar 2006 erfolgt. Im Übrigen habe er die Miete anlässlich gegenseitiger Besuche, u.a. bei seinen Weihnachtsbesuchen, bar übergeben. Die Mietzahlungen seien keinesfalls als Schenkungen gedacht gewesen. Er verfüge über keine finanziellen Mittel mehr, um die Zeit bis zur Hauptverhandlung zu überbrücken, sondern habe im Gegenteil erhebliche Schulden.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2009 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheides vom 12. Februar 2009 stünden ihm keine höheren Leistungen für die Kosten der Unterkunft als bewilligt zu. Darüber hinaus liege auch kein besonderes Eilbedürfnis vor, da noch nicht einmal eine vermieterseitige Kündigung erfolgt sei.

Gegen diesen ihm am 23. Juni 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 02. Juli 2009 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er meint, die Bestandskraft des Bescheides vom 12. Februar 2009 schließe den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht aus. Außerdem sei Eilbedürftigkeit gegeben. Seiner Mutter sei es finanziell nicht mehr möglich, die Miete bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin darlehensweise zur Verfügung zu stellen. Die Kündigung sowohl des Hauptmietvertrages als auch des Untermietvertrages seien mithin unvermeidlich.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2009 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der seit dem 01. April 2008 geltenden Fassung statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht beurteilt die Sach- und Rechtslage jedenfalls im Ergebnis zutreffend.

Zu Recht ist das Sozialgericht Berlin davon ausgegangen, dass verfahrensgegenständlich nicht ein Antrag auf Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung der (vermutlich zwischenzeitlich erhobenen) Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 31. März 2009 ist, sondern allein der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG. Denn zwar lässt die Antragsbegründung offen, was konkret begehrt wird. Indes hat der anwaltlich vertretene Antragsteller ausdrücklich nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung "höherer Leistungen als bisher" beantragt.

Soweit der Antragsteller weiter darauf verzichtet hat, seine Forderung zeitlich einzugrenzen, und auch der erstinstanzliche Beschluss mit keinem Wort darauf eingeht, welcher Zeitraum als verfahrensgegenständlich angesehen wird, ist zu beachten, dass am 12. Februar 2009 zwei Bescheide ergangen sind, die sich zum einen auf den Zeitraum vom 09. Februar bis zum 31. Mai 2009, zum anderen auf den vom 01. Juni bis zum 30. November 2009 beziehen. Der Senat geht vor diesem Hintergrund zugunsten des Antragstellers davon aus, dass dieser im vorliegenden Verfahren für den gesamten Zeitraum vom 09. Februar bis zum 30. November 2009 die vorläufige Gewährung höherer, nämlich unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft festzusetzender Leistungen zur Grundsicherung erstrebt und das Sozialgericht auch über diesen gesamten Zeitraum entschieden hat. Allerdings kann der Antragsteller mit diesem Begehren keinen Erfolg haben.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dies hat der Antragsteller nicht getan.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist es dabei unbedeutend, dass die den verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum betreffenden Bescheide vom 12. Februar 2009 bestandskräftig sind. Denn bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung hatte der Antragsteller einen – sich auf beide Bescheide beziehenden - Überprüfungsantrag gestellt, der negativ beschieden worden war. Soweit der Antragsgegner lediglich die Änderung des Bescheides vom 12. Februar 2009 abgelehnt hat, ohne insoweit klarzustellen, welcher der Bescheide damit gemeint sein soll, ist zur Überzeugung des Senats bei der gebotenen aus Sicht des Empfängers erfolgenden Auslegung davon auszugehen, dass der Überprüfungsbescheid vom 26. Mai 2009 letztlich beide Bescheide vom 12. Februar 2009 umfasst. Es kommt daher auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung für den genannten Zeitraum grundsätzlich in Betracht (vgl. hierzu Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.02.2009 – L 26 B 2388/08 AS ER – zitiert nach sozialgerichtsbarkeit.de, sowie Beschlüsse des Sächsischen LSG vom 25.08.2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 07.04.2008 – L 9 AS 111/08 ER – zitiert jeweils nach juris, Rn. 20 bzw. 13).

Ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, kann dahinstehen. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass er für die Überlassung der von ihm bewohnten Wohnung jedenfalls seit Oktober 2006 keine Mietzahlungen an seine Mutter geleistet hat. Zwar folgt allein daraus nicht, dass er keine tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung hat. Denn für das Entstehen tatsächlicher Aufwendungen genügt es, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Maßgeblich ist hierfür in erster Linie der Mietvertrag, mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden ist. In einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob der Mietvertrag auch "so wie er auf dem Papier steht" praktiziert wird (vgl. BSG, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R – zitiert nach juris, Rn. 24f.). Gemessen daran verbleiben hier erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller einem ernsthaften Mietverlangen ausgesetzt ist. Dies bedarf im vorliegenden Verfahren jedoch keiner Klärung. Denn jedenfalls ist es dem Antragsteller nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass die begehrte Regelungsanordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist.

Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung [Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO]. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller aktuell wesentliche Nachteile drohen würden. Erst recht hat dies für die Vergangenheit zu gelten. Insbesondere folgt ein solcher Nachteil nicht aus der vom Antragsteller geltend gemachten, angeblich unvermeidlichen Kündigung des Haupt- und Untermietvertrages.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Mietverhältnis über die vom Antragsteller bewohnte Wohnung wegen Zahlungsrückstandes durch die Vermieterin gekündigt wäre. Im Gegenteil bestand auf dem Mietkonto im Oktober 2008 ein Guthaben von 5.683,42 EUR, das durch die in der Zwischenzeit zu zahlenden Mieten nicht aufgezehrt worden sein kann. Abgesehen davon spricht selbst nach dem Vortrag des Antragstellers viel dafür, dass die Miete für die von ihm bewohnte Wohnung zwischenzeitlich weiterhin von seiner Mutter - der Mieterin der Wohnung – bezahlt wurde. Anderes folgt gerade nicht aus seiner Behauptung, seiner Mutter sei es finanziell nicht mehr möglich, die Miete bis zur Entscheidung in der Hauptsache zur Verfügung zu stellen. Es ist auch nicht ansatzweise dargetan, geschweige denn belegt, warum diese dazu nicht mehr in der Lage und bereit sein sollte, nachdem sie zuvor über einen erheblichen Zeitraum hinweg die Miete übernommen hatte, ohne von dem Antragsteller Rückzahlungen zu erhalten. Denn nachdem er Anfang 2006 die Miete für den gesamten Zeitraum Januar 2005 bis Februar 2006 auf einmal überwiesen hatte, mag er möglicherweise noch für die Monate bis September 2006 Zahlungen an seine Mutter geleistet haben, was allerdings nicht glaubhaft gemacht ist. Jedenfalls aber ab Oktober 2006 hatte der Antragsteller hierzu keine Mittel mehr zur Verfügung, da der Antragsgegner von diesem Zeitpunkt an die Leistungen für die Kosten der Unterkunft unmittelbar an die Vermieterin überwies. Diese Vorgehensweise blieb seitens des Antragstellers – soweit ersichtlich - gänzlich unbeanstandet und führte offenbar auch erst im Herbst 2008 zum Ansinnen seiner Mutter an die Hausverwaltung, das aufgelaufene Mietguthaben an sie auszukehren. So wenig wie damit glaubhaft gemacht ist, dass seitens der Vermieterin eine Kündigung der Wohnung zumindest konkret drohen würde, kann nach den vorliegenden Erkenntnissen davon ausgegangen werden, dass die Mutter des Antragstellers beabsichtigen könnte, das angebliche Untermietverhältnis zu beenden. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob allein eine nur konkret drohende, nicht jedoch schon ausgesprochene Kündigung überhaupt einen Anordnungsgrund begründen kann. Ebenso wenig bedarf es Erwägungen zu der Frage, wie dies im vorliegenden Fall – angesichts der Unangemessenheit der monatlich anfallenden Unterkunftskosten für einen Einpersonenhaushalt – zu bewerten wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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