L 1 KR 454/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 1182/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 454/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von 4.356,20 EUR für von ihr erbrachte Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

Die 1945 geborene Versicherte H D (Versicherte - V) ist bei der Klägerin renten- und bei der Beklagten krankenversichert. Sie befand sich seit März 2006 in der passiven Phase (Freistellungsphase) eines Altersteilzeitmodells. Sie beantragte am 8. Mai 2007 bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Diese reichte den Antrag am 21. Mai 2007 (Eingangsdatum) an die Klägerin weiter.

Die Klägerin lehnte den Antrag zunächst mit Bescheid vom 29. Mai 2007 ab. Dagegen legte die Versicherte Widerspruch ein, welchen den die sie behandelnde Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie begründete. Die Klägerin half dem Widerspruch mit Bescheid vom 9. Juli 2007 ab und bewilligte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, welche in der Zeit vom 3. Oktober 2007 bis zum 14. November 2007 in der P-R-Klinik in Bad G durchgeführt wurde. Der Klägerin entstanden hierdurch Kosten in Höhe von 4.356,20 EUR. Dieser Betrag steht der Höhe nach außer Streit.

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 9. Juli 2007 gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geltend. Die Versicherte befinde sich in der Freistellungsphase, somit bestehe ein Ausschlussgrund nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Mit Schreiben vom 29. Januar 2008 meldete sie den Betrag von 4.356,20 EUR bei der Beklagte an. Sie hat am 23. Mai 2008 Klage beim Sozialgericht B (SG) erhoben. Sie hätte als zweitangegangener Rehabilitationsträger den Antrag nicht an die zuständige Beklagte weiterleiten dürfen. Sie habe jedoch einen Erstattungsanspruch gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, weil die V, die sich in der passiven Phase der Altersteilszeit befunden habe, bereits nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Die Rehabilitationsziele des § 9 Abs. 1 SGB VI hätten deshalb nicht mehr erreicht werden können. Ob auch § 12 SGB VI, insbesondere § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI einem Anspruch der V auf Reha-Leistungen durch sie als Rentenversicherungsträger entgegengestanden hätte, könne dahin gestellt bleiben (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4. Dezember 2006 –B 4 R 19/06 R–). Die nach § 8 Abs. 3 Altersteilzeitgesetz (AltZG) bestehende rechtliche Möglichkeit, an die Freistellungsphase der Altersteilzeit eine weitere Arbeitsphase anschließen zu lassen, sei unerheblich, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die beantragten Reha-Leistungen keine konkreten Anhaltspunkte im Einzelfall vorlägen, dass der Versicherte beabsichtige, diese Option auch tatsächlich wählen zu wollen. Ohne eine solche entsprechende Willensbetätigung gelte der Grundsatz des § 1 AltZG, wonach die Altersteilzeitarbeit älteren Arbeitnehmern einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglichen solle. Hier hätten keine Anhaltspunkte vorgelegen, dass die V nicht dauerhaft aus dem Erwerbsleben habe ausscheiden wollen.

Die Beklagte hat auf die Entscheidung des Ersten Senats des BSG vom 26. Juni 2007 (B 1 KR 36/06 R) hingewiesen. Im dort entschiedenen Fall habe sich der Versicherte zwar noch in der aktiven Phase der Altersteilzeit befunden, jedoch sei die Rechtsprechung auch auf den hier vorliegenden Fall der passiven Phase übertragbar. Auch nach der Freistellungsphase können sich eine weitere Arbeitsphase und/oder der Bezug von Arbeitslosengeld anschließen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2008 abgewiesen. Sie sei als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie sei jedoch unbegründet. Der Klägerin stehe kein Zahlungsanspruch für die Kosten der Reha-Leistungen zu. Sie habe diese Leistungen nicht für einen anderen Rehabilitationsträger, sondern in eigener Zuständigkeit erbracht. Es komme weder ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX noch einer nach § 104 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) in Betracht. Welche dieser beiden Anspruchsgrundlage einschlägig sei, könne dahin gestellt bleiben, da die Klägerin materiell rechtlich für die Leistungen zuständig gewesen sei. Ein Erstattungsanspruch scheide also nach beiden Rechtsgrundlagen aus. Nach § 40 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) müssten die Krankenkassen Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur erbringen, wenn diese nicht nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 31 SGB VI erbracht werden könnten. Die Klägerin habe hier die Reha-Maßnahmen nach § 9 ff SGB VI erbringen müssen. Der Bezug von Leistungen nach dem ALTZG stelle nämlich keinen Ausschlussgrund im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI dar. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen zur Teilhabe durch den Rentenversicherungsträger nicht für Versicherte erbracht, die eine Leistung bezögen, die regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt würden. Diese Voraussetzung sei für die V, die lediglich aufgestocktes Altersteilzeitentgelt ihres Arbeitsgebers in der Passivphase der Altersteilzeit bezogen habe, nicht erfüllt. Bei diesem aufgestockten Entgelt handele es sich nicht um Leistungen für Personen, die dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien und durch betriebliche Versorgungsleistungen auf die Altersrente hingeführt würden. Der Arbeitnehmer scheide noch nicht dauerhaft aus dem Arbeitsleben aus. Der Phase der Altersteilzeit könne sich eine weitere Arbeitsphase anschließen. Der Arbeitnehmer könne nach Abschluss der Altersteilzeit Arbeitslosengeld beanspruchen. Er sei deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht gehalten, Altersrente zu beanspruchen. Seiner Rechtsnatur nach sei das Altersteilzeitverhältnis ein vollwertiges Arbeitsverhältnis (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26. Juni 2007). Die Auffassung der Klägerin auf der Grundlage der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 14. Dezember 2006 (B 4 R 19/06 R), sei unabhängig vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 12 Abs. 1 SGB VI bereits im Rahmen der persönlichen Voraussetzungen eines Leistungsanspruches nach § 10 Abs. 1 SGB VI zu prüfen, ob der Versicherte sein Erwerbsleben auf Dauer aufgegeben habe, sei nicht überzeugend. § 9 Abs. 1 SGB VI regele nur allgemein vorab die Aufgaben der Leistungen zur Teilhabe im Sinne einer Zielvorstellung. Diese werde durch die eigenen Regelungen der § 10 bis 12 SGB VI konkretisiert. Dass das Ziel von Teilhabeleistungen bei Versicherten, die ihr Erwerbsleben auf Dauer angelegt aufgegeben hätten, grundsätzlich nicht mehr erreicht werden könne, möge an sich zutreffend sein. Diesem Umstand werde jedoch für den vorliegenden Fall ausschließlich die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI gerecht. Diese Vorschrift habe auch den Zweck, ältere Versicherte, die bereits dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien und durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente hingeführt würden, von Reha-Leistungen auszuschließen (Bezugnahme auf BT-Drucksache 13/6610 Seite 21 zu Nr. 4). § 10 Abs. 1 SGB VI regele hingegen ausschließlich die persönlichen Voraussetzung der Leistungen und stelle hierbei alleine auf die Erwerbsfähigkeit als solche ab und zwar - mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 10 Abs. 1 Nr. 2 c SGB VI - unabhängig davon, ob der Versicherte noch einer Erwerbstätigkeit nachgehe oder nachgehen werde oder wolle. Würde man das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI alleine deshalb verneinen, weil der Versicherte sein Erwerbsleben dauerhaft aufgegeben habe, wäre der Ausschlusstatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI nicht nur überflüssig. Vielmehr widerspräche dies auch dem mit dieser Regelung zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, dass die dauerhafte Aufgabe des Erwerbslebens alleine noch nicht zum Ausschluss der Leistungen führen solle, sondern nur dann, wenn der Versicherte zudem durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente hingeführt werde. Dementsprechend habe der 1. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 26.06.2007 im Falle eines Versicherten, der nur ca. 2 Monate vor der passiven Phase der Altersteilzeit gestanden habe, ohne weiteres das Vorliegen der §§ 9 bis 11 SGB VI bejaht und sich lediglich mit den Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI näher auseinander gesetzt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Da das AltZG durch Altersteilzeitarbeit älteren Arbeitnehmern einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglichen solle (§ 1 AltZG), spreche eine Altersteilzeitbeschäftigung für die Annahme, dass der Versicherte dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausscheiden wolle. Im Rahmen der Prognosebeurteilung im Sinne des § 10 SGB VI habe die Klägerin deshalb zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Rehabilitationsziele des § 9 SGB VI nicht mehr erreicht werden könnten, weil das Erwerbsleben der Versicherten bereits beendet sei. Es habe keine konkreten Anhaltspunkte für ein Wiedereintreten in das Erwerbsleben gegeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.356,20 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat zutreffend und mit für den Senat überzeugender Argumentation einen Zahlungsanspruch der Klägerin verneint. Auf die Ausführungen wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen voll umfänglich verwiesen, § 153 Abs. 4 SGG. Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung bereits im Parallelverfahren L 1 KR 435/08 mit Urteil vom 26. Juni 2009 angeschlossen. Soweit dieses Urteil kritisiert wurde (vgl. Rieker, juris PR-SozR 19/2009 Anmerkung 3) überzeugt dies den Senat nicht. Es entsprach zwar dem erklärten Willen des historischen Gesetzgebers des AltZG, spätestens mit dem Ausscheiden aus der Aktivphase einen Arbeitsplatz frei zu machen, wie dies die Pflicht, die freiwerdende Stelle mit einem bisher Arbeitslosen neu zu besetzen, zeigt. Dies ändert aber nichts daran, dass der Versicherte keineswegs zwingend nahtlos zum Rentner werden muss. Sein Arbeitgeber kann in der Passivphase der Altersteilzeit zwar keine Arbeitsleistung mehr von ihm erwarten, es ist ihm aber keinesfalls verwehrt, im Anschluss daran - oder auch unter Aufgabe der Ansprüche nach dem AltZG, vgl. § 5 AltZG - erneut ins Erwerbslebens einzutreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war zuzulassen. Dem Rechtsstreit kommt grundsätzliche Bedeutung zu, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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