L 10 AS 481/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 2776/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 481/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 22. Februar 2010, mit dem ihr Antrag abgelehnt wurde, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Unterstützung ihres Geschäftsmodells "e-pitaph" (virtueller Friedhof) in der Weise zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen nach § 16c Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) iHv 5.000,00 Euro sowie Einstiegsgeld nach § 16b SGB II für die Zeit von Juli 2009 bis zur Stellung des Antrages am 25. Januar 2010 zu gewähren, ist unbegründet.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Rege¬lung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Vorliegend liegt weder ein Anordnungsanspruch im Hinblick auf die beantragte Leistung zur Eingliederung Selbständiger noch ein Anordnungsanspruch im Bezug auf das begehrte Einstiegsgeld vor.

Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Einstieggeld zu. Nach § 16c Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) können Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie eine selbständige Tätigkeit i.d.S. bereits ausübt. Dies setzt voraus, dass der Geschäftsbetrieb aufgenommen worden sein muss und entsprechende Verrichtungen tatsächlich ausgeübt werden. Hier wurde nur angegeben, dass das im Antrag beschriebene Gewerbe angemeldet wurde, wobei es sich um eine Vorbereitungshandlung handelt, die die faktische Betriebsaufnahme nicht ersetzt. Eine dem Geschäftsplan entsprechende Internetpräsenz ist auch nicht feststellbar.

Es geht also um die Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit. Dass die angekündigte geschäftliche Aktivität eine solche Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit ist, kann der Senat nicht positiv feststellen. Regelmäßig wird das Ansetzen zur Verwirklichung einer bestimmten Geschäftsidee diese Voraussetzung erfüllen. Hier ergeben sich jedoch unter zwei Aspekten Vorbehalte. Zunächst ist die Antragstellerin bereits in einem branchengleichen Zusammenhang selbständig tätig. Es ist nicht ersichtlich, warum die Erstellung und der Betrieb eines Internetfriedhofs nicht ohne weiteres unter dem Namen der von der Antragstellerin gemeinsam mit Herrn H seit 1999 betriebenen Firma "H@W m GbR" und mit den dort vorhandenen Betriebsmitteln erfolgen können. In diesem Sinne kann es nicht in das Belieben der Antragstellerin gestellt sein, einen Sachverhalt als "Existenzgründung" zu präsentieren, der ebenso gut – zumindest in der Anlaufphase – als Projekt im Rahmen einer bestehenden Selbständigkeit begonnen werden kann. Dass dies die Ressourcen der "H@W m GbR" - etwa was den Zeitaufwand angeht - übersteigen könnte, ist nicht vorgetragen oder ersichtlich. Des Weiteren dürfte die bestehende Selbständigkeit auch die Hauptberuflichkeit der angestrebten Tätigkeit ausschließen. Insofern sind zwar keine hohen Anforderungen zu stellen, es ist aber erforderlich, dass die aufgenommene bzw aufzunehmende Tätigkeit den (zeitlichen, vgl. KSW/Knickrehm, § 16c SGB II RdNr. 6) Schwerpunkt der Aktivitäten bildet (Thie in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 16c RdNr. 3). Es ist auch nicht dargetan, dass es absehbar wäre, dass der Geschäftsumfang der "H@W m GbR" (Betriebseinnahmen von ca. 10.000,- EUR für den Zeitraum von Januar bis September 2009 – vgl Bl. 99 d.A.) hinter der neu angestrebten Tätigkeit zurückbleiben würde.

Selbst wenn man die Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit annehmen würde, ist nach dem derzeitigen Sachstand die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Tätigkeit nicht gegeben und kann die Prognose, dass in angemessener Zeit (wohl zwei Jahre) die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin zumindest verringert sein wird, nicht gestellt werden. Tragfähigkeit bedeutet, dass aus der selbständigen Tätigkeit Einnahmen fließen, die die Ausgaben übersteigen. In welchem Umfang ein Gewinn erzielt wird, ist dagegen zunächst unerheblich (vgl. Thie, aaO, § 16c RdNr. 2). Dass diese einzelfallbezogen nicht einfach zu beantwortende Frage, die eine Prognose erfordert, hier zugunsten der Antragstellerin zu beantworten ist, ist nach dem derzeitigen Sachstand nicht glaubhaft gemacht. Zwar sind keine hohen Einnahmeerwartungen erforderlich, da für die Erstellung des Internetauftritts keine umfänglichen finanziellen Aufwendungen nötig sind, vielmehr nur Arbeitsaufwand der Antragstellerin und ihres Geschäftspartners, der im Rahmen des § 16c SGB II nicht vergütet wird, zu leisten ist. Es ist aber – auch im Sinne einer Prognose – nicht hinreichend belegt, dass überhaupt spürbare Einnahmeerwartungen bestehen. Angebote wie (bzw. ähnlich dem) hier beabsichtigten sind im Internet kostenfrei verfügbar. Insoweit wäre begründungspflichtig, welche Gesichtspunkte die Erwartung rechtfertigen, dass sich ein Internetfriedhof überhaupt als kostenpflichtige Leistung etablieren lässt. Da zudem evident ist, dass erst ein gewisser Umfang und Bekanntheitsgrad des virtuellen Friedhofs die Teilhabe an diesem als kostenpflichtige Leistung erst darstellbar macht, müsste zumindest im Ansatz erkennbar sein, wie "die Schwelle" kalkuliert ist und erreichbar sein soll. Zwar ist zuzugestehen, dass Exaktheit nicht erwartet werden kann und Risiken bewusst eingegangen werden können. Es bedarf aber für eine positive Prognose einer zumindest ansatzweisen Auseinandersetzung mit wesentlichen Marktgegebenheiten und zweifelsfrei vorhersehbare Problemlagen. Dies leisten weder die von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen, noch die auf einem Formblatt erstellte fachkundliche Stellungnahme des Berliner Beratungsdienst e.V. vom 06. Juli 2009 nebst den in der Anlage zur Einschätzung zur zukünftigen wirtschaftlichen Tragfähigkeit enthaltenen Ausführungen zum weiteren Geschäftsfeld der "H@W mGbR".

Zur Erforderlichkeit der beantragten Leistungen bedarf es danach keiner weiteren Ausführungen, ebenso wenig zum Ermessen der Antragsgegnerin, das nicht eröffnet ist, weil es an den Voraussetzungen der Förderungen fehlt. Anzumerken ist aber, dass auch insoweit anspruchsausschließende Überlegungen nahe liegen; zur Erforderlichkeit, weil nicht abgegrenzt ist, welche Betriebsmittel bereits vorhanden sind, bezüglich der vorgestellten sehr speziellen Werbemaßnahme ("mobiler Grabstein") dürfte überdies für jeden bemittelten Existenzgründer zumindest eine Zurückstellung bis zum Eintritt erster Geschäftserfolge sehr nahe liegen.

b) Auch bezüglich des beantragten Einstiegsgeldes besteht kein Anordnungsanspruch. Die ebenfalls im Ermessen stehende Leistung, die abweichend von der Förderung nach § 16c SGB II auch bei der Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung möglich ist, setzt - wie die Förderung nach § 16b SGB II - die beabsichtigte Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit (die nicht hauptberuflich sein muss) voraus. Auch die Leistungen nach § 16b SGB II können nur für solche selbständigen Tätigkeiten erbracht werden, die das weitere in § 16c Abs. 1 SGB II enthaltene Erfordernis der positiven Prognose bezüglich wirtschaftlicher Tragfähigkeit und Verringerung der Hilfebedürftigkeit erfüllen (Thie, aaO, § 16b RdNr. 9; Gagel/Hannes, aaO, § 16b SGB II RdNr. 58). Daran fehlt es – wie bereits dargelegt - hier. Insofern erlangt keine Bedeutung, dass im Rahmen des § 16b SGB II nur sehr vage Vorgaben für die Erforderlichkeit bestehen (Thie, aaO, Gagel/Hannes, aaO, RdNr 62 ff); ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, welches Gewicht die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Entschließungsermessens dem Gesichtspunkt beimessen darf, dass sie eine Vermittlung der Antragstellerin in abhängige Beschäftigung nach deren Qualifikation für aussichtsreich hält und die Möglichkeiten dafür nicht ausgeschöpft sieht.

Darüber hinaus kommt, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, eine Gewährung von Leistungen für zurückliegende Monate im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dann in Betracht, wenn ein Nachholbedarf dargelegt und glaubhaft gemacht wird, woran es vorliegend fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved