L 1 KR 186/09 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 84 KR 1274/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 186/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und begehrt von dieser die Erstattung der Kosten von 494,68 EUR einer am 10. Oktober 2007 ambulant privatärztlich durchgeführten offenen Upright-MRT (Magnetresonanztomographie). In ihrer Klage gegen den dies ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2008 beim Sozialgericht Berlin (SG) hat sie vorgebracht, die Nutzung eines Kernspintomographen im herkömmlichen Tunnelsystem sei ihr nicht möglich gewesen. Beim ersten Termin zu einer MRT-Untersuchung sei die Klägerin in die Röhre geschoben worden. Sobald die übliche Geräuschbelastung des Gerätes eingesetzt habe, habe die Klägerin augenblicklich angefangen zu hyperventilieren. Sie habe den Alarmknopf gedrückt, so dass die Untersuchung habe abgebrochen werden müssen. Die Klägerin habe aufgrund der beengten Situation um sich geschlagen und geschrien. Beim zweiten Termin am 18. September 2007 im offenen Gerät habe sich die Klägerin zunächst auf die Liegefläche gelegt. Sobald jedoch die Decke des Gerätes heruntergefahren sei, sei der Puls der Klägerin rasant angestiegen. Sie habe Atemnot und heftige Beklemmungen bekommen, so dass auch diese Behandlung sofort habe wieder abgebrochen werden müssen. Beim MRT-Termin am 26. September 2007 sei beabsichtigt gewesen, die Klägerin durch das Spritzen eines Beruhigungsmittels zu beruhigen. Dies sei aber unterblieben, weil allergische Reaktionen der Klägerin zu erwarten gewesen seien. Diese reagiere in letzter Zeit des Öfteren auf diverse Medikamente (Beweisangebot einzuholendes Sachverständigengutachten). Eine MRT-Untersuchung unter Vollnarkose sei nicht möglich gewesen, da in diesem Rahmen unkontrollierte Bewegungen möglich sein könnten, die die Bilder völlig untauglich machten. Darüber hinaus befinde sich die Klägerin aufgrund Atemaussetzern im Schlaf in Behandlung der Lungenarztpraxis in T. Deshalb sei aufgrund des gesamten Sachverhaltes einzig und allein eine MRT-Untersuchung mittels Upright-Kernspintomographie-Gerät möglich gewesen. Beigefügt hatte die Klägerin zum Beweis einen Arztbrief der Lungenarztpraxis T vom 10. Oktober 2007, welches die Diagnosen "Verdacht auf Schlafapnoe-Syndrom (G47.3-V), Thorakale Missempfindungen, wohl vertebragen (R07.4G)" enthält. Dort heißt es unter anderem unter "Aktuelle Angaben": Sie schnarche teils stark, nächtliche Atemstillstände seien nicht beobachtet worden. Allerdings schrecke sie alle paar Wochen mit dem Gefühl von Atemnot aus dem Schlaf hoch, was sich innerhalb von weniger als einer Minute bessere. Beurteilung: Der Zusammenhang von Schweregrad schlafbezogener Atmungsstörungen und Übergewicht sei erörtert, eine Gewichtsreduktion empfohlen worden. Wegen der teils relativ tiefen O2 Desaturationen werde eine Polysomnografie zur weiteren Evaluation der Erkrankung veranlasst.

In der mündlichen Verhandlung am 18. März 2009 hat die Klägerin, die selbst anwesend und anwaltlich vertreten gewesen ist, keinen Beweisantrag gestellt. Das SG hat mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt, dass es sich bei der von der Klägerin begehrten Leistung um eine neue Untersuchungsmethode handele, welche nicht in die verbindlichen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 92 SGB V aufgenommen worden sei. Ein Ausnahmefall liege bereits deshalb nicht vor, weil eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standart entsprechende Untersuchungsmethode zur Verfügung stehe. Die Klägerin hätte die Untersuchung in einem geschlossenen Kernspintomographiegerät bei entsprechender Medikation, wozu auch die Vollnarkose gehöre, durchführen lassen können. Daneben scheitere eine Kostenerstattung auch daran, dass der behandelnde Arzt nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnehme. Nach § 76 SGB V könnten Versicherte außer in Notfällen nur unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzte wählen. Das SG hat darüber hinaus die Berufung nicht zugelassen.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Es liege der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels vor. Das SG sei in seinen Urteilsgründen von einem anderen Sachverhalt als dem des schriftlichen Vorbringens der Klägerin und des im Rahmen der mündlichen Verhandlung Erörterten ausgegangen. Es sei in der mündlichen Verhandlung insbesondere in aller Deutlichkeit erörtert worden, dass eine Vollnarkose aus zwingenden gesundheitlichen Gründen seinerzeit im Herbst 2007 bei der Klägerin nicht möglich gewesen sei. Die vergrößerte Zunge und das Schlafapnoe-Syndrom hätten normale Atmungsreaktionen der Klägerin verhindert. Zum Beweis für die Tatsache, dass eine Vollnarkose nicht möglich gewesen sei, sei die (Zeugen-)Einvernahme der die Klägerin seiner Zeit behandelnden Ärzte, hilfsweise die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt worden. Das Gericht habe jedoch ohne jede weitere Beweiserhebungen einen anderen als den klägerseits dargestellten Sachverhalt angenommen. Auch habe es sich bei der Inanspruchnahme der privatärztlichen Behandlung um einen Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V gehandelt. Das Upright-MRT-Gerät stehe in Deutschland bei an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten nicht zur Verfügung. Die Klägerin habe den Antrag bei der Beklagten bereits am 10. Oktober 2007 gestellt. Bei der für sie lebensbedrohlichen Situation sei ihr ein längeres Zuwarten vor der privatärztlichen Behandlung (durchgeführt am 30. Oktober 2007) nicht zumutbar gewesen. II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, denn die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Im vorliegenden Fall scheiden Zulassungsgründe aus.

Die Klägerin kann keinen Verfahrensmangel geltend machen, auf dem die Entscheidung möglicherweise beruht (Ziffer 3.). Das Sozialgericht hat seine Pflicht zur Amtsermittlung nicht verletzt: Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht stellt dann einen Verfahrensmangel dar, wenn sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen aus seiner rechtlichen Sicht hätte gedrängt fühlen müssen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 144 Rdnr 34 mwN). Nach § 103 Satz 1 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, d.h. es kann sich nicht auf eine Beschränkung seiner Amtsermittlungspflicht durch einen fehlenden Beweisantrag berufen. Anders als § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG verlangt § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG lediglich eine schlüssige Geltendmachung des Verfahrensmangels (so zutreffend Bayerisches LSG, B. v. 14.04.2009 - L 10 AL 36/09 NZB). Daran fehlt es hier. Das Sozialgericht musste sich nicht gedrängt fühlen, näher zu ermitteln, ob die Klägerin gegen Beruhigungsmittel und/oder Vollnarkosemittel allergisch reagieren würde. Noch weniger gilt dies für die jetzt behaupteten unkontrollierten Bewegungen unter Vollnarkose. Aus dem von der Klägerin in erster Instanz eingeführten Arztbrief der Lungenarztpraxis T - Gemeinschaftspraxis für Pneumologie und Allergologie - lässt sich kein Hinweis auf Allergien entnehmen. Diagnostiziert wird nur der Verdacht auf ein Schlafapnoe-Syndrom. Ein Zusammenhang zur vorgeblichen Undurchführbarkeit einer Vollnarkose besteht nicht, drängt sich jedenfalls nicht auf. Auch vom Ablauf der Geschehnisse spricht hier so gut wie nichts für die Annahme, dass der Klägerin ein herkömmliches MRT nicht möglich gewesen wäre bzw. ihr nicht zumutbar gewesen wäre. Dies gilt auch, wenn zu Gunsten der Klägerin Klaustrophobie unterstellt wird. Ein Versuch, ein herkömmliches MRT in sediertem Zustand - nach Ausschluss allergischer Reaktionen durch entsprechende Tests - anzufertigen hat nicht stattgefunden, ebenso wenig eine narkoseärztliche Untersuchung. Es ist schließlich auch objektiv kein Anhaltspunkt für besondere Dringlichkeit vorgetragen worden oder aus den Umständen ersichtlich gewesen. Es spricht nichts für konkrete Lebensgefahr zum damaligen Zeitpunkt. Ob die Aussage der Klägerin, es gäbe keinen Vertragsarzt, der MRT-Untersuchungen an einem Upright-MRT vornehme, zutrifft, kann dahingestellt bleiben.

Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann auch auf die Übergehung eines Beweisantrages gestützt werden, dem das Sozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu muss der Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gestellt oder, falls er vorher schriftsätzlich niedergelegt war, aufrechterhalten worden sein (vgl. BSG, Beschluss vom 21. August 2007, - B 3 P 18/07 B -). Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er bis zur Entscheidung des Sozialgerichts nicht weiterverfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn diese einen zuvor angekündigten Beweisantrag nicht mehr wiederholt haben (vgl. BSG, Beschluss vom 20. September 2007, - B 5a/5 R 262/07 B -). Da die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung an den zuvor angekündigten Beweisanträgen nicht förmlich festgehalten hat, ist auch für § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BSG zu § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG in einem solchen Fall regelmäßig davon auszugehen, dass sich die Beweisanträge erledigt haben (stellvertr: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 31) (so insgesamt weitgehend wörtlich LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 19.11.2007 -L 9 KR 71/05 NZB-).

Grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Ziff. 1. SGG) ist dann gegeben, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die bislang nicht geklärt ist und deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht. Hier werden aber bereits keine Rechtsfragen aufgeworfen.

Das Urteil des Sozialgerichts weicht auch nicht von einer Entscheidung der in Ziffer 2. des § 144 Abs. 2 SGG genannten Gerichte ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
Saved