L 2 U 154/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 2 U 120/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 154/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März 2006 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Berufskrankheitenverordnung (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – BK Nr. 2108).

Der 1941 geborene Kläger absolvierte von September 1956 bis August 1959 eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugschlosser. Er arbeitete anschließend in diesem Beruf bis Mai 1960 und von Juni 1964 bis April 1965. Von Mai 1960 bis November 1962 war er als Kraftfahrer mit Ladetätigkeit, von April 1965 bis Juni 1974 als Montageschlosser und von Juli 1974 bis Januar 1996 als Betriebsschlosser tätig. Seit 1. Februar 1996 war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig und bezog Krankengeld. Seit 1. April 1999 ist er erwerbsunfähig.

Mit Schreiben vom 15. November 1999 zeigte der Kläger und mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 zeigte der den Kläger behandelnde Facharzt für Orthopädie Dr. L der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach einer BK Nr. 2108 wegen einem chronischen Lumbalsyndrom bei Bandscheibenprolaps L4/5 an.

Die Beklagte holte Berichte des Dr. L vom 23. Dezember 1999, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. H vom 29. Januar 2000, die Röntgenbefunde der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule von Juni 1992 beziehungsweise Dezember 1992 beifügte, sowie eine Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. Rvom 10. März 2000, der ausführte, ein belastungskonformes Schadensbild liege nicht vor, ein. Nach Beiziehung des Rentengutachtens des zuständigen Rentenversicherungsträgers vom 25. Juli / 6. August 1997, eines Entlassungsberichtes der H-Klinik über eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 31. August 1995 bis 28. September 1995 sowie einer gewerbeärztlichen Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin und Gewerbeärztin T vom 23. Mai 2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 2108 mit Bescheid vom 27. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2000 ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, es sei festzustellen, dass die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für die Anerkennung einer BK nicht gegeben seien. Es liege im Bereich der Lendenwirbelsäule ein Zustand nach Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 mit degenerativen Veränderungen der Segmente L2/3 und L5/S1 vor. Die übrigen Segmente würden sich röntgenologisch unauffällig zeigen. Darüber hinaus bestünden erhebliche degenerative Veränderungen mit Bandscheibenbeteiligung an der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule. Ein mehrsegmentaler bandscheibenbedingter Schaden der Lendenwirbelsäule, von oben nach unten zunehmend im Schadensbild, welcher über den altersmäßig zu erwartenden Verschleiß hinausgehe, und damit ein belastungskonformes Erkrankungsbild an der Lendenwirbelsäule liege nicht vor. Eine besondere Betroffenheit der Lendenwirbelsäule habe nicht festgestellt werden können, da auch in der Ausprägung gleichwertige bandscheibenbedingte Schäden an der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule festzustellen seien. Degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule würden gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und der Lendenwirbelsäulenschädigung sprechen. Die polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der Hals- und Brustwirbelsäule weise auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Es handle sich somit um eine anlagebedingte und schicksalsmäßig verlaufende Erkrankung.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Potsdam zunächst aus einem ebenfalls anhängigen Rentenversicherungsverfahren das Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 20. August 1999 beigezogen, diesen Arzt auch im vorliegenden Verfahren zum Sachverständigen bestellt und von ihm ein Gutachten vom 24. August 2004 eingeholt, in welchem er ausführte, der Kläger leide nicht an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK Nr. 2108.

Nachdem der Kläger im Oktober 2004 dargestellt hatte, welchen körperlichen Belastungen er in seinem Berufsleben ausgesetzt gewesen sei, hat die Beklagte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft vom 8. Dezember 2004 sowie Stellungnahmen der Abteilung Prävention der Norddeutschen Metallberufsgenossenschaft vom 6. Januar 2004 und 1. September 2005 sowie ihrer Abteilung Prävention vom 15. März 2005 und vom 21. Oktober 2005 übersandt.

Mit Urteil vom 17. März 2006 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Gerichts erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass ein für die Berufskrankheit Nr. 2108 typisches medizinisches Schadensbild an der Wirbelsäule vorliege. Nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV sei dann von einer berufsbedingten Schädigung der Lendenwirbelsäule auszugehen, wenn eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliege, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung hervorgerufen worden sei. Voraussetzung eines belastungskonformen Schadensbildes für die Berufskrankheit Nr. 2108 sei eine langjährige die Wirbelsäule belastende Tätigkeit, die im Durchschnitt als Untergrenze 10 Jahre erreichen müsse, um eine berufsspezifische Ursache plausibel machen zu können. Ferner sei als einwirkungskonformes Krankheitsbild dabei zur Abgrenzung anderweitiger privater Ursachen aus arbeitsmedizinischer Sicht zu fordern, dass die bildtechnisch nachweisbaren segmentalen Bandscheibenveränderungen das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreiten und insbesondere die Lendenwirbelsäule besonders betroffen sein müsse. Ein solches Schadensbild lasse sich im Falle des Klägers nicht nachweisen. Nach dem Gutachten des Dr. B vom 24. August 2004 seien an der Wirbelsäule des Klägers Verschleißerscheinungen in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten feststellbar, welche Ausdruck eines schicksalhaft aufgetretenen Verschleißprozesses seien, der zwar irreversibel sei, nicht aber einer lokalen, bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugeordnet werden könne. Soweit der Kläger darauf hinweise, das von Anfang an eine betonte Schädigung der Lendenwirbelsäule vorgelegen habe, welche erst in neuerer Zeit um eine weitere Symptomatik der übrigen Wirbelsäulenabschnitte ergänzt worden sei, könne dem so nicht gefolgt werden. Zum einen könne die Kammer dem schlicht gehaltenen Bestätigungsschreiben des Dr. Sch vom 10. Januar 1977 keinen maßgeblichen Beweiswert beimessen. Zum anderen lasse sich zwar aus den beigezogenen Unterlagen entnehmen, dass der Kläger im Jahr 1980 einen Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule im Segment L4/5 erlitten habe. Es fänden sich aber auch Hinweise, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Brustwirbelsäule linkskonvex und die Halswirbelsäule rechtskonvex gekrümmt gewesen seien. Bereits 1992 sei für die Halswirbelsäulenabschnitte C5/6 und C6/7 eine Osteochondrose mit reaktiver Spondylose und Bandscheibenabflachungen beider Segmente festgestellt worden. In diese Richtung weise auch ein Befund von 1999, wonach sich im Halswirbelsäulenbereich eine Osteochondrose und Ventralspondylosen an der Halswirbelsäule hätten feststellen lassen. Auch 2000 seien die unteren drei Segmente der Halswirbelsäule als deutlich altersvorauseilend verändert beschrieben worden.

Gegen das ihm am 24. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Juni 2006 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v. H. ab 7. November 1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und die Gutachten der Sachverständigen Dr. B und Dr. W. Ergänzend hat sie eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P vom 3. Februar 2009 übersandt.

Der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie Dr. WR hat in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2007 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Mai 2009 unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einem chronisch degenerativen Halswirbelsäulensyndrom mit deutlichen Bewegungseinschränkungen und möglichen sensiblen Wurzelirritationen beidseits sowie einem chronisch degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom mit Osteochondrose L5/S1, ausgeprägten Facettengelenkarthrosen L4/5 beidseits und möglichen, intermittierenden, sensiblen Nervenwurzelreizerscheinungen des linken Beines. Alle Indizien würden für eine genetisch verursachte, allgemeine Wirbelsäulendegeneration sprechen, welche bereits frühzeitig zu behandlungsbedürftigen Wirbelsäulenbeschwerden nicht nur der Lendenwirbelsäule geführt hätten. Eine Berufskrankheit nach der BK Nr. 2108 liege nicht vor.

Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ebenfalls als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie/Sportmedizin Dr. L hat in seinem Gutachten vom 5. September 2008 unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einem chronischen Wurzelreizsyndrom L5 links bei höhergradiger Chondrose und Spondylose L5/S1, Begleitspondylose L2/3, L1/2 und L3 bis L5 sowie Chondrose und Spondylose der mittleren Halswirbelsäule mit lokalem Schmerzsyndrom. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass diese Erkrankungen durch schädigende Einwirkungen, denen der Kläger als Schlosser und Transporteur ausgesetzt gewesen sei, verursacht worden seien. Die medizinischen Voraussetzungen der Konsensempfehlungen seien erfüllt. Zwar seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht oder nur zum Teil erfüllt. Ihre Erfüllung sei bei der Gutachtenerstellung jedoch wie gefordert als positiv unterstellt worden. Die MdE betrage 20 v. H ...

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. BK ) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage hinsichtlich der Anerkennung einer BK Nr. 2108 zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, rechtmäßig ist und den Kläger nicht beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108.

Rechtsgrundlage sind die Rechtsvorschriften des Dritten Buchs der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Eintritt einer Berufskrankheit und der Beginn der Leistung für einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) am 01. Januar 1997 geltend gemacht wird (§§ 212, 214 SGB VII). Der Kläger hat die gefährdende Tätigkeit als Schlosser am 01. Februar 1996 vollständig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach keine berufliche Tätigkeit – gleich welcher Art – mehr aufgenommen, so dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls nur der 01. Februar 1996 in Betracht kommt. Etwas anderes würde sich im übrigen auch bei Zugrundelegung der Vorschriften des SGB VII nicht ergeben, da im Hinblick auf die Anerkennung von Unfallfolgen und die Bewertung der MdE keine Rechtsänderungen zwischen der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden RVO und dem ab 01. Januar 1997 geltenden Recht des SGB VII festzustellen (vgl. § 548 RVO und § 8 SGB VII einerseits § 580 RVO und § 56 SGB VII andererseits) sind.

Nach §§ 547 ff. RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls Leistungen aus der Unfallversicherung. Als Arbeitsunfall gilt nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-Berufskrankheit im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-Berufskrankheiten einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 20/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006, Az. B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O.).

Von der BK Nr. 2108 werden "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können", erfasst.

Nach dem Tatbestand der BK Nr. 2108 muss also der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK Nr. 2108 nicht vor (vgl. BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007, Az. B 2 U 4/06 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 sowie vom 18. November 2008, Az. B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R, jeweils zitiert nach Juris und ist nicht anzuerkennen.

Ob der Anspruch des Klägers daran scheitert, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im Sinne der BK Nr. 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung, nicht gegeben sind, kann offen bleiben, denn jedenfalls sind die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt. In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV, BArbBl. 10-2006, S. 30 ff. ).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK Nr. 2108 nicht gegeben. Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ist nicht nachgewiesen. Der Senat stützt sich hierbei auf die umfangreichen, gründlichen und an dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung ausgerichteten Gutachten der Sachverständigen Dr. und Dr. B sowie auf die Stellungnahme des beratenden Arztes der Beklagten Dr. P vom 3. Februar 2009.

Die beim Kläger festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule stellen keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK Nr. 2108 dar. Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche die BK Nr. 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Druck 773/92 S.8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK Nr. 2108, BArbBl. 10-2006, S. 30ff sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3). Der Senat hat keine Bedenken, sich im Rahmen seiner Beurteilung auf die so genannten Konsensempfehlungen zu stützen. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK Nr. 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff). Es ist davon auszugehen, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R – in SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des SGB VII begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.

Unter Auswertung der CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 3. April 1995 und der Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule vom 30. Juli 1999 läßt sich bei dem Kläger feststellen, dass 1999, also knapp vier Jahre nach Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit, eine Chondrose II. Grades im Segment L5/S1 vorliegt, die übrigen Segmente jedoch keine Chondrose zeigen. Auch das CT der Lendenwirbelsäule von April 1995, also aus dem Jahr der Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit, zeigt im Segment L4/5 einen nach kaudal sequestrierten rechtslateralen Bandscheibenvorfall. Das Segment L5/S1 zeigte zwar keinen Bandscheibenvorfall, jedoch eine deutliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes. Zum Zeitpunkt der Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit lag somit ein bisegmentaler Schaden vor, der sich in die unteren zwei Lendenwirbelsäulensegmente projizierte. Nach den Konsensempfehlungen gilt eine Chondrose II. Grades, also eine Höhenminderung des Bandscheibenfaches von mehr als 1/3 bis 1/2, immer als altersuntypisch. Ebenso gelten Sklerosierungen die mehr als 2 mm in die Spongiosa hineinziehen immer als altersuntypisch. Retrospondylophyten, wie sie sich im Segment L5/S1 zeigen, sind ebenfalls immer als altersuntypisch zu betrachten. Auch eine Spondylarthrose mit vermehrten Sklerosierungen und Verplumpungen oder Randanbauten an den Wirbelgelenken, also eine Spondylarthrose II. Grades, gilt nach den Konsensempfehlungen immer als altersuntypisch. Ein Prolaps beziehungsweise ein Prolaps mit Sequestrierung, wie er im CT von April 1995 für das Segment L4/5 nachgewiesen werden konnte, gilt ebenso immer als altersuntypisch. Damit steht fest, dass die Bandscheibenerkrankung des Klägers in die unteren zwei Lendenwirbelsäulesegmente projiziert, deutlich das in diesem Alter durchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreitet.

Es fehlt jedoch an mit dem morphologischen Bild korrelierenden chronischen klinischen Beschwerden und Funktionseinschränkungen, wie die Beklagte durch die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. P zutreffend ausgeführt hat. Das CT der Lendenwirbelsäule von April 1995 zeigte einen sequestierten Bandscheibenvorfall im Segment L4/5. Hier wäre eine Irritation der Wurzel L5 möglich. Klinisch war aber eine Schädigung im Segment L5/S1 anzunehmen. In diesem Segment zeigte das CT jedoch keine Hinweise für einen Bandscheibenvorfall. Weitere Diskrepanzen ergeben sich in Bezug auf die betroffene Seite, denn der Kläger schilderte Schmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein. Der sequestierte Bandscheibenvorfall lag hingegen rechtslateral, so dass die Schmerzen hätten ins rechte Bein ausstrahlen müssen. Dem ärztlichen Entlassungsbericht der H-Klinik von September 1995 ist zu entnehmen, dass der Kläger über Rückenschmerzen klagte, welche in das rechte Bein ausstrahlten. Der Bericht erwähnt ein lumbales Schmerzsyndrom bei bekanntem Bandscheibenprolaps L4/5 rechts. Das periphere Schmerz- und Hypästhesiefeld der L5-Wurzel ist die Außenseite des entsprechenden Ober- und Unterschenkels, medialer Fußrücken sowie Großzehe. Motorische Störungen zeigen sich am M. Extensor hallucis longus als Kennmuskel. Reflexabschwächungen betreffen den M. tibialis-posterior-Sehnenreflex. Als Nervendehnungsschmerz resultiert ein positives Laségue-Zeichen. Bei der neurologischen Untersuchung zum damaligen Zeitpunkt waren die grobe Kraft und die Sensibilität unauffällig. Das Laségue-Zeichen war beiderseits bei 65° positiv, wobei der Patellasehnenreflex beiderseits negativ und der Achillessehnenreflex abgeschwächt auslösbar waren. Zeichen der Reizung oder Schädigung der entsprechenden Nervenwurzel waren demnach klinisch nicht nachweisbar. Folglich erwähnt der Bericht in der Epikrise auch, dass in der klinischen Untersuchung kein Anhalt für eine akute Radikulärsymptomatik bestand, denn die Reflexe zeigten zwar eine allgemeine Abschwächung, jedoch ohne Seitendifferenz. Damit lässt sich für das Jahr 1995, festhalten, das keine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen vorlag. Da der Kläger 1995 die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten einstellte und bis zu diesem Zeitpunkt der bildgebende Befund die klinische Symptomatik nicht zu erklären vermochte, bestand folglich bis zur Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit keine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen.

Da es also an einem mit dem morphologischen Bild korrelierenden chronischen klinischen Beschwerdebild fehlt, ist hier eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu verneinen. Soweit der gemäß § 109 SGG bestellte Sachverständige Dr. L in seinem Gutachten vom 5. September 2008 eine andere Auffassung vertritt, ist dies nicht überzeugend, denn er hat diese Auffassung nicht näher begründet.

Im Übrigen fehlt es an weiteren Kriterien, die zumindest eine positive Indizwirkung für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer - unterstellten - bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule und einer - ebenfalls unterstellten - adäquaten beruflichen Belastung haben.

So liegt eine so genannte Begleitspondylose nicht vor. Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 definiert eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Hieran fehlt es. Zwar hat der gemäß § 109 SGG bestellte Sachverständige Dr. L Spondylosen in zwei Wirbelsäulenabschnitten angenommen. Während er jedoch auf Seite 13 unten seines Gutachtens selbst angibt, dass im vorliegenden Fall hierbei nur die Segmente L1/2 bis L4/5 zu berücksichtigen sind, stellt er auf Seite 14 oben seines Gutachtens fest, dass in dem Segment L2/3 eine Spondylose III° und im Segment L5/S1 eine Spondylose IV° vorliegt. Sodann schlussfolgert er, dass zwei Segmente betroffen seien, rechnet hierbei aber das von ihm selbst zuvor ausgeschlossene Segment L5/S1 hinzu. Es liegt damit lediglich in einem Segment eine Spondylose vor.

Des Weiteren lassen sich an der oberen Lendenwirbelsäule und der unteren Brustwirbelsäule keine belastungsadaptiven Veränderungen feststellen, die auf eine mechanische Überlastung des Achsenorgans hindeuten würden. Darunter sind vor allem Osteochondrosen, bevorzugt an den unteren Lendenwirbelsäulensegmenten sowie eine Spondylose deformans im Bereich der oberen Lendenwirbelsäulensegmente, unter Einbeziehung der unteren Brustwirbelsäulenetagen zu verstehen. Die Lendenwirbelsäule des Klägers zeigt Osteosen im Segment L2/3, eine Chondrose zeigt dieses Segment nicht. Das Segment L5/S1 zeigt zwar eine Chondrose II. Grades, jedoch keine Osteose. Damit findet sich weder im Segment L3/4 noch im Segment L4/5 oder L5/S1 eine Osteochondrose. Im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule und der unteren Brustwirbelsäule fehlt eine zentrale Spondylose derformans.

Auch eine plausible zeitliche Korrelation zwischen der beruflichen Belastung und der vorgetragenen klinischen Symptomatik sowie den bildtechnisch zur Darstellung kommenden Bandscheibenschaden haben sowohl der Sachverständige Dr. W als auch Dr. P für den Senat überzeugend verneint. Des weiteren fehlt es an einem von kranial nach kaudal zunehmendem Schadensbild, worauf insbesondere der Sachverständiger Dr. Whingewiesen hat.

Nach alledem liegen zur Überzeugung des Senats die medizinischen Voraussetzungen der Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht vor; die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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