L 15 SO 171/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 47 SO 2042/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 171/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2009 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 20. August 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2008 durch gerichtliche Eilentscheidung liegen nicht vor. Die Antragstellerin begehrt die Gewährung von Leistungen, die ihr bisher nicht zuerkannt worden sind. In diesem Fall setzt – wie das Sozialgericht bereits ausgeführt hat – eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung im Regelfall voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin nach materiellem Recht (§ 29 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch) einen Anspruch auf Übernahme der Nachzahlung der Betriebs- und Heizkosten haben könnte. Nur "am Rand" wird deshalb der zutreffende Hinweis des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss unterstützt, dass eine sozialhilferechtlich unangemessen hohe Miete für eine Wohnung nicht zwangsläufig gleichbedeutend damit ist, dass auch die Heizkosten unangemessen hoch und folglich nicht zu übernehmen sind. Zwar ist der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV") zu entnehmen, dass die angemessene Wohnungsgröße den Maßstab für die Berechnung der angemessenen Heizkosten bildet (Urteile vom 2. Juli 2009 – Aktenzeichen B 14 AS 33/08 R und 36/08 R, liegen bisher nur als Pressemitteilungen vor). Die Angemessenheit der Heizkosten ist aber augenscheinlich unabhängig davon zu prüfen, ob die Kosten der Unterkunft ihrerseits angemessen sind (was sich nach der sogenannten "Produkttheorie" beurteilt, so die mittlerweile ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG] zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende; zusammenfassend etwa BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R, ebenso bereits Bundesverwaltungsgericht in Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte [FEVS] 57, 208 zum Recht der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz). Folglich können die Heizkosten für eine Wohnung, deren Unterkunftskosten sozialhilferechtlich "unangemessen" sind, ihrerseits "angemessen" sein – und auch umgekehrt. Der vom Antragsgegner angenommene "Automatismus" findet im Gesetz keine Grundlage, es ist stets eine konkrete Prüfung des Einzelfalls vorzunehmen. Ebenso können nachgeforderte Betriebskosten – deren Berücksichtigungsfähigkeit sich nach § 29 Abs. 1 SGB XII richtet – nicht mit nachgeforderten Heizkosten – für die § 29 Abs. 3 SGB XII maßgeblich ist – gleichgesetzt werden. Jedoch fehlt für eine Verpflichtung des Antragsgegners jedenfalls ein Anordnungsgrund. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin ein schwerer und unzumutbarer Nachteil entstünde, wenn sie die gewünschte Leistung nicht bereits vor Abschluss eines regulären Rechtsschutzverfahrens erhielte. Ihr ist jedenfalls aktuell zumutbar, das vom Vermieter bereits gemachte Angebot zur Ratenzahlung zu nutzen und hierfür anteilig die ihr gewährten Sozialleistungen – vor allem die Blindenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch und das Landesblindengeld – zu nutzen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass in diesem Fall das Existenzminimum und der durch die Sehbehinderung bedingte tatsächliche Mehraufwand nicht mehr gedeckt wären. Die Blindenhilfe und das Blindengeld sind zwar zweckbestimmte Leistungen, die dazu dienen sollen, die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen einer Blinden auszugleichen (siehe etwa das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in FEVS 58, 38). Da aber auch immaterielle Benachteiligungen ausgeglichen werden, entspricht seine Höhe nicht den konkreten Ausgaben der Betroffenen. Eine Fallgestaltung, in der von Verfassungs besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens zu stellen sind, weil ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, liegt nicht vor (zusammenfassend Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Die einzige aus den Akten ersichtliche Beeinträchtigung der Antragstellerin besteht darin, dass ihr für einen Zeitraum von annähernd zehn Monaten nicht die vollständigen Sozialleistungen zur Verfügung stehen. Weder gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass das derzeitige Mietverhältnis in seinem Bestand gefährdet ist, noch dafür, dass es sich überhaupt um erhaltenswerten Wohnraum handelt. Die Antragstellerin ist in den vergangenen Jahren mehrfach umgezogen, ohne dass dies auf erkennbaren gesundheitlichen Gründen beruht hätte oder gesundheitliche Folgen nach sich gezogen hätte. Angesichts dessen musste weder die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft noch eine Folgenabwägung vorgenommen werden. Mit der vorliegenden Entscheidung hat sich der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus dem Beschluss des Sozialgerichts erledigt. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht ausgeschlossen (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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