L 14 AS 1974/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 156 AS 34443/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1974/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2009 wird – auch soweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Anordnungsverfahren abgelehnt worden ist – zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig sind höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Der 1953 geborene Antragsteller ist als Architekt selbständig erwerbstätig und privat krankenversichert. Am 30. Juli 2009 (Eingang bei dem Antragsgegner) beantragte er die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Durch Bescheid vom 28. August 2009 bewilligte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 30. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 vorläufig Leistungen in Höhe von 863,41 EUR monatlich (einschließlich eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung).

Der Antragsteller legte Widerspruch ein, mit dem er sich (u.a.) dagegen wandte, dass die Kosten der Unterkunft nur nach einem pauschalen Abzug von 20 vom Hundert wegen Möblierung und der Krankenversicherungsbeitrag nur in Höhe von 124,34 EUR berücksichtigt wurden. Durch Bescheid vom 13. Oktober 2009 änderte die Antragsgegnerin die vorläufige Bewilligung von Leistungen für die Monate November und Dezember 2009 auf monatlich 850,32 EUR nach Ansatz eines geringeren Zuschusses zu den Beiträgen der Pflegeversicherung.

Bereits am 12. Oktober 2009 hatte der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und höhere Leistungen für Unterkunft sowie einen höheres Zuschuss zu seinen Aufwendungen für Versicherung begehrt. Das Sozialgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 16. November 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antragsteller derzeit uneingeschränkt Versicherungsschutz in Anspruch nehmen könne. Das Ruhen einer privaten Krankenversicherung setze ein förmliches Verfahren voraus, das überdies nur bei nicht hilfebedürftigen Versicherungsnehmern durchgeführt werden dürfe. Falls das Krankenversicherungsunternehmen Leistungen verweigern sollte, müsse der Antragsteller dagegen vorgehen. Der Antragsteller und auch sein Krankenversicherungsunternehmen müssten sich mit den Beiträgen begnügen, die für einen pflichtversicherten Leistungsempfänger zu zahlen wären. Das ergebe sich aus dem Zusammenspiel der Vorschriften des VAG, des VVG und des SGB II. Für den Ausspruch der Verpflichtung, höhere Kosten der Unterkunft zu übernehmen, fehle es ebenfalls an einem Anordnungsgrund.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 20. November 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, die am 24. November 2009 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangen und am 23. Februar 2010 begründet worden ist. Ein Abwarten auf den rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens könne ihm - dem Antragsteller - nicht zugemutet werden, der regelmäßig Medikamente mit einem Preis von 427,59 EUR einnehmen müsse. Bei Erlöschen der Krankenversicherung sei die notwendige medizinische Versorgung nicht gesichert, der Eintritt einer lebensbedrohlichen Situation könne nicht ausgeschlossen werden. Er – der Antragsteller - bemühe sich deswegen nach Kräften, den vollen Beitrag zu zahlen; das dafür verwendete Geld fehle aber an anderer Stelle. Ein Austritt aus oder ein Aussetzen der Versicherung würde zum Verlust von Altersrückstellungen und im Falle eines Wiedereintritts zu einer Gesundheitsprüfung mit entsprechenden Beitragsaufschlägen führen. Die privaten Krankenversicherer würden sich eine praktisch kostenfreie Versicherung auch nicht bieten lassen. Rückständige Beiträge würden von ihnen im Wege der Zwangsvollstreckung eingetrieben und Leistungen nur im Umfang eines Notversicherungsschutzes erbracht. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse ein unabweisbarer Bedarf auch ohne (einfach -)gesetzliche Grundlage gedeckt werden. Das betreffe auch die Mindestkrankenversicherung.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2009 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einen weiteren Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag ab Antragstellung in Höhe von 334,80 im Monat zu gewähren sowie die Kosten der Unterkunft ohne einen Abzug von 20 v.H. von der Nettokaltmiete anzuerkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller durch Bescheid vom 13. Januar 2010 vorläufig weiter Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 in Höhe von monatlich 761,68 EUR einschließlich eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 124,32 EUR und 17,79 EUR monatlich gewährt. Dagegen hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt und am 23. Februar 2010 beim Sozialgericht Cottbus den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der die Antragstellerin zur Gewährung eines weiteren Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 334,80 EUR verpflichtet werden soll (S 25 AS 300/10 ER). Bereits am 19. November 2009 hatte der Antragsteller mit einem weiteren bei dem Sozialgericht Berlin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt, dass Kosten für Medikamente in Höhe von 427,59 EUR als Darlehen übernommen werden, nach Verweisung des Verfahrens an das Sozialgericht Cottbus (S 25 AS 158/10 ER) aber die Erledigung erklärt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakten des Sozialgerichts Cottbus sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung sind.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts erweist sich – jedenfalls im Ergebnis – als zutreffend.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweiligen Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Aus dem in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Bezug genommenen § 920 der Zivilprozessordnung – ZPO - ergibt sich, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussetzt, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile drohen (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr 28).

Maßgebend sind – auch im Beschwerdeverfahren – in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des erkennenden Senats v. 4. September 2009 – L 14 AS 1063/09 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 – L 28 B 1637/07 AS ER, zitiert nach juris; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Denn in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ist ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nämlich darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil schwere und unzumutbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht - BVerfG-, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 ). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, wenn diese Dringlichkeit nur vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

In diesem Rahmen ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Nach diesen Maßstäben liegt ein Anordnungsgrund hier jedenfalls nicht mehr vor. Denn streitig ist der Zeitraum vom 30. Juli 2009 (Beginn des Bewilligungszeitraums in dem Bescheid vom 28. August 2009) bis zum 31. Dezember 2009 (Ende des Bewilligungszeitraums in dem Bescheid vom 28. August 2009), der mittlerweile vollständig in der Vergangenheit liegt. Zumindest in diesem am 31. Dezember 2009 endenden Zeitraum war der Antragsteller offenbar auch ohne Verpflichtung der Antragsgegnerin zu höheren Leistungen in der Lage, seinen Krankenversicherungsschutz zu erhalten und den Erhalt des von ihm benutzten Wohnraumes zu sichern. Demnach ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen jetzt noch eine einstweilige Anordnung erforderlich sein könnte. Der anschließende Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 entsprechend dem Bescheid vom 13. Januar 2010 ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Demnach kann der Senat nicht darüber befinden, welche Leistungen dem Antragsteller gegenwärtig zustehen und ob insoweit ein Eilbedürfnis besteht, das den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnte. Dies bliebe gegebenenfalls dem vom Antragsteller angestrengten weiteren Verfahren vor dem Sozialgericht Cottbus auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorbehalten.

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen. Dies gilt auch, soweit das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht in der Sache abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG bzw. § 73 a SGG iV.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Wegen Fehlens der für eine Bewilligung erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO) konnte dem Antragsteller keine Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren gewährt werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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