Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 115 AS 10897/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1091/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2010 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab dem Tage des Zugangs dieses Beschlusses als Telefax bei der Antragsgegnerin bis zum 31. Dezember 2010 (längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlen. Bei der Ermittlung der nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III von der Bundesagentur für Arbeit zu erbringenden monatlichen Leistungen ist für sämtliche Antragsteller jeweils 85% der Regelleistung zu berücksichtigen. Für den Monat Juli hat die Zahlung anteilig zu erfolgen. Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Den Eilanträgen der aus R stammenden, sich nach Aktenlage seit etwa einem Jahr erlaubt in Deutschland aufhaltenden Antragsteller war in Anwendung des § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) allein deshalb in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben, weil der Senat die Sach- und Rechtslage im einstweiligen Verfahren nicht vollständig durchdringen kann und eine Folgenabwägung (Leistung/Nicht¬leistung) zu ihren Gunsten zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Beschluss vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats – info also 2005, 166) entwickelt hat.
Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative – ge¬stützt werden, wobei Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausge¬staltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Haupt¬sache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechts¬lage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine end¬gültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsache¬ver¬fahrens bei (teilweise) ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenz¬minimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grund¬gesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgt.
Davon ausgehend war der Senat gehalten, den Antragstellern für die Zukunft (soweit der Antragsteller zu 1) weiterhin über anrechenbares Erwerbseinkommen verfügt: ergänzende) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit einem Abschlag von 15% der Regelleistung bzw des Sozialgeldes (vgl auch dazu BVerfG aaO) vorläufig zuzusprechen. Dies beruht darauf, dass derzeit mit der Gewissheit, die für eine Entscheidung in der Hauptsache notwendig ist, weder entschieden werden kann, dass der Antragsteller zu 1) nicht ("rechtlich") erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 iVm § 8 Abs 2 SGB II ist, noch, dass hier der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greift (dazu unten unter 1.). Bei dieser Sachlage ist die Folgenabwägung vor¬zunehmen, die zu dem aus dem Tenor ersichtlichen Ergebnis führt (dazu unten unter 2.).
1. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 SGB II erhalten Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Hilfebedürftige – § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Dass die Antragsteller zu 1) und 2) die Altersvorgaben der Nr 1 erfüllen, liegt auf der Hand. Sie haben ferner glaubhaft gemacht, dass sie sich – gemeinsam mit den Antragstellern zu 3) bis 9) - seit Juli 2009 gewöhnlich in Deutschland aufhalten (Nr 4). In diesem Monat haben sie den Mietvertrag für die Wohnung mit der im Rubrum genannten Anschrift abgeschlossen, die sie seitdem bewohnen, und hat der Antragsteller zu 1) ein Gewerbe (Abrissarbeiten, Trockenbau ua) angemeldet, für das Belege über Aufträge und Rechnungen für die Zeit von Juli 2009 bis Mai 2010 vorgelegt worden sind, die größere zeitliche Lücken nicht erkennen lassen (vgl Bl 22 ff und 116 ff der Gerichtsakten (GA)). Für einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) der Antragsteller in B-N (und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin, vgl § 36 SGB II) spricht ferner, dass der Antragsteller zu 1) ausweislich der vorliegenden Leistungsakte (LA) einen Integrationskurs mit einer Dauer 32 Wochen absolviert hat (vgl Bl 158 der LA) und Nachweise darüber vorliegen, dass die Antragsteller zu 3) bis 7) hier die Schule besuchen (vgl Bl 19 der LA und Bl 98 der GA).
Die Antragsteller haben ferner glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig sind (Nr 3). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie über Vermögen oder – abgesehen von staatlichen Leistungen wie dem Kindergeld - weitere Einkünfte als die des Antragstellers zu 1) aus seiner Erwerbstätigkeit verfügen; letztere reichen indes nach den vorliegenden Nachweisen über seinen monatlichen Verdienst nicht aus, um den Bedarf der Familie zu decken.
Problematisch ist mit Blick auf § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II allein, ob zumindest der Antragsteller zu 1) auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II Nr 2 in Verbindung mit § 8 SGB II ist. Für die Anspruchsvoraussetzungen nach § 8 SGB II gilt zunächst, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Antragsteller zu 1) "wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande (wäre), unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein" (§ 8 Abs 1 SGB II). Fraglich ist nur, ob er auch im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II ("rechtlich") erwerbsfähig ist, was nach dem Gesetzeswortlaut nur dann der Fall ist, "wenn (ihm) die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte". Insofern ist zunächst festzustellen, dass der Antragsteller zu 1) als rumänischer Staatsangehöriger für eine (abhängige) Beschäftigung in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung benötigt (vgl § 284 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie die Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission über die weitere Anwendung die Freizügigkeit rumänischer Staatsangehöriger einschränkender nationaler Maßnahmen vom 17. Dezember 2008, BAnz Nr 198 vom 31. Dezember 2008, S 4807 f), über die er nicht verfügt. Das Fehlen einer Arbeitsgenehmigung wäre von vornherein unschädlich, wenn man unter "Beschäftigung" im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II nicht nur eine abhängige Beschäftigung im Sinne von § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) versteht (so allerdings etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 – L 29 AS 1820/09 B ER – juris RdNr 32), sondern ("aufgrund der Aufgabe und des Ziels des SGB II") auch die selbständige Erwerbstätigkeit als erfasst ansieht (so etwa die "Fachlichen Hinweise" der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II [8.14] sowie Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 8 RdNr 36; vgl auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2008 – 15 B 54/08 SO ER – juris Rdnr 21). Denn die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist dem Antragsteller zu 1) als Unionsbürger erlaubt (vgl Loose/Loose in GK-SGB II, § 8 RdNr 92). Wendet man das Erfordernis aus § 8 Abs 2 SGB II allerdings auch auf den Selbständigen an, wofür ein öffentliches Interesse sprechen könnte, den dauerhaften "Rückzug" von Hilfebedürftigen, die eine abhängige Beschäftigung nur mit einer Arbeitserlaubnis/EU ausüben dürfen, in eine geringfügige selbständige Tätigkeit zu erschweren und stattdessen die Option einer den Lebensunterhalt deckenden – abhängigen - Beschäftigung zu eröffnen, kommt es – wie nach der zitierten Rechtsansicht etwa des 29. Senats des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, dass § 8 Abs 2 SGB II seinem Wortlaut nach nur eine abhängige Beschäftigung erfasst, - im Weiteren auf die Möglichkeit an, eine Genehmigung zur Ausübung einer abhängigen Beschäftigung zu erlangen.
Auch insofern besteht Rechtsunklarheit, nämlich darüber, wie die Formulierung "erlaubt werden könnte" des § 8 Abs 2 SGB II zu verstehen ist. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur verlangt für die Annahme einer Erwerbsfähigkeit des Ausländers, dass die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung "konkret" möglich erscheint (so etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 – L 29 AS 1820/09 B ER – juris RdNr 35 ff und Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, RdNr 64 ff mwN). Dem steht die Rechtsmeinung gegenüber, dass die "abstrakt-generelle" Möglichkeit einer Beschäftigungserlaubnis ausreicht (so etwa die "Fachlichen Hinweise" der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II [8.15] sowie Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 8 RdNr 21 mwN). Folgt man der zuletzt genannten Auffassung wäre der Antragsteller zu 1) problemlos als erwerbsfähig anzusehen, da ihm als rumänischem Staatsangehörigen (unabhängig von seiner Berufsausbildung) gemäß § 284 Abs 3 SGB III in Verbindung mit § 39 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG) eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden kann; ob die Voraussetzungen des § 39 Abs 2 AufenthaltsG (ua dürfen keine bevorrechtigten Arbeitnehmer zur Verfügung stehen) tatsächlich erfüllt sind, wäre insofern unerheblich. Folgt man indes der Auffassung, die die konkrete Aussicht auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis verlangt und geht man davon aus, dass diese hier nicht schon deshalb besteht, weil der Antragsteller zu 1) über eine qualifizierte Berufsausbildung (für die nichts ersichtlich ist) mit der Folge großzügigerer Erteilungsvoraussetzungen (vgl § 284 Abs 3 SGB III in Verbindung mit § 39 Abs 6 AufenthaltsG; vgl dazu Loose/Loose, aaO, RdNr 82) verfügt, stellt sich die Frage, ob man dem Antragsteller zu 1) ohne Weiteres etwa entgegen halten kann, in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich (Abrissarbeiten, Trockenbau etc) stünden genügend bevorrechtigte (ua deutsche) Arbeitnehmer zur Verfügung (vgl § 39 Abs 2 Nr 1 b AufenthaltsG). Insofern ist zum einen durchaus fraglich, ob tatsächlich bei einer hinreichenden Anzahl von bevorrechtigten Arbeitnehmern Bereitschaft zu der gegenwärtigen beruflichen Tätigkeit des Antragsstellers zu 1) (diese als abhängige Beschäftigung gedacht) unterstellt werden kann, wenn man ihre Gesamtbedingungen berücksichtigt, insbesondere ihren Teilzeitcharakter, verbunden mit der notwendigen Bereitschaft, für die anfallenden Arbeiten auf Abruf bereit zu stehen, sowie die verhältnismäßig geringe Entlohnung. Der Senat vermag ferner keinen Rechtssatz zu erkennen, der die Prüfung, ob eine Arbeitserlaubnis/EU erteilt werden kann, auf das aktuelle Tätigkeitsfeld des Antragstellers zu 1) beschränkt. Es wäre also durchaus zu erwägen, die "rechtliche" Erwerbsfähigkeit des Antragstellers zu 1) daran zu messen, ob auf dem gesamten Arbeitsmarkt eine abhängige Beschäftigung vorhanden ist, die er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ausüben kann und für die ihm mangels bevorrechtigter Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis/EU erteilt werden kann, ohne dies auf sein bisheriges Tätigkeitsfeld – Abrissarbeiten, Trockenbau etc – zu beschränken.
Es besteht damit insgesamt die gute Möglichkeit, dass die mehrgliedrige, bzgl aller Details in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilte Frage nach der "rechtlichen" Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II im Rahmen abschließender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung, wie sie nur das Hauptsacheverfahren zu leisten vermag, nicht zum Nachteil des Antragstellers zu 1) zu beantworten ist.
Einem Leistungsanspruch der Antragsteller steht nicht – unabhängig von der Frage der "rechtlichen" Erwerbsfähigkeit des Antragsteller zu 1) – mit hinreichender Gewissheit die Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II entgegen (sofern man sie nicht als europarechtswidrig ansieht, vgl zum diesbezüglichen Meinungsstreit Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 7 RdNr 33 ff), wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Unionsbürger haben aufgrund von § 2 Abs 1 und 2 Nr 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) ein Aufenthaltsrecht als "niedergelassene selbständige Erwerbstätige" (dasselbe Recht steht nach § 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU den begleitenden Familienangehörigen zu). Ob dem Antragsteller zu 1) aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten im Baugewerbe ein Aufenthaltsrecht in diesem Sinne zusteht, ist nach den vorliegenden Unterlagen (ua Gewerbeanmeldung von Juli 2009 und für jeden Monat seitdem bis einschließlich Mai 2010 eine Auftragsbescheinigung bzw Rechnung) möglich, kann aber hier nicht abschließend beurteilt werden.
Es dürfte einem etwaigen Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1) als Selbständiger jedenfalls nicht entgegenstehen, dass seine Tätigkeit (bislang) nur relativ geringen Umfang hat und die daraus erzielten Einkünfte nicht annähernd ausreichen, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Insoweit dürften keine anderen Maßstäbe anzulegen sein als die, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Beurteilung der Eigenschaft als "Arbeitnehmer" ergeben. Dementsprechend kommt es auch hier darauf an, ob der Antragsteller zu 1) eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" von wirtschaftlicher Bedeutung ausübt; außer Betracht zu bleiben haben dagegen Tätigkeiten mit einem so geringen Umfang, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl zuletzt Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 4. Februar 2010 - Rs C-14/09, Genc./. Land Berlin). Nach den vorliegenden Unterlagen, die immerhin von einer beständigen Auftragslage und regelmäßigen monatlichen Einkünften von etwa 500,- EUR zeugen, kann die vom Antragsteller zu 1) ausgeübte Tätigkeit nicht als "völlig untergeordnet und unwesentlich" angesehen werden.
Dem von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 01. Juni 2010 (gegen den Klage beim SG Berlin unter dem Az S 115 AS 10897/19 Klage erhoben ist) insbesondere mit Blick auf den (bis dahin) nur einen erkennbaren Auftraggeber des Antragstellers zu 1) gegebenen Hinweis zum Vorliegen von Scheinselbständigkeit wird im Klageverfahren nachzugehen sein, in dem die insofern wesentlichen Tatsachen ermittelt werden können (diesbezüglich sei hier nur vermerkt, dass der Antragsteller zu 1) mit der Beschwerdeschrift vom 12. Juni 2010 weitere Nachweise über Abbrucharbeiten vorgelegt hat, die einen weiteren Auftraggeber ausweisen, vgl Bl 116 ff der GA). Insoweit braucht zu den Folgen einer solchen Konstellation hier nicht Stellung genommen werden. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es sich um eine "Rechtsfigur" handelt, die im Kern dazu dient, umgangene Arbeitgeberpflichten zu verwirklichen. Dies legt es aus Sicht des Senats nahe, dann zu erwägen, ob der Scheinselbständige im vorliegenden Kontext wie ein Arbeitnehmer zu behandeln ist, zumindest die Erlaubnisfähigkeit seiner Tätigkeit im Sinne von § 284 SGB III zu prüfen.
Nach alledem kommt ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II (unter Berücksichtigung vorhandenen Einkommens) ernsthaft in Betracht, wobei der Antragsteller zu 1) – so seine "rechtliche" Erwerbsfähigkeit zu bejahen und der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II zu verneinen ist – Anspruch auf Arbeitslosengeld II und die Antragstellerin 2) – sofern sie nicht selbst als "rechtlich" erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II anzusehen ist – sowie die Antragsteller zu 3) bis 9) als mit dem Antragsteller zu 1) in Bedarfsgemeinschaft lebende Angehörige (vgl § 7 Abs 3 Nr 3 a und Nr 4 SGB II) Anspruch auf Sozialgeld hätten (§ 28 Abs 1 Satz 1 SGB II).
2. Da nach den bisherigen Ausführungen im Anordnungsverfahren nicht klärungsfähig ist, ob diese Leistungsansprüche der Antragsteller bestehen, hängt es von der Folgenabwägung (dazu oben, 1. Alternative) ab, ob Leistungen vorläufig zuzusprechen sind. Diese ist hier zugunsten der Antragsteller zu treffen, denen soweit ersichtlich zurzeit kein hinreichendes eigenes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Einer möglichen Rechtsverletzung der Antragsteller (gegeben für den Fall, dass ihnen ein Leistungsanspruch zusteht) stehen, abgesehen vom Ausfall¬risiko im Rückforderungsfalle, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich gestützte Position der Antragsteller nicht. Der Senat kann dabei offen lassen, in welchen Fallgruppen und mit welchem Gewicht er ggf die Rückkehrmöglichkeit ins Heimatland in die Folgenabwägung einbezieht. Hier drängen sich derartige Erwägungen auch unter Berücksichtigung der aufgezeigten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht auf, da eine vorläufige Rückkehr der Antragsteller nach Rim Hinblick auf die kontinuierlichen Bemühungen des Antragstellers zu 1) um die Sicherung des Lebensunterhaltes, die Dauer des Aufenthalts, den Schulbesuch der Antragsteller zu 3) bis 9) und die Struktur der Bedarfsgemeinschaft nicht zumutbar erscheint.
Der Senat hält es für den einstweiligen Rechtsschutz für sachgerecht und ausreichend, den Antragstellern - neben den auf Bedarfsseite vollen Leistungen für Unterkunft und Heizung - die Regelleistungsbeträge (für die gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist) mit einem Abschlag von 85% zuzusprechen. Er erkennt in vergleichbaren Eilverfahren die Regelleistung regelmäßig nur den Hilfebedürftigen in voller Höhe zu, die nach dem vorliegenden Erkenntnisstand im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben werden. Erscheint hingegen ein Obsiegen des jeweiligen Antragstellers im Hauptsacheverfahren als unwahrscheinlich, beschränkt der Senat den Ausspruch in der Regel auf die unabdingbar notwendigen Leistungen, wobei er den Maßstab aus § 31 Abs 1 und 3 Satz 6 SGB II entnimmt, wonach das Arbeitslosengeld II unter bestimmten Voraussetzungen in einer ersten Stufe um 30% gekürzt wird bzw bei einer Kürzung der Regelleistung um mehr als 30% ergän¬zende Sachleistungen zu erwägen sind (vgl Senatsbeschluss vom 04. Juli 2007 – L 10 B 855/07 AS ER). Ist die Beurteilung der Sache indes - wie hier – offen, erachtet es der Senat demgemäß als sachgerecht, zwischen dem maximalen Abschlag von 30% und der vollen Regelleistung zu mitteln und auf 85% der Regelleistung zu erkennen (vgl Senatsbeschluss vom 19. August 2008 – L 10 B 1481/08 AS ER). Zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass dies nicht bedeutet, dass die Antragsteller tatsächlich den aufgezeigten Anteil der jeweiligen Regelleistung gemäß § 20 bzw § 28 SGB II erhalten werden. Bezeichnet ist insofern nur der zu berücksichtigende Bedarf, dem zur Ermittlung des tatsächlichen Leistungsbetrages, die der Antragsgegnerin obliegt, das anrechenbare Einkommen gegenüber zu stellen ist.
Soweit die Beschwerde mehr als die zugesprochenen Leistungen zum Gegenstand hatte, war sie zurückzuweisen. Die zugesprochenen Leistungen sind ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Beschlusses als Telefax bei der Antragsgegnerin - für Juli 2010 also anteilig - zu gewähren, da nur für die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfs die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung gegeben ist; für die Vorzeit bleibt die Beschwerde daher erfolglos. Der Senat begrenzt die Verpflichtung im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens bis zum 31. Dezember 2010.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) anfechtbar, § 177 SGG.
Düe Sinner-Gallon Korte
Ausgefertigt: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 14. Juli 2010
Klawes, Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Gründe:
Den Eilanträgen der aus R stammenden, sich nach Aktenlage seit etwa einem Jahr erlaubt in Deutschland aufhaltenden Antragsteller war in Anwendung des § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) allein deshalb in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben, weil der Senat die Sach- und Rechtslage im einstweiligen Verfahren nicht vollständig durchdringen kann und eine Folgenabwägung (Leistung/Nicht¬leistung) zu ihren Gunsten zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Beschluss vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats – info also 2005, 166) entwickelt hat.
Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative – ge¬stützt werden, wobei Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausge¬staltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Haupt¬sache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechts¬lage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine end¬gültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsache¬ver¬fahrens bei (teilweise) ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenz¬minimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grund¬gesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgt.
Davon ausgehend war der Senat gehalten, den Antragstellern für die Zukunft (soweit der Antragsteller zu 1) weiterhin über anrechenbares Erwerbseinkommen verfügt: ergänzende) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit einem Abschlag von 15% der Regelleistung bzw des Sozialgeldes (vgl auch dazu BVerfG aaO) vorläufig zuzusprechen. Dies beruht darauf, dass derzeit mit der Gewissheit, die für eine Entscheidung in der Hauptsache notwendig ist, weder entschieden werden kann, dass der Antragsteller zu 1) nicht ("rechtlich") erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 iVm § 8 Abs 2 SGB II ist, noch, dass hier der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greift (dazu unten unter 1.). Bei dieser Sachlage ist die Folgenabwägung vor¬zunehmen, die zu dem aus dem Tenor ersichtlichen Ergebnis führt (dazu unten unter 2.).
1. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 SGB II erhalten Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Hilfebedürftige – § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Dass die Antragsteller zu 1) und 2) die Altersvorgaben der Nr 1 erfüllen, liegt auf der Hand. Sie haben ferner glaubhaft gemacht, dass sie sich – gemeinsam mit den Antragstellern zu 3) bis 9) - seit Juli 2009 gewöhnlich in Deutschland aufhalten (Nr 4). In diesem Monat haben sie den Mietvertrag für die Wohnung mit der im Rubrum genannten Anschrift abgeschlossen, die sie seitdem bewohnen, und hat der Antragsteller zu 1) ein Gewerbe (Abrissarbeiten, Trockenbau ua) angemeldet, für das Belege über Aufträge und Rechnungen für die Zeit von Juli 2009 bis Mai 2010 vorgelegt worden sind, die größere zeitliche Lücken nicht erkennen lassen (vgl Bl 22 ff und 116 ff der Gerichtsakten (GA)). Für einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) der Antragsteller in B-N (und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin, vgl § 36 SGB II) spricht ferner, dass der Antragsteller zu 1) ausweislich der vorliegenden Leistungsakte (LA) einen Integrationskurs mit einer Dauer 32 Wochen absolviert hat (vgl Bl 158 der LA) und Nachweise darüber vorliegen, dass die Antragsteller zu 3) bis 7) hier die Schule besuchen (vgl Bl 19 der LA und Bl 98 der GA).
Die Antragsteller haben ferner glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig sind (Nr 3). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie über Vermögen oder – abgesehen von staatlichen Leistungen wie dem Kindergeld - weitere Einkünfte als die des Antragstellers zu 1) aus seiner Erwerbstätigkeit verfügen; letztere reichen indes nach den vorliegenden Nachweisen über seinen monatlichen Verdienst nicht aus, um den Bedarf der Familie zu decken.
Problematisch ist mit Blick auf § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II allein, ob zumindest der Antragsteller zu 1) auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II Nr 2 in Verbindung mit § 8 SGB II ist. Für die Anspruchsvoraussetzungen nach § 8 SGB II gilt zunächst, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Antragsteller zu 1) "wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande (wäre), unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein" (§ 8 Abs 1 SGB II). Fraglich ist nur, ob er auch im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II ("rechtlich") erwerbsfähig ist, was nach dem Gesetzeswortlaut nur dann der Fall ist, "wenn (ihm) die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte". Insofern ist zunächst festzustellen, dass der Antragsteller zu 1) als rumänischer Staatsangehöriger für eine (abhängige) Beschäftigung in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung benötigt (vgl § 284 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie die Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission über die weitere Anwendung die Freizügigkeit rumänischer Staatsangehöriger einschränkender nationaler Maßnahmen vom 17. Dezember 2008, BAnz Nr 198 vom 31. Dezember 2008, S 4807 f), über die er nicht verfügt. Das Fehlen einer Arbeitsgenehmigung wäre von vornherein unschädlich, wenn man unter "Beschäftigung" im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II nicht nur eine abhängige Beschäftigung im Sinne von § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) versteht (so allerdings etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 – L 29 AS 1820/09 B ER – juris RdNr 32), sondern ("aufgrund der Aufgabe und des Ziels des SGB II") auch die selbständige Erwerbstätigkeit als erfasst ansieht (so etwa die "Fachlichen Hinweise" der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II [8.14] sowie Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 8 RdNr 36; vgl auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2008 – 15 B 54/08 SO ER – juris Rdnr 21). Denn die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist dem Antragsteller zu 1) als Unionsbürger erlaubt (vgl Loose/Loose in GK-SGB II, § 8 RdNr 92). Wendet man das Erfordernis aus § 8 Abs 2 SGB II allerdings auch auf den Selbständigen an, wofür ein öffentliches Interesse sprechen könnte, den dauerhaften "Rückzug" von Hilfebedürftigen, die eine abhängige Beschäftigung nur mit einer Arbeitserlaubnis/EU ausüben dürfen, in eine geringfügige selbständige Tätigkeit zu erschweren und stattdessen die Option einer den Lebensunterhalt deckenden – abhängigen - Beschäftigung zu eröffnen, kommt es – wie nach der zitierten Rechtsansicht etwa des 29. Senats des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, dass § 8 Abs 2 SGB II seinem Wortlaut nach nur eine abhängige Beschäftigung erfasst, - im Weiteren auf die Möglichkeit an, eine Genehmigung zur Ausübung einer abhängigen Beschäftigung zu erlangen.
Auch insofern besteht Rechtsunklarheit, nämlich darüber, wie die Formulierung "erlaubt werden könnte" des § 8 Abs 2 SGB II zu verstehen ist. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur verlangt für die Annahme einer Erwerbsfähigkeit des Ausländers, dass die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung "konkret" möglich erscheint (so etwa Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 – L 29 AS 1820/09 B ER – juris RdNr 35 ff und Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, RdNr 64 ff mwN). Dem steht die Rechtsmeinung gegenüber, dass die "abstrakt-generelle" Möglichkeit einer Beschäftigungserlaubnis ausreicht (so etwa die "Fachlichen Hinweise" der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II [8.15] sowie Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 8 RdNr 21 mwN). Folgt man der zuletzt genannten Auffassung wäre der Antragsteller zu 1) problemlos als erwerbsfähig anzusehen, da ihm als rumänischem Staatsangehörigen (unabhängig von seiner Berufsausbildung) gemäß § 284 Abs 3 SGB III in Verbindung mit § 39 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG) eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden kann; ob die Voraussetzungen des § 39 Abs 2 AufenthaltsG (ua dürfen keine bevorrechtigten Arbeitnehmer zur Verfügung stehen) tatsächlich erfüllt sind, wäre insofern unerheblich. Folgt man indes der Auffassung, die die konkrete Aussicht auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis verlangt und geht man davon aus, dass diese hier nicht schon deshalb besteht, weil der Antragsteller zu 1) über eine qualifizierte Berufsausbildung (für die nichts ersichtlich ist) mit der Folge großzügigerer Erteilungsvoraussetzungen (vgl § 284 Abs 3 SGB III in Verbindung mit § 39 Abs 6 AufenthaltsG; vgl dazu Loose/Loose, aaO, RdNr 82) verfügt, stellt sich die Frage, ob man dem Antragsteller zu 1) ohne Weiteres etwa entgegen halten kann, in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich (Abrissarbeiten, Trockenbau etc) stünden genügend bevorrechtigte (ua deutsche) Arbeitnehmer zur Verfügung (vgl § 39 Abs 2 Nr 1 b AufenthaltsG). Insofern ist zum einen durchaus fraglich, ob tatsächlich bei einer hinreichenden Anzahl von bevorrechtigten Arbeitnehmern Bereitschaft zu der gegenwärtigen beruflichen Tätigkeit des Antragsstellers zu 1) (diese als abhängige Beschäftigung gedacht) unterstellt werden kann, wenn man ihre Gesamtbedingungen berücksichtigt, insbesondere ihren Teilzeitcharakter, verbunden mit der notwendigen Bereitschaft, für die anfallenden Arbeiten auf Abruf bereit zu stehen, sowie die verhältnismäßig geringe Entlohnung. Der Senat vermag ferner keinen Rechtssatz zu erkennen, der die Prüfung, ob eine Arbeitserlaubnis/EU erteilt werden kann, auf das aktuelle Tätigkeitsfeld des Antragstellers zu 1) beschränkt. Es wäre also durchaus zu erwägen, die "rechtliche" Erwerbsfähigkeit des Antragstellers zu 1) daran zu messen, ob auf dem gesamten Arbeitsmarkt eine abhängige Beschäftigung vorhanden ist, die er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ausüben kann und für die ihm mangels bevorrechtigter Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis/EU erteilt werden kann, ohne dies auf sein bisheriges Tätigkeitsfeld – Abrissarbeiten, Trockenbau etc – zu beschränken.
Es besteht damit insgesamt die gute Möglichkeit, dass die mehrgliedrige, bzgl aller Details in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilte Frage nach der "rechtlichen" Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II im Rahmen abschließender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung, wie sie nur das Hauptsacheverfahren zu leisten vermag, nicht zum Nachteil des Antragstellers zu 1) zu beantworten ist.
Einem Leistungsanspruch der Antragsteller steht nicht – unabhängig von der Frage der "rechtlichen" Erwerbsfähigkeit des Antragsteller zu 1) – mit hinreichender Gewissheit die Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II entgegen (sofern man sie nicht als europarechtswidrig ansieht, vgl zum diesbezüglichen Meinungsstreit Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 7 RdNr 33 ff), wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Unionsbürger haben aufgrund von § 2 Abs 1 und 2 Nr 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) ein Aufenthaltsrecht als "niedergelassene selbständige Erwerbstätige" (dasselbe Recht steht nach § 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU den begleitenden Familienangehörigen zu). Ob dem Antragsteller zu 1) aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten im Baugewerbe ein Aufenthaltsrecht in diesem Sinne zusteht, ist nach den vorliegenden Unterlagen (ua Gewerbeanmeldung von Juli 2009 und für jeden Monat seitdem bis einschließlich Mai 2010 eine Auftragsbescheinigung bzw Rechnung) möglich, kann aber hier nicht abschließend beurteilt werden.
Es dürfte einem etwaigen Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1) als Selbständiger jedenfalls nicht entgegenstehen, dass seine Tätigkeit (bislang) nur relativ geringen Umfang hat und die daraus erzielten Einkünfte nicht annähernd ausreichen, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Insoweit dürften keine anderen Maßstäbe anzulegen sein als die, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Beurteilung der Eigenschaft als "Arbeitnehmer" ergeben. Dementsprechend kommt es auch hier darauf an, ob der Antragsteller zu 1) eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" von wirtschaftlicher Bedeutung ausübt; außer Betracht zu bleiben haben dagegen Tätigkeiten mit einem so geringen Umfang, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl zuletzt Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 4. Februar 2010 - Rs C-14/09, Genc./. Land Berlin). Nach den vorliegenden Unterlagen, die immerhin von einer beständigen Auftragslage und regelmäßigen monatlichen Einkünften von etwa 500,- EUR zeugen, kann die vom Antragsteller zu 1) ausgeübte Tätigkeit nicht als "völlig untergeordnet und unwesentlich" angesehen werden.
Dem von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 01. Juni 2010 (gegen den Klage beim SG Berlin unter dem Az S 115 AS 10897/19 Klage erhoben ist) insbesondere mit Blick auf den (bis dahin) nur einen erkennbaren Auftraggeber des Antragstellers zu 1) gegebenen Hinweis zum Vorliegen von Scheinselbständigkeit wird im Klageverfahren nachzugehen sein, in dem die insofern wesentlichen Tatsachen ermittelt werden können (diesbezüglich sei hier nur vermerkt, dass der Antragsteller zu 1) mit der Beschwerdeschrift vom 12. Juni 2010 weitere Nachweise über Abbrucharbeiten vorgelegt hat, die einen weiteren Auftraggeber ausweisen, vgl Bl 116 ff der GA). Insoweit braucht zu den Folgen einer solchen Konstellation hier nicht Stellung genommen werden. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es sich um eine "Rechtsfigur" handelt, die im Kern dazu dient, umgangene Arbeitgeberpflichten zu verwirklichen. Dies legt es aus Sicht des Senats nahe, dann zu erwägen, ob der Scheinselbständige im vorliegenden Kontext wie ein Arbeitnehmer zu behandeln ist, zumindest die Erlaubnisfähigkeit seiner Tätigkeit im Sinne von § 284 SGB III zu prüfen.
Nach alledem kommt ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II (unter Berücksichtigung vorhandenen Einkommens) ernsthaft in Betracht, wobei der Antragsteller zu 1) – so seine "rechtliche" Erwerbsfähigkeit zu bejahen und der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II zu verneinen ist – Anspruch auf Arbeitslosengeld II und die Antragstellerin 2) – sofern sie nicht selbst als "rechtlich" erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs 2 SGB II anzusehen ist – sowie die Antragsteller zu 3) bis 9) als mit dem Antragsteller zu 1) in Bedarfsgemeinschaft lebende Angehörige (vgl § 7 Abs 3 Nr 3 a und Nr 4 SGB II) Anspruch auf Sozialgeld hätten (§ 28 Abs 1 Satz 1 SGB II).
2. Da nach den bisherigen Ausführungen im Anordnungsverfahren nicht klärungsfähig ist, ob diese Leistungsansprüche der Antragsteller bestehen, hängt es von der Folgenabwägung (dazu oben, 1. Alternative) ab, ob Leistungen vorläufig zuzusprechen sind. Diese ist hier zugunsten der Antragsteller zu treffen, denen soweit ersichtlich zurzeit kein hinreichendes eigenes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Einer möglichen Rechtsverletzung der Antragsteller (gegeben für den Fall, dass ihnen ein Leistungsanspruch zusteht) stehen, abgesehen vom Ausfall¬risiko im Rückforderungsfalle, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich gestützte Position der Antragsteller nicht. Der Senat kann dabei offen lassen, in welchen Fallgruppen und mit welchem Gewicht er ggf die Rückkehrmöglichkeit ins Heimatland in die Folgenabwägung einbezieht. Hier drängen sich derartige Erwägungen auch unter Berücksichtigung der aufgezeigten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht auf, da eine vorläufige Rückkehr der Antragsteller nach Rim Hinblick auf die kontinuierlichen Bemühungen des Antragstellers zu 1) um die Sicherung des Lebensunterhaltes, die Dauer des Aufenthalts, den Schulbesuch der Antragsteller zu 3) bis 9) und die Struktur der Bedarfsgemeinschaft nicht zumutbar erscheint.
Der Senat hält es für den einstweiligen Rechtsschutz für sachgerecht und ausreichend, den Antragstellern - neben den auf Bedarfsseite vollen Leistungen für Unterkunft und Heizung - die Regelleistungsbeträge (für die gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist) mit einem Abschlag von 85% zuzusprechen. Er erkennt in vergleichbaren Eilverfahren die Regelleistung regelmäßig nur den Hilfebedürftigen in voller Höhe zu, die nach dem vorliegenden Erkenntnisstand im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben werden. Erscheint hingegen ein Obsiegen des jeweiligen Antragstellers im Hauptsacheverfahren als unwahrscheinlich, beschränkt der Senat den Ausspruch in der Regel auf die unabdingbar notwendigen Leistungen, wobei er den Maßstab aus § 31 Abs 1 und 3 Satz 6 SGB II entnimmt, wonach das Arbeitslosengeld II unter bestimmten Voraussetzungen in einer ersten Stufe um 30% gekürzt wird bzw bei einer Kürzung der Regelleistung um mehr als 30% ergän¬zende Sachleistungen zu erwägen sind (vgl Senatsbeschluss vom 04. Juli 2007 – L 10 B 855/07 AS ER). Ist die Beurteilung der Sache indes - wie hier – offen, erachtet es der Senat demgemäß als sachgerecht, zwischen dem maximalen Abschlag von 30% und der vollen Regelleistung zu mitteln und auf 85% der Regelleistung zu erkennen (vgl Senatsbeschluss vom 19. August 2008 – L 10 B 1481/08 AS ER). Zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass dies nicht bedeutet, dass die Antragsteller tatsächlich den aufgezeigten Anteil der jeweiligen Regelleistung gemäß § 20 bzw § 28 SGB II erhalten werden. Bezeichnet ist insofern nur der zu berücksichtigende Bedarf, dem zur Ermittlung des tatsächlichen Leistungsbetrages, die der Antragsgegnerin obliegt, das anrechenbare Einkommen gegenüber zu stellen ist.
Soweit die Beschwerde mehr als die zugesprochenen Leistungen zum Gegenstand hatte, war sie zurückzuweisen. Die zugesprochenen Leistungen sind ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Beschlusses als Telefax bei der Antragsgegnerin - für Juli 2010 also anteilig - zu gewähren, da nur für die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfs die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung gegeben ist; für die Vorzeit bleibt die Beschwerde daher erfolglos. Der Senat begrenzt die Verpflichtung im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens bis zum 31. Dezember 2010.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) anfechtbar, § 177 SGG.
Düe Sinner-Gallon Korte
Ausgefertigt: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 14. Juli 2010
Klawes, Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Rechtskraft
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