L 9 KR 230/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2431/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 230/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Krankengeld kann regelmäßig nur für zukünftige, der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgende Zeiträume begründet werden. Soweit demgegenüber § 6 Abs. 2 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vorsieht, dass die Bescheinigung für die Krankengeldzahlung in der Regel nicht zu einem mehr als 7 Tage zurückliegenden und nicht mehr als 2 Tage im Voraus liegenden Zeitraum erfolgen soll, steht dies in offensichtlichem Widerspruch zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und ist daher ohne Belang.
2. Teilt eine Krankenkasse ihren Versicherten mit, die Angaben auf dem Krankengeldauszahlungsschein über die „voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit“ seien für die Zahlung des Krankengeldes unerheblich, ist diese Aussage nicht nur irreführend, sondern verkehrt die gesetzliche Konzeption in ihr Gegenteil. Gleiches gilt für die Empfehlung einer Krankenkasse, den Krankengeldauszahlungsschein nur einmal monatlich dem behandelnden Arzt zur rückwirkenden Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit vorzulegen.
Es würde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, könnte in einem solchen Fall die fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einem Anspruch auf Krankengeld, dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, entgegengehalten werden.
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2006 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 15. April 2006 bis zum 15. Mai 2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge zu 1/3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für die Zeit vom 15. April 2006 bis zum 20. August 2006.

Die 1962 geborene Klägerin war bis zum 26. Dezember 2005 als Bürokraft mit Innen-/ Außendiensttätigkeiten bei einem Unternehmen der Immobilienbranche tätig; danach war sie bis zumindest Ende August 2006 arbeitslos. Seit dem 15. November 2005 war sie wegen einer Zoster-Erkrankung arbeitsunfähig. Ab dem 27. Dezember 2005 bezog sie von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 43,67 Euro netto. In seiner "Bescheinigung für die Krankengeldzahlung" vom 24. März 2006 gab der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Luszpinski an, die Klägerin sei aufgrund der Diagnose Zosterneuralgie noch bis mindestens 05. April 2006 arbeitsunfähig. Unter dem 18. April 2006 gab Dr. Luszpinski unter Verwendung des gleichen Vordrucks an, die Klägerin sei aufgrund derselben Diagnose bis zu einem nicht absehbaren Zeitpunkt arbeitsunfähig. Am 15. Mai 2006 behandelte Dr. Luszpinski letztmals die Klägerin. Seit dem 21. August 2006 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.

Mit einem Schreiben vom 31. Januar 2006 hatte die Beklagte der Klägerin Folgendes mitgeteilt:

"Die Krankengeldauszahlung erfolgt rückwirkend für 30 Kalendertage. Da wir bereits bis zum 24.01.2006 das Krankengeld ausgezahlt haben, ist die Auszahlung bis zum 27.01.2006 nicht möglich.

Krankengeld kann niemals für die Zukunft gezahlt werden. Die Angaben auf dem Krankengeldauszahlschein über die "voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit" sind für die Zahlung des Krankengeldes unerheblich, da bereits früher die Arbeitsfähigkeit eintreten kann, es dadurch zu einer Überzahlung kommen kann und wir das Krankengeld zurückfordern müssten.

Um dies zu verhindern, ist das Datum auf dem Auszahlschein relevant, das der Arzt setzt, wenn er den Schein unterschreibt (also Unterschriftsdatum des Auszahlscheines). Bis zu diesem Datum ist gewährleistet, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit besteht. Bis zu diesem Datum wird Krankengeld ausgezahlt.

Anbei erhalten Sie eine neue Bescheinigung zur Vorlage bei Ihrem Arzt. Damit wir den Rhythmus von 30 Tagen einhalten, legen Sie diese Bescheinigung bitte einmal monatlich, also ab dem 24.02.2006 oder am letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit Ihrem behandelnden Arzt vor."

In einem weiteren Schreiben vom 28. Februar 2006 wiederholte die Beklagte ihre Bitte an die Klägerin, den beigefügten Vordruck einmal monatlich ihrem behandelnden Arzt vorzulegen.

In seinem am 11. April 2006 für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage erstellten Gutachten kam der Facharzt für Allgemeinmedizin Keibler zum Ergebnis, dass die Klägerin ab dem 15. April 2006 auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11. April 2006 mit, dass nach der vorliegenden Stellungnahme des MDK die Arbeitsunfähigkeit und somit auch die Krankengeldzahlung mit dem 14. April 2006 endeten. Während des Wi¬derspruchsverfahrens bezog sich die Klägerin u.a. auf ein ärztliches Attest von Dr. Luszpinski vom 18. April 2006 und reichte einen auf einem Vordruck der Beklagten erstellten "Bericht für den Medizinischen Dienst" von Dr. Luszpinski vom 05. April 2006 ein. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des MDK (Herr Keibler) vom 03. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2006 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren veranlasste das Sozialgericht den Befundbericht von Dr. Luszpinski vom 07. Mai 2007 und wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2008 ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, die Klägerin sei nach dem 14. April 2006 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen, wie sich aus den o.g. Stellungnahmen des MDK und dem Befundbericht von Dr. Luszpinski ergebe.

Gegen diesen ihr am 09. Mai 2008 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 03. Juni 2008, zu deren Begründung sie vorbringt, sie sei arbeitsunfähig im Sinne der Definition des Sozialgerichts gewesen. Sie habe nach dem 14. April 2006 keine Beschäftigung aufnehmen können, da sie weder lange sitzen noch stehen noch gehen hätte können und sehr schnell erschöpft gewesen sei. Dr. Luszpinski habe sie auch nach dem 15. Mai 2006 als arbeitsunfähig angesehen, habe dies aber nicht bescheinigt, weil er von der Beklagten hierzu nicht aufgefordert worden sei. Die Ärzte des MDK hätten sie nicht richtig wahrgenommen, ihre Krankenakte nicht richtig gelesen und den Befundbericht von Dr. Luszpinski vom 05. April 2006 nicht berücksichtigt. Die Beklagte sei nach § 4 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet, ihre Mitglieder zu schützen. Unterlasse eine Krankenkasse bestimmte Maßnahmen, dürfe dies nicht der Kranke hinterher ausbaden müssen. Durch den ungerechtfertigten Widerstand der Krankenkasse habe sich ihr Krankheitsbild nach dem 14. April 2006 zunächst verschlimmert. Am 15. Mai 2006 habe Dr. Luszpinski seine Weigerung, für sie einen Widerspruch zu schreiben, damit begründet, dass sein Wartezimmer voll sei und er keine Zeit habe, einen Widerspruch zu schreiben. Im streitgegenständlichen Zeitraum sei sie zu niedergeschlagen und zu krank gewesen, um sich um weitere Bescheinigungen oder Anträge (z. B. der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters) bemühen zu können.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Krankengeld für die Zeit vom 15. April 2006 bis zum 20. August 2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Der Berichterstatter hat im Erörterungstermin vom 18. Dezember 2009 Dr. Luszpinski als Zeuge vernommen; wegen dessen Aussage wird auf die Niederschrift vom 18. Dezember 2009 (Bl. 172/173 der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat durfte aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 25. Februar 2010 in der Besetzung durch den Berichterstatter und zwei ehrenamtliche Richter entscheiden (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Zu Unrecht haben die Beklagte und das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für die Zeit vom 15. April 2006 bis zum 15. Mai 2006 abgelehnt.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte u.a. dann Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Das Gesetz erläutert nicht näher, was es mit dem Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" meint. Nach dem Wortsinn muss der Versicherte durch eine Erkrankung gehindert sein, seine Arbeit weiterhin zu verrichten. Hat der Versicherte im Beurteilungszeitpunkt einen Arbeitsplatz inne, kommt es darauf an, ob er die dort an ihn gestellten gesundheitlichen Anforderungen noch erfüllen kann. Verliert er den Arbeitsplatz, bleibt die frühere Tätigkeit als Bezugspunkt erhalten; allerdings sind nicht mehr die konkreten Verhältnisse am früheren Arbeitsplatz maßgebend, sondern es ist nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krankengeldes eng zu ziehen ist (Bundessozialgericht – BSG &61485;, Urteil vom 19. September 2002, Az.: B 1 KR 11/02 R, veröffentlicht unter www.bundes¬sozial¬ge¬richt.de, mit weiteren Nachweisen).

Darüber hinaus setzt ein Anspruch auf Krankengeld die vorherige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt voraus (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Wird – wie durch die Beklagte – Krankengeld zeitabschnittsweise gewährt, muss auch jedem Zeitabschnitt, für den ein Versicherter Krankengeld geltend macht, eine entsprechende ärztliche Feststellung vorausgehen (BSG, Urteil vom 22. März 2005, Az.: B 1 KR 22/04 R, veröffentlicht unter www.bun¬des¬sozi¬al¬gericht.de m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen kann die Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 15. April 2006 bis zum 15. Mai 2006 beanspruchen, nicht jedoch für den darauf folgenden Zeitraum.

1. Nach dem 15. April 2006 litt die Klägerin an einer Zosterneuralgie, die sich in brennenden und stechenden Schmerzen äußerte, welche sie auch nachts befielen und schlechten Schlaf zufolge hatten. Verbunden war diese Erkrankung mit großer Müdigkeit und einem erheblichen Unwohlsein. Die ärztlicherseits eingeleitete &61485; insbesondere medikamentöse &61485; Behandlung der Zosterneuralgie zeigte nicht den gewünschten Erfolg. Wegen der durch das zunächst verordnete Arzneimittel Carbamazepin verursachten Müdigkeit, die auch bei verringerter Dosis (2 x täg¬lich 50 mg) nicht nachließ, wurde die Klägerin am 26. April 2006 auf ein anderes Arzneimittel (Lyrica) umgestellt. Wegen Unverträglichkeit auch gegenüber diesem Medikament nahm die Klägerin ab dem 10. Mai 2006 wieder Carbamazepin ein. Als psychische Reaktion auf diese organische Erkrankung trat bei der Klägerin zusätzlich ab dem 26. April 2006 eine durch depressive Symptomatik gekennzeichnete Anpassungsstörung auf, die sich aus einem Zwiespalt ergab, dem sich die Klägerin nicht gewachsen sah. Die Behandlung dieser psychiatrischen Behandlung mit Antidepressiva lehnte die Klägerin jedoch aus Angst vor weiteren Nebenwirkungen ab.

Zu diesen Feststellungen gelangt die Kammer aufgrund der nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Angaben des Zeugen Dr. Luszpinski, insbesondere im Erörterungstermin vom 18. Dezember 2009. Diese vom Senat seiner weiteren Beurteilung zugrunde gelegten Tatsachen sind von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden.

Aufgrund dieser Erkrankungen war die Klägerin bis einschließlich zum 15. Mai 2006 arbeitsunfähig. Auch insoweit folgt der Senat der Einschätzung des Zeugen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Klägerin aufgrund der vom Zeugen beschriebenen, auch nachts auftretenden Schmerzen, der hierdurch sowie durch die medikamentöse Behandlung eintretenden großen Müdigkeit in Verbindung mit der durch die Anpassungsstörung hervorgerufenen erheblich eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit nicht in der Lage war, ihre mit Außendienst- und Fahrtätigkeiten sowie mit Kundenkontakt verbundenen beruflichen Aufgaben im erforderlichen Umfange auszuüben. Die hiervon abweichenden Einschätzungen des MDK überzeugen den Senat nicht. Zum einen berücksichtigen sie die ergänzenden Ausführungen des Zeugen im Erörterungstermin vom 18. Dezember 2009, insbesondere die Diagnose Anpassungsstörung sowie die oben geschilderten Krankheitserscheinungen der Zos¬ter¬neuralgie nicht. Zum zweiten gehen sie – mit Ausnahme der erst während des Gerichtsverfahrens am 20. Ok¬to¬ber 2006 erstellten Stellungnahme des MDK-Arztes Dr. Heinze (Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Arbeitshygiene), der allerdings unzutreffend eine reine Bürotätigkeit der Klägerin annimmt – zu Unrecht davon aus, die Klägerin sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Da die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin jedoch noch vor dem Ende ihres &61485; Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründenden &61485; Beschäftigungsverhältnisses begann und dieser Versicherungsschutz durch den Bezug von Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhalten wurde, musste Maßstab für die Prüfung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin zwar nicht die konkret zuletzt ausgeübte Tätigkeit, sondern die Tätigkeit einer Bürokraft in der Immobilienbranche mit Außendiensttätigkeiten sein. Diese "Verweisungs"-tätigkeit ist jedoch – wie allgemein bekannt ist ¬¬&61485; in nicht unerheblichem Umfang mit Besichtigungsterminen, d.h. auch mit Fahrtätigkeit, verbunden. Aus welchen Gründen die Klägerin eine solche Tätigkeit trotz der gravierenden Schmerz- und Müdigkeitszustände noch hätte ausüben können, ist den Stellungnahmen des MDK nicht zu entnehmen. Zum dritten misst der Senat der Einschätzung des Zeugen Luszpinski, der u.a. Facharzt für Neurologie ist, wegen der größeren Sachnähe im Vergleich zu den mit einer Stellungnahme betrauten MDK-Ärzte höheres Gewicht bei.

b) Unerheblich ist, dass – soweit ersichtlich – die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Zeit vom 06. April 2006 bis zum 18. April 2006 nicht ärztlich festgestellt wurde. Auf das Fehlen dieser Feststellung bzw. ihrer nicht rechtzeitigen Meldung (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall nicht berufen. Denn sie hat die Klägerin durch fehlerhafte Hinweise im o.g. Schreiben vom 31. Januar 2006 davon abgehalten, ihre Arbeitsunfähigkeit jeweils vor Ende des zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraumes ärztlich feststellen zu lassen.

Ein Anspruch auf Krankengeld kann regelmäßig nur für zukünftige, der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgende Zeiträume begründet werden, wie sich insbesondere aus der vom BSG äußerst streng ausgelegten Vorschrift des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ergibt (hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, Az.: B 1 KR 8/07 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de, m.w.N.). Die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit mit Wirkung für die Zukunft ist stets mit einer Prognose verbunden, die zwar in der Regel umso unsicherer sein mag, je weiter sie in die Zukunft reicht (BSG, Urteil vom 08. November 2005, Az.: B 1 KR 18/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de). § 6 Abs. 2 Satz 2 der vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V erlassenen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien in der im Jahre 2006 geltenden Fassung erlaubt jedoch die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit auch für längere Zeiträume, wenn dies aufgrund der Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufs offensichtlich sachgerecht ist. Soweit demgegenüber Satz 1 dieser Regelung vorsieht, dass die Bescheinigung für die Krankengeldzahlung in der Regel nicht zu einem mehr als 7 Tage zurückliegenden und nicht mehr als 2 Tage im Voraus liegenden Zeitraum erfolgen soll, steht dies ¬&61485; ebenso wie die in § 5 Abs. 3 Satz 2 AU-RL geregelte Befugnis von Vertragsärzten, im Ausnahmefall Arbeitsunfähigkeit auch rückwirkend zu attestieren &61485; in offensichtlichem Widerspruch zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und ist daher ohne Belang (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, Az.: B 1 KR 37/06 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de, m.w.N.).

Mit dieser gesetzlichen Konzeption des Krankengeldanspruchs sind die Hinweise der Beklagten in ihrem o.g. Schreiben vom 31. Januar 2006 an die Klägerin in keinster Weise zu vereinbaren. Soweit die Beklagte darin mitteilt, die Angaben auf dem Krankengeldauszahlungsschein über die "voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit" seien für die Zahlung des Krankengeldes unerheblich und nur bis zu dem Datum, das der Arzt setze, wenn er den Krankengeld-Auszahlungsschein unterschreibe, sei gewährleistet, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bestehe, sind diese Aussagen nicht nur irreführend, sondern verkehren die gesetzliche Konzeption in ihr Gegenteil.

Gleiches gilt für die Empfehlung der Beklagten in ihren beiden o.g. Schreiben, den Vordruck für die Auszahlung von Krankengeld nur einmal monatlich dem behandelnden Arzt vorzulegen. Denn zur Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruches, insbesondere nach Beendigung eines die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründenden Beschäftigungsverhältnisses, ist es regelmäßig &61485; von seltenen Ausnahmefällen abgesehen (hierzu BSG, Urteil vom 08. November 2005, s.o., m.w.N.) &61485; erforderlich, spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeits-Zeitraums einen Arzt aufzusuchen, um die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen.

Solche Hinweise, die gegenüber Versicherten die Rechtslage grob fehlerhaft darstellen, können nicht ohne Auswirkungen auf den Krankengeldanspruch bleiben, wenn sich Versicherte dementsprechend verhalten. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass sie im fraglichen Zeitraum aufgrund der Hinweise der Beklagten in ihren beiden o.g. Schreiben davon abgesehen hat, mehr als einmal monatlich Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt feststellen zu lassen. Es würde daher gegen den auch im Sozialrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, könnte in einem solchen Fall grob fehlerhaften Verhaltens einer Krankenkasse die fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einem Anspruch auf Krankengeld, dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, entgegengehalten werden.

2. Für den Zeitraum vom 16. Mai 2006 bis zum 20. August 2006 steht der Klägerin hingegen kein Anspruch auf Krankengeld zu. Insoweit fehlt es bereits an der ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit (hierzu unter a). Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin arbeitsunfähig war (hierzu unter b).

a) Im Zeitraum zwischen dem 16. Mai 2006 und 20. August 2006 hat die Klägerin nach ihren Angaben keinen Arzt aufgesucht. Arbeitsunfähigkeit konnte daher nicht ärztlicherseits festgestellt werden. Soweit die Klägerin sich insoweit darauf beruft, ihr sei es aus gesundheitlichen Gründen und aufgrund der Enttäuschung über das Verhalten des Zeugen Luszpinski nicht möglich gewesen, einen Arzt oder Behörden aufzusuchen, ist dies im vorliegenden Fall unbeachtlich. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, das Fehlen der ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit dann für unbeachtlich zu halten, wenn es einem Versicherten aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich war, einen Arzt aufzusuchen (etwa bei Bettlägerigkeit und der Gefahr einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung durch die mit dem Aufsuchen einer Arztpraxis verbundenen körperlichen Belastungen). Für einen solchen extremen Ausnahmefall ist bei der Klägerin jedoch nichts ersichtlich. Sie war am 15. Mai 2006 in der Lage, die Praxis des Zeugen aufzusuchen. Dass sich danach ihr Gesundheitszustand so gravierend verschlechtert hat, dass bereits das Aufsuchen einer Arztpraxis die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung ihrer Krankheiten hätte hervorrufen können, ist nicht ersichtlich. Die Kammer stellt hingegen nicht Abrede, dass die Klägerin vom Verhalten des Zeugen enttäuscht gewesen sein mag und sich in einer aus ihrer Sicht schwierigen Situation befand.

Die fehlende Feststellung von Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 16. Mai 2006 bis zum 20. August 2006 ist auch nicht wegen der fehlerhaften Hinweise der Beklagten in ihren o.g. Schreiben entbehrlich. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen den Schreiben der Beklagten und der fehlenden ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit. Denn nach dem Vorbringen der Klägerin suchte sie nach dem 15. Mai 2006 nicht wegen der fehlerhaften Hinweise der Beklagten keinen Arzt mehr auf, sondern weil sie sich gesundheitlich hierzu nicht in der Lage sah.

b) Nach den Feststellungen des Senats, der der fachlichen Einschätzung des Zeugen Luszpinski folgt, war die Klägerin nach dem 15. Mai 2006 nicht mehr arbeitsunfähig.

Der Zeuge hat seine Weigerung, der Klägerin auch über den 15. Mai 2006 hinaus Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen, wie folgt begründet:

"Am 15. Mai 2006 bat mich die Klägerin um einen Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse. Dies habe ich aus folgenden Gründen abgelehnt: Ich wollte, dass sich die Klägerin der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt und erst dann, wenn ein konkretes Arbeitsangebot des Arbeitsamtes vorliegt, ihre Arbeitsfähigkeit im Hinblick auf die angebotene Tätigkeit erneut geprüft wird. Dies habe ich getan, weil ich als Nervenarzt auch die Verantwortung für die weitere gesundheitliche Entwicklung der Klägerin habe. Gerade weil bei Schmerzpatienten die Gefahr der Chronifizierung sehr hoch ist, wollte ich eine solche Chronifizierung bei der Klägerin verhindern. Ich habe daher in dieser Situation eine Abwägung vorgenommen und mich letztlich aus therapeutischen Gründen gegen eine weitere Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit entschieden. Aus meiner Sicht waren es letztlich therapeutische Gründe, die Klägerin über den 15. Mai 2006 hinaus nicht mehr für arbeitsunfähig zu halten.

Hätte sich die Klägerin damals dazu entschlossen, Antidepressiva zu nehmen, hätte ich wohl für weitere 6 Wochen eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, weil dann eine weitere Therapieoption gegen die von mir befürchtete Chronifizierung bestanden hätte. Für die Dauer dieses Zeitraumes hätte abgewartet werden müssen, ob das Antidepressivum wirkt, so dass eine Feststellung von Arbeitsfähigkeit nicht zumutbar gewesen wäre."

Allerdings hat der Zeuge darüber hinaus auch erklärt, dass nach seiner Einschätzung die Klägerin auch ab dem 16. Mai 2006 krank gewesen sei, was auch daran zu erkennen sei, dass er ihr für weitere sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hätte, wenn sie sich der von ihm vorgeschlagenen Behandlung mit Antidepressiva unterzogen hätte. Die Rechtsbegriffe "Krankheit" und "Arbeitsunfähigkeit" sind, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergibt, nicht identisch. Krankheit im Sinne des SGB V ist jeder regelwidrige Körperzustand, der einer Behandlung bedarf. Die Schwelle zur Arbeitsunfähigkeit überschreitet eine Krankheit erst dann, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht (KK) / Höfler, § 44 SGB V, Rd. 10 mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Im Falle der Klägerin führten allerdings nicht die Geringfügigkeit der Krankheit zum Fehlen von Arbeitsunfähigkeit (wie dies etwa bei einer leichten Erkältung oder einer behandlungsbedürftigen Schnittwunde der Fall sein kann), sondern therapeutische Gründe. Dass die Gefahr der Chronifizierung einer Krankheit gerade bei Schmerzpatienten besonders hoch ist, ist in der medizinischen Wissenschaft anerkannt (vgl. Chronischer Schmerz, Publikation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bonn/Berlin 2001, veröffentlicht unter http://www.bmbf.de/pub/ chronischer schmerz.pdf; Th. Flöter, Der multimorbide Schmerzpatient, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2003, S. 32, veröffentlicht unter http://books.google.de, Stichworte "flöter" und "schmerzpatient"). Für die Therapie von Schmerzerkrankungen sind somit Maßnahmen, die einer Chronifizierung vorbeugen sollen, unabdingbar. Es leuchtet daher ein, wenn unter Abwägung aller Umstände des individuellen Krankheitsbildes bzw. -verlaufes die Bescheinigung weiterer Arbeitsunfähigkeit trotz bestehender Erkrankung aus therapeutischen Gründen unterbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass diese fachliche Einschätzung des Zeugen nicht sachgerecht war, hat der Senat nicht finden können.

c) Der Senat verkennt nicht, dass sich die Klägerin in der Zeit nach dem 15. Mai 2006 in einer für sie außerordentlich schwer zu bewältigenden, krisenhaften Situation befand. Ob der von der Klägerin während aller Termine vor dem Senat eindringlich vermittelte Eindruck, sie habe sich von der Beklagten in einer Situation im Stich gelassen gefühlt, in der sie im besonderen Maße auf deren Unterstützung angewiesen gewesen sei, zutrifft, hat der Senat nicht zu beurteilen. Aus der von der Klägerin in diesem Zusammenhang herangezogenen Vorschrift des § 4 SGB I ergibt sich für die Klägerin insoweit keine günstigere Rechtsposition. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift hat, wer in der Sozialversicherung versichert ist, im Rahmen u.a. der gesetzlichen Krankenversicherung ein Recht auf 1.die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit und 2.wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit, Mutterschaft, Minderung der Erwerbsfähigkeit und Alter. Allerdings handelt es sich bei diesen sozialen Rechten auf Zugang und Leistungen nicht um die Einräumung von Ansprüchen, sondern um die Darstellung grundsätzlicher Zielvorstellungen des Gesetzgebers für diesen Sozialrechtsbereich (KK/Seewald, § 4 SGB I, Rd. 3).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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