Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 779/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 251/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2008 und der Bescheid des Beklagten vom 12. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2007 aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 200,00 EUR festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die klagende Berufsgenossenschaft wendet sich gegen die Heranziehung zu einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR nach § 5 Abs. 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Mit Schreiben vom 19. Juli 2006 stellte der Versicherte bei der Klägerin einen Antrag auf Feststellung seiner Wirbelsäulenerkrankung sowie seiner Knieerkrankung als Berufskrankheit. Im anschließenden Feststellungsverfahren zog die Klägerin Unterlagen des den Versicherten behandelnden Orthopäden Dr. W bei und veranlasste eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes für Arbeitsmedizin H, der unter dem 15. November 2006 unter anderem mitteilte, die vorliegenden Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke vom 7. April 2006 in zwei Ebenen würden keine radiologischen Veränderungen zeigen, die nach Kellgren mit Grad 2 zu bewerten seien. Ein Krankheitsbild, wie es in der wissenschaftlichen Begründung zur "Gonarthrose" gefordert werde, liege daher nicht vor. Die Beschwerdesymptomatik könne vielmehr im Rahmen der im Szintigramm vom 21. September 2005 zu vermutenden Polyarthrose erklärt werden. Weitere Ermittlungen seien nicht erforderlich.
Mit Schreiben vom selben Tag übersandte die Klägerin dem Beklagten einen Aktenauszug sowie Röntgenaufnahmen und teilte mit, die Ermittlungen seien abgeschlossen. Es werde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Es sei beabsichtigt, eine BK - Gonarthrose - abzulehnen, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Weiter wurde mitgeteilt, dass, sollte eine Stellungnahme nicht innerhalb von sechs Wochen vorliegen, die Unterlagen dem Rentenausschuss zur Entscheidung vorgelegt würden.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2007 lehnte die Klägerin die Anerkennung der Gonarthrose des Versicherten als Berufskrankheit ab.
Der Beklagte übersandte ein Schreiben des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Professor Dr. B vom 12. März 2007, in dem es u.a. hieß:
Der Versicherte habe seit September 1983 als Fliesenleger in verschiedenen Firmen gearbeitet. Eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes zur Höhe der beruflichen Kniegelenksbelastung liege in den Aktenunterlagen nicht vor. Der behandelnde Orthopäde habe eine Gonarthrose sowie Chondrocalcinose beider Knie diagnostiziert. Der beratende Arzt sei in seiner Stellungnahme vom 15. November 2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass das vorliegende Röntgenbild keine Gonarthrose zeige. Im Gegensatz zur Empfehlung des beratenden Arztes empfehle er mit folgender Begründung die Anerkennung einer Berufskrankheit:
1. Nach den Erfahrungen mit den Berufskrankheiten 2102 und 2105 gehe er davon aus, dass Fliesenleger einer Kniegelenksbelastung durch Arbeiten im Knien, Hocken oder Fersensitz während eines Schichtanteils von circa 70 %, entsprechend 5,6 Stunden pro Tag, ausgesetzt seien. Bei 220 Arbeitsschichten pro Jahr ergebe sich zwischen Beginn der gefährdenden Tätigkeit im September 1983 und erstmaliger Diagnose der Kniegelenksarthrose am 4. Juli 2006 eine kumulative Expositionsdauer von circa 28.000 Stunden, so dass die beruflichen Voraussetzungen im Sinne der empfohlenen Berufskrankheit Gonarthrose erfüllt seien.
2. Im Röntgenbild der Kniegelenke in zwei Ebenen vom 4. Juli 2006 würden sich deutliche Osteophyten im Bereich des lateralen Tibiaplateaus beidseits, eine vermehrte subchondrale Sklerosierung im Bereich des medialen und lateralen Tibiaplateaus, eine deutliche mediale Gelenkspaltverschmälerung beidseits, kalkdichte Strukturen im Bereich des lateralen Gelenksspaltes beidseits sowie deutliche Osteophyten im Bereich des oberen Patellapols beidseits zeigen. Insgesamt liege eine Gonarthrose Stadium III nach Kellgren sowie der Verdacht auf eine Chondrocalcinose beidseits vor.
3. Den Zusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und der festgestellten Gonarthrose beidseits nehme er mit folgender Begründung mit Wahrscheinlichkeit an:
Die berufliche Einwirkung überschreite den vom ärztlichen Sachverständigenbeirat empfohlenen Grenzwert in Höhe von 13.000 Stunden.
Nach dem Röntgenbild liege eine fortgeschrittene Kniegelenksarthrose vor.
Hinweise für gesicherte außerberuflich bedingte konkurrierende Ursachenfaktoren bestünden nicht. Bei der festgestellten Chondrocalcinose handle es sich um einen häufigen Kniegelenksbefund älterer Patienten. In einer kürzlich veröffentlichten prospektiven Studie sei nachgewiesen worden, dass ein Zusammenhang zwischen Chondrocalcinose und der Entwicklung einer Kniegelenksarthrose nicht nachweisbar sei.
Mit Bescheid vom selben Tage verlangte der Beklagte von der Klägerin eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR gemäß § 5 BKV für die Erstellung des Zusammenhangsgutachtens.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. März 2007 Widerspruch bei der Schlichtungsstelle beim Landesverband Hessen-Mittelrhein und Thüringen der gewerblichen Berufsgenossenschaften ein und führte zur Begründung unter anderem aus, die vom Verordnungsgeber definierten Voraussetzungen für die Erstellung eines gewerbeärztlichen Zusammenhangsgutachtens seien nicht erfüllt. Nach § 4 Abs. 4 BKV sei ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten erst nach Vorliegen aller Ermittlungsergebnisse zulässig. Im Feststellungsverfahren seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht ermittelt worden, da aus medizinischen Gründen das Vorliegen der empfohlenen Berufskrankheit "Gonarthrose" habe abgelehnt werden sollen. Statt entsprechende Ermittlungen vorzuschlagen habe der Landesgewerbearzt, allein auf Grundlage des vom Versicherten angegebenen Berufsweges, die beruflichen Belastungen großzügig geschätzt und das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen unterstellt. Dieses Vorgehen sei im Rahmen einer Zusammenhangsbegutachtung nicht statthaft. Es entspreche auch nicht der Empfehlungsvereinbarung vom 1. Dezember 1999 in der Fassung vom 1. Juli 2001 zwischen dem Hessischen Sozialministerium und dem Landesverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Hessen-Mittelrhein und Thüringen über die Anforderungen an ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten (im folgenden: Empfehlungsvereinbarung). Auch hiernach würde die Ermittlung der beruflichen Einwirkungen in die Kompetenz des Unfallversicherungsträgers fallen. Ermittlungen des Technischen Sachverständigen zu den im einzelnen ausgeübten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles halte sie bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die empfohlene Berufskrankheit "Gonarthrose" beim Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen in jedem Fall für erforderlich. Dies entspreche nicht zuletzt der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichten wissenschaftlichen Begründung. Dort werde hierzu ausgeführt: "Die Begutachtung dieser Berufskrankheit erfordert eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes des Unfallversicherungsträgers zum Vorliegen der erforderlichen beruflichen Einwirkung ". Auch der Landesgewerbearzt dürfe sich über diese Vorgaben der wissenschaftlichen Begründung nicht hinwegsetzen.
Nachdem im Schlichtungsverfahren keine Einigung erzielt wurde, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 zurück.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 17. März 2008 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, es handle sich vorliegend um ein Zusammenhangsgutachten im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BKV, das gemäß § 4 Abs. 4 BKV mit 200,00 EUR zu entschädigen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 7. April 2008 eingelegten - vom Sozialgericht zugelassenen - Berufung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin sowie des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin sowie der angefochtene Bescheid sind aufzuheben, da sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
Der Beklagte hat zu Unrecht mit dem angefochtenen Bescheid die Klägerin zur Entrichtung einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR nach § 5 Abs. 1 BKV herangezogen. Nach dieser Vorschrift erhalten die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen von dem Unfallversicherungsträger jeweils eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR, sofern sie ein Zusammenhangsgutachten nach § 4 Abs. 4 BKV erstellen. Nach dieser Vorschrift können nach Vorliegen aller Ermittlungsergebnisse die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen ein Zusammenhangsgutachten erstellen. Unabdingbare Voraussetzung für die Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens ist damit, dass alle Ermittlungsergebnisse vorliegen, fehlt es bspw. an der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen, so kann ein Zusammenhangsgutachten nicht erstellt werden, auf die Ausübung des durch § 4 Abs. 4 BKV eingeräumten Ermessens kommt es nicht mehr an. (vg. auch Becker, Die Gebührenpflicht der Unfallversicherungsträger für Zusammenhangsgutachten der Gewerbeärzte, in: Die Berufsgenossenschaft, 1998, S. 558, 560).
Dementsprechend führt die vom Beklagten übersandte Empfehlungsvereinbarung im Punkt 2.) "Einwirkung" aus:
"Das gewerbeärztliche Zusammenhangsgutachten hat die wesentlichen, vom Unfallversicherungsträger zu ermittelnden Angaben zur beruflichen Einwirkung auf den Versicherten zusammenzufassen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass tätigkeitsbezogene Einwirkungen im Sinne eines Berufskrankheiten-Tatbestandes vorliegen. Dabei muss bei dem Versicherten eine zur Verursachung geeignete Einwirkung zweifelsfrei bewiesen sein. Stellt der Gewerbearzt in diesem Zusammenhang fest, dass die Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers, z. B. Stellungnahmen der Aufsichtspersonen, unvollständig oder nicht schlüssig sind oder mit eigenen Erkenntnissen des Gewerbearztes nicht im Einklang stehen, so kann der Gewerbearzt dem Unfallversicherungsträger ergänzende Beweiserhebungen, beispielsweise eine Gefahrstoffmessung am Arbeitsplatz des Versicherten, vorschlagen; diesen Vorschlägen haben die Unfallversicherungsträger zu folgen."
Unter Punkt 6.) "Kriterien für die Erstellung eines gewerbeärztlichen Zusammenhangsgutachtens" wird ausgeführt:
"Ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten ist bei folgenden Fallgestaltungen in der Regel gerechtfertigt: 6.2 Die BK-Akte enthält Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers zur beruflichen Einwirkung sowie zum Krankheitsbild; es wurde kein Gutachten eingeholt, obwohl dies erforderlich ist."
und unter der Überschrift:
"Ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten ist bei folgenden Fallgestaltungen in der Regel nicht gerechtfertigt: 6.8 die BK-Akte enthält nur Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers zum Krankheitsbild des Versicherten, welches nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis nachvollziehbar nicht einem BK-Tatbestand gemäß § 9 Abs. 1 und 2 SGB VII entspricht. Auch in diesem Fall ist ein Zusammenhangsgutachten nicht gerechtfertigt, weil der Gewerbearzt nur zu einem der Kriterien, nämlich der Erkrankung, Stellung nehmen könnte."
Diese Konstellation des Punktes 6.8 ist vorliegend gegeben. Die Klägerin hat zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen Ermittlungen nicht angestellt, da sie bereits die medizinischen Voraussetzungen der begehrten BK verneint hat. Allein der vom Kläger eingeholte berufliche Werdegang bzw. die von der zuständigen Krankenkasse eingeholten Auskünfte zu den gemeldeten Tätigkeiten, kann keine Ermittlung in diesem Sinne darstellen, denn er enthält keine Angaben zu den konkret vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten und den durch sie bedingten Einwirkungen. Der Gewerbearzt kam auf medizinischem Gebiet zu einer anderen Einschätzung und hätte nunmehr die Klägerin gemäß § 4 Abs. 3 s. 2 BKV auffordern müssen, entsprechende arbeitstechnische Ermittlungen durchzuführen; dieser Aufforderung hätte die Klägerin folgen müssen.
Die Schätzung der Einwirkungen, wie vom Gewerbearzt vorgenommen, stand ihm jedenfalls nicht zu, wie sich insbesondere aus Punkt 1.) der Empfehlungsvereinbarung ergibt, der selbst für den Fall, dass der Unfallversicherungsträger Ermittlungen durchführt, der Gewerbearzt diese aber bezweifelt, vorsieht, dass der Gewerbearzt weitere Ermittlungen anregt und der ausdrücklich darauf hinweist, dass die zur Verursachung der Erkrankung geeignete Einwirkung zweifelsfrei bewiesen sein muss – und eben nicht geschätzt werden kann.
Nach alledem lagen die Voraussetzungen für die Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens nicht vor, auf die Frage, ob das Schreiben den sonstigen Anforderungen an Gutachten entspricht, kommt es nicht mehr an. Der Berufung ist stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die klagende Berufsgenossenschaft wendet sich gegen die Heranziehung zu einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR nach § 5 Abs. 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Mit Schreiben vom 19. Juli 2006 stellte der Versicherte bei der Klägerin einen Antrag auf Feststellung seiner Wirbelsäulenerkrankung sowie seiner Knieerkrankung als Berufskrankheit. Im anschließenden Feststellungsverfahren zog die Klägerin Unterlagen des den Versicherten behandelnden Orthopäden Dr. W bei und veranlasste eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes für Arbeitsmedizin H, der unter dem 15. November 2006 unter anderem mitteilte, die vorliegenden Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke vom 7. April 2006 in zwei Ebenen würden keine radiologischen Veränderungen zeigen, die nach Kellgren mit Grad 2 zu bewerten seien. Ein Krankheitsbild, wie es in der wissenschaftlichen Begründung zur "Gonarthrose" gefordert werde, liege daher nicht vor. Die Beschwerdesymptomatik könne vielmehr im Rahmen der im Szintigramm vom 21. September 2005 zu vermutenden Polyarthrose erklärt werden. Weitere Ermittlungen seien nicht erforderlich.
Mit Schreiben vom selben Tag übersandte die Klägerin dem Beklagten einen Aktenauszug sowie Röntgenaufnahmen und teilte mit, die Ermittlungen seien abgeschlossen. Es werde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Es sei beabsichtigt, eine BK - Gonarthrose - abzulehnen, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Weiter wurde mitgeteilt, dass, sollte eine Stellungnahme nicht innerhalb von sechs Wochen vorliegen, die Unterlagen dem Rentenausschuss zur Entscheidung vorgelegt würden.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2007 lehnte die Klägerin die Anerkennung der Gonarthrose des Versicherten als Berufskrankheit ab.
Der Beklagte übersandte ein Schreiben des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Professor Dr. B vom 12. März 2007, in dem es u.a. hieß:
Der Versicherte habe seit September 1983 als Fliesenleger in verschiedenen Firmen gearbeitet. Eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes zur Höhe der beruflichen Kniegelenksbelastung liege in den Aktenunterlagen nicht vor. Der behandelnde Orthopäde habe eine Gonarthrose sowie Chondrocalcinose beider Knie diagnostiziert. Der beratende Arzt sei in seiner Stellungnahme vom 15. November 2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass das vorliegende Röntgenbild keine Gonarthrose zeige. Im Gegensatz zur Empfehlung des beratenden Arztes empfehle er mit folgender Begründung die Anerkennung einer Berufskrankheit:
1. Nach den Erfahrungen mit den Berufskrankheiten 2102 und 2105 gehe er davon aus, dass Fliesenleger einer Kniegelenksbelastung durch Arbeiten im Knien, Hocken oder Fersensitz während eines Schichtanteils von circa 70 %, entsprechend 5,6 Stunden pro Tag, ausgesetzt seien. Bei 220 Arbeitsschichten pro Jahr ergebe sich zwischen Beginn der gefährdenden Tätigkeit im September 1983 und erstmaliger Diagnose der Kniegelenksarthrose am 4. Juli 2006 eine kumulative Expositionsdauer von circa 28.000 Stunden, so dass die beruflichen Voraussetzungen im Sinne der empfohlenen Berufskrankheit Gonarthrose erfüllt seien.
2. Im Röntgenbild der Kniegelenke in zwei Ebenen vom 4. Juli 2006 würden sich deutliche Osteophyten im Bereich des lateralen Tibiaplateaus beidseits, eine vermehrte subchondrale Sklerosierung im Bereich des medialen und lateralen Tibiaplateaus, eine deutliche mediale Gelenkspaltverschmälerung beidseits, kalkdichte Strukturen im Bereich des lateralen Gelenksspaltes beidseits sowie deutliche Osteophyten im Bereich des oberen Patellapols beidseits zeigen. Insgesamt liege eine Gonarthrose Stadium III nach Kellgren sowie der Verdacht auf eine Chondrocalcinose beidseits vor.
3. Den Zusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und der festgestellten Gonarthrose beidseits nehme er mit folgender Begründung mit Wahrscheinlichkeit an:
Die berufliche Einwirkung überschreite den vom ärztlichen Sachverständigenbeirat empfohlenen Grenzwert in Höhe von 13.000 Stunden.
Nach dem Röntgenbild liege eine fortgeschrittene Kniegelenksarthrose vor.
Hinweise für gesicherte außerberuflich bedingte konkurrierende Ursachenfaktoren bestünden nicht. Bei der festgestellten Chondrocalcinose handle es sich um einen häufigen Kniegelenksbefund älterer Patienten. In einer kürzlich veröffentlichten prospektiven Studie sei nachgewiesen worden, dass ein Zusammenhang zwischen Chondrocalcinose und der Entwicklung einer Kniegelenksarthrose nicht nachweisbar sei.
Mit Bescheid vom selben Tage verlangte der Beklagte von der Klägerin eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR gemäß § 5 BKV für die Erstellung des Zusammenhangsgutachtens.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. März 2007 Widerspruch bei der Schlichtungsstelle beim Landesverband Hessen-Mittelrhein und Thüringen der gewerblichen Berufsgenossenschaften ein und führte zur Begründung unter anderem aus, die vom Verordnungsgeber definierten Voraussetzungen für die Erstellung eines gewerbeärztlichen Zusammenhangsgutachtens seien nicht erfüllt. Nach § 4 Abs. 4 BKV sei ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten erst nach Vorliegen aller Ermittlungsergebnisse zulässig. Im Feststellungsverfahren seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht ermittelt worden, da aus medizinischen Gründen das Vorliegen der empfohlenen Berufskrankheit "Gonarthrose" habe abgelehnt werden sollen. Statt entsprechende Ermittlungen vorzuschlagen habe der Landesgewerbearzt, allein auf Grundlage des vom Versicherten angegebenen Berufsweges, die beruflichen Belastungen großzügig geschätzt und das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen unterstellt. Dieses Vorgehen sei im Rahmen einer Zusammenhangsbegutachtung nicht statthaft. Es entspreche auch nicht der Empfehlungsvereinbarung vom 1. Dezember 1999 in der Fassung vom 1. Juli 2001 zwischen dem Hessischen Sozialministerium und dem Landesverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Hessen-Mittelrhein und Thüringen über die Anforderungen an ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten (im folgenden: Empfehlungsvereinbarung). Auch hiernach würde die Ermittlung der beruflichen Einwirkungen in die Kompetenz des Unfallversicherungsträgers fallen. Ermittlungen des Technischen Sachverständigen zu den im einzelnen ausgeübten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles halte sie bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die empfohlene Berufskrankheit "Gonarthrose" beim Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen in jedem Fall für erforderlich. Dies entspreche nicht zuletzt der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichten wissenschaftlichen Begründung. Dort werde hierzu ausgeführt: "Die Begutachtung dieser Berufskrankheit erfordert eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes des Unfallversicherungsträgers zum Vorliegen der erforderlichen beruflichen Einwirkung ". Auch der Landesgewerbearzt dürfe sich über diese Vorgaben der wissenschaftlichen Begründung nicht hinwegsetzen.
Nachdem im Schlichtungsverfahren keine Einigung erzielt wurde, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 zurück.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 17. März 2008 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, es handle sich vorliegend um ein Zusammenhangsgutachten im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BKV, das gemäß § 4 Abs. 4 BKV mit 200,00 EUR zu entschädigen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 7. April 2008 eingelegten - vom Sozialgericht zugelassenen - Berufung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin sowie des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin sowie der angefochtene Bescheid sind aufzuheben, da sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
Der Beklagte hat zu Unrecht mit dem angefochtenen Bescheid die Klägerin zur Entrichtung einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR nach § 5 Abs. 1 BKV herangezogen. Nach dieser Vorschrift erhalten die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen von dem Unfallversicherungsträger jeweils eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR, sofern sie ein Zusammenhangsgutachten nach § 4 Abs. 4 BKV erstellen. Nach dieser Vorschrift können nach Vorliegen aller Ermittlungsergebnisse die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen ein Zusammenhangsgutachten erstellen. Unabdingbare Voraussetzung für die Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens ist damit, dass alle Ermittlungsergebnisse vorliegen, fehlt es bspw. an der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen, so kann ein Zusammenhangsgutachten nicht erstellt werden, auf die Ausübung des durch § 4 Abs. 4 BKV eingeräumten Ermessens kommt es nicht mehr an. (vg. auch Becker, Die Gebührenpflicht der Unfallversicherungsträger für Zusammenhangsgutachten der Gewerbeärzte, in: Die Berufsgenossenschaft, 1998, S. 558, 560).
Dementsprechend führt die vom Beklagten übersandte Empfehlungsvereinbarung im Punkt 2.) "Einwirkung" aus:
"Das gewerbeärztliche Zusammenhangsgutachten hat die wesentlichen, vom Unfallversicherungsträger zu ermittelnden Angaben zur beruflichen Einwirkung auf den Versicherten zusammenzufassen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass tätigkeitsbezogene Einwirkungen im Sinne eines Berufskrankheiten-Tatbestandes vorliegen. Dabei muss bei dem Versicherten eine zur Verursachung geeignete Einwirkung zweifelsfrei bewiesen sein. Stellt der Gewerbearzt in diesem Zusammenhang fest, dass die Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers, z. B. Stellungnahmen der Aufsichtspersonen, unvollständig oder nicht schlüssig sind oder mit eigenen Erkenntnissen des Gewerbearztes nicht im Einklang stehen, so kann der Gewerbearzt dem Unfallversicherungsträger ergänzende Beweiserhebungen, beispielsweise eine Gefahrstoffmessung am Arbeitsplatz des Versicherten, vorschlagen; diesen Vorschlägen haben die Unfallversicherungsträger zu folgen."
Unter Punkt 6.) "Kriterien für die Erstellung eines gewerbeärztlichen Zusammenhangsgutachtens" wird ausgeführt:
"Ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten ist bei folgenden Fallgestaltungen in der Regel gerechtfertigt: 6.2 Die BK-Akte enthält Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers zur beruflichen Einwirkung sowie zum Krankheitsbild; es wurde kein Gutachten eingeholt, obwohl dies erforderlich ist."
und unter der Überschrift:
"Ein gewerbeärztliches Zusammenhangsgutachten ist bei folgenden Fallgestaltungen in der Regel nicht gerechtfertigt: 6.8 die BK-Akte enthält nur Ermittlungen des Unfallversicherungsträgers zum Krankheitsbild des Versicherten, welches nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis nachvollziehbar nicht einem BK-Tatbestand gemäß § 9 Abs. 1 und 2 SGB VII entspricht. Auch in diesem Fall ist ein Zusammenhangsgutachten nicht gerechtfertigt, weil der Gewerbearzt nur zu einem der Kriterien, nämlich der Erkrankung, Stellung nehmen könnte."
Diese Konstellation des Punktes 6.8 ist vorliegend gegeben. Die Klägerin hat zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen Ermittlungen nicht angestellt, da sie bereits die medizinischen Voraussetzungen der begehrten BK verneint hat. Allein der vom Kläger eingeholte berufliche Werdegang bzw. die von der zuständigen Krankenkasse eingeholten Auskünfte zu den gemeldeten Tätigkeiten, kann keine Ermittlung in diesem Sinne darstellen, denn er enthält keine Angaben zu den konkret vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten und den durch sie bedingten Einwirkungen. Der Gewerbearzt kam auf medizinischem Gebiet zu einer anderen Einschätzung und hätte nunmehr die Klägerin gemäß § 4 Abs. 3 s. 2 BKV auffordern müssen, entsprechende arbeitstechnische Ermittlungen durchzuführen; dieser Aufforderung hätte die Klägerin folgen müssen.
Die Schätzung der Einwirkungen, wie vom Gewerbearzt vorgenommen, stand ihm jedenfalls nicht zu, wie sich insbesondere aus Punkt 1.) der Empfehlungsvereinbarung ergibt, der selbst für den Fall, dass der Unfallversicherungsträger Ermittlungen durchführt, der Gewerbearzt diese aber bezweifelt, vorsieht, dass der Gewerbearzt weitere Ermittlungen anregt und der ausdrücklich darauf hinweist, dass die zur Verursachung der Erkrankung geeignete Einwirkung zweifelsfrei bewiesen sein muss – und eben nicht geschätzt werden kann.
Nach alledem lagen die Voraussetzungen für die Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens nicht vor, auf die Frage, ob das Schreiben den sonstigen Anforderungen an Gutachten entspricht, kommt es nicht mehr an. Der Berufung ist stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.
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