L 1 KR 456/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 2804/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 456/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beigeladene zu 2), die Beklagte und die Beigeladene zu 3) haben die Gerichtskosten sowie die Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren je zu einem Drittel zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beigeladene zu 1) im Rahmen seiner Tätigkeit für seinen Vater, den Beigeladenen zu 2), seit dem 1. Februar 1999 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.

Der Beigeladene zu 2) ist Steuerberater. Sein Sohn, Steuerfachangestellter, ist bei ihm seit dem 1. Februar 1999 tätig. Am 30. November 1999 schlossen sie mit Wirkung vom 1. Februar 2000 einen "Arbeitsvertrag". In diesem wurde der Beigeladene zu 1) als Arbeitnehmer und der Beigeladene zu 2) als Arbeitgeber aufgeführt. Zum Aufgabengebiet des Beigeladenen zu 1) sollten das Personalwesen, die Finanzbuchhaltung, das Controlling, die Neuanschaffung einzelner Wirtschaftsgüter nach eigenem Ermessen, die Bearbeitung von Buchhaltungsmandaten und die Erstellung von Jahresabschlüssen nach eigenem Ermessen, die Bearbeitung von Lohnbuchhaltung nach eigenem Ermessen, die Akquise neuer Buchhaltungsmandate nebst Abschluss individueller Honorarvereinbarungen, die Übernahme von weiteren administrativen Aufgaben sowie bei Bedarf die Einkommenssteuerberatung bei "Publikumsverkehr" (§ 1 Tätigkeit und Aufgabengebiet). Weiter heißt es in § 1: "Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer nach bestem Wissen und Gewissen sowie nach kaufmännischen Regeln, den Arbeitnehmer mit vor genannten Aufgaben auf die vollständige Geschäftsübernahme durch den Arbeitnehmer vorzubereiten." Als regelmäßige Arbeitszeit wurden 40 Wochenstunden vereinbart, deren Verteilung gemäß Arbeitsanfall nach eigenem Ermessen aufzuteilen sei. Als Vergütung wurde ein Jahresgehalt von 84.000,00 DM vereinbart, welches in 12 Monatsgehältern auszubezahlen sei. Ab einem steuerlichen Gewinn des Beigeladenen zu 2) von 350.000,00 DM werde eine Tantieme in Höhe von 40 % des Mehrbetrages gewährt, die der Lohnsteuer zu unterwerfen sei. Der Beigeladene zu 1) erhält nach dem Vertrag auch Kostenerstattung für Geschäftsreisen nach der jeweiligen betrieblichen Reisekostenverordnung und den gesetzlichen Bestimmungen sowie Gehaltsfortzahlung bei Krankheit für sechs Wochen, im Falle des Todes für drei Monate. Ihm stehen 33 Arbeitstage pro Jahr Urlaub sowie weitere fünf Tage pro Jahr Bildungsurlaub zu. Zusätzliche Vereinbarungen bedürfen nach § 7 der Schriftform.

Am 8. Mai 2006 beantragte der Beigeladene zu 1) bei der Beklagten, ihn rückwirkend ab Februar 1999 von der Sozialversicherungspflicht zu befreien. Er reichte einen von ihm und seinem Vater ausgefüllten "Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen (Ehegatten/Lebenspartner)" vom 30. Mai 2006 ein. Danach ist der Beigeladene zu 1) Steuerfachangestellter und als leitender Angestellter bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 50–55 Stunden bei sechs Arbeitstagen nach Belieben beschäftigt und erhält ein regelmäßiges monatliches Arbeitsentgelt von 3.914,00 EUR brutto. Die ausgeübte Tätigkeit ist als "Kontrolle der Mitarbeiter hinsichtlich Ausführung der ausgeführten Tätigkeiten, Akquise neuer Mandanten, Jahresabschluss FIBU Lohnbuchhaltung auch eigene, Mandantenpflege" bezeichnet. Die Tätigkeit werde aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ausgeübt, der Beigeladene zu 1) sei aber nicht an Weisungen über die Ausführung der Arbeit gebunden. Er könne vielmehr seine Tätigkeit frei bestimmen und gestalten und wirke bei der Führung des Betriebes mit. Die Mitarbeit sei "aufgrund familienhafter Rücksichtnahme" durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt. Das Arbeitsentgelt, welches nicht dem tariflichen bzw. ortüblichen Gehalt entspreche, werde regelmäßig auf ein privates Girokonto des Beigeladenen zu 1) überwiesen. Hiervon würde Lohnsteuer entrichtet. Es werde als Betriebsausgabe gebucht. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Beigeladene zu 1) mit Schreiben vom 7. Juni 2006 ergänzend mit, nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert zu sein. Zu seinen üblichen Tätigkeiten gehörten Personalfragen (Gehaltsanpassung, Urlaubsfragen, Abmahnungen, Entlassungen und Einstellungsgespräche, Zuweisungen der Tätigkeiten sowie Kontrolle der Mitarbeiter hinsichtlich Arbeitszeiteinhaltung und fachlicher Tätigkeit) sowie Kanzleiwesen. Sämtliche administrativen Fragen, Honorarvereinbarungen mit Mandanten, Kanzleimanagement (inklusive Finanzbuchhaltung und Lohnbuchhaltung der Kanzlei, Wahrnehmung der Bankvollmacht) und die Verlegung der Kanzlei in die W Straße seien von ihm initiiert, organisiert und durchgeführt worden.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, zu beabsichtigen, die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) bei seinem Vater als nicht abhängiges Beschäftigungsverhältnis anzusehen. Eine Kopie dieses Schreibens übersandte sie dem Beigeladenen zu 1). Mit Schreiben vom 19. Juli 2006 antwortete die Klägern daraufhin mit, dass sie die Auffassung nicht teile.

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 31. Juli 2006 stellte die Beklagte fest, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für den Beigeladenen zu 2) ab dem 1. Februar 1999 um eine selbstständige und damit nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit handele. Sie teilte dies der Klägerin unter Beifügung einer Kopie des Bescheides mit Schreiben vom 29. September 2006 (Eingang: 4. Oktober 2006) mit.

Am 2. November 2006 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Sie hat die Ansicht vorgebracht, die Abführung von Lohnsteuer sowie die Verbuchung des Arbeitsentgeltes als Betriebsausgabe sprächen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Dieser Aspekt sei vorliegend besonders zu berücksichtigen, weil der Beigeladene zu 1) in einem Steuerberaterbüro tätig sei. Ferner sprächen für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung die Regelungen des Arbeitsvertrages. Der Beigeladene zu 1) sei auch weisungsgebunden im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Er habe auch Krankengeld in Anspruch genommen und damit zu Lasten der Solidargemeinschaft eine Sozialleistung bewilligt bekommen. Schließlich handele es sich bei dem Unternehmen um ein Einzelunternehmen, in welchem ausschließlich der Beigeladene zu 2) das wirtschaftliche Risiko trage.

Die Beklagte hat vorgebracht, sie könne aufgrund § 45 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) den Bescheid jedenfalls rückwirkend nicht mehr aufheben.

Der Beigeladene zu 1) hat vorgetragen, er sei im Innenverhältnis faktisch Mitgeschäftsführer des Unternehmens. Er übernehme im Einverständnis mit seinem Vater sämtliche Geschäftsführungstätigkeiten. Er handele alleine im Sinne der Familie, wegen des gleichberechtigten Nebeneinanders zu seinem Vater liege ein Fall familienhafter Mitarbeit vor. Eine offizielle Unternehmensstellung sei lediglich aus berufsrechtlichen Gründen nicht möglich. Er übernehme Leitungsaufgaben, die nicht von normalen Angestellten übernommen werden könnten. So stelle er selbst Mitarbeiter ein und übe das arbeitgeberseitige Direktionsrecht neben seinem Vater aus. Zudem entscheide er selbstständig über neue Investitionen, beteilige sich sogar selbst an der Anschaffung neuer Möbel und sonstiger Wirtschaftsgüter, weil er das Unternehmen als "sein Unternehmen, als Familienbetrieb" ansehe. Auch inhaltlich arbeite er wie ein Unternehmensinhaber mit eigenen Mandanten, die er völlig selbstständig und bereits seit langer Zeit betreue. Wie ein Unternehmer unterstelle er seine Vergütung der Ertragslage des Familienunternehmens. Er wisse, dass er in Zeiten schlechter Umsätze von seinem Vater keine Vergütung erwarten und verlangen könne. Auch sein zeitlicher Einsatz richte sich nur nach dem Unternehmensbedarf, was zu erheblichen Wochenarbeitszeiten führe, die ein abhängig Beschäftigter nicht zu erbringen bereit sei. Er erhalte auch keinen bezahlten Urlaub, wie in dem Arbeitsvertrag vorgesehen und auch kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Sein Vater steuere allenfalls mal etwas zur "Urlaubskasse" bei. Der schriftliche Vertrag sei also tatsächlich nicht vollzogen worden. Sie beide hätten sich über die Notwendigkeit eines solchen Vertrages ebenso im Irrtum befunden wie über die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Vergütung.

Auch der Beigeladene zu 2) hat darauf hingewiesen, dass er und sein Sohn irrtümlich vom Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen seien. Die Abführung von Lohnsteuer habe seine Ursache allein darin, dass der Beigeladene zu 1) aus berufsrechtlichen Gründen nicht selbstständig tätig sein könne. Er könne weder als Freiberufler noch als Gewerbetreibender für ihn tätig werden. Selbst wenn dies aber berufsrechtlich möglich wäre, wäre das Honorar dann ebenfalls als Betriebsausgabe zu verbuchen. Die Festlegung der Arbeitszeit und des Aufgabengebietes seien erfolgt, um ihm (dem Beigeladenen zu 2) eine entsprechende Sicherung seiner Gläubigerstellung zu ermöglichen. Hätte er mit seinem Sohn lediglich einen Beratervertrag abgeschlossen, hätte er das Risiko zu tragen gehabt, dass dieser komme und gehe wann er wolle und mache, was er wolle, ohne eine irgendwie gearteten Einfluss darauf zu haben. Selbst wenn ein Honorarvertrag geschlossen worden wäre oder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet worden wäre, so hätte die Aufgabenverteilung und auch die zu leistenden Dienstzeiten üblicherweise in einem solchen Vertrag Eingang finden müssen. Die Kündigungsregelung in dem Arbeitsvertrag sei unwirksam, da sie gegen § 623 Bürgerliches Gesetzbuch verstoße.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 16. Oktober 2008 stattgegeben und den Bescheid der Beklagten insofern aufgehoben, soweit darin die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit seit dem 1. Februar 1999 festgestellt wurde.

Die Klägerin sei durch den Bescheid als Rentenversicherungsträger beschwert (§ 54 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), soweit die Beklagte die Rentenversicherungsfreiheit festgestellt habe (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R - BSGE 84, 136). Eines Vorverfahrens habe es gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG nicht bedurft. Die Klage sei auch rechtzeitig erhoben. Weil der Bescheid der Beklagten der Klägerin ohne Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden sei, gelte gemäß § 66 Abs. 2 SGG die Jahresfrist (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 1. Juli 1999, a.a.O.). Die Klage sei begründet, da der Beigeladene zu 1) als abhängig Beschäftigter nach § 7 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) anzusehen sei. Nach der vorzunehmenden Gesamtabwägung überwögen hier die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Umstände. Der Arbeitsvertrag werde tatsächlich vollzogen. Soweit es hinsichtlich der Arbeitszeit und der Urlaubsregelungen nicht der Fall sei, sei dies bei leitenden Angestellten nicht unüblich. Auch hätten die Beigeladenen zu 1) und 2) selbst vorgetragen, dass das Gehalt deutlich höher als ortsüblich sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die durchschnittlich geleistete Mehrarbeit wie bei leitenden Angestellten üblich durch das Gehalt mit abgegolten sei. Sofern geltend gemacht werde, dass der Abschluss des Arbeitsvertrages allein berufsrechtlichen Gründen geschuldet gewesen sei, spreche dies nicht gegen, sondern sogar für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Wer sich bewusst für die Anstellung entscheide, müsse sich daran festhalten lassen. Die Wirkungen des Vertragsverhältnisses können nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet beschränkt werden. Umgekehrt gelte vielmehr, dass dann, wenn eine vertragliche Gestaltung durch zwingende gesetzliche Regelungen vorgegeben sei, davon auszugehen sei, dass die tatsächlichen Verhältnisse hiervon nicht rechtserheblich abwichen. Deshalb seien bei der Beurteilung der Versicherungspflicht die vertragliche Gestaltung auch rechtlich maßgebend (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 130/06 R -). Es habe deshalb kein "Irrtum" über die Notwendigkeit eines schriftlichen Arbeitsvertrages bestanden. Die Beigeladenen hätten sich vielmehr bewusst für die vertragliche Ausgestaltung als Arbeitsvertrag entschieden und die Rechtsverhältnisse in steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zutreffend eingeordnet. Auch habe der Beigeladene zu 2) selbst vorgetragen, dass die Festlegungen von Arbeitszeit und Aufgabengebiet zu seiner eigenen Absicherung erfolgt seien, damit sein Sohn nicht kommen und gehen könne, wie er wolle und mache, was er wolle. Dieser sei auch wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert. Er übernehme nämlich wesentliche Funktionen innerhalb der Leitung des Unternehmens. An seiner Stelle müsste eine fremde Arbeitskraft eingestellt oder das Unternehmen aufgelöst bzw. verkauft werden. Er trage auch kein unternehmerisches Risiko. Der Vortrag, auch der Beigeladene zu 2) trage kein solches, sei angesichts des Haftungsrisikos als Steuerberater nicht nachvollziehbar. Dass der Beigeladene zu 1) bei entsprechender schlechter wirtschaftlicher Unternehmenslage auf Gehalt verzichte, sei rein hypothetisch und könne deswegen nicht berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beigeladenen zu 2). Das SG habe fehlerhaft die Grundsätze der Rechtsprechung für die Beurteilung stiller Gesellschafter bzw. Geschäftsführer angewendet. Die Freiheiten des Beigeladenen zu 1) gingen aufgrund der engen familiären Bindung naturgemäß über die Freiheiten eines Gesellschafter-Geschäftsführers hinaus. Es habe auch nicht einerseits auf die gelebten Verhältnisse, auch in Abweichung der vertraglichen Regelungen, und andererseits auf den Arbeitsvertrag abstellen dürfen. Es sei auch rechtsfehlerhaft, auf die fehlenden Zulassung des Beigeladenen zu 1) und die fehlende Außenhaftung abzustellen. Es ginge nämlich nicht um das Verhältnis einer natürlichen Person zu einer juristischen Person wie unter Fremden sondern um die Position innerhalb einer Familie. Das streitgegenständliche Anstellungsverhältnis resultiere in seiner gesamten Ausgestaltung aus dem Familienverbund und stütze die gesamte Familie der Beigeladenen untereinander. Dabei stärke das vom Beigeladenen zu 1) erzielte Einkommen sowohl die eigene Existenz als auch die seines Vaters. Dies ergebe sich alleine schon daraus, dass er immer das Doppelte des durchschnittlichen Einkommens eines Steuerfachangestellten erhalte, was nur möglich, weil er selbstständig Mandate akquiriere und betreue. Dementsprechend trage er auch ein Unternehmerrisiko. Bis ca. 2002 habe sich die Tätigkeit in seinem Büro zu 95 % aus Einkommensteuermandaten zusammengesetzt und nur zu 5 % Buchführungsmandaten. Ausschließlich durch die Akquise des Beigeladenen zu 1) habe sich bei etwa gleich bleibender Zahl der Einkommensteuermandate die Zahl der Buchhaltungsmandate etwa verdreifacht. Deshalb habe auch eine Angestellte eingestellt werden müssen. Er selbst betreue nur noch seine Stammmandanten und habe sich vollkommen aus dem Alltagsgeschäft zurückgezogen. Er akquiriere nicht mehr. Der Beigeladene zu 1) sei zwar kein Steuerberater, sei jedoch in der Lage, gemäß § 23 Steuerberatergesetz einen Lohnsteuerhilfeverein zu gründen und könnte also selbstständig tätig sein. Insoweit könne er das Unternehmen fortsetzen, auch wenn er sich mit seinem Vater überwerfen sollte oder dieser versterben sollte, bevor er seine Steuerberaterprüfung erfolgreich abgelegt habe. Die einzige Tätigkeit die ihm berufsrechtlich untersagt sei, sei das Unterzeichnen von Bilanzen. Allerdings seien mindestens 80 % der Mandanten Einkommensteuermandanten, welche ihre Steuererklärung ohnehin selbst unterschreiben müssten. An seiner alleinigen Haftung würde sich im Übrigen auch nichts ändern, wenn sein Sohn Steuerberater sei. Etwas anderes gälte nur, wenn dieser als Sozius in die Kanzlei mit einstiege. Haftungsrechtlich müsse schließlich berücksichtigt werden, dass er auch jetzt seinen Sohn gemäß den entsprechenden zivilrechtlichen Regelungen in Regress nehmen könnte. Es sei weiter inkonsequent und führe zur Rechtsunsicherheit, dass die Sozialversicherungspflicht nur in einer Sparte der Sozialversicherung, der Rentenversicherung, bejaht werde. Er verweise noch auf vier weitere Fälle, in welchen bei ähnlichen Sachverhalten – in einem Fall sogar exakt ebenfalls die Situation eines Steuerberaters für die Zeit vor seiner Zulassung – die Klägerin selbst von Rentenversicherungsfreiheit ausgegangen sei. Sie verstoße gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG). Wären die Beigeladenen Kaufleute, wäre anders entschieden worden. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen Artikel 12 GG vor. Da die Problematik der Rentenversicherungspflicht von Familienangehörigen höchstrichterlich noch nicht entschieden sei, werde vorsorglich beantragt, die Revision zuzulassen.

Der Beigeladene zu 1) hat vorgebracht, durch den Bürgschaftsvertrag vom 12. Februar 2009 in Höhe von 30.000,00 EUR für ein von seinem Vater aufgenommenes Darlehen zur Finanzierung einer neuen Computeranlage samt Software zu bürgen. Bis dahin sei eine Mitwirkung in Form der Beschaffung von Fremdkapital für Investitionen nicht erforderlich gewesen. Die momentane wirtschaftliche Lage und das Alter des Beigeladenen zu 2) (Jahrgang 1938) machten dies jetzt erforderlich. Er weise auch darauf hin, dass die Finanzverwaltungen in Deutschland seit den 70er Jahren auf der Vorlage eines Arbeitsvertrages zwischen Familienangehörigen beständen, sofern die gezahlten Honorare als Betriebsausgaben geltend gemacht würden. Ohne Vertrag gezahlte Beträge würden nicht als Betriebsausgaben anerkannt (Kopie des Darlehensvertrages selbst: Auch die Kreditinstitute sähen sein Beschäftigungsverhältnis wie das eines Selbstständigen an. Im alltäglichen wirtschaftlichen Leben werde er als Selbstständiger behandelt. Die Klägerin müsse sich der Tatsache stellen, dass sie die einzige Institution sei, die seinen Beschäftigungsstatus nicht anerkennen wolle.

Der Beigeladene zu 2), die Beklagte und die Beigeladene zu 3) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rechtlich fundiert begründet.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und der Beklagten lagen zur Beratung vor.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren allein nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.

Das SG hat der Klage auf Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide zu Recht stattgegeben. Auf die Begründung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Die Klägerin hat ihr Klagerecht nicht verwirkt. Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen vor, wenn der Verpflichtete (hier die Beigeladenen zu 1) und 2) in Folge eines bestimmten Verhaltens (Verwirkungsverhalten) berechtigt vertrauen durfte, dass der Berechtigte (hier: die Klägerin) das Recht (hier: Klagerecht mit der möglichen Konsequenz im Falle eines obsiegenden Urteils, Beiträge nicht rückerstatten zu müssen) nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so bereits Urteil des Senats vom 17. April 2008 - L 1 KR 356/06 - unter Bezugnahme auf BSGE 80, 41, 43f mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtssprechung des BSG). Hier fehlt es bereits an einem Verwirkungsverhalten: Die Klägerin hat die Klage noch innerhalb eines Monats erhoben, nachdem ihr der streitgegenständliche Bescheid bekannt gegeben worden ist.

Die Klage ist begründet:

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI -) Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, sowie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45) (so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris). Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -). Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nichtversicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Angehörigen ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002 - 42). Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben (BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8). Nach der Rechtssprechung des BSG, der der Senat folgt, ist bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen und nur in begrenzten Einzelfällen hiervon abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Familienunternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die zum Beispiel dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86 BB 1989,72; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R USK 9975).

Bei der entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Auf dessen Darlegungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG wiederum Bezug genommen, insbesondere zum gelebten Arbeitsverhältnis. Soweit der Beigeladene zu 1) - unter anderem - aus dem Umstand, kein Urlaubsgeld zu erhalten, ableiten will, dass der Arbeitsvertrag wirkungslos geworden sei, geht dies fehl. Er kann nämlich nach dem Arbeitsvertrag eine solche Extravergütung nicht verlangen.

Die Einwände der Beigeladenen zu 1) und 2) im Berufungsverfahren bleiben ohne Erfolg. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor. Bei der Anwendung des § 7 SGB IV steht der Prüfbehörde kein Ermessen zu. Sollte in gleichsetzbaren Fällen anders entschieden worden sein, könnten sich die Beigeladenen hierauf nicht berufen. Es ist auch falsch, dass die Entscheidung in jedem Fall anders zu treffen wäre, wenn die Beigeladenen zu 1) und zu 2) nicht Steuerfachangestellter bzw. Steuerberater wären, sondern Kaufleute. Auch im Falle der Beschäftigung bei einem Kaufmann in der Form eines Einzelhandelsunternehmens ist bei Bestehen eines Arbeitsvertrages und einem Letztentscheidungsrecht des Unternehmers regelmäßig von einem überwiegen der Merkmale abhängiger Beschäftigung auszugehen (vgl. aus der Praxis des Senats Urteil vom 26. Oktober 2007 - L 1 KR 92/07 -, Urteil vom 10. Juni 2009 - L 1 KR 615/07B - und Beschluss vom 5. August 2009 - L 1 KR 410/08 - jeweils zu Prokuristen von Einzelhandelsunternehmen).

Die Übernahme einer Bürgschaft über 30.000,00 EUR für das vom Vater aufgenommene Darlehen, ist kein entscheidendes Argument für selbstständige Tätigkeit, auch wenn dadurch (erstmals) ein gewisses Unternehmerrisiko eingegangen wird. Dass sein Vater zur Erzielung der Umsätze, welche das großzügige Gehalt für seinen Sohn ermöglichen, auf die Akquisetätigkeit des Beigeladenen zu 1) angewiesen war, ist eine Konstellation, welches es bei Angestelltenverhältnissen häufig gibt. Das Risiko, mangels Aufträgen das Arbeitsverhältnis gekündigt zu bekommen, besteht in fast jedem Arbeitsverhältnis. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Unternehmerrisiko. Der Beigeladene zu 2) ist der alleinige Unternehmer. Er könnte den Beigeladenen zu 1) entlassen. Der Senat folgt damit wie bereits das SG den Grundsätzen des BSG, welches es für Familiengesellschaften bzw. Familienunternehmen aufgestellt hat. Die Besonderheiten familiären Zusammenwirkens und einvernehmlichen Handelns sind dabei berücksichtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Kostenschuldner sind dabei auch die Beklagte und die Beigeladene zu 3). Diese haben im Erörterungstermin ausdrücklich beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie haben damit eine (unselbstständige) Anschlussberufung erhoben. Rechtsmittel im Sinne des § 154 Abs. 2 ist auch die Anschlussberufung (vgl. ebenso Kopp/Schenke, VwGO, § 154 RdNr. 6).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die grundsätzlichen Kriterien sind von der Rechtsprechung geklärt.

Der Beschluss über den Streitwert folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 GKG. Der Senat hat sich für Fälle außerhalb des Antragsverfahrens nach § 7a SGB IV der Rechtsprechung des 9. Senates im Hause angeschlossen, wonach sich der Streitwert in einem Rechtsstreit über die Versicherungspflicht regelmäßig nach dem Auffangstreitwert bemisst (vgl. Urteil vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 - mit Bezugnahme auf Beschluss vom 12. August 2008 - L 9 KR 119/08 -). Die wirtschaftliche Bedeutung eines solchen Rechtsstreits kann nämlich regelmäßig nicht überblickt werden. Er korrespondiert regelmäßig nicht mit der Höhe der entweder zu erstattenden oder nachzufordernden Versicherungsbeiträge. Auch kann der wirtschaftliche Wert, gesetzlich rentenversichert zu sein, kann kaum bemessen werden.

Erst wenn Zeiträume von mehr als fünfzehn Jahren streitbefangen, ist regelmäßig eine Verdoppelung des Streitwertes angemessen. Dies ist hier nicht der Fall.

Ein Ausnahmefall, in welchem eine Eingrenzung aufgrund der Umstände des Einzelfalles geboten ist (zum Beispiel bei fehlender Zukunftsbezogenheit, Begrenzung der Versicherung auf wenige Tage oder ähnliches) liegt vorliegend nicht vor. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für die erste Instanz folgt aus § 63 Abs. 3 GKG.
Rechtskraft
Aus
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