L 11 SB 267/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 SB 2084/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 267/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 getroffene Kostenentscheidung bleibt hiervon unberührt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im vorliegenden Berufungsverfahren noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Die 1948 geborene Klägerin ist seit April 1998 arbeitsuchend und bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II. Buch.

Die Klägerin beantragte am 7. Juni 2004 die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) und von Merkzeichen wegen eines Hals- und Lendenwirbelsäulensyndroms sowie wegen Knorpelschäden der Kniegelenke unter gleichzeitigem Hinweis darauf, dass sie wegen der Beschwerden in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt sei.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 stellte der Beklagte wegen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Nervenwurzelreizerscheinungen sowie Bandscheibenvorwölbung L 4 – S 1 einen GdB von insgesamt 20 fest; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" seien indes nicht erfüllt. In dem hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass sie unter Dornwarzen an den Fußsohlen leide, die bereits mehrfach operiert worden seien, wodurch sich insbesondere die Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich verschlimmern würden. Wegen des Selbstmordes ihres ältesten Sohnes im Jahre 1995 sei sie in neurologischer Behandlung. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte des Facharztes für Chirurgie Dr. Zvom 25. März 2005, des Nervenarztes Medizinalrat Dr. K vom 18. April 2005 und eine gutachterliche Stellungnahme des Praktischen Arztes und Diplompsychologen B vom 9. Mai 2005 ein. Letzterer stellte neben der bestehenden orthopädischen Behinderung (Einzel-GdB 20) ein seelisches Leiden (Einzel-GdB 30) fest, weshalb ein Gesamt-GdB von 40 anzuerkennen sei. Daraufhin stellte der Beklagte mit Abänderungsbescheid vom 17. Mai 2005 fest, dass der Gesamt-GdB 40 betrage und die Funktionsbeeinträchtigung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ("d. E.") geführt habe, und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 im Übrigen zurück.

Die Klägerin hat am 15. September 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Feststellung eines Gesamt-GdB von mindestens 50 begehrt hat. Mit am 22. September 2005 bei dem Sozialgericht eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin zudem die Feststellung des Bestehens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und sodann auf Anregung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch bzw. des Facharztes für Physiotherapie Dr. Schin ihren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 4. Juli 2006 bzw. vom 15. August 2006 eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin durchführen lassen. Die von dem Beklagten im Einverständnis der Klägerin beauftragte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G ist in ihrem Gutachten vom 24. Oktober 2006 zu der Feststellung gelangt, dass unverändert von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen sei; neben dem Merkzeichen "d. E." seien weitere Merkzeichen nicht zuzuerkennen. Das Sozialgericht hat ferner auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Fmit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 18. September 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 ist der Gutachter zu der Einschätzung gelangt, dass die bestehenden Funktionseinschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates mit einem Einzel-GdB von maximal 20 und das bestehende depressive Syndrom ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten seien. Ein Gesamt-GdB von 40 sei angemessen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die das Merkzeichen "G" rechtfertigen könne, liege indes nicht vor.

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Sozialgericht die Klage mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag, den Beklagten unter Änderung entgegenstehender Bescheide zu verurteilen, "die Klägerin als schwerbehinderten Menschen anzuerkennen sowie das Vorliegen des Merkzeichens "G" zu gewähren", abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 40, was sich aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergebe. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, dass aufgrund einer am 6. November 2007 durchgeführten Operation am linken Auge und einer im Januar 2008 vorgenommenen Implantation einer neuen Linse erhebliche weitere Einschränkungen bestünden, begründe dies derzeit keine anzuerkennende Behinderung. Insoweit fehle es an einem Dauerzustand im Sinne einer länger als 6 Monate andauernden Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand.

Aufgrund des Hinzutretens der Augenerkrankung stellte die Klägerin am 16. Juni 2008 bei dem Beklagten einen Neufeststellungsantrag und machte zudem die Feststellung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) geltend. Nach Einholung prüfärztlicher Stellungnahmen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2008 fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" nicht vorlägen; trotz Berücksichtigung der geltend gemachten Sehbehinderung (Einzel-GdB 20) sei eine Erhöhung des Gesamt-GdB zur Zeit nicht möglich, so dass es diesbezüglich bei der im Bescheid vom 23. August 2005 getroffenen Entscheidung verbleiben müsse.

Gegen das der Klägerin am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat sie am 7. Juli 2008 Berufung eingelegt, mit der sie ursprünglich geltend gemacht hat, sie habe Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von mindestens 50 sowie auf Zuerkennung des Merkzeichens "G".

Auf Veranlassung des Senats ist der Orthopäde und Chirurg Dr. T mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. In seinem Gutachten vom 8. Januar 2009 führt der Gutachter aus, dass infolge bestehender Erkrankungen in Form eines seelischen Leidens (Einzel-GdB 30), einer Augenerkrankung links mehr als rechts (Einzel-GdB 20), eines Wirbelsäulenleidens (Einzel-GdB 20), einer Gonarthrose und Retropatellarthrose (Einzel-GdB 10) sowie von Spreizfüßen und einem Zustand nach Operation der Fersen beidseits (Einzel-GdB unter 10) die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 ab September 2008 gerechtfertigt sei. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lägen indes nicht vor.

Der Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen der Augenärztin Lvom 11. Dezember 2008 und des Chirurgen Dr. B vom 30. Januar 2009 zu den Gerichtsakten gereicht. Die Augenärztin List in ihrer Stellungnahme zu der Einschätzung gelangt, dass das Augenleiden ab der Operation im November 2007 mit einem Einzel-GdB von 20 und ab Juli 2008 im Zusammenschau mit einer bestehenden Pseudophakie (Vorhandensein einer Kunstlinse im Auge) mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sei. Dr. hat dargelegt, dass die bestehenden Gesundheitsstörungen, wie sie durch den Gutachter feststellt worden seien, ab dem 1. Juli 2008, ab dem die Augenerkrankung mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet werden könne, die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 rechtfertigten. Im Hinblick auf diese Stellungnahmen hat der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2009 einen Gesamt-GdB von 50 ab dem 1. Juli 2008 festgestellt und mit Schriftsatz vom 24. März 2009 ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben.

Die Klägerin hat einen Arztbrief des Medizinischen Versorgungszentrums Bvom 24. Februar 2009 sowie einen undatierten Arztbrief der Fachärzte für Radiologie und u. a. über eine im Juni 2009 am rechten und eine im Juli 2009 am linken Kniegelenk durchgeführte Radiosynoviorthese überreicht und auf einen am 10. Juli 2009 erlittenen Sturz in ihrer Wohnung verwiesen. Hierzu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr. B vom 1. Oktober 2009 zur Gerichtsakte gereicht. Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. T vom 6. November 2009 eingeholt, in der dieser ausgeführt hat, die neueren medizinischen Erkenntnisse böten keinen Anlass, von seiner bisherigen Einschätzung abzuweichen.

In der mündlichen Verhandlung des Senats hat die Klägerin das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen und erklärt, dass es ihr nur noch um die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" gehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2008 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Dezember 2004 in der Gestalt des Abänderungsbescheides vom 17. Mai 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 in der Fassung der Bescheide vom 4. September 2008 und vom 18. März 2009 zu verpflichten, für die Zeit ab 7. Juni 2004 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht vorlägen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, mit der die Klägerin mittlerweile nur noch die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens "G" begehrt, hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat, auch wenn sich die Gründe der Entscheidung hierzu nicht ausdrücklich verhalten, den erstinstanzlich gestellten Klageantrag, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, zu Recht abgewiesen.

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin sind die §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen fordert das Gesetz eine doppelte Kausalität. Denn Ursache der beeinträchtigenden Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken.

Bei der Prüfung, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Arbeit und Soziale Sicherung) herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 abgelöst worden sind. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sie sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.

Die AHP bzw. die seit dem 1. Januar 2009 an ihre Stelle getretenen Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 bzw. Teil D Nr. 1 d) – f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP bzw. die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen (BSG a. a. O.).

Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt, was sich für den Senat insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T ergibt. Nach diesem Gutachten, das auf einer körperlichen Untersuchung der Klägerin sowie einer umfassenden Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen beruht und überzeugend begründet worden ist, bedingen die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßnahmen und/oder der Lendenwirbelsäule einen Einzel-GdB von 50 ersichtlich nicht. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen des Gutachters, wonach die von Seiten der Lendenwirbelsäule bestehenden Funktionsbehinderungen allenfalls leicht bis mittelgradig sind und somit nach Nr. 26.18 AHP bzw. Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV nur mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden können. Dies wird auch durch den auf Antrag der Klägerin mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragten Sachverständigen Dr. F bestätigt, der von weitgehend altersentsprechenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule ausgeht. Dieser Einschätzung entgegenstehende Erkenntnisse lassen sich den Akten nicht entnehmen. Auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin bestehenden Kniegelenksbeschwerden lässt sich keine Behinderung der Klägerin an den unteren Gliedmaßen feststellen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würde und etwa einer mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden Versteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung vergleichbar wäre. Denn die Kniegelenksbeschwerden der Klägerin haben nach der von Dr. T vorgenommenen Prüfung der Kniegelenksbeweglichkeit allenfalls geringgradige Einschränkungen der Beweglichkeit zur Folge, die nach Nr. 26.18 AHP bzw. Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 zu bewerten sind. Da Dr. Tbei der Klägerin lediglich eine leichte Minderung des Geh- und Stehvermögens festgestellt hat, erscheint auch dem Senat der von dem Sachverständigen für die Kniegelenksbeschwerden angesetzte Wert von 10 angemessen. Die von der Klägerin erst nach der Begutachtung durch Dr. T vorgelegten Arztbriefe führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn wie der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. November 2009 hierzu überzeugend ausgeführt hat, lassen sich ihnen weitergehende Funktionsbehinderungen, die die Zuerkennung eines höheren GdB rechtfertigen könnten, nicht entnehmen. Dass es infolge des von der Klägerin behaupteten Sturzes am 10. Juli 2009 in ihrer Wohnung zu derartigen Funktionsbehinderungen gekommen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Innere Leiden, aufgrund derer eine erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr zu bejahen sein könnte, liegen im Fall der Klägerin nicht vor.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sind hier auch nicht nach Nr. 30 Abs. 4 und 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) und f) der Anlage zu § 2 VersMedV als erfüllt anzusehen. Soweit danach im Einklang mit § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmte Anfallsleiden sowie bestimmte Störungen der Orientierungsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, liegen derartige Leiden hier nicht vor. Störungen der Orientierungsfähigkeit können zwar auch bei Sehbehinderungen gegeben sein. Zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen sie nach Nr. 30 Abs. 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV jedoch nur dann, wenn sie entweder einen GdB von wenigstens 70 bedingen oder einen GdB von 50 oder 60 zur Folge haben und daneben erhebliche Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits oder geistige Behinderung) bestehen. Gemessen an diesen Kriterien ist die bei der Klägerin festgestellte Sehbehinderung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ohne Bedeutung. Denn sie ist lediglich mit einem Einzel-GdB von maximal 30 zu bewerten. Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen der vom Beklagten um eine versorgungsärztliche Stellungnahme gebetenen Augenärztin , wonach die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen (Linsenverlust, Implantation einer Kunstlinse, Sehschärfe von max. 0,1) nach Nr. 26.4 AHP bzw. Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV einen höheren Einzel-GdB als 30 nicht rechtfertigen.

Besondere Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen, hat die Klägerin nicht dargelegt. Sie lassen sich zur Überzeugung des Senats auch den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2009 dem von der Klägerin zunächst auch noch verfolgten Begehren auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB teilweise nachgegeben hat, rechtfertigt dieser Umstand keine Kostenquotelung. Denn Ursache für ihn war die erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingetretene Verschlimmerung des bei der Klägerin bestehenden Augenleidens, auf die der Beklagte mit dem vorgenannten Bescheid sowie dem mit Schriftsatz vom 24. März 2009 abgegebenen Teilanerkenntnis nach Auswertung der insoweit einschlägigen Unterlagen in angemessener Zeit reagiert hat. Auf die im Vorverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin war die Kostenentscheidung des Senats nicht zu erstrecken, weil der Beklagte insoweit mit seinem Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 eine die Klägerin teilweise begünstigende Regelung getroffen hat, an der er sich festhalten lassen muss.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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