Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 444/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 1068/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. August 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 der Anlage zur Be-rufskrankheitenverordnung (BKV) – Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische -.
Der 1935 geborene Kläger war nach seinen Angaben seit dem 05. April 1951 bis zum 15. August 1964 als Textilfärber, vom 17. August 1964 bis zum 30. September 1966 als Wollfärber, vom 03. Oktober 1966 bis zum 31. Juli 1971 als Maschinenfüh-rer und Strichätzer, vom 05. Oktober 1972 bis 1989 als Färbereimeister und schließlich ab 1990 bis September 1994 (Insolvenz des Arbeitgebers) als Laborant in W, G und zuletzt in B tätig. Ab dem 28. Juni 1994 war der Kläger wegen eines depressiven Syndroms und Tinnitus arbeitsunfähig krank. Am 12. Dezember 1994 erstattete der Allgemeinmediziner Dr. W, Leiter der um-weltmedizinischen Ambulanz des Zentrums für A- und U e. V. in B, eine ärztliche Anzeige über eine BK, in der er angab, er nehme das Vorliegen der BK Nr. 1301 an, denn bei dem Kläger liege ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS) vor. Der Kläger sei psychisch allseits deutlich verlangsamt, depressiv ver-stimmt und antriebsgemindert. Es bestehe ein Tinnitus aurium und im MRT seien mikrovasale Degenerationen im peripheren Hirnmarklager beidseits nachgewiesen. Bereits 1964 sei das HOPS als depressive Neurose missgedeutet worden. Eine Enzephalomyelitis disseminata werde ausgeschlossen. Es habe eine Belastung mit Holzschutzmitteln bestanden.
Die Beklagte nahm daraufhin umfangreiche Ermittlungen auf medizinischem und ar-beitstechnischem Gebiet vor. Sie holte eine Vielzahl medizinischer Unterlagen ein, unter anderem den Heilverfahrensentlassungsbericht der Landesklinik T vom 08. September 1994 (Kostenträger war die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte), aus dessen Anamnese sich ergibt, dass der Kläger sich dort schon 1964 und 1974 wegen depressiver Zustände sowie psychogener Impotenz bei schizoid-depressiver Charakterstruktur aufgehalten hatte. Weiter lagen vor der Bericht einer MRT-Untersuchung des Gehirns vom 14. Februar 1994, ein Bericht des Neurologen und Psychiaters M vom 15. Juni 1993, der Bericht einer Computertomographie des Kop-fes vom 25. Mai 1993, Verzeichnisse der Techniker Krankenkasse, der AOK G und der AOK W mit Vorerkrankungen in den Jahren 1964 und 1971 wegen Psycho- bzw. Zwangsneurose sowie Berichte des Dr. W vom 28. Juni 1994 und 24. April 1994, der den Kläger seit dem 05. April 1994 behandelte. Der Arzt hielt einen ursächlichen Zu-sammenhang zwischen der beruflichen Langzeitexposition gegenüber Lösungsmit-teln von 1951 bis 1964 und einer diffusen Hirnschädigung für überwiegend wahr-scheinlich. Die 1964, 1974 und 1994 gestellten Diagnosen "depressiver Zustand, psychogene Impotenz, depressive Neurose usw." müssten nach der Verlaufsbeo-bachtung und in Kenntnis der Expositionen gegenüber hirntoxischen Substanzen ernsthaft in Zweifel gestellt werden. Die außerberufliche Einwirkung neurotoxischer Wirkstoffe durch im Innenraum eingesetzte Holzschutzmittel (Xyladecor und Xyla-mon) habe die toxische Enzephalopathie mit hoher Wahrscheinlichkeit verstärkt. Weiter wurde beigezogen ein Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 13. Oktober 1994, der die Verdachtsdiagnose stellte: hirnorganisches Psycho-syndrom auf der Grundlage einer Mikroangiopathie des Hirns und psychische Ver-änderungen vorwiegend auf zerebrale Mikroangiopathie zurückführbar. Außerdem lag der Bericht des Fachkrankenhauses N vom 06. Juni 1995 über den Zustand nach Chemikalienexposition (multiple chemical sensitivity?) vor sowie ein Attest der Ärztin von H vom 06. Dezember 1995, wonach seit 1990 im Labor mit Verdünner und Lö-sungsmittel vermehrt Kontakt bestanden habe.
Parallel dazu versuchte die Beklagte Auskünfte der ehemaligen Arbeitgeber zu den Belastungen des Klägers während seiner Tätigkeiten dort zu erlangen. Soweit die Betriebe mittlerweile insolvent waren, wurden ehemalige Arbeitskollegen des Klägers befragt und auch Auskünfte von Chemikalien herstellenden Firmen eingeholt. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) wertete die Auskünfte und die Er-gebnisse der Betriebsbesichtigungen in Stellungnahmen vom 06. Juli 1995, 18. Juli 1995, 22. August 1995, 11. September 1995, 29. Oktober 1998 und 02. Dezember 1998 aus. Abschließend gelangte er zu der Auffassung, der Kläger sei bis ca. 1987 bezüglich PER (Tetrachlorethen) exponiert gewesen. Aus dem Aktenvermerk eines Sachbearbeiters der Beklagten vom 04. Dezember 1998 ergibt sich, dass die Be-klagte unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und der Zeugen von einer grenzwertüberschreitenden Exposition gegenüber Lösungsmittelgemischen i. S. der BK Nr. 1317 im Zeitraum von 1972 bis 1990 ausging. Ein genauer Zeitpunkt sei nicht bekannt und werde auch wohl nicht mehr zu ermitteln sein. Ab 1990 sei der Kläger jedenfalls im Textillabor eingesetzt worden und habe dort Stoffstücke zuschneiden müssen. Eine Lösungsmittelexposition habe dabei nicht bestanden.
Die Beklagte veranlasste schließlich eine arbeitsmedizinisch-neuropsychiatrische Begutachtung durch Dr. Z am 30. Juni 1998, der bei dem Kläger unter Berücksichti-gung einer psychodiagnostischen Zusatzuntersuchung durch die Diplompsychologin Dr. S vom 12. August 1997 eine primäre psychische Fehlentwicklung mit aggressiver Gehemmtheit und neurotischem und teilweise somatopsychischem Beschwerdeaus-bau, ein lösungsmittelbedingtes toxisches psychorganisches Syndrom, eine subklini-sche, wahrscheinlich toxisch bedingte, Polyneuropathie der Beine, ein chronisches Erysipel und einen Tinnitus aurium diagnostizierte. Es müsse das Vorliegen der haf-tungsbegründenden Kausalität einer BK durch organische Lösungsmittel bei dem Kläger festgestellt werden. Zudem sei durch die psychorganische und polyneuro-pathische Symptomatik des Klägers die haftungsausfüllende Kausalität für das Vor-liegen einer BK durch Halogenkohlenwasserstoffe (BK Nr. 1302) gegeben. Die neu-rotoxische Hauptpotenz im Expositionsspektrum des Klägers sei dem PER zuzuer-kennen. Ein direkter Zusammenhang zwischen den beruflichen Faktoren und dem chronischen Erysipel und dem Tinnitus bestehe dagegen nicht. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v. H.
Anschließend beauftragte die Beklagte Dr. H mit der Erstattung eines nervenärztlich-sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage, das dieser am 14. Dezember 1998 erstellte. Der Gutachter stellte fest, auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehe eine über Jahrzehnte zurückreichende krankheitswertige schwere neurotische Fehlent-wicklung mit Tendenz zum Beschwerdenausbau. Eine Enzephalopathie auch leichte-ren Grades sei nicht hinreichend nachgewiesen. Eine sehr dezente Polyneuropathie der Beine habe kein nachweisbares klinisches Korrelat. Das Vorliegen der BK Nr. 1317 müsse nach Diskussion der für und gegen einen Ursachenzusammenhang sprechenden Faktoren verneint werden.
Nach Anhörung des Gewerbearztes F lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 1317 oder einer anderen BK der Gruppe 13 mit Bescheid vom 04. März 1999 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs bezog sich der Kläger auf eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. W vom 22. April 1999, der unter anderem ausführte, der Kläger sei bereits 1962 nach langjähriger Exposition an einem für Lö-sungsmitteleinwirkungen charakteristischen Beschwerdekomplex erkrankt. Seitdem sei er mit einem qualitativ annähernd gleichen Beschwerdebild krank gewesen. Daraufhin holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H vom 03. September 1999 ein, der bei seiner Auffassung verblieb. Dazu legte der Kläger eine weitere Stellungnahme von Dr. W vom 30. März 2000 vor. Der Kläger machte dar-über hinaus geltend, bis 1994 Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen zu sein. Dies er-gebe sich aus der Stellungnahme der Betriebsärztin von H vom 06. Dezember 1995. Er bezog sich im Weiteren auf ein Schreiben des Landesamts für Arbeitsschutz und technische Sicherheit vom 22. Mai 1996, in dem darauf verwiesen wurde, dass bei der Firma T und A in B die Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2000 wies die Beklagte den Widerspruch, gestützt auf die Ausführungen von Dr. H, zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, zu deren Be-gründung er sich auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren berufen hat.
Das Sozialgericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts den Facharzt für Arbeitsmedi-zin, Praktischer Arzt/Umweltmedizin Dr. W mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat am 11. Januar 2003 sein Gutachten erstattet und sich dabei auf eine Stellungnahme des Neurologen Dr. R vom 09. Juli 2002 über die Durchführung einer Zusatzuntersuchung sowie einen von Dr. K erhobenen psycho-diagnostischen Befund vom 14. Oktober 2002 gestützt. Dr. R hat ein altersentspre-chend normales EEG festgestellt, ohne eine für eine toxische Schädigung typische Verlangsamung. Dr. K hat den Befund einer Hirnleistungsschwäche erhoben, die auf eine toxische Enzephalopathie hinweisen könne. Dr. W hat eine depressive Neuro-se, Hirnleistungsschwäche, Polyneuropathie, diskrete zerebrale Durchblutungsstö-rung, eine dezente degenerative zerebrale Veränderung und degenerative Verände-rungen der Wirbelsäule, eine Jodallergie, Bluthochdruck, Impotenz und eine chroni-sche venöse Insuffizienz diagnostiziert. Es sprächen sowohl Anzeichen gegen als auch für eine beruflich bedingte Erkrankung, so dass er mit überzeugender Wahr-scheinlichkeit die Anerkennung des Beschwerdekomplexes im Sinne einer toxischen Enzephalopathie als BK nicht empfehlen könne. Davon ausgenommen werden müs-se die eindeutig belegte Polyneuropathie. Die Symptome der Polyneuropathie seien in ihrer sensomotorischen Bedeutung diskret und in funktioneller Hinsicht geringfü-gig. Bei der Bewertung der MdE müsse aber auf die schweren trophischen Störun-gen der Haut und die massiven venösen Durchblutungsstörungen, insbesondere an beiden Unterschenkeln, sowie die Impotenz verwiesen werden. Hier sei es in Würdi-gung der Situation im Hinblick auf die gesamten Lebensverhältnisse angezeigt, min-destens von einer mittelschweren Polyneuropathie auszugehen. Bei einer Berufstä-tigkeit würde die venöse Insuffizienz mit den rezidivierenden Entzündungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen. Nach den Richtlinien liege die MdE bei 30 v. H.
Zu dem Ergebnis der Begutachtung hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stel-lungnahme von Dr. H vom 18. Februar 2003 vorgelegt, der ausgeführt hat, es beste-he Übereinstimmung mit Dr. W hinsichtlich einer nicht existenten toxischen Enzepha-lopathie. Es liege aber auch keine neurotoxisch bedingte Polyneuropathie vor. Dies hat das Sozialgericht veranlasst, eine ergänzende Stellungnahme von Dr. W vom 17. Mai 2003 einzuholen, der bei seiner Auffassung verblieben ist. Dazu hat die Beklagte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H vom 30. Juni 2003 eingereicht.
Schließlich hat das Sozialgericht ein neurologisches Gutachten von Prof. Dr. M/B vom 21. Juni 2004 eingeholt. Dieser hat aufgrund einer elektrophysiologischen Un-tersuchung eine leichte distal symmetrische Polyneuropathie mit axonaler Degenera-tion diagnostiziert. Diese sei jedoch als sehr diskret einzustufen, da im neurologi-schen Untersuchungsbefund keine relevanten Funktionseinschränkungen nachzu-weisen seien. Weiterhin sei die Blutdruckregulation im Schellongtest unauffällig, so-mit finde sich hier kein Hinweis auf eine autonome Polyneuropathie. Der Kläger be-klage spontan keine Beschwerden, die auf die Polyneuropathie zurückzuführen sei-en. Lediglich auf Nachfrage äußere er Beschwerden. Diese seien jedoch im Rahmen der gesamten Situation auf die Somatisierungsstörung des Klägers zu beziehen. Würden die Beschwerden im Rahmen einer Polyneuropathie auftreten, wäre ein viel gravierender neurologischer Befund zu erwarten. Weiterhin entsprächen die Sym-ptome nicht der zu erwartenden Topographie. Damit bestehe zwar eine Polyneuro-pathie, jedoch sei diese nicht auf die berufliche Exposition mit Lösungsmitteln zu-rückzuführen, da sie das altersphysiologische Maß für einen 68jährigen nicht über-schreite. Es liege somit keine Gesundheitsstörung im Sinne der BK Nr. 1317 vor.
Der Kläger hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anzuschließen vermocht und sich auf eine weitere Stellungnahme von Dr. W vom 21. September 2004 bezo-gen.
Durch Urteil vom 09. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine BK Nr. 1317 bestehe bei dem Kläger nicht. Die BK Nr. 1317 sei erst 1997 in die Liste der BK aufgenommen worden. Mithin könnten entsprechende Krankheitsbilder erst ab 1997 entschädigt werden. Feststellungen und Ausführungen zu den davor liegenden Zeiträumen bedürfe es im vorliegenden Fall nicht. Aber auch in dem Zeitraum ab 1997 habe bei dem Kläger weder eine ent-schädigungspflichtige Enzephalopathie noch eine entschädigungspflichtige Polyneu-ropathie vorgelegen. Dies ergebe sich als Ergebnis der medizinischen Beweisauf-nahme. Der Kläger sei nach den Feststellungen des TAD bis 1990 grenzwertüber-schreitendem Tetrachlorethen ausgesetzt gewesen, also halogenierten Kohlenwas-serstoffen, die am zentralen Nervensystem wirkten. Eine Schädigung des zentralen Nervensystems, also eine Enzephalopathie, sei aber durch die bildgebende Dia-gnostik zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen. Einzig Dr. W erkenne im MRT vom 14. Februar 1994 mikrovasale Degenerationen im peripheren Hirnmarklager beidseits als nach seiner Einschätzung ein dahin deutendes Krankheitszeichen, während der Radiologe das MRT als altersentsprechenden leicht degenerativen Status befunde. Das CT vom 12. Juni 2002 zeige ebenfalls keine zerebralen Läsionen, sei vielmehr völlig unauffällig. Auch die durch die tätig gewordenen Psychologinnen Dr. S und Dr. K festgestellte Symptomatik rechtfertige nicht die Diagnose einer Enzephalopathie. Ein Zusammenhang mit der beruflichen Exposition sei zwar möglich, könne aber, da eindeutige Zeichen einer psychischen Fehlverarbeitung sowohl auf der Symptom- als auch auf der Verhaltensebene vorlägen, aufgrund der erheblichen neurotischen Verlagerung mit Beschwerdeausbau nicht sicher nachgewiesen bzw. abgegrenzt werden. Soweit der gerichtliche Sachverständige die Anerkennung einer toxisch bedingten Polyneuropathie als BK Nr. 1317 empfehle, vermöge die Kammer dem als Ergebnis der weiter durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu folgen. Tetrachlorethen wirke regelmäßig nicht am peripheren Nervensystem, so dass das Entstehen einer Poly-neuropathie aus diesem Grund kaum vorstellbar erscheine. Möglicherweise sei der Kläger aber anderen Stoffen ausgesetzt gewesen, die peripher wirkten. Die Diagno-se einer Polyneuropathie werde auf der Basis dementsprechender klinischer Befun-de gestellt und könne mittels neurophysiologischer Untersuchungen dargestellt wer-den. Die Nervenleitgeschwindigkeit stelle sich regelmäßig normal bis verzögert dar, klinisch imponiere eine distal betonte, meist symmetrische sensomotorische Poly-neuropathie. Aufgrund des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. M stehe für die Kammer fest, dass bei dem Kläger eine leichte distal symmetrische Polyneuropa-thie mit primär axonaler Degeneration vorliege. Damit liege ein für eine Polyneuropa-thie typischer Befund vor. Dieser werde jedoch von dem Gutachter als sehr diskret beschrieben. Sie überschreite nicht das für einen 68jährigen Mann altersphysiologi-sche Maß. In der Vergangenheit seien ebenfalls keine Befunde erhoben worden, die auf eine schwere Polyneuropathie zurückzuführen sein könnten. Auch Dr. W habe ausgeführt, dass die Symptome der Polyneuropathie in ihrer sensomotorischen Be-deutung diskret seien und in ihrer funktionellen Hinsicht geringfügig, so dass subjek-tiv auch keine Klagen geführt würden. Es widerspreche daher den maßgeblichen Er-fahrungssätzen, in einem solchen Fall eine MdE von 30 v. H. vorzuschlagen, wie es der gerichtliche Sachverständige Dr. W tue. Insgesamt sei festzustellen, dass die Folge der BK Nr. 1317, nämlich eine lösungsmittelbedingte Polyneuropathie, eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht erreiche.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, die bei ihm vorliegenden Schäden, die während der Schicht beginnenden und Stunden danach anhaltenden Rausch- und Benommenheitszustände, die teilweise an Be-wusstlosigkeit herangeführt hätten, habe er glaubhaft beschrieben. Diese könnten nur im ursächlichen Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen durch Halo-genkohlenwasserstoffe und andere Lösungsmittel gesehen werden. Im Gegensatz zu Dr. W und Dr. H stelle der Gutachter Dr. Z fest, dass durch die BK eine Ein-schränkung geistiger Informationsaufnahme und Verarbeitungsprozesse bestehe, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine MdE von 30 v. H. bedinge. Hätte sich das Sozialgericht den richtigen Ausführungen des Dr. Z bzw. Dr. W angeschlossen, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Erkrankung berufsbedingt sei und die Voraussetzungen für eine Teilrente vorlägen. Im Übrigen habe das Sozialgericht das seit Juli 2005 geänderte amtliche Merkblatt zur BK Nr. 1317 nicht berücksichtigt. Der Kläger macht geltend, schon im Zeitraum von 1951 bis 1963 bei seiner Tätigkeit in W den halogenierten Chlorkohlenwasserstoffen TRI, PER und auch TETRA in erhebli-chem Maß ausgesetzt gewesen zu sein. Aus den vorliegenden Unterlagen gehe auch hervor, dass er schon 1979 erheblich neurotoxisch geschädigt gewesen sei. Die bereits in den 70er Jahren aufgetretenen Beschwerden und Erkrankungen seien in den Gutachten festgestellt. Die geschilderten Rauschzustände, Benommenheit, Alkoholunverträglichkeit, Erektionsunfähigkeit und weitere Anzeichen deuteten auf akute Vergiftungen durch neurotoxische Arbeitsstoffe hin. Auch sei die Behauptung, dass Tetrachlorethen nicht am peripheren Nervensystem, sondern am zentralen Nervensystem wirke, unzutreffend.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. August 2005 und den Bescheid vom 04. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2000 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass bei dem Kläger eine leichte distalsymmetri¬sche Polyneuropathie ohne relevante Funktionseinschränkungen bestehe, bei der es sich nicht um die Folge einer beruflichen Lösungsmittelexposition handele. Vielmehr sei sie als normale Alterserscheinung zu werten, da sie das altersphysiologische Maß nicht überschreite. Das Krankheitsbild einer toxischen Polyneuropathie habe von Prof. Dr. M nicht festgestellt werden können. Auch die von Dr. W er¬hobenen Un-tersuchungsbefunde belegten das Krankheitsbild einer Polyneuropathie nicht. Bei einer Polyneuropathie handele es sich um ein klar definiertes Krankheits¬bild, wobei die Reflexe, vor allem an den Beinen, sehr früh ausfielen und typische socken- oder handschuhförmige Ausfälle der Sensibilität, besonders an den unteren Extremitäten, mit deutlich verkürztem Vibrationsempfinden bestünden. Trophische Störungen könnten hinzutreten, etwa Muskelatrophien, verminderte Schweißsekre¬tion, später dann trockene glatte Haut, gelegentlich Ulzera. Dr. W beschreibe in seinem klinisch-neurologischen Befund keine dieser für eine Polyneuropathie typischen Befunde. Vielmehr verweise er als Indiz für eine Polyneuropathie auf massive venöse Durch-blutungsstörungen, insbesondere an den beiden Unterschenkeln. Dies stelle jedoch kein Symptom dar, welches einer Polyneuropathie zugeordnet werden könne. Die trophischen Störungen der Haut seien dem chronisch varikösen Symp¬tomkomplex zuzuordnen. Die Impotenz sei ebenfalls kein Indiz einer Polyneuropathie, sondern allenfalls ein Symptom, wenn andere gesicherte Symptome vorlägen. Auch in der Vergangenheit, insbesondere vor den 90er Jahren, seien keine Befunde erhoben worden, die auf das Vorliegen einer schweren Polyneuropathie zurückgeführt wer-den könnten und die sich im Laufe der Zeit gebessert hätten. Hinzuweisen sei in die-sem Zusammenhang darauf, dass im Zeitraum von 1972 bis 1990 eine grenzwert-überschreitende Exposition lediglich gegenüber Tetrachlorethen (Perchlorethylen) bestanden habe. Tetrachlorethen wirke nicht am peripheren Nervensystem, sondern am zentralen Nervensystem, so dass das Entstehen einer berufsbedingten Polyneu-ropathie nicht wahrscheinlich zu machen sei. Übereinstimmung habe bei allen Gut-achtern darin bestanden, dass das Krankheitsbild einer toxischen Enzephalopathie bei dem Kläger nicht vorliege. Hier stünden die jahrzehntelang zurückreichenden neurotischen Fehlentwicklungen ganz eindeutig im Vordergrund, und zwar auch nach den von Dr. Z in seinem nervenärztlichen Gutachten erhobenen Befunden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist, Nephrologe und Umweltmediziner Prof. Dr. H am 17. Dezember 2007 ein Gutachten unter Berücksichtigung eines Zusatzgutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. J vom 15. September 2007 erstattet. Prof. Dr. H hat eine Enzephalopathie II a (kog-nitive Teilleistungsstörung, Restfolge einer Enzephalopathie), eine sensible Polyneu-ropathie, eine linksventrikuläre Hypertrophie, eine koronare Eingefäßerkrankung und eine Hypertonie diagnostiziert. Damit bestünden eine Enzephalopathie und sensible Polyneuropathie i. S. der BK Nr. 1317, die mit Wahrscheinlichkeit durch die Tätigkeit als Textilindustriemeister verursacht worden seien. Wahrscheinlich sei in den Jahren vor und zwischen 1964, 1974 und 1994 eine Enzephalopathie abgelaufen, deren Restfolgen in Gestalt kognitiver Teilleistungsstörungen heute noch bestünden. Die Erkrankungen hätten auch zu Arbeitsunfähigkeit i. S. der Krankenversicherung ge-führt, spätestens ab dem Datum der BK-Meldung, dem 01. Dezember 1994. Ab die-sem Zeitpunkt bestehe auch eine MdE von 30 v. H. Die Enzephalopathie persistiere. Es sei weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung eingetreten. Die Sym-ptome der sensiblen Polyneuropathie seien rückläufig.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H vom 11. August 2008 veranlasst, in der er ausgeführt hat, dass zur Zeit Restfolgen einer Enzephalopathie nachzuweisen seien, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Folgen einer vor 1997 mehr-fach abgelaufenen Enzephalopathie seien. Zu berücksichtigen sei, dass die Sym-ptome der Enzephalopathie in der Regel schleichend aufträten, bis die Beschwerden zur Anzeige führten. Aus seiner ärztlichen Sicht sei der Termin des Beginns der BK spätestens auf den Zeitpunkt der ärztlichen Anzeige über eine BK am 30. November 1994 festzusetzen.
Nach dem Hinweis des Senats, dass der geltend gemachte Anspruch an dem Stich-tag nach § 6 BKV scheitern könnte, hat der Kläger ausgeführt, dass er jedenfalls ei-nen Anspruch auf Entschädigung als Wie-BK habe. Denn die lange Verfahrensdauer könne nicht zu seinen Lasten gehen und dazu führen, dass seine berechtigten An-sprüche nun untergingen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der BK Nr. 1317 der Anlage zur BKV.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig. Streitgegenstand ist allein die Anerkennung einer BK Nr. 1317, denn in dem ange-fochtenen Bescheid ist nur die Anerkennung der BK Nr. 1317 abgelehnt, ein An-spruch auf Verletztenrente im Einzelnen jedoch nicht geprüft worden. Streitig ist auch nicht die Anerkennung anderer BKen der Gruppe 13 der Anlage zur BKV oder einer Wie-BK nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), denn eine überprüfbare Ent-scheidung der Beklagten – und auch des Sozialgerichts - über eine andere BK als die nach Nr. 1317 der BKV liegt hier nicht vor. Wie jeder Arbeitsunfall stellt auch jede BK einen eigenen Versicherungsfall dar, über dessen Anerkennung von der Berufs-genossenschaft jeweils eigenständig zu entscheiden ist. Eine Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer BK kann sich angesichts der völlig verschiede-nen Voraussetzungen der Vielzahl von BKen in der Anlage zur BKV sowie die even-tuell zu prüfenden Wie-BKen deshalb immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 4-2700 § 9 Nr. 13 und in SozR 4-1500 § 55 Nr. 4). Die Beklagte hat zwar in dem angefochtenen Bescheid zusätzlich zur Ablehnung der BK Nr. 1317 auch lapidar die Anerkennung einer anderen Erkran-kung nach der Gruppe 13 der BKV abgelehnt und ihre Ermittlungen hatten sich an-fangs auch auf die BK Nr. 1302 konzentriert. Allerdings enthält die Begründung des Bescheids vom 04. März 1999 und des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2000 keine konkreten Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen der weiteren BKen der Gruppe 13. Die Beklagte hat sich inhaltlich allein mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der BK Nr. 1317 auseinandergesetzt. Die Ablehnung der Anerken-nung anderer BKen nach der Gruppe 13 kann deshalb nur als inhaltsleere Floskel aufgefasst werden. Zudem hat der Kläger die Anerkennung einer anderen BK als der BK Nr. 1317 oder eine Wie-BK weder im Widerspruchs- noch im erstinstanzlichen Verfahren begehrt und schließlich auch nicht im Berufungsverfahren beantragt.
Der von dem Kläger verfolgte Anspruch richtet sich noch nach den bis zum 31. De-zember 1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil der geltend gemachte Versiche-rungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten sein soll (§ 212 SGB VII).
Als Versicherungsfall gilt nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustim-mung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tä-tigkeit erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sog. Listenkrankheiten vor. Mit Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997, die am 01. Dezember 1997 in Kraft trat (§ 8 Abs. 1 BKV), wurde die Anlage zur BKV u. a. um die Nr. 1317 erweitert.
Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie vorliegen, die durch organische Lö-sungsmittel oder deren Gemische entstanden ist, deren Einwirkungen der Versicher-te infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt war. Dabei ist ein ursächlicher Zu-sammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Ein-wirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen i. S. des "Vollbeweises", al-so mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinrei-chende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. BSG in SozR 4-5671 § 6 Nr. 2 m. w. N.). Aufgrund der Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV kommt eine Aner-kennung der BK Nr. 1317 darüber hinaus nur in Betracht, wenn der Versicherte am 01. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nr. 1317 leidet und der Versicherungs-fall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Der Versicherungsfall meint im Sinne dieser Vorschrift das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer BK (§ 551 Abs. 1 SGB VII; vgl. BSG, Urteil vom 13. Juni 2006 – B 8 KN 3/05 U R – und in SozR 3-2200 § 551 Nr. 13).
Diese Voraussetzungen sind nicht in vollem Umfang erfüllt.
Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die arbeitstechnischen Vorausset-zungen erfüllt sind. Der Kläger war nach den Ermittlungen des TAD aufgrund seiner versicherten Tätigkeit als Textilfärber zumindest ab 1972 bis zu seinem Einsatz in einem Labor ab 1990 neurotoxischen Stoffen in Form von PER (Tetrachlorethen) bzw. Methylenchlorid in grenzwertüberschreitender Menge ausgesetzt. Für die Zeit von 1951, dem Beginn seiner beruflichen Tätigkeit in der Textilfärbeindustrie, bis 1971 haben sich keine verlässlichen Erkenntnisse gewinnen lassen, die den Nach-weis einer gefährdenden Exposition durch Lösungsmittel erbringen. Zwar konnten die Zeugen H und H für die Jahre 1951 bis Januar 1963 den Einsatz von TRI, PER und TETRA bestätigen, eine Aussage zur quantitativen Lösungsmittelexposition war dem TAD jedoch mangels Messwerten nicht möglich (Berichte des TAD vom 22. Au-gust und 11. September 1995). Gleiches gilt für die Zeit ab 1990 bis zur Insolvenz des letzten Arbeitgebers im Jahr 1994 bzw. der dauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 28. Juni 1994. Der Kläger behauptet nur pauschal eine gefährdende Exposition auch ab 1990, bezieht sich dafür aber nur auf ein nicht aussagekräftiges Attest der Ärztin von H vom 06. Dezember 1995. TRI, PER und TETRA gehören zu den organischen Lösungsmitteln und deren Gemi-schen im Sinne der BK Nr. 1317 (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1317 der Anlage zur BKV in der Bekanntmachung des BMGS, BArbBl. 2005 H. 3 S. 49, Anm. I; Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2009, Kap. 5.8.1; s. auch Bericht des TAD vom 02. Dezember 1998). Der TAD hat außerdem die Ver-wendung von Xylol ermittelt. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein organisches Lö-sungsmittel i. S. der BK Nr. 1317. Xylol im verwendeten Carrier hatte nach den Fest-stellungen des TAD jedoch den zulässigen MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatzkon-zentration) unterschritten.
Damit sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 1317 erfüllt, nicht jedoch die medizinischen Voraussetzungen. Zur Pathophysiologie der BK Nr. 1317 ist zu beachten, dass organische Lösungsmit-tel aufgrund ihrer Flüchtigkeit vorwiegend über die Lungen eingeatmet, zum Teil auch durch die Haut resorbiert werden. Nach der Aufnahme verteilen sie sich im ganzen Organismus, insbesondere auch im Nervensystem. Anschließend werden sie zum Teil unverändert wieder abgeatmet und zum Teil metabolisiert (verstoff-wechselt) über die Nerven ausgeschieden. Grundsätzlich können alle organischen Lösungsmittel über kurzfristige Membranwirkungen an der Nervenzelle zu flüchtigen pränarkotischen Symptomen und sogar zu einer Narkose führen. Die eigentliche Dauerwirkung neurotoxischer Lösungsmittel mit dem Endergebnis einer Polyneuro-pathie oder Enzephalopathie beruht dagegen auf ihrer Biotransformation zu neuroto-xischen Metaboliten. Die Angriffspunkte dieser Metaboliten in der Nervenzelle sind unterschiedlich und zum Teil noch nicht geklärt (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. II).
Dem klinischen Krankheitsbild einer Enzephalopathie liegt ein organisches Psycho-syndrom zugrunde. Zentral bedingte neurologische Symptome wie Ataxie, Tremor, Dysdiadochokinese sind eher selten und treten meist in fortgeschrittenen Krank-heitsstadien auf. Die Bezeichnung "Demenz" erscheint im Hinblick auf die Definition der traditionellen deutschen Psychiatrie nicht zutreffend, da hierunter irreversible Störungen der Intelligenz verstanden werden. Moderne bildgebende Verfahren kön-nen einen Beitrag zur Eingrenzung der Diagnose leisten. Die morphometrischen Me-thoden der kranialen Computertomographie und der Magnetresonanztomographie liefern zwar keine artdiagnostischen Befunde, dienen aber dem Ausschluss anderer zerebraler Erkrankungen und der exakten Verlaufsbeobachtung. Zum Krankheitsver-lauf ist zu beachten, dass grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwi-schen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn besteht, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Ein längeres Intervall zwischen der letzten Exposition und dem Krankheitsbeginn ist to-xologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertzeiten der neurotoxischen Lösungsmittel zurückzuführen ist. Ein Fortbestehen oder eine leichte Minderung des Symptomerlebens sowie ein Fortbestehen oder eine leichte Minde-rung vorhandener psychischer Leistungsdefizite nach Expositionsende sind der am häufigsten beobachtete Verlauf der Erkrankung an einer Enzephalopathie. Die Pro-gredienz einer toxischen Enzephalopathie nach Expositionsende ist nicht der wahr-scheinliche Verlauf der Erkrankung. Nur für den Fall sehr hoher und langer Lö-sungsmittelexpositionen wäre zur Erklärung eines progredienten Verlaufs eine sich wechselseitig verstärkende Wirkung von Alterungs- und Expositionseffekten zu be-denken (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 5.8.2; Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. II. und III.).
Nach Auswertung der im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten und unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen hat der Senat er-hebliche Zweifel, dass dem Kläger der Nachweis gelungen ist, am 01. Dezember 1997 an einer Enzephalopathie zu leiden. Das Sozialgericht hat sich eingehend mit den vorliegenden Gutachten, die zu dieser Frage im Verwaltungs- und Sozialgericht-lichen Verfahren eingeholt worden sind, auseinandergesetzt und die Gründe darge-legt, die gegen die gesicherte Diagnose einer Enzephalopathie sprechen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Gründe der erstinstanz-lichen Entscheidung Bezug, § 153 Abs. 2 SGG. Durch die MRT-Untersuchung vom 14. Februar 1994 sind nur ein altersentsprechender leicht degenerativer Status und keine Hinweise auf tumoröse oder entzündliche Veränderungen festgestellt worden. Insbesondere fand sich kein Anhalt für eine Enzephalomyelitis disseminata. Frische ischämische infarktverdächtige Veränderungen, Gefäßmissbildungen oder parasitäre Hirnprozesse wurden ausgeschlossen. Auch durch die Computertomographie des Kopfes vom 25. Mai 1993 und das EEG vom 10. Juni 1993 haben sich keine patho-logischen Befunde ergeben. Damit ist zwar eine - andere - zerebrale Erkrankung nicht nachgewiesen. Anamnese und Symptomatik lassen aber keinen eindeutigen Schluss auf eine Enzephalopathie zu. Der Kläger litt schon in frühen Jahren an einer Neurose mit Beschwerdeausbau, weshalb die Diagnose einer Enzephalopathie er-schwert ist. Es bestehen nach den psychologischen Testungen zudem eindeutige Zeichen einer psychischen Fehlverarbeitung auf der Symptom- und der Verhaltens-ebene.
Soweit der im Berufungsverfahren nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. H und der Zusatzgutachter Dr. J in ihren Gutachten vom 15. September 2007 und 17. Dezember 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 11. August 2008 eine Enzephalopathie diagnostiziert haben, vermag den Senat diese Einschät-zung nicht zu überzeugen. Dr. J ist nach Auswertung der psychologischen Testverfahren und der anamnesti-schen Angaben des Klägers insbesondere zu seiner schulischen und beruflichen Entwicklung zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe 1997 u. a. noch eine kognitive Teilleistungsstörung als Restfolge einer vor 1997 durchgemachten, mehr-fach abgelaufenen Enzephalopathie. Bei den Testverfahren hat sich, in Überein-stimmung mit der psychologischen Testung insbesondere durch Dr. K in ihrer psy-chodiagnostischen Zusatzuntersuchung vom 14. Oktober 2002, eine auffällige Funk-tionsstörung des Gedächtnisses (Defizite bei der Erinnerung und Wiederabrufbar-keit) gezeigt, während die übrigen Testergebnisse altersentsprechend und besser (insbesondere im Bereich Aufmerksamkeit und Konzentration) ausgefallen sind. Während jedoch Dr. K vorsichtig davon spricht, der Befund deute auf eine eher ein-gegrenzte hirnorganische Schädigung hin, ordnet Dr. J die Störung der Gedächtnis-funktion einer am ehesten erworbenen Schädigung des Hirns zu und begründet dies mit der Anamnese und der einst ungestörten Fähigkeit, Schule und Gesellenprüfung zu absolvieren. Der Leistungseinbruch sei auf die Zeit vor dem Besuch der Meister-schule Anfang der 1960er Jahre einzugrenzen. Den Beginn der Erkrankung ordnet er dem Jahr 1964 zu, dem erstmaligen Aufenthalt in der Landesklinik T. Der Sach-verständige ist davon ausgegangen, dass bei dem Kläger mit großer Wahrschein-lichkeit sowohl gesunde als auch psychoneurotisch krankhafte Persönlichkeitsanteile vorliegen, welche allerdings allein nicht in der Lage seien, das komplexe Beschwer-debild mit den sich wiederholenden Krisen in den Jahren 1964, 1974 und 1994 ur-sächlich zu erklären. Er hat dann – in Übereinstimmung mit Dr. K und Dr. S - aus-führlich dargelegt, dass die anamnestisch ermittelten Beschwerden und Symptome sowohl Ausdruck einer primär psychogenen Störung als auch einer neurotoxischen Enzephalopathie mit sekundärer, reaktiver psychogener Störung sein könnten. Er hat im Einzelnen – ebenfalls wie Dr. K und Dr. S – die konkurrierenden Ursachen diskutiert und abschließend dargelegt, dass nur eine Annäherung möglich sei, nicht aber eine "entweder-oder"-Entscheidung. Die entscheidende Frage nach der We-sentlichkeit einer Ursache hat Dr. J damit offen gelassen. Unter Berücksichtigung der auch im Sozialrecht geltenden Beweislastverteilung, wonach derjenige die Beweis-last trägt für das Vorliegen der Tatsachen, die den geltend gemachten Anspruch stützen, wäre der Kläger damit beweispflichtig geblieben. Prof. Dr. H diskutiert weder das Vorliegen einer Enzephalopathie an sich noch einer toxischen Enzephalopathie. Er stellt allein auf die Funktionsstörungen des Gedächt-nisses und die Lösungsmittelexposition ab, schließt den Diabetes mellitus und die Belastung durch Holzschutzmittel im Wochenendhaus aus chronologischen Gründen aus und kommt zu dem Schluss, es bestünde zur Zeit noch die Restfolge einer in den Jahren vor und zwischen 1964, 1974 und 1994 abgelaufenen toxischen En-zephalopathie Grad IIa. Die Abgrenzung verschiedener Teilursachen, die noch Dr. J angeführt und ihm als Hauptgutachter überlassen hat, wird von dem Sachverständi-gen nicht einmal erwähnt. Sein Hauptargument ist allein, dass das Symp¬tom einer kognitiven Leistungseinschränkung das Kriterium für die Anerkennung der BK Nr. 1317 sei. Dem kann unter Berücksichtigung der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.2 bis 5.8.4) nicht gefolgt werden. Seine Einstufung in den Schweregrad IIa (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.4) ist angesichts des psychopathologischen Befunds außerdem nicht nachvollziehbar. Eine Auseinandersetzung mit den von seiner Auffassung ab-weichenden Sachverständigen ist ebenso wenig erfolgt wie mit dem fehlenden Nachweis des Umfangs der beruflichen Exposition mit Lösungsmitteln gerade in dem Zeitraum von 1951 bis Mitte 1964.
Der Senat kann die Frage, ob bei dem Kläger eine Enzephalopathie nachgewiesen ist, letztendlich dahinstehen lassen. Er muss auch nicht entscheiden, ob die En-zephalopathie wahrscheinlich durch die berufliche Exposition mit organischen Lö-sungsmitteln oder deren Gemischen verursacht worden ist. Selbst wenn der Senat davon ausginge, käme eine Anerkennung der BK Nr. 1317 in Bezug auf die En-zephalopathie wegen der Rückwirkungsregelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV nicht in Betracht, da nach den Ausführungen von Prof. Dr. H und Dr. J der Versicherungsfall schon 1964 und damit vor dem 01. Januar 1993 eingetreten wäre, denn seit diesem Zeitpunkt leide der Kläger an der Listenkrankheit.
Eine Anerkennung der BK Nr. 1317 kommt auch nicht wegen einer Erkrankung des Klägers an Polyneuropathie in Betracht. Die peripher neurotoxisch wirksamen organischen Chemikalien verursachen in der Regel eine sensible bzw. senso-motorische Polyneuropathie vom axonalen Typ. Die Diagnose kann auf der Basis typischer klinischer Befunde und mittels neurophysio-logischer Methoden gestellt werden. Ebenso wie bei der Enzephalopathie besteht grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Die toxische Polyneuropathie kann nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologi-schen Symptomatik, wobei im Einzelfall Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren können. Bei fortbestehenden poly-neuropathiebedingten Störungen ist die Frage BK-unabhängiger Ursachen im Sinne rechtlich konkurrierender Ursachen zu prüfen, die etwa mit zunehmendem Zeitab-stand zum Expositionsende in den Vordergrund treten (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.2 und 5.8.4; Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. III). Der Verdacht auf eine distale Polyneuropathie der Beine ist von Dr. L in seinem un-datierten Bericht aufgrund einer Untersuchung am 04. Mai 1995 erstmals gestellt und von Dr. Z bei seiner Untersuchung im August 1997 bestätigt worden. Es sei zu einer leichten klinischen Besserung des peripheren Schadens seit 1995 gekommen. Diese Erkrankung stehe mit der beruflichen Lösungsmittelexposition in Zusammen-hang. Zu dieser Auffassung ist auch Dr. W gelangt. Der Neurologe Dr. R hat in sei-ner gutachterlichen Stellungnahme vom 09. Juli 2002 darauf hingewiesen, dass die Latenzen der Medianus-SEPs und der Tibialis-SEPs beidseits verzögert seien. Typi-scherweise fänden sich Verzögerungen der Latenzen der evozierten Potentiale bei Erkrankungen der peripheren Nerven und der Wirbelsäule mit Kompressionen des Rückenmarks. Die angeregte neurologische Untersuchung ist dann von Prof. Dr. M/B am 21. Juni 2004 durchgeführt worden, der eine leichte distal symmetrische Po-lyneuropathie mit primär axonaler Degeneration diagnostiziert hat. Die Polyneuropa-thie ist als sehr diskret eingestuft worden ohne Nachweis relevanter Funktionsein-schränkungen. Der Kläger habe spontan auch keine subjektiven Beschwerden ge-klagt, die auf die Polyneuropathie zurückgeführt werden könnten. Die lediglich auf Nachfrage geklagten Beschwerden würden einen viel graviererenden neurologi-schen Befund erwarten lassen, als er tatsächlich erhoben worden sei. Auch Dr. J be-zeichnet die Polyneuropathie, die erst seit 1995 nachweisbar sei, als leichtgradig sensibel. Ob die Polyneuropathie toxisch verursacht worden ist, hat Dr. J ausdrück-lich offen gelassen, allerdings hat er die Auffassung vertreten, der Zustand sei nicht altersentsprechend. Prof. Dr. H als Hauptgutachter hat sich ausschließlich mit der Verursachung der von ihm angenommenen Enzephalopathie beschäftigt. Ausfüh-rungen zur Verursachung der Polyneuropathie sind seinem Gutachten nicht zu ent-nehmen. Unter Berücksichtigung der bereits zitierten unfallmedizinischen Literatur hat der Se-nat keine Bedenken, der Auffassung von Prof. D zu folgen, der eine toxische Verur-sachung nicht für wahrscheinlich hält. Denn es fehlt nicht nur der Nachweis von lö-sungsmittelinduzierten Wirkungen an anderen Organen und damit an Brückensym-ptomen. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass PER regelmäßig nicht am peri-pheren Nervensystem wirkt, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, und die Wirkung von TRI auf das periphere Nervensystem fraglich ist (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 5.8.1). Dazu gibt es keinerlei sachverständige Äußerung. Es fehlt auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Beendi-gung der Exposition mit organischen Lösungsmitteln 1990 und der erstmaligen Fest-stellung der geringgradigen Polyneuropathie im Mai 1995. Dieses Kriterium ist weder von Dr. W noch von Dr. Z, die den Kausalzusammenhang bejahen, berücksichtigt worden.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG:
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 der Anlage zur Be-rufskrankheitenverordnung (BKV) – Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische -.
Der 1935 geborene Kläger war nach seinen Angaben seit dem 05. April 1951 bis zum 15. August 1964 als Textilfärber, vom 17. August 1964 bis zum 30. September 1966 als Wollfärber, vom 03. Oktober 1966 bis zum 31. Juli 1971 als Maschinenfüh-rer und Strichätzer, vom 05. Oktober 1972 bis 1989 als Färbereimeister und schließlich ab 1990 bis September 1994 (Insolvenz des Arbeitgebers) als Laborant in W, G und zuletzt in B tätig. Ab dem 28. Juni 1994 war der Kläger wegen eines depressiven Syndroms und Tinnitus arbeitsunfähig krank. Am 12. Dezember 1994 erstattete der Allgemeinmediziner Dr. W, Leiter der um-weltmedizinischen Ambulanz des Zentrums für A- und U e. V. in B, eine ärztliche Anzeige über eine BK, in der er angab, er nehme das Vorliegen der BK Nr. 1301 an, denn bei dem Kläger liege ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS) vor. Der Kläger sei psychisch allseits deutlich verlangsamt, depressiv ver-stimmt und antriebsgemindert. Es bestehe ein Tinnitus aurium und im MRT seien mikrovasale Degenerationen im peripheren Hirnmarklager beidseits nachgewiesen. Bereits 1964 sei das HOPS als depressive Neurose missgedeutet worden. Eine Enzephalomyelitis disseminata werde ausgeschlossen. Es habe eine Belastung mit Holzschutzmitteln bestanden.
Die Beklagte nahm daraufhin umfangreiche Ermittlungen auf medizinischem und ar-beitstechnischem Gebiet vor. Sie holte eine Vielzahl medizinischer Unterlagen ein, unter anderem den Heilverfahrensentlassungsbericht der Landesklinik T vom 08. September 1994 (Kostenträger war die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte), aus dessen Anamnese sich ergibt, dass der Kläger sich dort schon 1964 und 1974 wegen depressiver Zustände sowie psychogener Impotenz bei schizoid-depressiver Charakterstruktur aufgehalten hatte. Weiter lagen vor der Bericht einer MRT-Untersuchung des Gehirns vom 14. Februar 1994, ein Bericht des Neurologen und Psychiaters M vom 15. Juni 1993, der Bericht einer Computertomographie des Kop-fes vom 25. Mai 1993, Verzeichnisse der Techniker Krankenkasse, der AOK G und der AOK W mit Vorerkrankungen in den Jahren 1964 und 1971 wegen Psycho- bzw. Zwangsneurose sowie Berichte des Dr. W vom 28. Juni 1994 und 24. April 1994, der den Kläger seit dem 05. April 1994 behandelte. Der Arzt hielt einen ursächlichen Zu-sammenhang zwischen der beruflichen Langzeitexposition gegenüber Lösungsmit-teln von 1951 bis 1964 und einer diffusen Hirnschädigung für überwiegend wahr-scheinlich. Die 1964, 1974 und 1994 gestellten Diagnosen "depressiver Zustand, psychogene Impotenz, depressive Neurose usw." müssten nach der Verlaufsbeo-bachtung und in Kenntnis der Expositionen gegenüber hirntoxischen Substanzen ernsthaft in Zweifel gestellt werden. Die außerberufliche Einwirkung neurotoxischer Wirkstoffe durch im Innenraum eingesetzte Holzschutzmittel (Xyladecor und Xyla-mon) habe die toxische Enzephalopathie mit hoher Wahrscheinlichkeit verstärkt. Weiter wurde beigezogen ein Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 13. Oktober 1994, der die Verdachtsdiagnose stellte: hirnorganisches Psycho-syndrom auf der Grundlage einer Mikroangiopathie des Hirns und psychische Ver-änderungen vorwiegend auf zerebrale Mikroangiopathie zurückführbar. Außerdem lag der Bericht des Fachkrankenhauses N vom 06. Juni 1995 über den Zustand nach Chemikalienexposition (multiple chemical sensitivity?) vor sowie ein Attest der Ärztin von H vom 06. Dezember 1995, wonach seit 1990 im Labor mit Verdünner und Lö-sungsmittel vermehrt Kontakt bestanden habe.
Parallel dazu versuchte die Beklagte Auskünfte der ehemaligen Arbeitgeber zu den Belastungen des Klägers während seiner Tätigkeiten dort zu erlangen. Soweit die Betriebe mittlerweile insolvent waren, wurden ehemalige Arbeitskollegen des Klägers befragt und auch Auskünfte von Chemikalien herstellenden Firmen eingeholt. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) wertete die Auskünfte und die Er-gebnisse der Betriebsbesichtigungen in Stellungnahmen vom 06. Juli 1995, 18. Juli 1995, 22. August 1995, 11. September 1995, 29. Oktober 1998 und 02. Dezember 1998 aus. Abschließend gelangte er zu der Auffassung, der Kläger sei bis ca. 1987 bezüglich PER (Tetrachlorethen) exponiert gewesen. Aus dem Aktenvermerk eines Sachbearbeiters der Beklagten vom 04. Dezember 1998 ergibt sich, dass die Be-klagte unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und der Zeugen von einer grenzwertüberschreitenden Exposition gegenüber Lösungsmittelgemischen i. S. der BK Nr. 1317 im Zeitraum von 1972 bis 1990 ausging. Ein genauer Zeitpunkt sei nicht bekannt und werde auch wohl nicht mehr zu ermitteln sein. Ab 1990 sei der Kläger jedenfalls im Textillabor eingesetzt worden und habe dort Stoffstücke zuschneiden müssen. Eine Lösungsmittelexposition habe dabei nicht bestanden.
Die Beklagte veranlasste schließlich eine arbeitsmedizinisch-neuropsychiatrische Begutachtung durch Dr. Z am 30. Juni 1998, der bei dem Kläger unter Berücksichti-gung einer psychodiagnostischen Zusatzuntersuchung durch die Diplompsychologin Dr. S vom 12. August 1997 eine primäre psychische Fehlentwicklung mit aggressiver Gehemmtheit und neurotischem und teilweise somatopsychischem Beschwerdeaus-bau, ein lösungsmittelbedingtes toxisches psychorganisches Syndrom, eine subklini-sche, wahrscheinlich toxisch bedingte, Polyneuropathie der Beine, ein chronisches Erysipel und einen Tinnitus aurium diagnostizierte. Es müsse das Vorliegen der haf-tungsbegründenden Kausalität einer BK durch organische Lösungsmittel bei dem Kläger festgestellt werden. Zudem sei durch die psychorganische und polyneuro-pathische Symptomatik des Klägers die haftungsausfüllende Kausalität für das Vor-liegen einer BK durch Halogenkohlenwasserstoffe (BK Nr. 1302) gegeben. Die neu-rotoxische Hauptpotenz im Expositionsspektrum des Klägers sei dem PER zuzuer-kennen. Ein direkter Zusammenhang zwischen den beruflichen Faktoren und dem chronischen Erysipel und dem Tinnitus bestehe dagegen nicht. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v. H.
Anschließend beauftragte die Beklagte Dr. H mit der Erstattung eines nervenärztlich-sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage, das dieser am 14. Dezember 1998 erstellte. Der Gutachter stellte fest, auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehe eine über Jahrzehnte zurückreichende krankheitswertige schwere neurotische Fehlent-wicklung mit Tendenz zum Beschwerdenausbau. Eine Enzephalopathie auch leichte-ren Grades sei nicht hinreichend nachgewiesen. Eine sehr dezente Polyneuropathie der Beine habe kein nachweisbares klinisches Korrelat. Das Vorliegen der BK Nr. 1317 müsse nach Diskussion der für und gegen einen Ursachenzusammenhang sprechenden Faktoren verneint werden.
Nach Anhörung des Gewerbearztes F lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 1317 oder einer anderen BK der Gruppe 13 mit Bescheid vom 04. März 1999 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs bezog sich der Kläger auf eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. W vom 22. April 1999, der unter anderem ausführte, der Kläger sei bereits 1962 nach langjähriger Exposition an einem für Lö-sungsmitteleinwirkungen charakteristischen Beschwerdekomplex erkrankt. Seitdem sei er mit einem qualitativ annähernd gleichen Beschwerdebild krank gewesen. Daraufhin holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H vom 03. September 1999 ein, der bei seiner Auffassung verblieb. Dazu legte der Kläger eine weitere Stellungnahme von Dr. W vom 30. März 2000 vor. Der Kläger machte dar-über hinaus geltend, bis 1994 Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen zu sein. Dies er-gebe sich aus der Stellungnahme der Betriebsärztin von H vom 06. Dezember 1995. Er bezog sich im Weiteren auf ein Schreiben des Landesamts für Arbeitsschutz und technische Sicherheit vom 22. Mai 1996, in dem darauf verwiesen wurde, dass bei der Firma T und A in B die Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2000 wies die Beklagte den Widerspruch, gestützt auf die Ausführungen von Dr. H, zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, zu deren Be-gründung er sich auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren berufen hat.
Das Sozialgericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts den Facharzt für Arbeitsmedi-zin, Praktischer Arzt/Umweltmedizin Dr. W mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat am 11. Januar 2003 sein Gutachten erstattet und sich dabei auf eine Stellungnahme des Neurologen Dr. R vom 09. Juli 2002 über die Durchführung einer Zusatzuntersuchung sowie einen von Dr. K erhobenen psycho-diagnostischen Befund vom 14. Oktober 2002 gestützt. Dr. R hat ein altersentspre-chend normales EEG festgestellt, ohne eine für eine toxische Schädigung typische Verlangsamung. Dr. K hat den Befund einer Hirnleistungsschwäche erhoben, die auf eine toxische Enzephalopathie hinweisen könne. Dr. W hat eine depressive Neuro-se, Hirnleistungsschwäche, Polyneuropathie, diskrete zerebrale Durchblutungsstö-rung, eine dezente degenerative zerebrale Veränderung und degenerative Verände-rungen der Wirbelsäule, eine Jodallergie, Bluthochdruck, Impotenz und eine chroni-sche venöse Insuffizienz diagnostiziert. Es sprächen sowohl Anzeichen gegen als auch für eine beruflich bedingte Erkrankung, so dass er mit überzeugender Wahr-scheinlichkeit die Anerkennung des Beschwerdekomplexes im Sinne einer toxischen Enzephalopathie als BK nicht empfehlen könne. Davon ausgenommen werden müs-se die eindeutig belegte Polyneuropathie. Die Symptome der Polyneuropathie seien in ihrer sensomotorischen Bedeutung diskret und in funktioneller Hinsicht geringfü-gig. Bei der Bewertung der MdE müsse aber auf die schweren trophischen Störun-gen der Haut und die massiven venösen Durchblutungsstörungen, insbesondere an beiden Unterschenkeln, sowie die Impotenz verwiesen werden. Hier sei es in Würdi-gung der Situation im Hinblick auf die gesamten Lebensverhältnisse angezeigt, min-destens von einer mittelschweren Polyneuropathie auszugehen. Bei einer Berufstä-tigkeit würde die venöse Insuffizienz mit den rezidivierenden Entzündungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen. Nach den Richtlinien liege die MdE bei 30 v. H.
Zu dem Ergebnis der Begutachtung hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stel-lungnahme von Dr. H vom 18. Februar 2003 vorgelegt, der ausgeführt hat, es beste-he Übereinstimmung mit Dr. W hinsichtlich einer nicht existenten toxischen Enzepha-lopathie. Es liege aber auch keine neurotoxisch bedingte Polyneuropathie vor. Dies hat das Sozialgericht veranlasst, eine ergänzende Stellungnahme von Dr. W vom 17. Mai 2003 einzuholen, der bei seiner Auffassung verblieben ist. Dazu hat die Beklagte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H vom 30. Juni 2003 eingereicht.
Schließlich hat das Sozialgericht ein neurologisches Gutachten von Prof. Dr. M/B vom 21. Juni 2004 eingeholt. Dieser hat aufgrund einer elektrophysiologischen Un-tersuchung eine leichte distal symmetrische Polyneuropathie mit axonaler Degenera-tion diagnostiziert. Diese sei jedoch als sehr diskret einzustufen, da im neurologi-schen Untersuchungsbefund keine relevanten Funktionseinschränkungen nachzu-weisen seien. Weiterhin sei die Blutdruckregulation im Schellongtest unauffällig, so-mit finde sich hier kein Hinweis auf eine autonome Polyneuropathie. Der Kläger be-klage spontan keine Beschwerden, die auf die Polyneuropathie zurückzuführen sei-en. Lediglich auf Nachfrage äußere er Beschwerden. Diese seien jedoch im Rahmen der gesamten Situation auf die Somatisierungsstörung des Klägers zu beziehen. Würden die Beschwerden im Rahmen einer Polyneuropathie auftreten, wäre ein viel gravierender neurologischer Befund zu erwarten. Weiterhin entsprächen die Sym-ptome nicht der zu erwartenden Topographie. Damit bestehe zwar eine Polyneuro-pathie, jedoch sei diese nicht auf die berufliche Exposition mit Lösungsmitteln zu-rückzuführen, da sie das altersphysiologische Maß für einen 68jährigen nicht über-schreite. Es liege somit keine Gesundheitsstörung im Sinne der BK Nr. 1317 vor.
Der Kläger hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anzuschließen vermocht und sich auf eine weitere Stellungnahme von Dr. W vom 21. September 2004 bezo-gen.
Durch Urteil vom 09. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine BK Nr. 1317 bestehe bei dem Kläger nicht. Die BK Nr. 1317 sei erst 1997 in die Liste der BK aufgenommen worden. Mithin könnten entsprechende Krankheitsbilder erst ab 1997 entschädigt werden. Feststellungen und Ausführungen zu den davor liegenden Zeiträumen bedürfe es im vorliegenden Fall nicht. Aber auch in dem Zeitraum ab 1997 habe bei dem Kläger weder eine ent-schädigungspflichtige Enzephalopathie noch eine entschädigungspflichtige Polyneu-ropathie vorgelegen. Dies ergebe sich als Ergebnis der medizinischen Beweisauf-nahme. Der Kläger sei nach den Feststellungen des TAD bis 1990 grenzwertüber-schreitendem Tetrachlorethen ausgesetzt gewesen, also halogenierten Kohlenwas-serstoffen, die am zentralen Nervensystem wirkten. Eine Schädigung des zentralen Nervensystems, also eine Enzephalopathie, sei aber durch die bildgebende Dia-gnostik zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen. Einzig Dr. W erkenne im MRT vom 14. Februar 1994 mikrovasale Degenerationen im peripheren Hirnmarklager beidseits als nach seiner Einschätzung ein dahin deutendes Krankheitszeichen, während der Radiologe das MRT als altersentsprechenden leicht degenerativen Status befunde. Das CT vom 12. Juni 2002 zeige ebenfalls keine zerebralen Läsionen, sei vielmehr völlig unauffällig. Auch die durch die tätig gewordenen Psychologinnen Dr. S und Dr. K festgestellte Symptomatik rechtfertige nicht die Diagnose einer Enzephalopathie. Ein Zusammenhang mit der beruflichen Exposition sei zwar möglich, könne aber, da eindeutige Zeichen einer psychischen Fehlverarbeitung sowohl auf der Symptom- als auch auf der Verhaltensebene vorlägen, aufgrund der erheblichen neurotischen Verlagerung mit Beschwerdeausbau nicht sicher nachgewiesen bzw. abgegrenzt werden. Soweit der gerichtliche Sachverständige die Anerkennung einer toxisch bedingten Polyneuropathie als BK Nr. 1317 empfehle, vermöge die Kammer dem als Ergebnis der weiter durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu folgen. Tetrachlorethen wirke regelmäßig nicht am peripheren Nervensystem, so dass das Entstehen einer Poly-neuropathie aus diesem Grund kaum vorstellbar erscheine. Möglicherweise sei der Kläger aber anderen Stoffen ausgesetzt gewesen, die peripher wirkten. Die Diagno-se einer Polyneuropathie werde auf der Basis dementsprechender klinischer Befun-de gestellt und könne mittels neurophysiologischer Untersuchungen dargestellt wer-den. Die Nervenleitgeschwindigkeit stelle sich regelmäßig normal bis verzögert dar, klinisch imponiere eine distal betonte, meist symmetrische sensomotorische Poly-neuropathie. Aufgrund des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. M stehe für die Kammer fest, dass bei dem Kläger eine leichte distal symmetrische Polyneuropa-thie mit primär axonaler Degeneration vorliege. Damit liege ein für eine Polyneuropa-thie typischer Befund vor. Dieser werde jedoch von dem Gutachter als sehr diskret beschrieben. Sie überschreite nicht das für einen 68jährigen Mann altersphysiologi-sche Maß. In der Vergangenheit seien ebenfalls keine Befunde erhoben worden, die auf eine schwere Polyneuropathie zurückzuführen sein könnten. Auch Dr. W habe ausgeführt, dass die Symptome der Polyneuropathie in ihrer sensomotorischen Be-deutung diskret seien und in ihrer funktionellen Hinsicht geringfügig, so dass subjek-tiv auch keine Klagen geführt würden. Es widerspreche daher den maßgeblichen Er-fahrungssätzen, in einem solchen Fall eine MdE von 30 v. H. vorzuschlagen, wie es der gerichtliche Sachverständige Dr. W tue. Insgesamt sei festzustellen, dass die Folge der BK Nr. 1317, nämlich eine lösungsmittelbedingte Polyneuropathie, eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht erreiche.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, die bei ihm vorliegenden Schäden, die während der Schicht beginnenden und Stunden danach anhaltenden Rausch- und Benommenheitszustände, die teilweise an Be-wusstlosigkeit herangeführt hätten, habe er glaubhaft beschrieben. Diese könnten nur im ursächlichen Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen durch Halo-genkohlenwasserstoffe und andere Lösungsmittel gesehen werden. Im Gegensatz zu Dr. W und Dr. H stelle der Gutachter Dr. Z fest, dass durch die BK eine Ein-schränkung geistiger Informationsaufnahme und Verarbeitungsprozesse bestehe, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine MdE von 30 v. H. bedinge. Hätte sich das Sozialgericht den richtigen Ausführungen des Dr. Z bzw. Dr. W angeschlossen, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Erkrankung berufsbedingt sei und die Voraussetzungen für eine Teilrente vorlägen. Im Übrigen habe das Sozialgericht das seit Juli 2005 geänderte amtliche Merkblatt zur BK Nr. 1317 nicht berücksichtigt. Der Kläger macht geltend, schon im Zeitraum von 1951 bis 1963 bei seiner Tätigkeit in W den halogenierten Chlorkohlenwasserstoffen TRI, PER und auch TETRA in erhebli-chem Maß ausgesetzt gewesen zu sein. Aus den vorliegenden Unterlagen gehe auch hervor, dass er schon 1979 erheblich neurotoxisch geschädigt gewesen sei. Die bereits in den 70er Jahren aufgetretenen Beschwerden und Erkrankungen seien in den Gutachten festgestellt. Die geschilderten Rauschzustände, Benommenheit, Alkoholunverträglichkeit, Erektionsunfähigkeit und weitere Anzeichen deuteten auf akute Vergiftungen durch neurotoxische Arbeitsstoffe hin. Auch sei die Behauptung, dass Tetrachlorethen nicht am peripheren Nervensystem, sondern am zentralen Nervensystem wirke, unzutreffend.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. August 2005 und den Bescheid vom 04. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2000 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass bei dem Kläger eine leichte distalsymmetri¬sche Polyneuropathie ohne relevante Funktionseinschränkungen bestehe, bei der es sich nicht um die Folge einer beruflichen Lösungsmittelexposition handele. Vielmehr sei sie als normale Alterserscheinung zu werten, da sie das altersphysiologische Maß nicht überschreite. Das Krankheitsbild einer toxischen Polyneuropathie habe von Prof. Dr. M nicht festgestellt werden können. Auch die von Dr. W er¬hobenen Un-tersuchungsbefunde belegten das Krankheitsbild einer Polyneuropathie nicht. Bei einer Polyneuropathie handele es sich um ein klar definiertes Krankheits¬bild, wobei die Reflexe, vor allem an den Beinen, sehr früh ausfielen und typische socken- oder handschuhförmige Ausfälle der Sensibilität, besonders an den unteren Extremitäten, mit deutlich verkürztem Vibrationsempfinden bestünden. Trophische Störungen könnten hinzutreten, etwa Muskelatrophien, verminderte Schweißsekre¬tion, später dann trockene glatte Haut, gelegentlich Ulzera. Dr. W beschreibe in seinem klinisch-neurologischen Befund keine dieser für eine Polyneuropathie typischen Befunde. Vielmehr verweise er als Indiz für eine Polyneuropathie auf massive venöse Durch-blutungsstörungen, insbesondere an den beiden Unterschenkeln. Dies stelle jedoch kein Symptom dar, welches einer Polyneuropathie zugeordnet werden könne. Die trophischen Störungen der Haut seien dem chronisch varikösen Symp¬tomkomplex zuzuordnen. Die Impotenz sei ebenfalls kein Indiz einer Polyneuropathie, sondern allenfalls ein Symptom, wenn andere gesicherte Symptome vorlägen. Auch in der Vergangenheit, insbesondere vor den 90er Jahren, seien keine Befunde erhoben worden, die auf das Vorliegen einer schweren Polyneuropathie zurückgeführt wer-den könnten und die sich im Laufe der Zeit gebessert hätten. Hinzuweisen sei in die-sem Zusammenhang darauf, dass im Zeitraum von 1972 bis 1990 eine grenzwert-überschreitende Exposition lediglich gegenüber Tetrachlorethen (Perchlorethylen) bestanden habe. Tetrachlorethen wirke nicht am peripheren Nervensystem, sondern am zentralen Nervensystem, so dass das Entstehen einer berufsbedingten Polyneu-ropathie nicht wahrscheinlich zu machen sei. Übereinstimmung habe bei allen Gut-achtern darin bestanden, dass das Krankheitsbild einer toxischen Enzephalopathie bei dem Kläger nicht vorliege. Hier stünden die jahrzehntelang zurückreichenden neurotischen Fehlentwicklungen ganz eindeutig im Vordergrund, und zwar auch nach den von Dr. Z in seinem nervenärztlichen Gutachten erhobenen Befunden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist, Nephrologe und Umweltmediziner Prof. Dr. H am 17. Dezember 2007 ein Gutachten unter Berücksichtigung eines Zusatzgutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. J vom 15. September 2007 erstattet. Prof. Dr. H hat eine Enzephalopathie II a (kog-nitive Teilleistungsstörung, Restfolge einer Enzephalopathie), eine sensible Polyneu-ropathie, eine linksventrikuläre Hypertrophie, eine koronare Eingefäßerkrankung und eine Hypertonie diagnostiziert. Damit bestünden eine Enzephalopathie und sensible Polyneuropathie i. S. der BK Nr. 1317, die mit Wahrscheinlichkeit durch die Tätigkeit als Textilindustriemeister verursacht worden seien. Wahrscheinlich sei in den Jahren vor und zwischen 1964, 1974 und 1994 eine Enzephalopathie abgelaufen, deren Restfolgen in Gestalt kognitiver Teilleistungsstörungen heute noch bestünden. Die Erkrankungen hätten auch zu Arbeitsunfähigkeit i. S. der Krankenversicherung ge-führt, spätestens ab dem Datum der BK-Meldung, dem 01. Dezember 1994. Ab die-sem Zeitpunkt bestehe auch eine MdE von 30 v. H. Die Enzephalopathie persistiere. Es sei weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung eingetreten. Die Sym-ptome der sensiblen Polyneuropathie seien rückläufig.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H vom 11. August 2008 veranlasst, in der er ausgeführt hat, dass zur Zeit Restfolgen einer Enzephalopathie nachzuweisen seien, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Folgen einer vor 1997 mehr-fach abgelaufenen Enzephalopathie seien. Zu berücksichtigen sei, dass die Sym-ptome der Enzephalopathie in der Regel schleichend aufträten, bis die Beschwerden zur Anzeige führten. Aus seiner ärztlichen Sicht sei der Termin des Beginns der BK spätestens auf den Zeitpunkt der ärztlichen Anzeige über eine BK am 30. November 1994 festzusetzen.
Nach dem Hinweis des Senats, dass der geltend gemachte Anspruch an dem Stich-tag nach § 6 BKV scheitern könnte, hat der Kläger ausgeführt, dass er jedenfalls ei-nen Anspruch auf Entschädigung als Wie-BK habe. Denn die lange Verfahrensdauer könne nicht zu seinen Lasten gehen und dazu führen, dass seine berechtigten An-sprüche nun untergingen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der BK Nr. 1317 der Anlage zur BKV.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig. Streitgegenstand ist allein die Anerkennung einer BK Nr. 1317, denn in dem ange-fochtenen Bescheid ist nur die Anerkennung der BK Nr. 1317 abgelehnt, ein An-spruch auf Verletztenrente im Einzelnen jedoch nicht geprüft worden. Streitig ist auch nicht die Anerkennung anderer BKen der Gruppe 13 der Anlage zur BKV oder einer Wie-BK nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), denn eine überprüfbare Ent-scheidung der Beklagten – und auch des Sozialgerichts - über eine andere BK als die nach Nr. 1317 der BKV liegt hier nicht vor. Wie jeder Arbeitsunfall stellt auch jede BK einen eigenen Versicherungsfall dar, über dessen Anerkennung von der Berufs-genossenschaft jeweils eigenständig zu entscheiden ist. Eine Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer BK kann sich angesichts der völlig verschiede-nen Voraussetzungen der Vielzahl von BKen in der Anlage zur BKV sowie die even-tuell zu prüfenden Wie-BKen deshalb immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 4-2700 § 9 Nr. 13 und in SozR 4-1500 § 55 Nr. 4). Die Beklagte hat zwar in dem angefochtenen Bescheid zusätzlich zur Ablehnung der BK Nr. 1317 auch lapidar die Anerkennung einer anderen Erkran-kung nach der Gruppe 13 der BKV abgelehnt und ihre Ermittlungen hatten sich an-fangs auch auf die BK Nr. 1302 konzentriert. Allerdings enthält die Begründung des Bescheids vom 04. März 1999 und des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2000 keine konkreten Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen der weiteren BKen der Gruppe 13. Die Beklagte hat sich inhaltlich allein mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der BK Nr. 1317 auseinandergesetzt. Die Ablehnung der Anerken-nung anderer BKen nach der Gruppe 13 kann deshalb nur als inhaltsleere Floskel aufgefasst werden. Zudem hat der Kläger die Anerkennung einer anderen BK als der BK Nr. 1317 oder eine Wie-BK weder im Widerspruchs- noch im erstinstanzlichen Verfahren begehrt und schließlich auch nicht im Berufungsverfahren beantragt.
Der von dem Kläger verfolgte Anspruch richtet sich noch nach den bis zum 31. De-zember 1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil der geltend gemachte Versiche-rungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten sein soll (§ 212 SGB VII).
Als Versicherungsfall gilt nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustim-mung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tä-tigkeit erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sog. Listenkrankheiten vor. Mit Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997, die am 01. Dezember 1997 in Kraft trat (§ 8 Abs. 1 BKV), wurde die Anlage zur BKV u. a. um die Nr. 1317 erweitert.
Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie vorliegen, die durch organische Lö-sungsmittel oder deren Gemische entstanden ist, deren Einwirkungen der Versicher-te infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt war. Dabei ist ein ursächlicher Zu-sammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Ein-wirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen i. S. des "Vollbeweises", al-so mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinrei-chende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. BSG in SozR 4-5671 § 6 Nr. 2 m. w. N.). Aufgrund der Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV kommt eine Aner-kennung der BK Nr. 1317 darüber hinaus nur in Betracht, wenn der Versicherte am 01. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nr. 1317 leidet und der Versicherungs-fall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Der Versicherungsfall meint im Sinne dieser Vorschrift das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer BK (§ 551 Abs. 1 SGB VII; vgl. BSG, Urteil vom 13. Juni 2006 – B 8 KN 3/05 U R – und in SozR 3-2200 § 551 Nr. 13).
Diese Voraussetzungen sind nicht in vollem Umfang erfüllt.
Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die arbeitstechnischen Vorausset-zungen erfüllt sind. Der Kläger war nach den Ermittlungen des TAD aufgrund seiner versicherten Tätigkeit als Textilfärber zumindest ab 1972 bis zu seinem Einsatz in einem Labor ab 1990 neurotoxischen Stoffen in Form von PER (Tetrachlorethen) bzw. Methylenchlorid in grenzwertüberschreitender Menge ausgesetzt. Für die Zeit von 1951, dem Beginn seiner beruflichen Tätigkeit in der Textilfärbeindustrie, bis 1971 haben sich keine verlässlichen Erkenntnisse gewinnen lassen, die den Nach-weis einer gefährdenden Exposition durch Lösungsmittel erbringen. Zwar konnten die Zeugen H und H für die Jahre 1951 bis Januar 1963 den Einsatz von TRI, PER und TETRA bestätigen, eine Aussage zur quantitativen Lösungsmittelexposition war dem TAD jedoch mangels Messwerten nicht möglich (Berichte des TAD vom 22. Au-gust und 11. September 1995). Gleiches gilt für die Zeit ab 1990 bis zur Insolvenz des letzten Arbeitgebers im Jahr 1994 bzw. der dauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 28. Juni 1994. Der Kläger behauptet nur pauschal eine gefährdende Exposition auch ab 1990, bezieht sich dafür aber nur auf ein nicht aussagekräftiges Attest der Ärztin von H vom 06. Dezember 1995. TRI, PER und TETRA gehören zu den organischen Lösungsmitteln und deren Gemi-schen im Sinne der BK Nr. 1317 (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1317 der Anlage zur BKV in der Bekanntmachung des BMGS, BArbBl. 2005 H. 3 S. 49, Anm. I; Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2009, Kap. 5.8.1; s. auch Bericht des TAD vom 02. Dezember 1998). Der TAD hat außerdem die Ver-wendung von Xylol ermittelt. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein organisches Lö-sungsmittel i. S. der BK Nr. 1317. Xylol im verwendeten Carrier hatte nach den Fest-stellungen des TAD jedoch den zulässigen MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatzkon-zentration) unterschritten.
Damit sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 1317 erfüllt, nicht jedoch die medizinischen Voraussetzungen. Zur Pathophysiologie der BK Nr. 1317 ist zu beachten, dass organische Lösungsmit-tel aufgrund ihrer Flüchtigkeit vorwiegend über die Lungen eingeatmet, zum Teil auch durch die Haut resorbiert werden. Nach der Aufnahme verteilen sie sich im ganzen Organismus, insbesondere auch im Nervensystem. Anschließend werden sie zum Teil unverändert wieder abgeatmet und zum Teil metabolisiert (verstoff-wechselt) über die Nerven ausgeschieden. Grundsätzlich können alle organischen Lösungsmittel über kurzfristige Membranwirkungen an der Nervenzelle zu flüchtigen pränarkotischen Symptomen und sogar zu einer Narkose führen. Die eigentliche Dauerwirkung neurotoxischer Lösungsmittel mit dem Endergebnis einer Polyneuro-pathie oder Enzephalopathie beruht dagegen auf ihrer Biotransformation zu neuroto-xischen Metaboliten. Die Angriffspunkte dieser Metaboliten in der Nervenzelle sind unterschiedlich und zum Teil noch nicht geklärt (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. II).
Dem klinischen Krankheitsbild einer Enzephalopathie liegt ein organisches Psycho-syndrom zugrunde. Zentral bedingte neurologische Symptome wie Ataxie, Tremor, Dysdiadochokinese sind eher selten und treten meist in fortgeschrittenen Krank-heitsstadien auf. Die Bezeichnung "Demenz" erscheint im Hinblick auf die Definition der traditionellen deutschen Psychiatrie nicht zutreffend, da hierunter irreversible Störungen der Intelligenz verstanden werden. Moderne bildgebende Verfahren kön-nen einen Beitrag zur Eingrenzung der Diagnose leisten. Die morphometrischen Me-thoden der kranialen Computertomographie und der Magnetresonanztomographie liefern zwar keine artdiagnostischen Befunde, dienen aber dem Ausschluss anderer zerebraler Erkrankungen und der exakten Verlaufsbeobachtung. Zum Krankheitsver-lauf ist zu beachten, dass grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwi-schen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn besteht, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Ein längeres Intervall zwischen der letzten Exposition und dem Krankheitsbeginn ist to-xologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertzeiten der neurotoxischen Lösungsmittel zurückzuführen ist. Ein Fortbestehen oder eine leichte Minderung des Symptomerlebens sowie ein Fortbestehen oder eine leichte Minde-rung vorhandener psychischer Leistungsdefizite nach Expositionsende sind der am häufigsten beobachtete Verlauf der Erkrankung an einer Enzephalopathie. Die Pro-gredienz einer toxischen Enzephalopathie nach Expositionsende ist nicht der wahr-scheinliche Verlauf der Erkrankung. Nur für den Fall sehr hoher und langer Lö-sungsmittelexpositionen wäre zur Erklärung eines progredienten Verlaufs eine sich wechselseitig verstärkende Wirkung von Alterungs- und Expositionseffekten zu be-denken (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 5.8.2; Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. II. und III.).
Nach Auswertung der im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten und unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen hat der Senat er-hebliche Zweifel, dass dem Kläger der Nachweis gelungen ist, am 01. Dezember 1997 an einer Enzephalopathie zu leiden. Das Sozialgericht hat sich eingehend mit den vorliegenden Gutachten, die zu dieser Frage im Verwaltungs- und Sozialgericht-lichen Verfahren eingeholt worden sind, auseinandergesetzt und die Gründe darge-legt, die gegen die gesicherte Diagnose einer Enzephalopathie sprechen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Gründe der erstinstanz-lichen Entscheidung Bezug, § 153 Abs. 2 SGG. Durch die MRT-Untersuchung vom 14. Februar 1994 sind nur ein altersentsprechender leicht degenerativer Status und keine Hinweise auf tumoröse oder entzündliche Veränderungen festgestellt worden. Insbesondere fand sich kein Anhalt für eine Enzephalomyelitis disseminata. Frische ischämische infarktverdächtige Veränderungen, Gefäßmissbildungen oder parasitäre Hirnprozesse wurden ausgeschlossen. Auch durch die Computertomographie des Kopfes vom 25. Mai 1993 und das EEG vom 10. Juni 1993 haben sich keine patho-logischen Befunde ergeben. Damit ist zwar eine - andere - zerebrale Erkrankung nicht nachgewiesen. Anamnese und Symptomatik lassen aber keinen eindeutigen Schluss auf eine Enzephalopathie zu. Der Kläger litt schon in frühen Jahren an einer Neurose mit Beschwerdeausbau, weshalb die Diagnose einer Enzephalopathie er-schwert ist. Es bestehen nach den psychologischen Testungen zudem eindeutige Zeichen einer psychischen Fehlverarbeitung auf der Symptom- und der Verhaltens-ebene.
Soweit der im Berufungsverfahren nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. H und der Zusatzgutachter Dr. J in ihren Gutachten vom 15. September 2007 und 17. Dezember 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 11. August 2008 eine Enzephalopathie diagnostiziert haben, vermag den Senat diese Einschät-zung nicht zu überzeugen. Dr. J ist nach Auswertung der psychologischen Testverfahren und der anamnesti-schen Angaben des Klägers insbesondere zu seiner schulischen und beruflichen Entwicklung zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe 1997 u. a. noch eine kognitive Teilleistungsstörung als Restfolge einer vor 1997 durchgemachten, mehr-fach abgelaufenen Enzephalopathie. Bei den Testverfahren hat sich, in Überein-stimmung mit der psychologischen Testung insbesondere durch Dr. K in ihrer psy-chodiagnostischen Zusatzuntersuchung vom 14. Oktober 2002, eine auffällige Funk-tionsstörung des Gedächtnisses (Defizite bei der Erinnerung und Wiederabrufbar-keit) gezeigt, während die übrigen Testergebnisse altersentsprechend und besser (insbesondere im Bereich Aufmerksamkeit und Konzentration) ausgefallen sind. Während jedoch Dr. K vorsichtig davon spricht, der Befund deute auf eine eher ein-gegrenzte hirnorganische Schädigung hin, ordnet Dr. J die Störung der Gedächtnis-funktion einer am ehesten erworbenen Schädigung des Hirns zu und begründet dies mit der Anamnese und der einst ungestörten Fähigkeit, Schule und Gesellenprüfung zu absolvieren. Der Leistungseinbruch sei auf die Zeit vor dem Besuch der Meister-schule Anfang der 1960er Jahre einzugrenzen. Den Beginn der Erkrankung ordnet er dem Jahr 1964 zu, dem erstmaligen Aufenthalt in der Landesklinik T. Der Sach-verständige ist davon ausgegangen, dass bei dem Kläger mit großer Wahrschein-lichkeit sowohl gesunde als auch psychoneurotisch krankhafte Persönlichkeitsanteile vorliegen, welche allerdings allein nicht in der Lage seien, das komplexe Beschwer-debild mit den sich wiederholenden Krisen in den Jahren 1964, 1974 und 1994 ur-sächlich zu erklären. Er hat dann – in Übereinstimmung mit Dr. K und Dr. S - aus-führlich dargelegt, dass die anamnestisch ermittelten Beschwerden und Symptome sowohl Ausdruck einer primär psychogenen Störung als auch einer neurotoxischen Enzephalopathie mit sekundärer, reaktiver psychogener Störung sein könnten. Er hat im Einzelnen – ebenfalls wie Dr. K und Dr. S – die konkurrierenden Ursachen diskutiert und abschließend dargelegt, dass nur eine Annäherung möglich sei, nicht aber eine "entweder-oder"-Entscheidung. Die entscheidende Frage nach der We-sentlichkeit einer Ursache hat Dr. J damit offen gelassen. Unter Berücksichtigung der auch im Sozialrecht geltenden Beweislastverteilung, wonach derjenige die Beweis-last trägt für das Vorliegen der Tatsachen, die den geltend gemachten Anspruch stützen, wäre der Kläger damit beweispflichtig geblieben. Prof. Dr. H diskutiert weder das Vorliegen einer Enzephalopathie an sich noch einer toxischen Enzephalopathie. Er stellt allein auf die Funktionsstörungen des Gedächt-nisses und die Lösungsmittelexposition ab, schließt den Diabetes mellitus und die Belastung durch Holzschutzmittel im Wochenendhaus aus chronologischen Gründen aus und kommt zu dem Schluss, es bestünde zur Zeit noch die Restfolge einer in den Jahren vor und zwischen 1964, 1974 und 1994 abgelaufenen toxischen En-zephalopathie Grad IIa. Die Abgrenzung verschiedener Teilursachen, die noch Dr. J angeführt und ihm als Hauptgutachter überlassen hat, wird von dem Sachverständi-gen nicht einmal erwähnt. Sein Hauptargument ist allein, dass das Symp¬tom einer kognitiven Leistungseinschränkung das Kriterium für die Anerkennung der BK Nr. 1317 sei. Dem kann unter Berücksichtigung der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.2 bis 5.8.4) nicht gefolgt werden. Seine Einstufung in den Schweregrad IIa (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.4) ist angesichts des psychopathologischen Befunds außerdem nicht nachvollziehbar. Eine Auseinandersetzung mit den von seiner Auffassung ab-weichenden Sachverständigen ist ebenso wenig erfolgt wie mit dem fehlenden Nachweis des Umfangs der beruflichen Exposition mit Lösungsmitteln gerade in dem Zeitraum von 1951 bis Mitte 1964.
Der Senat kann die Frage, ob bei dem Kläger eine Enzephalopathie nachgewiesen ist, letztendlich dahinstehen lassen. Er muss auch nicht entscheiden, ob die En-zephalopathie wahrscheinlich durch die berufliche Exposition mit organischen Lö-sungsmitteln oder deren Gemischen verursacht worden ist. Selbst wenn der Senat davon ausginge, käme eine Anerkennung der BK Nr. 1317 in Bezug auf die En-zephalopathie wegen der Rückwirkungsregelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV nicht in Betracht, da nach den Ausführungen von Prof. Dr. H und Dr. J der Versicherungsfall schon 1964 und damit vor dem 01. Januar 1993 eingetreten wäre, denn seit diesem Zeitpunkt leide der Kläger an der Listenkrankheit.
Eine Anerkennung der BK Nr. 1317 kommt auch nicht wegen einer Erkrankung des Klägers an Polyneuropathie in Betracht. Die peripher neurotoxisch wirksamen organischen Chemikalien verursachen in der Regel eine sensible bzw. senso-motorische Polyneuropathie vom axonalen Typ. Die Diagnose kann auf der Basis typischer klinischer Befunde und mittels neurophysio-logischer Methoden gestellt werden. Ebenso wie bei der Enzephalopathie besteht grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Die toxische Polyneuropathie kann nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologi-schen Symptomatik, wobei im Einzelfall Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren können. Bei fortbestehenden poly-neuropathiebedingten Störungen ist die Frage BK-unabhängiger Ursachen im Sinne rechtlich konkurrierender Ursachen zu prüfen, die etwa mit zunehmendem Zeitab-stand zum Expositionsende in den Vordergrund treten (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.2 und 5.8.4; Merkblatt zur BK Nr. 1317, Anm. III). Der Verdacht auf eine distale Polyneuropathie der Beine ist von Dr. L in seinem un-datierten Bericht aufgrund einer Untersuchung am 04. Mai 1995 erstmals gestellt und von Dr. Z bei seiner Untersuchung im August 1997 bestätigt worden. Es sei zu einer leichten klinischen Besserung des peripheren Schadens seit 1995 gekommen. Diese Erkrankung stehe mit der beruflichen Lösungsmittelexposition in Zusammen-hang. Zu dieser Auffassung ist auch Dr. W gelangt. Der Neurologe Dr. R hat in sei-ner gutachterlichen Stellungnahme vom 09. Juli 2002 darauf hingewiesen, dass die Latenzen der Medianus-SEPs und der Tibialis-SEPs beidseits verzögert seien. Typi-scherweise fänden sich Verzögerungen der Latenzen der evozierten Potentiale bei Erkrankungen der peripheren Nerven und der Wirbelsäule mit Kompressionen des Rückenmarks. Die angeregte neurologische Untersuchung ist dann von Prof. Dr. M/B am 21. Juni 2004 durchgeführt worden, der eine leichte distal symmetrische Po-lyneuropathie mit primär axonaler Degeneration diagnostiziert hat. Die Polyneuropa-thie ist als sehr diskret eingestuft worden ohne Nachweis relevanter Funktionsein-schränkungen. Der Kläger habe spontan auch keine subjektiven Beschwerden ge-klagt, die auf die Polyneuropathie zurückgeführt werden könnten. Die lediglich auf Nachfrage geklagten Beschwerden würden einen viel graviererenden neurologi-schen Befund erwarten lassen, als er tatsächlich erhoben worden sei. Auch Dr. J be-zeichnet die Polyneuropathie, die erst seit 1995 nachweisbar sei, als leichtgradig sensibel. Ob die Polyneuropathie toxisch verursacht worden ist, hat Dr. J ausdrück-lich offen gelassen, allerdings hat er die Auffassung vertreten, der Zustand sei nicht altersentsprechend. Prof. Dr. H als Hauptgutachter hat sich ausschließlich mit der Verursachung der von ihm angenommenen Enzephalopathie beschäftigt. Ausfüh-rungen zur Verursachung der Polyneuropathie sind seinem Gutachten nicht zu ent-nehmen. Unter Berücksichtigung der bereits zitierten unfallmedizinischen Literatur hat der Se-nat keine Bedenken, der Auffassung von Prof. D zu folgen, der eine toxische Verur-sachung nicht für wahrscheinlich hält. Denn es fehlt nicht nur der Nachweis von lö-sungsmittelinduzierten Wirkungen an anderen Organen und damit an Brückensym-ptomen. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass PER regelmäßig nicht am peri-pheren Nervensystem wirkt, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, und die Wirkung von TRI auf das periphere Nervensystem fraglich ist (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 5.8.1). Dazu gibt es keinerlei sachverständige Äußerung. Es fehlt auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Beendi-gung der Exposition mit organischen Lösungsmitteln 1990 und der erstmaligen Fest-stellung der geringgradigen Polyneuropathie im Mai 1995. Dieses Kriterium ist weder von Dr. W noch von Dr. Z, die den Kausalzusammenhang bejahen, berücksichtigt worden.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG:
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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