L 9 KR 128/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 363/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 128/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf Gewährung von Krankenhausbehandlung setzt abgesehen von Notfällen regelmäßig voraus, dass der Krankenkasse vor der staionären Aufnahme eine vertragärztliche Verordnung vorgelegt und ein Antrag gestellt wird.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten einer zum Zwecke des laparoskopischen Gastric-Banding (Einbringung eines Magenbandes) durchgeführten stationären Krankenhausbehandlung.

Der im März 1949 geborene Kläger ist hochgradig übergewichtig. Im Juni 2004 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten eines laparoskopischen Gastric-Banding. Hierzu legte er eine Bescheinigung des Dr. S der Klinik für minimal invasive Chirurgie vom 18. Juni 2004 vor, nach der bei ihm ein Gewicht von 191 kg bei einer Körpergröße von 1,87 m bestand. Es läge somit eine Adipositas 3.Grades vor. Der Kläger sei schon immer übergewichtig gewesen, habe in den letzten 7 Jahren jedoch extrem zugenommen. Ursache seien ein ständiges Hunger- und mangelndes Sättigungsgefühl. Sämtliche konservativ durchgeführten Versuche zur Gewichtsreduktion hätten nie zu einem dauerhaften Erfolg geführt. Es bestehe aus chirurgischer Sicht die Indikation für den Eingriff, für den die Kostenübernahme beantragt werde. Der Kläger fügte weiterhin ein Attest des Arztes für Innere Medizin Dr. S vom 10. Juni 2004 bei, nach dem es trotz wiederholter Diätberatung und mehreren Reduktionsdiäten nicht zu einer ständigen Gewichtsabnahme gekommen und ein Gastric-Banding indiziert sei. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Berlin-Brandenburg e. V. vom 1. Juli 2004 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juli 2004 die Kostenübernahme ab. Der MDK habe dargelegt, dass die beantragte Operation Risiken beinhalte. Er habe stattdessen eine konsequente kalorienreduzierte Diät, weitere Ernährungsberatungen sowie eine qualifizierte fachärztliche Betreuung in spezialisierten internistischen Praxen empfohlen. In dem Bescheid wies die Beklagte weiter darauf hin, dass eine fachkundige Ernährungsberatung von ihr bezuschusst werden könne.

Der Kläger begab sich vom 28. bis 29. Juli 2004 zur stationären Behandlung in die Klinik für minimal invasive Chirurgie, die die Gastric-Banding-Operation laparoskopisch durchführte.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, die Operation sei die letzte Möglichkeit gewesen, eine Gewichtsreduktion herbeizuführen, da alle anderen Versuche bisher erfolglos geblieben seien. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass der Verzicht auf kalorienhaltige Speisen ebenso Erfolg versprechend sei wie die beantragte Maßnahme. Darüber hinaus könne das Magenband nur erfolgreich sein, wenn dauerhaft die Zufuhr hochkalorischer flüssiger und breiiger Speisen reduziert werde. Dies sei jedoch bei ihm nicht gewährleistet.

Die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten endete am 30. November 2004.

Das Sozialgericht Potsdam hat die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage mit Urteil vom 25. Januar 2006 abgewiesen. Es hat ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Eine Kostenerstattung käme bereits deshalb nicht in Betracht, da nicht dargelegt sei, dass der Kläger überhaupt einem durchsetzbaren Vergütungsanspruch der Klinik ausgesetzt sei. Denn er habe weder eine entsprechende Rechnung noch eine Vergütungsvereinbarung eingereicht. Darüber hinaus folge das Sozialgericht der Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides.

Gegen das ihm am 7. März 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. April 2006 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Voraussetzungen für die Erstattung der ihm entstandenen Kosten seien erfüllt. Insbesondere hätte eine Indikation für die Durchführung des Eingriffes bestanden. Bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 54,7 sei er extrem übergewichtig gewesen. Er habe langjährig versucht, auf konservativem Wege eine Gewichtsreduktion zu erreichen, habe verschiedene Diäten durchgeführt, Ernährungsberatungen in Anspruch genommen, sowie im Jahre 1985 eine Kur durchgeführt. Von Januar bis Mai 2004 habe er ein Personal-Training-Programm bei einer privaten Trainerin in Anspruch genommen. Dies habe zu einer Gewichtsreduktion von 6 kg geführt, jedoch hätte das Training gestoppt werden müssen. Denn wegen eines erhöhten Blutdrucks seien weitere Risiken nicht auszuschließen und bei höherer Belastung mit vermehrten Rücken- und Gelenkschmerzen zu rechnen gewesen. Daher sei ein weitergehendes Training nicht sachgerecht erschienen. Von März bis Juni 2006 habe er ein Ernährungstraining durchgeführt und im Anschluss daran bis September 2003 eine weitere ernährungsspezifische Begleitung mit psychologischer Beratung. Im Jahre 2000 habe er für ca. ein halbes Jahr und erneut ab Ende Mai 2004 an Veranstaltungen der "Wight Watchers" teilgenommen. All diese Versuche seien erfolglos geblieben. Er sei nicht darüber aufgeklärt worden, welche anderen konservativen Versuche zur Gewichtsreduktion er noch hätte durchführen müssen. Die Operation sei aus seiner Sicht die letzte Möglichkeit gewesen. Danach habe er erheblich abgenommen, wiege nunmehr nur noch 138 kg. Es lägen neuere medizinische Erkenntnisse vor, auf Grund derer davon auszugehen sei, dass bei einer Adipositas 3. Grades auf konservativem Wege eine relevante Gewichtsreduktion nicht mehr herbeigeführt werden könne. Letztlich habe eine Mitarbeiterin der Beklagten ihm geraten, er solle formal einen Widerspruch einlegen, dann würden die Maßnahmen bewilligt werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der durchgeführten Gastric-Banding-Operation in Höhe von 5.114,69 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Der Kläger habe nicht in ausreichender Weise versucht, auf konservativem Wege das Gewicht zu reduzieren.

Das Gericht hat über die Frage, ob eine Indikation zur Durchführung der Operation bestand, Beweis erhoben durch Einholung zweier medizinischer Sachverständigengutachten des Chirurgen Dr. med. M B vom 25. Januar 2007 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. T vom 16. Oktober 2007. Es hat weiterhin Dr. B im Erörterungstermin vom 28. November 2008 ergänzend vernommen und einen Befundbericht des Facharztes für Chirurgie Dr. med. U S vom 18. April 2008 eingeholt.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren eine Rechnung der Klinik für minimal invasive Chirurgie vom 13. August 2008 über 5.114, 69 EUR eingereicht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Über die zulässige Berufung konnte der Berichterstatter gemäß den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der vom 28. bis 29. Juli 2004 durchgeführten stationären Behandlung zum Zwecke des laparoskopischen Gastric-Banding in Höhe von 5.114,69 EUR.

1.) Der Kostenerstattungsanspruch scheitert zwar nicht bereits deshalb, weil der Kläger seit dem 1. Dezember 2004 nicht mehr bei der Beklagten krankenversichert ist. Ein Kassenwechsel führt nach einer Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 23. Januar 2003 (B 3 KR 7/02 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 1), der der Senat folgt (Urteil vom 16. September 2009, 9 KR 1022/05, zitiert nach juris, Rn. 34), nicht zum Ende der Leistungspflicht der alten Krankenkasse, wenn der Leistungsanspruch des Versicherten schon vor dem Kassenwechsel bestanden, die frühere Krankenkasse den geltend gemachten Versorgungsanspruch zu Unrecht abgelehnt hat und sich mit der Leistungserbringung im Zeitpunkt des Kassenwechsels in Verzug befand. In solchen Fällen bleibt die frühere Krankenkasse weiterhin leistungspflichtig, weil sie es sonst in der Hand hätte, sich durch Leistungsverzögerung ihrer Verpflichtung zu entledigen. Die Beklagte hatte jedoch den vom Kläger geltend gemachten Versorgungsanspruch nicht zu Unrecht abgelehnt.

2.) Gemäß § 13 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten "nur" erstatten, soweit es das SGB V vorsieht (grundlegend hierzu BSGE 73, 271, 273 f). In Betracht kommt allein ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V. Dieser setzt voraus, dass eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) hat und dem Versicherten dadurch notwendige Kosten entstanden sind. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. z.B.: BSG, Urteil vom 04. April 2006, Az.: B 1 KR 12/05 R). Der Kläger hatte aber keinen Sachleistungsanspruch auf Gewährung stationärer Behandlung gemäß § 39 Abs. 1 SGB V zum Zwecke der Durchführung einer Gastric-Banding-Operation, da er zum einen der Beklagten keine Verordnung von Krankenhausbehandlung vorgelegt hat (hierzu unter 3.) und zum anderen der Eingriff medizinisch nicht indiziert war (hierzu unter 4.).

3.) Die §§ 15 Abs. 1, 72 Abs. 2, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V i.V.m. § 26 Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä) sowie §§ 4 und 7 der Krankenhausbehandlungs-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (in der Fassung vom 24. März 2003 (Banz Nr. 188 S. 22577)) sehen vor, dass Krankenhausbehandlung abgesehen von Notfällen vertragsärztlich zu verordnen ist. Die Verordnung ist nach allgemeiner Meinung formale Leistungsvoraussetzung (Noftz in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, K § 39 , Rn. 104; Brandts in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 39 SGB V, Rn. 106, Adelt in LPK-SGB V, § 39, Rn. 17; Schmidt in Peters (Hrsg.), Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rn. 299), deren Vorliegen von den Sozialgerichten von Amts wegen zu prüfen ist, so dass es nicht darauf ankommt, ob sich die Beklagte darauf beruft oder berufen kann. Als Leistungsvoraussetzung ist sie weder entbehrlich, über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ersetzbar, noch kann über ihr Fehlen durch eine entsprechende Anwendung von § 242 Bürgerliches Gesetzbuch hinweggesehen werden, weil das Rahmenrecht des Versicherten aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V auf Krankenhausbehandlung erst durch die Verordnung eines Vertragsarztes in einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung konkretisiert wird (Urteile des Senats vom 31. Januar 2007, L 9 KR 1168/05, zitiert nach juris, Rn. 29 und vom 12. November 2009, L 9 KR 11/08, zitiert nach juris, Rn, 27 ff).

Eine derartige Verordnung von Krankenhausbehandlung hat der Kläger nicht vorgelegt. Er hat zwar seinem Antrag auf Kostenübernahme ein Attest seinen behandelnden Arztes Dr. S beigefügt, in dem dieser mitteilte, die Operation sei indiziert und er bitte um Kostenübernahme. Dieses Attest ist aber ersichtlich keine Verordnung von Krankenhausbehandlung im Sinne der o.g. Vorschriften. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der behandelnde Arzt nicht den hierfür vorgesehenen Vordruck "Verordnung von Krankenhausbehandlung" (Muster 2 der Vordruck-Vereinbarung als Anlage 2 zum EKV-Ä und Ziffer 5 der Vordruck-Erläuterungen hierzu) verwendet hat. Darüber hinaus hat sich der Arzt nicht dazu geäußert, ob nach seiner Auffassung eine ambulante oder stationäre Durchführung erforderlich ist und welches das nächsterreichbare, geeignete Krankenhaus ist.

4.) Der Kostenerstattungsanspruch scheitert darüber hinaus daran, dass der Eingriff medizinisch nicht indiziert war.

a.) Zwar ist die Gewährung von Krankenhausbehandlung zum Zwecke der Einbringung eines Magenbandes bei bestehender Adipositas nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Denn zumindest bei einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 kg/m² oder bei Bestehen von Folgeerkrankungen ist anerkannt, dass eine im Sinne des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R, zitiert nach juris). Einer Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen einer Krankenhausbehandlung steht auch nicht entgegen, dass die Einbringung eines Magenbandes bisher noch nicht ausreichend erprobt ist und es weder definierte Behandlungsstandards noch ausreichende Erkenntnisse über den langfristigen Erfolg einer derartigen Behandlung gibt. Denn im Wege der Krankenhausbehandlung können auch neue, nicht ausreichend gesicherte Diagnose- und Behandlungsmethoden im Rahmen klinischer Studien erprobt werden, solange sie nicht durch eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 137c Abs. 1 SGB V ausgeschlossen sind (vgl. BSG, a.a.O.). Insoweit ist die Rechtslage anders als bei der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Für die hier in Rede stehende Behandlungsmethode, dem Einbringen eines Magenbandes, existiert eine derartige ausschließende Richtlinie nicht. Letztendlich wird eine Leistungspflicht der Beklagten auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil für das Übergewicht möglicherweise ein krankhaftes Essverhalten und nicht eine Funktionsstörung des an sich gesunden Magens verantwortlich ist. Diesem Umstand wird nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) dadurch Rechnung getragen, dass bei einem chirurgischen Eingriff in ein intaktes Organ die lediglich mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung bedarf, bei der die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind.

b) Jedoch sind die Voraussetzungen im konkreten Einzelfall des Klägers nicht erfüllt. Das BSG hat in seinen Urteilen vom 19. Februar 2003 (a.a.O.) und vom 16. Dezember 2008 (B 1 KR 2/08 R, zitiert nach juris) insoweit unter Auswertung medizinischer Fachliteratur ausgeführt, dass die Implantation eines Magenbandes nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht kommt, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen: "BMI größer als 40 kg/ m² oder kleiner als 35 kg/m² mit erheblichen Begleiterkrankungen, Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten, tolerables Operationsrisiko, ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung, Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung". Bei dem Kläger lag zwar eine Adipositas mit einem BMI erheblich größer als 40 kg/m² vor. Jedoch waren die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht erschöpft.

c) In den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften bestand und besteht Einigkeit darüber, dass vor Durchführung eines chirurgischen Eingriffs die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen. So wurde von der Fachtagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endoskopie in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 11. Dezember 1998 formuliert, dass zwei ernsthafte Versuche zur Gewichtsabnahme unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt worden sein müssen. Die Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetes-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, erarbeitet im November 1998 und zuletzt überarbeitet im Juni 2003 (AWMF-Leilinien-Register Nr. 050/001), sehen unter Pkt. 5.4.6. vor, dass vor Indikationsstellung wenigstens eine einjährige konservative Behandlung nach definierten Qualitätskriterien stattgefunden haben sollte. Die nach der hier streitgegenständlichen Behandlung im Dezember 2006 herausgegebene "Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas" der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas e.V. und der Deutschen Adipositas Gesellschaft e. V. führen aus (Seiten 5/6), dass eine Indikation gegeben sei, wenn konservative Behandlungsmaßnahmen nachweislich nicht erfolgreich waren. Bei den konservativen Verfahren handele es sich um multimodale, interdisziplinäre und langfristige Therapieprogramme nach Leitlinien der DAG. Neben rein diätischen Maßnahmen und der Pharmakotherapie sollten auch Bewegungstherapien bei noch ausreichender Mobilität nachgewiesen werden. Wichtig für die Bewertung der durchgeführten konservativen Therapien sei die Ernsthaftigkeit der Therapieversuche. Diese könne an folgenden Kriterien hinreichend erkannt werden: 1. Dauer der Therapie: Eine Therapie unter drei Monaten sei zu kurz und meistens nicht zu beurteilen. 2. Anzahl der Therapien: Wer viele Behandlungsversuche hinter sich hat, sei meistens auch motiviert. Wenn auch die dargestellten Leitlinien im Detail voneinander abweichen, so ist ihnen dennoch gemein, dass die Ernsthaftigkeit vorheriger, unter ärztlicher Aufsicht durchgeführter konservativer interdisziplinärer Behandlungsmaßnahmen genauestens zu prüfen ist. d) Anhand der eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten des Dr. B und des Dr. T konnte der Senat sich jedoch nicht davon überzeugen, dass ausreichende konservative Behandlungsversuche erfolgt sind. Dr. B geht in seinem Gutachten ausdrücklich davon aus, dass weitere konservative Behandlungsmöglichkeiten bestanden. In dem Gutachten des Dr. T wird zwar beschrieben, der Kläger habe eigene Versuche unternommen, eine Reduktion seines Gewichtes herbeizuführen. Der Sachverständige gibt hierzu eine Vielzahl von Diätversuchen im Laufe von vielen Jahren an, ohne diese zu konkretisieren. Er benennt insbesondere keine konservativen Behandlungsmaßnahmen, denen ein multimodales, interdisziplinäres und unter ärztlicher Leitung durchgeführtes Gesamtkonzept zu Grunde lag. Bei den vom Kläger benannten Maßnahmen, den Ernährungsberatungen, dem Personal-Training sowie der Teilnahme an den Kursen des kommerziellen Ernährungsberatungsanbieters "Wight Watchers" handelte es sich aber ersichtlich nicht Maßnahmen mit einem solchen multimodalen Konzept. Die in den 1980er-Jahren durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme, der ein solches Konzept zu Grunde gelegen haben könnte, liegt dagegen über 20 Jahre zurück und belegt daher aktuell kein Ausschöpfen konservativer Behandlungsmaßnahmen. Soweit Dr. T in seinem Gutachten abschließend zu dem Ergebnis kommt, es hätten im Juli 2004 keine anderen Therapiemöglichkeiten mehr bestanden, kann dem unter Berücksichtigung der genannten Leitlinien der Fachgesellschaften und der im Gutachten beschriebenen konservativen Behandlungsmaßnahmen nicht gefolgt werden. Denn der Sachverständige bezieht sich bei seiner Beurteilung nicht auf die Ausschöpfung konservativer Behandlungsmaßnahmen im Sinne der Leitlinien, sondern allein darauf, dass nach neueren Erkenntnissen solche vor allem bei Patienten mit Adipositas 3. Grades nur einen geringen bis gar keinen Erfolg zeigten. Er verweist dazu auf eine im Deutschen Ärzteblatt am 21. September 1997 veröffentlichte Übersichtsarbeit über "psychosomatische Aspekte der Adipositaschirurgie" von de Zwaan, Wolf und Herpertz. Abgesehen davon, dass dort lediglich in einem Satz diese Möglichkeit unter Bezugnahme auf andere Veröffentlichungen erwähnt wird, setzt sich der Sachverständige nicht damit auseinander, ob dies dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Die Autoren der Studie formulieren insoweit selbst, dass es "ausreichend Hinweise" (und eben nicht Nachweise!) - hierauf gebe. Jedenfalls haben derartige Erkenntnisse bisher keinen Eingang in die Leitlinien der Fachgesellschaften gefunden. Sie sehen bis heute gerade nicht vor, dass bei bestimmten medizinischen Umständen, z.B. ab einem bestimmten BMI, konservative Behandlungsmaßnahmen wegen fehlender Erfolgsaussichten von vornherein nicht in Betracht kommen und bereits deshalb eine Operationsindikation vorliegt. Darüber hinaus können medizinwissenschaftliche Erkenntnisse, die sich nach der hier streitigen Behandlung im Jahre 2004 ergeben haben, grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Die Beurteilung, ob eine (Krankenhaus-) Behandlung notwendig ist, ist nicht rückschauend, sondern unter Zugrundelegung der für den Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Erkenntnisse und Informationen zu beurteilen (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25. September 2007, GS 1 /06, sowie Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/08 KR R). Darüber hinaus hat Dr. T sich auch nicht damit auseinandergesetzt, ob bereits deshalb eine Indikation für den Eingriff nicht vorlag, weil eine ergänzende psychiatrische oder psychologische Begleitung nicht gegeben war. Nach den im Jahre 2004 geltenden Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetes-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (a.a.O.), Pkt. 5.4.6., S. 13 sollte die Hinzuziehung eines Psychologen bzw. Psychotherapeuten insbesondere dann erfolgen, wenn ein Verdacht auf eine echte Essstörung, wie z.B. ein "Binge-Eating" bestehe. Dr. T hatte aber bei dem Kläger eine derartige Diagnose (Binge-Eating-Disorder) gestellt (Seite 12 oben des Gutachtens). Gerade weil auch der Vorgutachter Dr. B, wenn auch für ihn fachfremd, die Notwendigkeit psychologischer Betreuung gesehen hat, hätte Dr. T sich hiermit eingehender auseinander setzen müssen. Dass im Nachhinein die Operation aus Sicht des Klägers als Erfolg zu werten ist, ändert nichts daran, dass zum Zeitpunkt der Durchführung der Operation keine Indikation im Sinne der Leitlinien vorlag. 5.) Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem geltend gemachten Umstand, der Kläger sei von der Beklagten nicht darüber aufgeklärt worden, dass eine Indikation zur Operation weitere konservative, unter ärztlicher Aufsicht durchgeführte interdisziplinäre Behandlungsmaßnahmen vorausgesetzt hätte. Die Beklagte hatte in ihrem ablehnenden Bescheid darauf hingewiesen, dass der MDK neben Ernährungsberatungen u. a. eine qualifizierte fachärztliche Betreuung in spezialisierten internistischen Praxen empfehle. Damit hatte sie deutlich den Vorrang weiterer konservativer Behandlungsmaßnahmen zum Ausdruck gebracht. Wenn beim Kläger darüber Unsicherheit geherrscht haben sollte, welche konservativen Behandlungsmaßnahmen er noch hätte durchführen können, so hätte er sich zwecks weiterer Beratung an die Beklagte wenden müssen. Letztlich kann sich der Kläger auch nicht darauf stützen, eine Mitarbeiterin der Beklagten habe ihm geraten, er solle Widerspruch einlegen, dann werde die Kostenübernahme erklärt werden. Den in eine solcher Aussage liegt ersichtlich keine rechtsverbindliche Zusicherung, die zu ihrer Wirksamkeit außerdem der Schriftform bedurft hätte (vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuchs/ Zehntes Buch – SGB X). 6.) Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung erfolglos blieb. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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