L 30 AL 40/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 60 AL 2376/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 AL 40/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens den Nachzahlungsbetrag einer ihm von der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährten Rente für den Zeitraum vom 1. September 1996 bis zum 25. Mai 1998, in dem der Kläger von der Beklagten Ausbildungsgeld ohne Anrechnung der Rente bezogen hat.

Der 1976 geborene Kläger beantragte nach Durchführung einer von der Beklagten im Frühjahr 1994 geförderten Arbeitserprobung am 12. August 1994 im Rahmen der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter die Förderung einer Ausbildung zum Kommunikationselektroniker ab dem 1. September 1994 (bis zum 28. Februar 1998). Mit Bescheid vom 12. August 1994 bewilligte ihm die Beklagte antragsgemäß hierzu Leistungen.

Die ehemalige BfA (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) bewilligte dem Kläger als Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 5. Oktober 1994 ab dem 1. Februar 1994 eine Invalidenrente für Behinderte gemäß § 10 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG). Für den Zeitraum von Februar 1994 bis einschließlich August 1994 wurde ein Nachzahlungsbetrag der Rente in Höhe von 3062,30 DM bewilligt; eine Entscheidung über die Höhe des Rentenanspruchs ab dem 1. September 1994 wurde für einen späteren Zeitpunkt angekündigt.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 bewilligte die Beklagte unter Berücksichtigung der Einkünfte der Eltern des Klägers und seiner Rente zunächst für den Zeitraum vom 1. September 1994 bis zum 23. Januar 1997 kein Ausbildungsgeld und anschließend für den Zeitraum vom 24. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1998 Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 118,00 DM. Hiergegen erhob der Kläger am 2. Januar 1995 mit der Begründung Widerspruch, eine Rentenbewilligung sei nur bis zum 31. August 1994 erfolgt; eine Entscheidung für die Zeit nach dem 1. September 1994 liege ihm noch nicht vor. Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 8. Februar 1995 für den Zeitraum vom 1. September 1994 bis zum 23. Januar 1997 Ausbildungsgeld zunächst in Höhe von 405 DM/ monatlich und anschließend für den Zeitraum vom 24. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1998 Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 365 DM.

Mit Schreiben vom 11. April 1995 teilte die ehemalige BfA der Beklagten die Höhe der laufenden Invalidenrente des Klägers ab September 1994 mit. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 4. Mai 1995 mit, es sei zu prüfen, wer der Rehabilitationsträger sei - und stellte die Zahlung des Ausbildungsgeldes "vorerst" ein. Der Kläger legte gegen dieses Schreiben vom 4. Mai 1995 mit Schreiben vom 8. Mai 1995 Widerspruch und erklärte hierzu, solange die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers ungeklärt sei, bleibe die Beklagte zuständig und es sei daher weiterhin das Ausbildungsgeld zu zahlen.

Mit Änderungsbescheid vom 11. Juli 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger sodann für die Zeit vom 1. September 1994 bis zum 23. Januar 1997 kein Ausbildungsgeld sowie für den Zeitraum vom 24. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1998 Ausbildungsgeld in Höhe von
monatlich 131 DM und nahm gleichzeitig mit diesem Änderungsbescheid und mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tage den Bescheid vom 8. Februar 1995 zurück. Außerdem gab sie dem Kläger mit einem Schreiben ebenfalls vom 11. Juli 1995 Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer beabsichtigten Rückforderung überzahlten Ausbildungsgeldes für April 1995 in Höhe von 405 DM. Auf den Widerspruch des Klägers erteilte die Beklagte schließlich am 15. März 1996 einen Abhilfebescheid und bewilligte erneut Ausbildungsgeld ab dem 1. September 1994 und zwar für den Zeitraum vom 1. September 1994 bis zum 30. September 1995 in Höhe von monatlich 405 DM, vom 1. Oktober 1995 bis zum 23. Januar 1997 in Höhe von monatlich 440 DM und vom 24. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1998 in Höhe von monatlich 605 DM.

Die ehemalige BfA zahlte die Rente zunächst bis August 1996 und hob deren Bewilligung mit Bescheid vom 25. Juli 1996 (Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1996) ab dem 1.
September 1996 wegen Anrechnung des Ausbildungsgeldes auf. Die hiergegen von dem Kläger vor dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage (Aktenzeichen: S 10 An 542/97) wurde mit Urteil vom 13. Januar 1998 abgewiesen. Die anschließende Berufung vor dem Landessozialgericht Berlin wurde mit Urteil vom 17. November 1999 zurückgewiesen (Aktenzeichen: L 6 RA 43/98).

Am 24. Mai 1998 beantragte der Kläger bei der ehemaligen BfA nach Abschluss der berufsfördernden Maßnahme die erneute Gewährung der Invalidenrente, welche diese mit Bescheid vom 10. Mai 2000 (Widerspruchsbescheid vom 16. November 2000) ablehnte. Im anschließenden weiteren Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen: S 10 RA 5651/00) verpflichtete sich die Beklagte nach einem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. April 2001 (Aktenzeichen: B 4 RA 2/00 R) schließlich mit
Vergleich vom 23. Januar 2003, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. September 1996 bis zum 31. Mai 1998 rückwirkend Invalidenrente zu zahlen. In Ausführung dieses Vergleiches bewilligte die ehemalige BfA dem Kläger ab dem 1. September 1996 Invalidenrente in Höhe von monat-lich 431,74 DM und ab dem 1. Juli 1997 in Höhe von monatlich 431,54 DM.

Nach Mitteilung dieser Bewilligung von der ehemaligen BfA an die Beklagte im Juli 2003 meldete die Beklagte bei der BfA Erstattungsansprüche nach § 103 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) für den Zeitraum vom 1. September 1996 bis zum 25. Mai 1998 in einem Gesamtumfang (einschließlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) von 4974,39 EUR an. Dieses Erstattungsersuchen übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11. September 2003 zur Kenntnisnahme.

Mit Schreiben vom 23. September 2003 teilte der Kläger zu diesem Informationsschreiben mit, er sei davon ausgegangen, sowohl die Rente als auch das Ausbildungsgeld behalten zu können.

Dieses Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003 zurück. Die Invalidenrente sei als Einkommen nach § 27 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der Beklagten über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (AReha) anzurechnen.

Die ehemalige BfA zahlte schließlich von dem einbehaltenen Rentennachzahlungsbetrag (4.634,35 EUR) den auf den Zeitraum vom 1. September 1996 bis 25. Mai 1998 entfallenden Betrag in Höhe von 4591,65 EUR an die Beklagte und nur die Differenz von (4634,35 EUR - 4591,65 EUR=) 42,70 EUR an den Kläger. Gegen diese Entscheidung der ehemalige BfA hat der Kläger bei ihr Widerspruch erhoben; dieses Widerspruchsverfahren ruht.

Am 20. Dezember 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X die Aufhebung des "Bescheides" vom 11. September 2003.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2005 lehnte die Beklagte dies unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003 ab.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 16. März 2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2005 zurück.

Am 27. Juli 2005 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Durch die nachträgliche Rentengewährung sei keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X eingetreten. Es sei maßgeblich auf das Arbeitsförderungsrecht und in diesem Zusammenhang insbesondere auf § 27 Abs. 5 S. 1 und 2 AReha abzustellen. Danach seien die Einkommensverhältnisse maßgebend, die zwei Monate vor der Beginn der jeweiligen
Maßnahmen oder, wenn die Maßnahme in Abschnitten durchgeführt werde, zwei Monate vor Beginn des Maßnahmeabschnitts nachweisbar seien. Änderungen, die bis zur Entscheidung bekannt würden, seien jedoch zu berücksichtigen. Folglich sei für das Ausbildungsgeld auf die Zeit bis zur Entscheidung über das Ausbildungsgeld abzustellen. Deshalb sei die rückwirkende Gewährung der Rente keine rechtserhebliche Veränderung der Einkommensverhältnisse, weil die Einkommensverhältnisse maßgeblich blieben, die zwei Monate vor Beginn der Ausbildungsmaßnahme, also in den Monaten Juli/August 1994, nachweisbar gewesen seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Agentur für Arbeit Berlin Mitte vom 21. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 zu verurteilen, den Bescheid des Arbeitsamtes Berlin Mitte vom 11. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2003 zurück zu nehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 12. Januar 2006 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 44 Abs. 1 SGB X seien nicht erfüllt. Aus dem Zusammenhang heraus sei das Schreiben vom 11. September 2003 zwar als Verwaltungsakt aufzufassen, mit dem die Beklagte für die Zeit vom 1. September 1996 bis zum 25. Mai 1998 die Bewilligung des Ausbildungsgeldes teilweise aufgehoben habe. Diese
Entscheidung sei jedoch von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gedeckt. Die Invalidenrente stelle Einkommen im Sinne dieser Regelung dar, welches zum Wegfall des Anspruchs führte. Der Rechtsansicht des 9. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 31. März 1992, Az. 9b RAr 1/91) wonach § 48 SGB X durch die Sonderregelung des § 27 Abs. 5 A-Reha verdrängt werde, sei nicht zu folgen. Selbst wenn aber lediglich § 27 Abs. 5 A-Reha anwendbar wäre, sei die Aufhebung der Bewilligung ab dem 1. September 1969 nicht zu beanstanden, weil bereits mit Bescheid vom 5. Oktober 1994 eine Invalidenrente bewilligt worden sei.

Gegen das dem Kläger am 13. Februar 2006 zugestellte Urteil hat er am 13. März 2006 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin- Brandenburg eingelegt. Nach § 27 Abs. 5 AReha sei auf das Einkommen abzustellen, welches zwei Monate vor Beginn der Maßnahmen für die Zeit der Maßnahme nachweisbar sei. Zwar sei mit dem Bewilligungsbescheid der BfA vom 5. Oktober 1994 eine Leistungsbewilligung auch für die Zeit ab dem 1. September 1994 erfolgt. Über die Höhe des Anspruches sei der jedoch erst mit Bescheid der BVA vom 3. Februar 1995 entschieden worden. Zudem sei die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 SGB X bei Erlass des
Bescheides im September 2003 verstrichen gewesen. Spätestens seit dem Rentenbescheid vom März 1995 habe die Beklagte von der Gewährung der Rente gewusst und die Möglichkeit gehabt, die Bewilligung des Ausbildungsgeldes aufzuheben. Erst aufgrund deren Nachzahlung im Jahr 2003 (also annähernd 5 Jahre nach dem Ende der Leistungsgewährung) sei die Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ergangen. Würde zudem maßgeblich auf dem Bewilligungsbescheid der BfA vom 5. Oktober 1994 abgestellt, so liege kein Fall des § 48, sondern des § 45 SGB X vor. Die Bewilligung des Ausbildungsgeldes sei dann nämlich von vornherein rechtswidrig gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2006 und den
Bescheid der Agentur für Arbeit Berlin Mitte vom 21. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid des Arbeitsamtes Berlin Mitte vom 11. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2003 zurück zu nehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

In der nichtöffentlichen Sitzung des 30. Senats vom 11. Dezember 2008 hat der Kläger erklärt:

"Ich habe einen Bescheid vom 11. September 2003 nicht erhalten. Das Schreiben vom 11. September 2003, welches ich erhalten habe, müsste meiner Ansicht nach aber als Bescheid zu werten sein, weil die Bundesagentur für Arbeit es selbst als Bescheid im Überprüfungsverfahren angesehen hat. Ich möchte eine Feststellung erreichen, dass die von der Beklagten gegenüber der BfA geltend gemachten Erstattungsansprüche zu Unrecht erfolgt sind und das Geld damals nicht an die Beklagte hätte ausgezahlt werden müssen, sondern an mich."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten, mit der beigezogenen Gerichtsakte S 6 RA 5651/00 und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (1 Band Leistungsakten - Stammnummer ) sowie der Verwaltungsakten der BfA (Versicherungsnummer: ), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des
Beschwerdegegenstandes - zur Zeit der Berufungseinlegung im Jahre 2006 - 500,00 EUR übersteigt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat zu Recht mit Urteil vom 12. Januar 2006 die Klage abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Rücknahme eines Bescheides vom 11. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2003 nicht zu.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X).

Nach dieser Regelung besteht kein Anspruch auf Rücknahme eines Bescheides vom 11. September 2003. Ein solcher Anspruch scheitert zwar nicht bereits daran, dass nach dem Wortlaut der Regelung diese nur auf Verwaltungsakte anwendbar ist, auf deren Grundlage zu Unrecht Leistungen nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da sich der Kläger gegen eine Erstattung wendet. Wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist diese Norm jedoch auch auf Fälle der vorliegenden Art entsprechend anzuwenden. Der Zweck der Vorschrift besteht darin, dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung zu verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler zu beseitigen, die im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind. § 44 Abs. 1 SGB X findet daher auch auf Bescheide über die Aufhebung und Rückforderung von Sozialleistungen entsprechende Anwendung (Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 12. Dezember 1996, 11 RAr 31/690, unter anderem in SozR 3- 1300, § 44 Nr. 19, m.w.N.).

Gleichwohl besteht kein Anspruch auf Rücknahme eines Bescheides vom 11. September 2003, weil es vorliegend gegenüber dem Kläger bereits an einem entsprechenden Verwaltungsakt mangelt.

Nach § 31 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird (§ 39 Abs. 1 S. 1 SGB X), wobei der Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB X).

Ein solcher Verwaltungsakt mit Datum vom 11. September 2003 liegt nicht vor.

Er ist zum einen nicht in dem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 11. September 2003 zu sehen. Denn dieses Schreiben enthält keine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sondern lediglich die Mitteilung, dass vom Kläger keine Zahlungen zu leisten sind und die Information über ein weiteres Schreiben vom gleichen Tage (11. September 2003) an die damalige BfA.

Auch dieses Schreiben an die BfA stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar. Es trifft schon nach dem Wortlaut des Schreibens keine verbindliche Regelung, sondern enthält lediglich die Bitte an die BfA, aufgrund einer Überzahlung einen Gesamtbetrag in Höhe von 4974,39 EUR nach § 103 SGB X zu erstatten. Zudem ist das Schreiben nicht an den Kläger, sondern die BfA gerichtet und damit einen anderen Sozialversicherungsträger, so dass eine
"hoheitliche Maßnahme" im Sinne des § 31 SGB X in einem Über-/Unterordnungsverhältnis (Subordinationsverhältnis) ausscheidet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. April 1986, Az. 4a RJ 87/84, zit. nach Juris, m.w.N.).

Zu einer anderen Einschätzung führt nicht, dass in diesem Schreiben erwähnt wird, die Bewilligungsentscheidung sei für die Zeit vom 1. September 1996 bis zum 25. Mai 1998 teilweise nach § 48 SGB X aufgehoben worden. Eine solche Aufhebungsentscheidung ist tatsächlich nicht erfolgt; ein hierzu notwendiger Bescheid wurde durch die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht erlassen. Die Erwähnung im Schreiben an die BfA vom 11. September 2003 selbst stellt eine solche Leistungsaufhebung schon nach dem Wortlaut nicht dar; es wird vielmehr formuliert: " die Bewilligungsentscheidung wurde teilweise aufgehoben.". Darüber hinaus wäre nach § 39 SGB X Wirksamkeitsvoraussetzung für eine solche Aufhebungsentscheidung die Bekanntgabe der Leistungsaufhebung gegenüber dem Kläger. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch ebenfalls nicht erfolgt. Der Kläger geht ausweislich seiner Erklärung in der nichtöffentlichen Sitzung des 30. Senats vom 11. Dezember 2008 selbst davon aus, dass er einen Bescheid vom 11. September 2003 nicht erhalten hat.

Dass die Beklagte selbst fehlerhaft von einem Bescheid vom 11. September 2003 ausgeht, führt ebenfalls nicht zu dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 SGB X und damit auch nicht zur Verwaltungsakteigenschaft des Schreibens.

Schließlich ist ein überprüfbarer Verwaltungsakt auch nicht in dem Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003 zu sehen, weil dieser ebenfalls keine Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft.

Zwar hat die Beklagte selbst ihr Schreiben vom 15. Dezember 2003 als "Widerspruchsbescheid" bezeichnet und dementsprechend eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Allein diese Bezeichnung führt jedoch nicht zu dem Charakter eines Verwaltungsaktes. Entscheidend ist
vielmehr der Inhalt des Schreibens. Inhaltlich enthält das Schreiben lediglich den Hinweis, dass aufgrund der nachträglichen Bewilligung der Rente durch die BfA (gegen diese) ein entsprechender Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X besteht. Eine Regelung hinsichtlich der Leis-tungsansprüche gegenüber dem Kläger erfolgt demgegenüber nicht; insbesondere erfolgt keine Leistungsaufhebung gegenüber dem Kläger (nach § 48 SGB X).

Insoweit ist anzumerken, dass eine Leistungsaufhebung von der Beklagten gegenüber dem Kläger auch gar nicht zu erfolgen hatte, soweit diese von einem Erstattungsanspruch der
Sozialversicherungsträger untereinander nach § 103 und § 107 SGB X ausgeht. Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständigen Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 103 Abs. 1 SGB X). Soweit ein Erstattungsanspruch
besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X). Wegen dieser Erfüllungsfiktion ist für die rückwirkende Auf-hebung eines Bewilligungsbescheides dann kein Raum, wenn die Beklagte gegenüber einem vorrangigen Leistungsträger einen Erstattungsanspruch im Sinne von §§ 103, 107 SGB X hat (BSG, Beschluss vom 6. März 2000, B 11 AL 243/99 B, m. w. N.). Wie das Bundessozialgericht weiter ausgeführt hat, tritt die Erfüllungsfiktion mit der Entstehung des Erstattungsan-spruchs ein, also unabhängig davon, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht worden ist oder werden kann (BSG USK 86122; SozR 3-1300 § 107 Nr. 10; BVerwG Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 22; BVerwGE 87, 31, 35 = Buchholz 435.12 § 104 SGB X Nr. 1). § 107 SGB X soll Doppelzahlungen an den Sozialleistungsberechtigten vermeiden und die Aufhebung der nachrangigen Leistung nebst Rückforderung entbehrlich machen; der Ausgleich soll unter den Sozialleistungsträgern stattfinden, ohne dass der Sozialleistungsberechtigte behelligt wird (BSG SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 m. w. N.; BVerwG, a. a. O.). Es besteht daher kein
Wahlrecht des erstattungsberechtigten Trägers, auf einen Erstattungsanspruch und damit auf die Erfüllungsfiktion zu verzichten und sich statt dessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB X an den
Sozialleistungsberechtigten zu halten (BSG, a. a. O.).

Damit liegt insgesamt keine im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X überprüfbare materiellrechtliche Regelung gegenüber dem Kläger vor.

Sofern eine Regelung des "Widerspruchsbescheides" vom 15. Dezember 2003 dahingehend gesehen wird, dass prozessual der vermeintliche Widerspruch des Klägers vom 23. September 2003 gegen das Schreiben vom 11. September 2003 zurückgewiesen wird, kann auch dies nicht zur Rücknahmeverpflichtung nach § 44 SGB X führen.

Hierbei kann offen bleiben, ob § 44 SGB X auch auf Fälle anwendbar ist, in denen materiell-rechtlich keine Regelung getroffen wurde. Jedenfalls scheitert selbst dann, wenn insofern von einem überprüfbaren Bescheid (vom 15. Dezember 2003) ausgegangen würde, ein Rücknahmeanspruch daran, dass ein solcher Verwaltungsakt sich nicht als unrichtig erweist. Denn im Ergebnis konnte dem oben genannten "Widerspruch" des Klägers vom 23. September 2003 schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil auch ein solcher Widerspruch i.S. von § 83 SGG nach § 78 SGG eines überprüfbaren Verwaltungsaktes bedarf. Wie bereits dargestellt, liegt ein solcher Verwaltungsakt vom 11. September 2003 jedoch nicht vor.

Insgesamt bleibt daher festzuhalten, dass der Kläger einen Anspruch auf Rücknahme eines Bescheides nach § 44 SGB X nicht hat.

Danach kann dahinstehen, ob eine wesentliche Änderung hinsichtlich des Anspruches auf Ausbildungsgeld durch die nachträgliche Bewilligung der Rente eingetreten ist, die den Anspruch nachträglich entfallen lassen hat und damit die Erstattungsvoraussetzungen des § 103 SGB X vorliegen. Hierzu ist im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten keine Regelung erfolgt.

Eine solche Regelung erfolgte vielmehr im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Rentenversicherungsträger, indem der Rentenversicherungsträger den Nachzahlungsbetrag für die Rente nicht (in Höhe des streitigen Betrages) an den Kläger, sondern an die Beklagte auszahlte. Letztlich sind vorrangig auch keine Ansprüche nach dem SGB III im hiesigen Verfahren im Streit. Weder begehrt der Kläger von der Beklagten noch die Auszahlung von Ausbildungsgeld (dies hat er bereits während der Maßnahme erhalten), noch verlangt die Beklagte von dem Kläger die Erstattung des ausgezahlten Ausbildungsgeldes. Das Begehren des Klägers ist vielmehr darauf gerichtet, den Nachzahlungsbetrag der Rente (in voller Höhe) zu erhalten. Über diesen Nachzahlungsbetrag der Rente hat jedoch der Rentenversicherungsträger unter Berücksichtigung etwaiger Erstattungsansprüche (insbesondere der Beklagten) zu entscheiden. Entsprechend ist der Kläger auch darauf zu verweisen, gegebenenfalls gegenüber dem Rentenversicherungsträger seine Ansprüche geltend zu machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2. SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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