Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 43/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 20/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen war bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend ermächtigt, ein Arzneimitel (hier: Thym-Uvocal als Organhydrolysat) grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Arzneimittelrichtlinien von der Erstattungsfähigkeit auszuschließen.
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2006 sowie der Beschluss des Beklagten vom 3. November 2005 aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 408,90 Euro wegen der Verordnung von Thym-Uvocal-Injektionslösung.
Die klagende Gemeinschaftspraxis für "Nierenkrankheiten und Dialyse" besteht aus dem Internisten und Nephrologen Dr. S, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H und der Internistin H. P. In den Quartalen I, II und III/2002 verordneten diese dem an einer Tumorerkrankung leidenden Patienten E, Versicherter der Beigeladenen zu 2), sechsmal Thym-Uvocal als Injektionslösung (Einzelpreis: 72,50 Euro, abzüglich sechs Prozent Apothekenrabatt, Gesamtaufwendungen der Beigeladenen zu 2): 408,90 Euro) zur Therapie einer präterminalen bzw. terminalen Niereninsuffizienz, Vitaminverlust bei Hämodialyse und Malassimilationssyndrom. Die arzneilich wirksamen Bestandteile dieses Fertigarzneimittels sind niedermolekulare Thymuspeptide vom Rind; Anwendungsgebiete sind unter anderem spezifische Immunstimulierung und Zusatztherapie bei Tumoren und Präkanzerosen. Das Medikament war im Jahre 2002 ausweislich der Fachinformation (Stand Februar 2008) nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften zugelassen.
Am 17. Dezember 2002 beantrage die Beigeladene zu 2) u.a. im Hinblick auf diese Verordnungen die Feststellung eines sonstigen Schadens; Thym-Uvocal sei als Umstimmungsmittel bzw. Immunstimulans nicht zu Lasten einer gesetzlichen Krankenkasse verordnungsfähig.
In ihrer Stellungnahme brachte die Klägerin vor, die Behandlung des Versicherten mit Thym-Uvocal sei als palliative Maßnahme zwischen den Behandlungsetappen einer Chemotherapie notwendig gewesen.
Mit Beschluss vom 22. April 2003 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin gegenüber der Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnungen von Thym-Uvocal in Höhe von 408,90 Euro fest. Bei diesem Arzneimittel handele es sich um ein Zellulartherapeutikum und Organhydrolysat, welches nach Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sei.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beigeladene zu 2) habe den Prüfantrag jedenfalls für die Verordnungen von Thym-Uvocal in dem Monaten Januar bis April 2002 zu spät gestellt.
Mit Beschluss vom 3. November 2005 wies der Beschwerdeausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin den Widerspruch zurück. Nach der Zulassungsinformation des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinproduke sei Thym-Uvocal ein Thymusdrüse-vom-Rind-Hydrolysat, so dass es unter die Ausschlussregelung in Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinie falle.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und außerdem erklärt, der Bundesausschuss sei vor dem 1. Januar 2004 nicht befugt gewesen, Arzneimittelgruppen in den Arzneimittelrichtlinien von der Leistungspflicht auszuschließen.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2006 hat das Sozialgericht B die Klage abgewiesen sowie die Berufung zugelassen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei fristgemäß erhoben, denn jedenfalls sei die Rechtbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides unzutreffend gewesen, so dass nicht die Monats- sondern die Jahresfrist gelte; mit der Formulierung "Der Klageschrift und den Unterlagen sind Abschriften für die Beteiligten (mindestens drei) beizufügen" habe der Beklagte der Klägerin die Rechtsverfolgung nämlich über Gebühr erschwert. Der Regressbescheid selbst sei rechtmäßig. Auf die Versäumung einer Antragsfrist durch die Beigeladene zu 2) könne die Klägerin sich nicht berufen. Die Verordnung von Thym-Uvocal habe gegen Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien verstoßen. Dass es sich bei Thym-Uvocal um ein Organhydrolysat bzw. Zellulartherapeutikum handele, ergebe sich zweifelsfrei aus der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006. Demgegenüber trete das von der Klägerin eingereichte Gutachten des Prof. Dr. U S in den Hintergrund, das dieser für die Herstellerin des Arzneimittels gefertigt habe. Der Ausschluss von Organhydrolysaten bzw. Zellulartherapeutika aus der Verordnungsfähigkeit sei auch rechtmäßig, denn auch in seiner Fassung bis Ende des Jahres 2003 habe § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V insoweit eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage enthalten. Die Bedenken einiger Landessozialgerichte gegen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage teile die Kammer nicht. "Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten" hätten auch Aussagen über den Ausschluss bestimmter Arzneimittel enthalten dürfen, deren therapeutischer Nutzen etwa fraglich sei, denn solche Arzneimittel seien weder zweckmäßig noch wirtschaftlich. Aus § 34 SGB V ergebe sich nichts anderes; nicht allein der Verordnungsgeber habe die Kompetenz, Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen. In seinen Motiven zur Änderung der §§ 34 und 92 SGB V mit dem GKV-Modernisierungsgesetz habe der Gesetzgeber eine Klarstellung und Präzisierung, nicht aber eine Änderung der bisherigen Rechtslage herbeiführen wollen. Mit dieser Sichtweise sei die Kammer auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R); die dort angenommene Unwirksamkeit des Ausschlusses von Viagra und anderer Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion nach Ziffer 17.1 f der Arzneimittelrichtlinie habe darauf beruht, dass den Bundesausschüssen die Kompetenz zur Definition einzelner Krankheiten bzw. deren Behandlungsbedürftigkeit fehle. Im vorliegenden Fall gehe es aber nur um den Ausschluss einzelner Arzneimittel unabhängig von den mit ihnen behandelten Krankheiten.
Gegen das ihr am 25. Januar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Februar 2007 Berufung eingelegt. Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass es vor dem 1. Januar 2004 keine gesetzliche Ermächtigung für den Ausschluss bestimmter Arzneimittelgruppen in den Arzneimittelrichtlinien gegeben habe und bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2006 sowie den Beschluss des Beklagten vom 3. November 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, die soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der von dem Beklagten verhängte Arzneimittelregress ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26.).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden") der zwischen der Beigeladenen zu 2) und den (Landes)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatz-kassen¬vertrag) finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,- nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arz¬¬nei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.
b) Hieran gemessen hätte der Beklagte gegen die Klägerin wegen der Verordnung von Thym-Uvocal keine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 14 Abs. 1 PV festsetzen dürfen, denn dieses Arzneimittel war bis einschließlich 31. Dezember 2003 zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
aa) Der Verordnungsfähigkeit von Thym-Uvocal steht nicht entgegen, dass das Medikament im Jahre 2002 nicht förmlich nach § 25 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassen war, sondern gemäß § 105 AMG nur als so genanntes Alt-Arzneimittel fiktiv als zugelassen galt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 6/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, L 11 KA 104/04, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
bb) Die Unzulässigkeit der Verordnung von Thym-Uvocal ergab sich auch nicht aus Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien (AMR) in der Fassung vom 30. September 1998 bis zum 14. Juni 2004. Die Regelung der Ziffer 17.1 m AMR betrifft "Verordnungseinschränkungen auf Grund §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 SGB V", die damit begründet werden, für die genannten Arzneimittel fehlten - von den ausdrücklich geregelten Ausnahmen abgesehen - im allgemeinen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie und/oder für deren therapeutischen Nutzen. Unter den in Nr. 17.1 genannten Mitteln, die "nicht verordnet werden dürfen", werden unter Buchstabe m Zellulartherapeutika und Organhydrolysate genannt.
(1) Der Senat kann unterstellen, dass es sich bei Thym-Uvocal um ein Organhydrolysat im Sinne der genannten Bestimmung handelt; die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sind insoweit nicht zu beanstanden und durften sich entscheidend auf die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006 stützen.
(2) Jedenfalls war der Bundesausschuss bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend ermächtigt, ein Arzneimittel grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Richtlinien auszuschließen; Ziffer 17.1 m AMR war daher unwirksam (ebenso: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, a.a.O. Rdnr. 19 ff.). Die anders lautende Auffassung im hier angefochtenen erstinstanzlichen Urteil überzeugt den Senat nicht.
Die Befugnis zum Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit war in dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht in § 34 Abs. 3 SGB V ausdrücklich nur dem Verordnungsgeber eingeräumt. § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB V ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, unwirtschaftliche Arzneimittel durch Verordnung von der Versorgung nach § 31 SGB V auszuschließen. Als unwirtschaftlich anzusehen sind nach Satz 2 a.a.O. unter anderem Arzneimittel, deren Wirkung wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Demgegenüber sah § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung nur allgemein vor, dass der Bundesausschuss Regelungen zur Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung treffen könne. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 ist mit Wirkung vom 1. Januar 2004 zum Einen in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Halbsatz 3 eingefügt worden, der nunmehr ausdrücklich den Gemeinsamen Bundesausschuss auch zum Ausschluss von Leistungen ermächtigt, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Zum Anderen ist § 34 Abs. 3 SGB V durch eine Regelung (Satz 3) ergänzt worden, wonach die Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschuss subsidiär neben der des Verordnungsgebers besteht. Der Senat sieht hierin eine Rechtsänderung im Sinne der (erstmaligen) Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung einer "Negativliste" im Rahmen der Arzneimittelrichtlinie und nicht nur eine "Klarstellung" des Gesetzgebers.
Die Frage, ob auch nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht der (frühere) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neben dem Verordnungsgeber die Kompetenz besaß, Arzneimittel in Richtlinien auszuschließen, war in der Literatur umstritten (siehe Nachweise bei Knispel, NZS 2000, 441, 442). Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hatte sie im Urteil vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 KR R) noch offen gelassen. Seine Entscheidung, die die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion betraf, beruhte darauf, dass der Bundesausschuss nicht ermächtigt sei, den Begriff "Krankheit" in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen selbst zu bestimmen und im Rahmen der Richtlinien die Behandlung bestimmter Krankheiten oder Krankheitssymptome zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung gänzlich auszuschließen. Für Heilmittel hatte der 1. Senat des Bundessozialgerichts allerdings im Urteil vom 16. September 1999 (B 1 KR 9/97 R) entschieden, dass § 34 Abs. 3 SGB V für die Anordnung von Leistungsverboten bei Heilmitteln eine abschließende Regelung treffe. In seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R und B 1 KR 28/04 R) zum Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der erektilen Dysfunktion knüpft der 1. Senat nunmehr an diese Rechtsprechung an und stützt die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR auch darauf, dass die Kompetenz zum Ausschluss von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorbehalten war. Ausdrücklich und entscheidungstragend führt das Bundessozialgericht insoweit aus, der Bundesausschuss habe nicht die Kompetenz besessen, in den AMR einen verbindlichen Ausschluss bestimmter Gruppen von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln (B 1 KR 25/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Soweit die Gesetzesbegründung von einer "Klarstellung" spricht (BT-Drucksache 15/1525, S. 87) sieht das Bundessozialgericht zu Recht die jetzt erfolgte Regelung nicht als eine solche, sondern als Änderung der Rechtslage an. "Vorwirkungen" könne die Neuregelung nicht entfalten.
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Vorsitzenden des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführten Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Mai 2006 (B 6 KA 13/05 R). Dort hatte der 6. Senat des Bundessozialgericht über die Rechtmäßigkeit von Therapiehinweisen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 2 SGB V zu entscheiden ("Clopidogrel") und stellte klar (Rdnr. 47), dass Hersteller der von Therapiehinweisen betroffenen Arzneimittel nicht von der Teilhabe an der Versorgung der Versicherten der GKV ausgeschlossen seien; die Verordnungsfähigkeit des fraglichen Wirkstoffs und betroffener Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sei durch (bloße) Therapiehinweise nicht betroffen.
Nach alledem ist der Arzneimittelregress für die Verordnungen von Thym-Uvocal im Jahre 2002 zu Unrecht erfolgt, so dass das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 408,90 Euro wegen der Verordnung von Thym-Uvocal-Injektionslösung.
Die klagende Gemeinschaftspraxis für "Nierenkrankheiten und Dialyse" besteht aus dem Internisten und Nephrologen Dr. S, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H und der Internistin H. P. In den Quartalen I, II und III/2002 verordneten diese dem an einer Tumorerkrankung leidenden Patienten E, Versicherter der Beigeladenen zu 2), sechsmal Thym-Uvocal als Injektionslösung (Einzelpreis: 72,50 Euro, abzüglich sechs Prozent Apothekenrabatt, Gesamtaufwendungen der Beigeladenen zu 2): 408,90 Euro) zur Therapie einer präterminalen bzw. terminalen Niereninsuffizienz, Vitaminverlust bei Hämodialyse und Malassimilationssyndrom. Die arzneilich wirksamen Bestandteile dieses Fertigarzneimittels sind niedermolekulare Thymuspeptide vom Rind; Anwendungsgebiete sind unter anderem spezifische Immunstimulierung und Zusatztherapie bei Tumoren und Präkanzerosen. Das Medikament war im Jahre 2002 ausweislich der Fachinformation (Stand Februar 2008) nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften zugelassen.
Am 17. Dezember 2002 beantrage die Beigeladene zu 2) u.a. im Hinblick auf diese Verordnungen die Feststellung eines sonstigen Schadens; Thym-Uvocal sei als Umstimmungsmittel bzw. Immunstimulans nicht zu Lasten einer gesetzlichen Krankenkasse verordnungsfähig.
In ihrer Stellungnahme brachte die Klägerin vor, die Behandlung des Versicherten mit Thym-Uvocal sei als palliative Maßnahme zwischen den Behandlungsetappen einer Chemotherapie notwendig gewesen.
Mit Beschluss vom 22. April 2003 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin gegenüber der Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnungen von Thym-Uvocal in Höhe von 408,90 Euro fest. Bei diesem Arzneimittel handele es sich um ein Zellulartherapeutikum und Organhydrolysat, welches nach Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sei.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beigeladene zu 2) habe den Prüfantrag jedenfalls für die Verordnungen von Thym-Uvocal in dem Monaten Januar bis April 2002 zu spät gestellt.
Mit Beschluss vom 3. November 2005 wies der Beschwerdeausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin den Widerspruch zurück. Nach der Zulassungsinformation des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinproduke sei Thym-Uvocal ein Thymusdrüse-vom-Rind-Hydrolysat, so dass es unter die Ausschlussregelung in Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinie falle.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und außerdem erklärt, der Bundesausschuss sei vor dem 1. Januar 2004 nicht befugt gewesen, Arzneimittelgruppen in den Arzneimittelrichtlinien von der Leistungspflicht auszuschließen.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2006 hat das Sozialgericht B die Klage abgewiesen sowie die Berufung zugelassen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei fristgemäß erhoben, denn jedenfalls sei die Rechtbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides unzutreffend gewesen, so dass nicht die Monats- sondern die Jahresfrist gelte; mit der Formulierung "Der Klageschrift und den Unterlagen sind Abschriften für die Beteiligten (mindestens drei) beizufügen" habe der Beklagte der Klägerin die Rechtsverfolgung nämlich über Gebühr erschwert. Der Regressbescheid selbst sei rechtmäßig. Auf die Versäumung einer Antragsfrist durch die Beigeladene zu 2) könne die Klägerin sich nicht berufen. Die Verordnung von Thym-Uvocal habe gegen Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien verstoßen. Dass es sich bei Thym-Uvocal um ein Organhydrolysat bzw. Zellulartherapeutikum handele, ergebe sich zweifelsfrei aus der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006. Demgegenüber trete das von der Klägerin eingereichte Gutachten des Prof. Dr. U S in den Hintergrund, das dieser für die Herstellerin des Arzneimittels gefertigt habe. Der Ausschluss von Organhydrolysaten bzw. Zellulartherapeutika aus der Verordnungsfähigkeit sei auch rechtmäßig, denn auch in seiner Fassung bis Ende des Jahres 2003 habe § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V insoweit eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage enthalten. Die Bedenken einiger Landessozialgerichte gegen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage teile die Kammer nicht. "Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten" hätten auch Aussagen über den Ausschluss bestimmter Arzneimittel enthalten dürfen, deren therapeutischer Nutzen etwa fraglich sei, denn solche Arzneimittel seien weder zweckmäßig noch wirtschaftlich. Aus § 34 SGB V ergebe sich nichts anderes; nicht allein der Verordnungsgeber habe die Kompetenz, Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen. In seinen Motiven zur Änderung der §§ 34 und 92 SGB V mit dem GKV-Modernisierungsgesetz habe der Gesetzgeber eine Klarstellung und Präzisierung, nicht aber eine Änderung der bisherigen Rechtslage herbeiführen wollen. Mit dieser Sichtweise sei die Kammer auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R); die dort angenommene Unwirksamkeit des Ausschlusses von Viagra und anderer Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion nach Ziffer 17.1 f der Arzneimittelrichtlinie habe darauf beruht, dass den Bundesausschüssen die Kompetenz zur Definition einzelner Krankheiten bzw. deren Behandlungsbedürftigkeit fehle. Im vorliegenden Fall gehe es aber nur um den Ausschluss einzelner Arzneimittel unabhängig von den mit ihnen behandelten Krankheiten.
Gegen das ihr am 25. Januar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Februar 2007 Berufung eingelegt. Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass es vor dem 1. Januar 2004 keine gesetzliche Ermächtigung für den Ausschluss bestimmter Arzneimittelgruppen in den Arzneimittelrichtlinien gegeben habe und bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2006 sowie den Beschluss des Beklagten vom 3. November 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, die soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der von dem Beklagten verhängte Arzneimittelregress ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26.).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden") der zwischen der Beigeladenen zu 2) und den (Landes)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatz-kassen¬vertrag) finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,- nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arz¬¬nei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.
b) Hieran gemessen hätte der Beklagte gegen die Klägerin wegen der Verordnung von Thym-Uvocal keine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 14 Abs. 1 PV festsetzen dürfen, denn dieses Arzneimittel war bis einschließlich 31. Dezember 2003 zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
aa) Der Verordnungsfähigkeit von Thym-Uvocal steht nicht entgegen, dass das Medikament im Jahre 2002 nicht förmlich nach § 25 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassen war, sondern gemäß § 105 AMG nur als so genanntes Alt-Arzneimittel fiktiv als zugelassen galt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 6/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, L 11 KA 104/04, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
bb) Die Unzulässigkeit der Verordnung von Thym-Uvocal ergab sich auch nicht aus Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien (AMR) in der Fassung vom 30. September 1998 bis zum 14. Juni 2004. Die Regelung der Ziffer 17.1 m AMR betrifft "Verordnungseinschränkungen auf Grund §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 SGB V", die damit begründet werden, für die genannten Arzneimittel fehlten - von den ausdrücklich geregelten Ausnahmen abgesehen - im allgemeinen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie und/oder für deren therapeutischen Nutzen. Unter den in Nr. 17.1 genannten Mitteln, die "nicht verordnet werden dürfen", werden unter Buchstabe m Zellulartherapeutika und Organhydrolysate genannt.
(1) Der Senat kann unterstellen, dass es sich bei Thym-Uvocal um ein Organhydrolysat im Sinne der genannten Bestimmung handelt; die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sind insoweit nicht zu beanstanden und durften sich entscheidend auf die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006 stützen.
(2) Jedenfalls war der Bundesausschuss bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend ermächtigt, ein Arzneimittel grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Richtlinien auszuschließen; Ziffer 17.1 m AMR war daher unwirksam (ebenso: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, a.a.O. Rdnr. 19 ff.). Die anders lautende Auffassung im hier angefochtenen erstinstanzlichen Urteil überzeugt den Senat nicht.
Die Befugnis zum Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit war in dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht in § 34 Abs. 3 SGB V ausdrücklich nur dem Verordnungsgeber eingeräumt. § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB V ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, unwirtschaftliche Arzneimittel durch Verordnung von der Versorgung nach § 31 SGB V auszuschließen. Als unwirtschaftlich anzusehen sind nach Satz 2 a.a.O. unter anderem Arzneimittel, deren Wirkung wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Demgegenüber sah § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung nur allgemein vor, dass der Bundesausschuss Regelungen zur Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung treffen könne. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 ist mit Wirkung vom 1. Januar 2004 zum Einen in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Halbsatz 3 eingefügt worden, der nunmehr ausdrücklich den Gemeinsamen Bundesausschuss auch zum Ausschluss von Leistungen ermächtigt, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Zum Anderen ist § 34 Abs. 3 SGB V durch eine Regelung (Satz 3) ergänzt worden, wonach die Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschuss subsidiär neben der des Verordnungsgebers besteht. Der Senat sieht hierin eine Rechtsänderung im Sinne der (erstmaligen) Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung einer "Negativliste" im Rahmen der Arzneimittelrichtlinie und nicht nur eine "Klarstellung" des Gesetzgebers.
Die Frage, ob auch nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht der (frühere) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neben dem Verordnungsgeber die Kompetenz besaß, Arzneimittel in Richtlinien auszuschließen, war in der Literatur umstritten (siehe Nachweise bei Knispel, NZS 2000, 441, 442). Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hatte sie im Urteil vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 KR R) noch offen gelassen. Seine Entscheidung, die die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion betraf, beruhte darauf, dass der Bundesausschuss nicht ermächtigt sei, den Begriff "Krankheit" in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen selbst zu bestimmen und im Rahmen der Richtlinien die Behandlung bestimmter Krankheiten oder Krankheitssymptome zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung gänzlich auszuschließen. Für Heilmittel hatte der 1. Senat des Bundessozialgerichts allerdings im Urteil vom 16. September 1999 (B 1 KR 9/97 R) entschieden, dass § 34 Abs. 3 SGB V für die Anordnung von Leistungsverboten bei Heilmitteln eine abschließende Regelung treffe. In seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R und B 1 KR 28/04 R) zum Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der erektilen Dysfunktion knüpft der 1. Senat nunmehr an diese Rechtsprechung an und stützt die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR auch darauf, dass die Kompetenz zum Ausschluss von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorbehalten war. Ausdrücklich und entscheidungstragend führt das Bundessozialgericht insoweit aus, der Bundesausschuss habe nicht die Kompetenz besessen, in den AMR einen verbindlichen Ausschluss bestimmter Gruppen von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln (B 1 KR 25/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Soweit die Gesetzesbegründung von einer "Klarstellung" spricht (BT-Drucksache 15/1525, S. 87) sieht das Bundessozialgericht zu Recht die jetzt erfolgte Regelung nicht als eine solche, sondern als Änderung der Rechtslage an. "Vorwirkungen" könne die Neuregelung nicht entfalten.
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Vorsitzenden des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführten Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Mai 2006 (B 6 KA 13/05 R). Dort hatte der 6. Senat des Bundessozialgericht über die Rechtmäßigkeit von Therapiehinweisen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 2 SGB V zu entscheiden ("Clopidogrel") und stellte klar (Rdnr. 47), dass Hersteller der von Therapiehinweisen betroffenen Arzneimittel nicht von der Teilhabe an der Versorgung der Versicherten der GKV ausgeschlossen seien; die Verordnungsfähigkeit des fraglichen Wirkstoffs und betroffener Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sei durch (bloße) Therapiehinweise nicht betroffen.
Nach alledem ist der Arzneimittelregress für die Verordnungen von Thym-Uvocal im Jahre 2002 zu Unrecht erfolgt, so dass das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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