Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 10 KR 209/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 37/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Viertel zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist noch die Erstattung von 11.681,72 Euro für den Bezug von Lorenzos Öl in dem Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005.
Der 1962 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Nach Aufenthalten in dem Universitätsklinikum D (Klinik und Poliklinik für Neurologie, Direktor. Prof. Dr. R) vom 6. November 2002 bis 20. November 2002 und dem Krankenhaus H (Klinik für Neurologie, Chefarzt W. K) vom 21. April 2003 bis 25. April 2003 wurde ihm die Diagnose Adrenomyeloneuropathie (mit afferenter Ataxie, spastischer Paraparese und Morbus Addison) gestellt. Eine Adrenomyeloneuropathie (AMN) ist eine Erscheinungsform der angeborenen X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD), bei der sich im Wege einer Stoffwechselstörung überlange Fettsäuren (very long chain fatty acids, VLCFA) im Körper ansammeln. Das führt zu einer Schädigung der Nervenbahnen, gegebenenfalls mit Betroffenheit des Zentralnervensystems, peripherer Nerven, der Nebennierenrinde und der Hoden. Hauptsymptome der Krankheit sind spastische Lähmung der Beine, periphere Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 6. Mai 2003 an die Beklagte wegen einer Versorgung mit Spezialölen. Ihm sei bei dem Abschlussgespräch im Krankenhaus H eröffnet worden, dass andere Behandlungsmöglichkeiten kaum bestünden. Im Einzelnen begehrte der Kläger eine Versorgung mit den Ölen Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trierucat (GTE), deren Mischung im Verhältnis 4 zu 1 als "Lorenzos Öl" bezeichnet wird. "Lorenzos Öl" wird in Deutschland insbesondere von dem Arzt W. K zur Behandlung von Adrenoleukodystrophie bzw Adrenomyeloneuropathie eingesetzt, seine Einnahme soll die Entstehung und Ansammlung von überlangen Fettsäuren im Körper verhindern.
Mit Bescheid vom 21. August 2003 lehnte die Beklagte – nach Befragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – die Übernahme der Kosten für eine Therapie mit den Spezialölen ab, weil diese nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehörten. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe diese Therapie noch nicht beurteilt und bewertet. Eine akut lebensbedrohliche Situation liege nicht vor, wie sich aus dem vom MDK erstellten Gutachten ergebe.
Mit seinem Widerspruch wies der Kläger unter anderem darauf hin, dass er am 19. Mai 2003 die Therapie mit Lorenzos Öl begonnen habe. Zunächst seien dadurch Kosten in Höhe von 900,- Euro im Monat entstanden, die sich mittlerweile aber halbiert hätten, nachdem er die Öle getrennt beziehe und selbst mische. Seine Blutwerte seien erstmals nach Beginn der Therapie am 21. Juli 2003 überprüft und fast im Normbereich befunden worden. Die Beklagte wies den Widerspruch - nach erneuter Befragung des MDK - zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. November 2003). Zur Begründung führte sie aus, dass eine Kostenerstattung nicht möglich sei, weil die Spezialöle nicht Arzneimittel, sondern Nahrungsergänzungsmittel seien. Ihre Beschaffung gehöre nicht zu den Leistungspflichten der Krankenkassen, sie seien vielmehr der Eigenverantwortung der Versicherten zuzurechnen.
Dagegen richtet sich die bei dem Sozialgericht Cottbus erhobene Klage. Unter der Therapie mit Lorenzos Öl seien die Blutwerte auch im September 2003 normalisiert gewesen. Das Sozialgericht hat auf Anfrage von dem Gemeinsamen Bundesausschuss, Unterausschuss Arzneimittel, die Auskunft, dass Lorenzos Öl ein diätetisches Lebensmittel sei, sowie ein von dem MDK Westfalen/Lippe erstelltes ausführliches Gutachten zu Lorenzos Öl vom Mai 2004 erhalten. Zu Letzterem hat der Kläger auf eine von dem Arzt W. K dazu gefertigte Stellungnahme vom Februar 2005 verwiesen. Im Übrigen hat der Kläger noch ein Schreiben aus dem Krankenhaus H vom 3. Juni 2003, in dem ihm die Einnahme von Lorenzos Öl in einer täglichen Dosis von 70ml angeraten wird, sowie Rechnungen über den Bezug von Lorenzos Öl bzw GTO-Öl und GTE-Öl der S Gesellschaft für Ernährung mbH vom 16. Mai 2003 bis 10. Dezember 2004 vorgelegt.
Durch Urteil vom 6. Dezember 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Spezialöle habe. Die Beklagte habe die Versorgung des Klägers nicht zu Unrecht abgelehnt. Zwar habe ein Versicherter Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige, notwendige und wirtschaftliche Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Bei den Spezialölen handele es sich indessen nicht um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes, sondern um diätetische Lebensmittel. Dafür spräche schon, dass die Aufsichtsbehörden gegen den Vertrieb der Spezialöle trotz des Fehlens einer arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht eingeschritten seien. Selbst wenn es sich bei ihnen um Fertigarzneimittel handeln würde – wofür Anhaltspunkte allerdings fehlten -, bestünde ein Anspruch auf Versorgung gegen die Beklagte nur, wenn sie apothekenpflichtig wären und über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügten. An beiden Voraussetzungen fehle es aber. Eine Zulassung sei erforderlich, weil es sich um Fertigarzneimittel und nicht um Rezepturarzneimittel handeln würde. Denn die Spezialöle würden nicht jeweils individuell angefertigt, sondern fertig in den Verkehr gebracht. Auch ein Off-Label-Use scheide aus, weil jegliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehle. Zudem sei zu keiner Zeit ein Kassen- oder Privatrezept durch einen Vertragsarzt ausgestellt worden. Bei den Spezialölen handele es sich auch nicht um den Arzneimitteln gleichgestellte Ernährungskomponenten. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe in Richtlinien festzulegen, in welchen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung der GKV einzubeziehen seien. Zu diesen Stoffen gehörten die Spezialöle nicht. Auch ein Systemversagen liege nicht vor. Nach der beim Gemeinsamen Bundesausschuss, Unterausschuss Arzneimittel, eingeholten Stellungnahme vom 16. Februar 2005 handele es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel, das die in den Arzneimittel-Richtlinien genannten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung nicht erfülle. Es liege auch kein Versagen des Gesetzgebers vor, weil die Einbeziehung von Diät- oder Krankenkost der begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung widerspräche, deren Leistungspflicht auf Maßnahmen beschränkt sei, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten. Der Ausschluss gelte auch für Mehraufwendungen, die durch eine besondere krankheitsangepasste Ernährungsweise entstünden.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 24. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. Januar 2006 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er zunächst die Erstattung von 19.444,11 Euro sowie die Verurteilung zur Übernahme der weiteren Kosten der Behandlung mit den Spezialölen Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trierucat begehrt hat. Dazu hat er weitere Rechnungen der S Gesellschaft für Ernährung mbH bis zum 18. September 2006 vorgelegt. Er verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) v. 16. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 -, wonach die Kosten einer neuen Behandlungsmethode übernommen werden müssten, wenn eine lebensbedrohende Erkrankung mit einer nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder Linderung bestehe. Alternative Behandlungsmethoden stünden nicht zur Verfügung oder hätten nicht die gleiche Wirkung wie die Spezialöle. Es komme nicht darauf an, ob es sich um Arzneimittel oder gleichgestellte Substanzen handele, weil das BVerfG auf Behandlungsmethoden abgestellt habe. Die Behandlungsmethode durch Verwendung von Spezialölen sei durchaus vergleichbar mit der Bioresonanztherapie, über die das BVerfG entschieden habe. Im Übrigen werde auf die ärztliche Stellungnahme von W. K verwiesen. Dass er – der Kläger – trotz der Dauer des Verfahrens noch lebe, beweise die Wirksamkeit der Therapie. Ohne Not werde vorrangig thematisiert, ob Lorenzos Öl ein Arznei- oder ein Lebensmittel sei. Er leide aber an einer seltenen und schweren Erkrankung.
Nachdem der Kläger ein von der Beklagten am 14. September 2006/10. Mai 2007 abgegebenes Anerkenntnis, die bisher entstandenen Kosten der Behandlung vom 1. Oktober 2005 bis zum 7. Dezember 2006 i. H. v. 5.836,84 EUR zu erstatten, als Teilanerkenntnis angenommen hat, begehrt er nunmehr noch die Zahlung von 11.681,72 Euro.
Der Kläger beantragt (nach dem Sinn seines Vorbringens),
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Dezember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 11.681,72 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zunächst hat sie darauf verwiesen, dass der vom Kläger angeführte Beschluss des BVerfG vorliegend nicht anzuwenden sei, da es sich bei den Spezialölen nicht um Arzneimittel, pharmakologische Substanzen oder gleichgestellte Ernährungskomponenten handele, sondern um diätetische Lebensmittel. Mit Schreiben vom 14. September 2006 hat sich die Beklagte dann aber bereit erklärt, die für Behandlungen ab dem 1. Oktober 2005 bislang aufgelaufenen Kosten zu erstatten. Aufgrund der Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses sei davon auszugehen, dass mit Inkrafttreten der Arzneimittelrichtlinien zum 1. Oktober 2005 eine Verordnung der Öle nach Prüfung durch den behandelnden Arzt möglich sei. Für die Zeit vorher werde an der bisherigen Auffassung festgehalten. Für die Zukunft sei eine Kostenerstattung nicht mehr möglich, weil nunmehr eine Verordnung auf Kassenrezept erfolgen könne.
Der früher zuständige Senat hat eine von dem Sozialgericht Dortmund eingeholte Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte v. 26. Januar 2006 und des Gemeinsamen Bundesausschusses v. 27. April 2006 zu Lorenzos Öl zur Gerichtsakte beigezogen und den Beteiligten bekannt gegeben. Er hat von den behandelnden Ärzten Dres. R, D und H und von dem Krankenhaus M anforderungsgemäß medizinische Unterlagen über den Kläger erhalten. In seinem Auftrag hat Prof. Dr. A. R von der Universität R am 1. August 2008 ein fachärztliches Gutachten über Lorenzos Öl erstattet und dieses Gutachten auf Nachfrage am 10. Dezember 2008 ergänzt. Die S Gesellschaft für Ernährung mbH hat dem (früher zuständigen) Senat auf dessen Anfrage mit Schreiben vom 17. Februar 2009 Auskünfte zu dem von ihr vertriebenen Produkt "Lorenzos Öl" erteilt. Die Beteiligten haben sich beide mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Berufung hat keinen Erfolg, soweit die Beklagte dem Klagebegehren nicht selbst durch ihr (Teil-)Anerkenntnis entsprochen hat.
Das Urteil des Sozialgerichts erweist sich als zutreffend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung von Aufwendungen, die ihm durch die Beschaffung von Spezialölen (Lorenzos Öl) entstanden sind.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nur noch die Erstattung von vor dem 1. Oktober 2005 angefallenen Behandlungskosten. An seinem ursprünglichen Antrag, die Beklagte auch zur Sicherstellung der Versorgung in der Zukunft zu verurteilen, hat der Kläger nicht mehr festhalten lassen, nachdem sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. September 2006/10. Mai 2007 bereit erklärt hatte, ab dem 1. Oktober 2005 die bisher entstandenen Kosten zu übernehmen. Diese Übernahme betraf zwar nur Behandlungszeiträume bis zum 7. Dezember 2006, für die Zukunft sollte – jedenfalls nach der damaligen Ansicht der Beklagten – eine Verordnung auf Kassenrezept möglich sein. Da der Kläger nach erfolgter Teilerstattung, die sich ausdrücklich auf den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 7. Dezember 2006 bezog, nur noch einen weiteren Erstattungsbetrag in Höhe von 11.681,72 Euro verlangt, der sich aus dem Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005 errechnet, hat er im Berufungsverfahren den zunächst noch weitergehend auf Leistungen für die Zukunft gerichteten Klageantrag entsprechend beschränkt, so dass der Senat nicht mehr zu entscheiden hat, ob und welche Ansprüche gegen die Beklagte wegen einer Versorgung mit Lorenzos Öl für Zeiträume nach dem 7. Dezember 2006 noch bestehen.
Als gesetzliche Grundlage für den Kostenerstattungsanspruch kommt ausschließlich § 13 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Versicherten Kosten für selbstbeschaffte Leistungen in entstandener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu denjenigen gehört, welche die gesetzliche Krankenversicherung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, zuletzt Urt. v. 8. September 2009 – B 1 KR 1/09 R -, ständige Rechtsprechung). Die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen haben nach § 27 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, die insbesondere die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln umfasst (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).
1.) Lorenzos Öl ist begrifflich entweder als Arzneimittel oder als Lebensmittel einzuordnen (LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 - L 9 KR 98/02 -). Der Begriff des Arzneimittels bestimmt sich auch im Rahmen des SGB V zunächst nach dem Arzneimittelgesetz – AMG- (BSG, Urt. v. 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 - ). Er wird in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 des AMG definiert als Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen bzw. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Für die Einordnung als Arzneimittel spricht, dass Lorenzos Öl nach den Gebrauchsinformationen der das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH zur Therapie der Adrenoleukodystrophie bzw. Adrenomyeloneururopathie eingesetzt werden soll. Der vom früher zuständigen Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. R hat bestätigt, dass Lorenzos Öl in seiner bestimmungsgemäßen Hauptwirkung darauf gerichtet sei, im oder am Körper pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung physiologischer Faktoren zu wirken. Der behandelnde Arzt W. K hat gegenüber der Beklagten mehrfach angegeben, dass die Verwendung von Lorenzos Öl das weitere Fortschreiten der AMN bei dem Kläger verhindern und so den Eintritt weiterer Körperschäden bzw. krankhafter Beschwerden verhüten könne.
Allerdings gehören nach § 2 Abs. 3 AMG Lebensmittel nicht zu den Arzneimitteln. Nach der Gebrauchsinformation der das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH bzw. der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. R ist Lorenzos Öl als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Für den Begriff des Lebensmittels verweist (der am 5. September 2005 und damit kurz vor Ablauf des hier streitigen Zeitraums am 30. September 2005 in Kraft getretene) § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFBG) auf Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Das Europäische Recht zählt zu den Lebensmitteln alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartetet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden, mit Ausnahme der Arzneimittel (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R - jeweils mit weit. Nachweisen). Der europarechtliche Begriff des Arzneimittels unterscheidet zwischen Präsentationsarzneimitteln und Funktionsarzneimitteln. Ein Funktionsarzneimittel setzt eine tatsächliche Einwirkung auf die Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und eine nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel voraus. Der Begriff des Funktionsarzneimittels soll diejenigen Stoffe erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt worden sind und die entsprechend ihrer Wirkung angewandt werden. Für ein Präsentationsarzneimittel ist dagegen der Nachweis der Wirksamkeit nicht erforderlich, wohl aber muss es vom Hersteller oder ihm zurechenbarer Personen als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden (BSG, a.a.O.).
Ob Lorenzos Öl ein Funktionsarzneimittel in diesem Sinne ist, erscheint fraglich, weil seine Wirksamkeit jedenfalls bisher noch nicht zweifelsfrei erwiesen worden ist (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R -). Weder die bisher veröffentlichten Studien noch die von dem Arzt K durchgeführten eigenen Untersuchungen werden den an einen Wirksamkeitsnachweis zu stellenden Anforderungen auch nur annähernd gerecht. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R ergibt sich, dass bisher noch keine placebo-kontrollierte Studie durchgeführt wurde. Soweit auf eine 2004/2005 begonnene Studie am General Clinical Research Center und Kennedy-Krieger-Institut hingewiesen wird, kann diese Studie allenfalls Erkenntnisse für die Zukunft erbringen, aber nicht die im Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005 fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ersetzen.
Lorenzos Öl kann aber auch nicht zweifelsfrei als Präsentationsarzneimittel angesehen werden. Zwar wird es insbesondere zur Verwendung bei ALD/AMN angeboten, ohne dass auf die Möglichkeit einer Verwendung als Lebensmittel auch außerhalb dieser besonderen Indikation hingewiesen würde. Auch der im Vergleich zu "normalen" Speiseölen um ein vielfaches höhere Preis spricht dafür, dass Lorenzos Öl mit dem Anspruch auf den Markt gebracht wird, Heilung oder Linderung bewirken zu können. Gegen die Einordnung als Arzneimittel kraft Bezeichnung spricht indessen, dass die das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH Lorenzos Öl ausdrücklich als diätetisches Lebensmittel anbietet und eine Arzneimittelzulassung weder vorhanden ist noch angestrebt wird.
2.) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf indessen nicht an, ebenso wenig wie auf die Frage, ob die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimittel für die Zeit vor Inkrafttreten des LFGB nach anderen Kriterien zu erfolgen hätte (zweifelnd insoweit BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R). Unabhängig von der begrifflichen Einordnung als Arznei- oder Lebensmittel gehört eine Versorgung mit Lorenzos Öl nicht in den Leistungskatalog der GKV (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -, Urt. v. 16. Dezember 2008 – B 1 KN 3/07 R -). Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist jedenfalls deswegen ausgeschlossen.
a.) Wenn Lorenzos Öl als Arzneimittel anzusehen wäre, scheiterte der Anspruch auf Versorgung an der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Das Zulassungserfordernis ergibt sich aus § 21 AMG, wonach Fertigarzneimittel nicht ohne arzneimittelrechtliche Zulassung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Lorenzos Öls wäre als Fertigarzneimittel anzusehen (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R, LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 – L 9 KR 98/02). Fertigarzneimittel sind nach § 4 Abs. 1 AMG solche Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. Ein Rezepturarzneimittel wäre hier nicht deswegen anzunehmen, weil die Ölmischung aus zwei Ölen selbständig vom Verbraucher hergestellt wird. Kennzeichnend für Rezepturarzneimittel ist, dass sie nach ärztlicher Verordnung für den jeweiligen Behandlungsfall zusammengestellt werden. Eine individuelle, an den jeweiligen Verhältnissen des Patienten orientierte Mischung bei der Bereitung von Lorenzos Öl erfolgt aber nicht. Vielmehr bleibt das Mischungsverhältnis von 4 zu 1 aus GTO und GTE immer das gleiche.
Ohne Zulassung fehlte es an der Verkehrsfähigkeit. Es wäre auch nicht gesichert, dass die Öle als Arzneimittel nach Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit die sich aus den §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Voraussetzungen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit für eine Verordnung zu Lasten der GKV erfüllten (BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R -). Für Lorenzos Öl gibt es keine deutsche oder europäische arzneimittelrechtliche Zulassung oder ein laufendes Zulassungsverfahren. Das hat die das Produkt in Deutschland vertreibende S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH ausdrücklich dem Senat bestätigt. Somit kann das Öl grundsätzlich nicht zu den von der GKV zu leistenden Arzneimitteln gehören.
Es liegt auch kein Ausnahmefall vor. Nach der Rechtsprechung des BSG ist im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des SGB V eine Versorgung mit nicht zugelassenen Arzneimitteln zu Lasten der GKV ausnahmsweise möglich, wenn eine notstandsähnliche Situation vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden aktuellen Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R - im Anschluss an BVerfG, Urt. v. 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -). Drohen muss nach den Umständen des Einzelfalles, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kurzen Zeitraumes verwirklichen wird. Gleichgestellt ist der Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Das Arzneimittel muss in dieser Situation eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine wenigstens spürbare positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf bieten. Diese vom BSG für die Versorgung mit Arzneimitteln aufgestellten Regeln hat das BVerfG ausdrücklich als verfassungsrechtlich zulässig angesehen (BVerfG, Beschluss v. 30.Juni 2008 -1 BvR 1665/07).
Dass eine notstandsähnliche Situation bei dem Kläger vorliegt, kann der Senat indessen nicht feststellen. Nach der Epikrise des Arztes K vom 16. Dezember 2003 besteht bei dem Kläger im Rahmen der Adrenomyelonneuropathie (AMN) eine leichte spastische Parese, zurzeit nicht behandlungsbedürftig ist, und eine leichte Harnblasenfunktionsstörung. Eine zerebrale Beteiligung ist hingegen nicht gesichert. Aus diesen Diagnosen zeichnet sich keine lebensbedrohende oder vergleichbar erhebliche Erkrankung ab.
Zwar liegt außerdem ein Morbus Addison mit chronischer Nebenniereninsuffizienz vor, der mit der Gefahr einer sog. Addison-Krise (akute Niereninsuffizienz) einhergeht, die tödlich verlaufen kann. Es handelt sich um ein Leiden, das durch die fehlende Produktion von Nebennierenrindenhormonen gekennzeichnet ist, wofür als Behandlungsmöglichkeit eine medikamentöse Substitution zur Verfügung steht, die im Falle des Klägers auch erfolgt (vgl. Epikrise des Arztes K vom 16. Dezember 2003). Eine Addison-Krise tritt bei einer Störung der medikamentösen Substitution auf, wie dies bereits in der Vergangenheit u. a. im März 1997 (vgl. Epikrise des TKlinikums vom 5. Juni 1997) und im Februar 2003 im Rahmen einer Gastroenteritis (vgl. Epikrise des Krankenhauses M vom Februar 2003) der Fall war. Der Bezug des Morbus Addison zur AMN besteht darin, dass der gestörte Abbau der gesättigten, sehr langen Fettsäuren zu einer starken Anreicherung u. a. in der Nebennierenrinde führt (vgl. MDK-Gutachten von Mai 2004). Eine sog. Addison-Krise ist aber nicht direkte Folge der AMN, sondern entsteht erst aus einer gestörten medikamentösen Substitution. Zur Behandlung des Morbus Addison ist Lorenzos Öl mithin nicht erforderlich und geboten. Eine Addison-Krise, also auch die mit ihr einhergehende Lebensgefahr, kann nicht mit Lorenzos Öl, sondern nur mit der Wiederherstellung einer ausreichenden medikamentösen Substitution beseitigt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme des Arztes K von Februar 2005. Demnach kann sich aus dem Morbus Addison keine Leistungspflicht der Beklagten für Lorenzos Öl als nicht zugelassenem Arzneimittel ergeben.
Dass eine AMN ohne schwerwiegende zerebrale Betroffenheit, also in der bei dem Kläger vorliegenden Form, nicht als lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung anzusehen ist, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BSG, welches darauf hingewiesen hat, dass die Lebenserwartung der Patienten mit reiner AMN nicht verkürzt sei, viele AMN-Patienten die 7. und 8. Lebensdekade erreichten (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R). Aus den Ermittlungen in dem vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Sachverständige Prof. Dr. R hat in seinem Gutachten ausgeführt, nur bei 10 bis 20% der Patienten mit AMN komme es zu einer so schwerwiegenden Hirnbeteiligung, dass sich schwere Folgen bis hin zum Tod ergäben. Dieser Einschätzung entspricht auch das vom MDK Westfalen-Lippe erstellte Gutachten vom Mai 2004 mit der dazu ergangenen Stellungnahme des Arztes K von Februar 2005. Demnach liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen ausnahmsweise ein nicht zugelassenes Arzneimittel von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen ist.
b.) Als Lebensmittel wäre Lorenzos Öl ebenso wenig Gegenstand der Leistungspflicht der GKV. Dagegen spricht schon, dass Lebensmittel grundsätzlich nicht in den Leistungskatalog der GKV gehören (BSG, Urt. v. 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 -). Soweit § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V (in der während des streitigen Zeitraums geltenden Fassung) anordnete, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (bzw. der Gemeinsame Bundesausschuss) festzulegen hat, dass in medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden, ergibt sich daraus nichts anderes, weil Lorenzos Öl nicht zu diesen Stoffen gehört (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R; LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 – L 9 KR 98/02 -). Die Zuordnung zu diesen Stoffen ist zwar keine Frage der rechtlichen Bewertung, sondern im Wege einer naturwissenschaftlichen Analyse vorzunehmen (BSG, Beschluss v. 4. Juli 2005 – B 1 KR 101/04 B -). Das Ergebnis hat aber auch der vom früher zuständigen Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. R ausdrücklich bestätigt.
Ob sich eine andere rechtliche Bewertung der Verordnungsfähigkeit von Lorenzos Öl daraus ergibt, dass das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Wege der Ersatzvornahme am 25. August 2005 die Arzneimittelrichtlinien geändert und auch ergänzende Diäten zur Behandlung von angeborenen, seltenen Defekten im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel in die Produktgruppen nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V einbezogen hat (so Hessisches LSG, Urt. v. 15. Januar 2007 – L 8 KR 18/05 -), kann dahingestellt bleiben. Nach dem BSG (Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07) ist diese Änderung der Arzneimittelrichtlinien insoweit nichtig, weil sie den Kreis der zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähigen Lebensmittel ohne gesetzliche Grundlage erweitert. Darauf kommt es indessen hier nicht an, weil die Änderung der Arzneimittelrichtlinien ohnehin erst am 1. Oktober 2005 in Kraft treten sollte und vorliegend streitig nur noch Kostenerstattungsansprüche aus der Zeit vor Inkrafttreten der Änderung der Arzneimittelrichtlinien sind.
Der Ausschluss von Lebensmitteln aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch nicht verfassungswidrig, so dass insoweit kein Raum für eine erweiternde verfassungskonforme Auslegung des SGB V ist. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, es komme allein darauf an, ob die Gabe von Lorenzos Öl als Behandlungsmethode anzusehen sei, verkennt er den eingeschränkten Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese ist keineswegs von Verfassungs wegen gehalten, alles zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit Verfügbare zu leisten (BVerfG, Beschluss v. 30. Juni 2008 – 1 BvR 1665/07 - ; BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -). Ihre Leistungspflicht beschränkt sich vielmehr auf die im Einzelnen im Gesetz genannten (gezielten) Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung. Das BVerfG hat sich in seinem – vom Kläger mehrfach in Bezug genommenen - Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 - ausschließlich auf Arznei- und Hilfsmittel, bestimmte und insbesondere spezielle Gesundheitsleistungen in Abgrenzung zur Eigenverantwortung sowie ärztliche Behandlungsmethoden bezogen. Lorenzos Öl gehört aber weder als Arznei- noch als Lebensmittel zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, seine Einnahme ist auch keine Maßnahme der ärztlichen Behandlung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte einen Teil der streitigen Forderung im Berufungsrechtszug anerkannt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision entsprechend § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Streitig ist noch die Erstattung von 11.681,72 Euro für den Bezug von Lorenzos Öl in dem Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005.
Der 1962 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Nach Aufenthalten in dem Universitätsklinikum D (Klinik und Poliklinik für Neurologie, Direktor. Prof. Dr. R) vom 6. November 2002 bis 20. November 2002 und dem Krankenhaus H (Klinik für Neurologie, Chefarzt W. K) vom 21. April 2003 bis 25. April 2003 wurde ihm die Diagnose Adrenomyeloneuropathie (mit afferenter Ataxie, spastischer Paraparese und Morbus Addison) gestellt. Eine Adrenomyeloneuropathie (AMN) ist eine Erscheinungsform der angeborenen X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD), bei der sich im Wege einer Stoffwechselstörung überlange Fettsäuren (very long chain fatty acids, VLCFA) im Körper ansammeln. Das führt zu einer Schädigung der Nervenbahnen, gegebenenfalls mit Betroffenheit des Zentralnervensystems, peripherer Nerven, der Nebennierenrinde und der Hoden. Hauptsymptome der Krankheit sind spastische Lähmung der Beine, periphere Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 6. Mai 2003 an die Beklagte wegen einer Versorgung mit Spezialölen. Ihm sei bei dem Abschlussgespräch im Krankenhaus H eröffnet worden, dass andere Behandlungsmöglichkeiten kaum bestünden. Im Einzelnen begehrte der Kläger eine Versorgung mit den Ölen Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trierucat (GTE), deren Mischung im Verhältnis 4 zu 1 als "Lorenzos Öl" bezeichnet wird. "Lorenzos Öl" wird in Deutschland insbesondere von dem Arzt W. K zur Behandlung von Adrenoleukodystrophie bzw Adrenomyeloneuropathie eingesetzt, seine Einnahme soll die Entstehung und Ansammlung von überlangen Fettsäuren im Körper verhindern.
Mit Bescheid vom 21. August 2003 lehnte die Beklagte – nach Befragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – die Übernahme der Kosten für eine Therapie mit den Spezialölen ab, weil diese nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehörten. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe diese Therapie noch nicht beurteilt und bewertet. Eine akut lebensbedrohliche Situation liege nicht vor, wie sich aus dem vom MDK erstellten Gutachten ergebe.
Mit seinem Widerspruch wies der Kläger unter anderem darauf hin, dass er am 19. Mai 2003 die Therapie mit Lorenzos Öl begonnen habe. Zunächst seien dadurch Kosten in Höhe von 900,- Euro im Monat entstanden, die sich mittlerweile aber halbiert hätten, nachdem er die Öle getrennt beziehe und selbst mische. Seine Blutwerte seien erstmals nach Beginn der Therapie am 21. Juli 2003 überprüft und fast im Normbereich befunden worden. Die Beklagte wies den Widerspruch - nach erneuter Befragung des MDK - zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. November 2003). Zur Begründung führte sie aus, dass eine Kostenerstattung nicht möglich sei, weil die Spezialöle nicht Arzneimittel, sondern Nahrungsergänzungsmittel seien. Ihre Beschaffung gehöre nicht zu den Leistungspflichten der Krankenkassen, sie seien vielmehr der Eigenverantwortung der Versicherten zuzurechnen.
Dagegen richtet sich die bei dem Sozialgericht Cottbus erhobene Klage. Unter der Therapie mit Lorenzos Öl seien die Blutwerte auch im September 2003 normalisiert gewesen. Das Sozialgericht hat auf Anfrage von dem Gemeinsamen Bundesausschuss, Unterausschuss Arzneimittel, die Auskunft, dass Lorenzos Öl ein diätetisches Lebensmittel sei, sowie ein von dem MDK Westfalen/Lippe erstelltes ausführliches Gutachten zu Lorenzos Öl vom Mai 2004 erhalten. Zu Letzterem hat der Kläger auf eine von dem Arzt W. K dazu gefertigte Stellungnahme vom Februar 2005 verwiesen. Im Übrigen hat der Kläger noch ein Schreiben aus dem Krankenhaus H vom 3. Juni 2003, in dem ihm die Einnahme von Lorenzos Öl in einer täglichen Dosis von 70ml angeraten wird, sowie Rechnungen über den Bezug von Lorenzos Öl bzw GTO-Öl und GTE-Öl der S Gesellschaft für Ernährung mbH vom 16. Mai 2003 bis 10. Dezember 2004 vorgelegt.
Durch Urteil vom 6. Dezember 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Spezialöle habe. Die Beklagte habe die Versorgung des Klägers nicht zu Unrecht abgelehnt. Zwar habe ein Versicherter Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige, notwendige und wirtschaftliche Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Bei den Spezialölen handele es sich indessen nicht um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes, sondern um diätetische Lebensmittel. Dafür spräche schon, dass die Aufsichtsbehörden gegen den Vertrieb der Spezialöle trotz des Fehlens einer arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht eingeschritten seien. Selbst wenn es sich bei ihnen um Fertigarzneimittel handeln würde – wofür Anhaltspunkte allerdings fehlten -, bestünde ein Anspruch auf Versorgung gegen die Beklagte nur, wenn sie apothekenpflichtig wären und über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügten. An beiden Voraussetzungen fehle es aber. Eine Zulassung sei erforderlich, weil es sich um Fertigarzneimittel und nicht um Rezepturarzneimittel handeln würde. Denn die Spezialöle würden nicht jeweils individuell angefertigt, sondern fertig in den Verkehr gebracht. Auch ein Off-Label-Use scheide aus, weil jegliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehle. Zudem sei zu keiner Zeit ein Kassen- oder Privatrezept durch einen Vertragsarzt ausgestellt worden. Bei den Spezialölen handele es sich auch nicht um den Arzneimitteln gleichgestellte Ernährungskomponenten. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe in Richtlinien festzulegen, in welchen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung der GKV einzubeziehen seien. Zu diesen Stoffen gehörten die Spezialöle nicht. Auch ein Systemversagen liege nicht vor. Nach der beim Gemeinsamen Bundesausschuss, Unterausschuss Arzneimittel, eingeholten Stellungnahme vom 16. Februar 2005 handele es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel, das die in den Arzneimittel-Richtlinien genannten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung nicht erfülle. Es liege auch kein Versagen des Gesetzgebers vor, weil die Einbeziehung von Diät- oder Krankenkost der begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung widerspräche, deren Leistungspflicht auf Maßnahmen beschränkt sei, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten. Der Ausschluss gelte auch für Mehraufwendungen, die durch eine besondere krankheitsangepasste Ernährungsweise entstünden.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 24. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. Januar 2006 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er zunächst die Erstattung von 19.444,11 Euro sowie die Verurteilung zur Übernahme der weiteren Kosten der Behandlung mit den Spezialölen Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trierucat begehrt hat. Dazu hat er weitere Rechnungen der S Gesellschaft für Ernährung mbH bis zum 18. September 2006 vorgelegt. Er verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) v. 16. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 -, wonach die Kosten einer neuen Behandlungsmethode übernommen werden müssten, wenn eine lebensbedrohende Erkrankung mit einer nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder Linderung bestehe. Alternative Behandlungsmethoden stünden nicht zur Verfügung oder hätten nicht die gleiche Wirkung wie die Spezialöle. Es komme nicht darauf an, ob es sich um Arzneimittel oder gleichgestellte Substanzen handele, weil das BVerfG auf Behandlungsmethoden abgestellt habe. Die Behandlungsmethode durch Verwendung von Spezialölen sei durchaus vergleichbar mit der Bioresonanztherapie, über die das BVerfG entschieden habe. Im Übrigen werde auf die ärztliche Stellungnahme von W. K verwiesen. Dass er – der Kläger – trotz der Dauer des Verfahrens noch lebe, beweise die Wirksamkeit der Therapie. Ohne Not werde vorrangig thematisiert, ob Lorenzos Öl ein Arznei- oder ein Lebensmittel sei. Er leide aber an einer seltenen und schweren Erkrankung.
Nachdem der Kläger ein von der Beklagten am 14. September 2006/10. Mai 2007 abgegebenes Anerkenntnis, die bisher entstandenen Kosten der Behandlung vom 1. Oktober 2005 bis zum 7. Dezember 2006 i. H. v. 5.836,84 EUR zu erstatten, als Teilanerkenntnis angenommen hat, begehrt er nunmehr noch die Zahlung von 11.681,72 Euro.
Der Kläger beantragt (nach dem Sinn seines Vorbringens),
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Dezember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 11.681,72 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zunächst hat sie darauf verwiesen, dass der vom Kläger angeführte Beschluss des BVerfG vorliegend nicht anzuwenden sei, da es sich bei den Spezialölen nicht um Arzneimittel, pharmakologische Substanzen oder gleichgestellte Ernährungskomponenten handele, sondern um diätetische Lebensmittel. Mit Schreiben vom 14. September 2006 hat sich die Beklagte dann aber bereit erklärt, die für Behandlungen ab dem 1. Oktober 2005 bislang aufgelaufenen Kosten zu erstatten. Aufgrund der Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses sei davon auszugehen, dass mit Inkrafttreten der Arzneimittelrichtlinien zum 1. Oktober 2005 eine Verordnung der Öle nach Prüfung durch den behandelnden Arzt möglich sei. Für die Zeit vorher werde an der bisherigen Auffassung festgehalten. Für die Zukunft sei eine Kostenerstattung nicht mehr möglich, weil nunmehr eine Verordnung auf Kassenrezept erfolgen könne.
Der früher zuständige Senat hat eine von dem Sozialgericht Dortmund eingeholte Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte v. 26. Januar 2006 und des Gemeinsamen Bundesausschusses v. 27. April 2006 zu Lorenzos Öl zur Gerichtsakte beigezogen und den Beteiligten bekannt gegeben. Er hat von den behandelnden Ärzten Dres. R, D und H und von dem Krankenhaus M anforderungsgemäß medizinische Unterlagen über den Kläger erhalten. In seinem Auftrag hat Prof. Dr. A. R von der Universität R am 1. August 2008 ein fachärztliches Gutachten über Lorenzos Öl erstattet und dieses Gutachten auf Nachfrage am 10. Dezember 2008 ergänzt. Die S Gesellschaft für Ernährung mbH hat dem (früher zuständigen) Senat auf dessen Anfrage mit Schreiben vom 17. Februar 2009 Auskünfte zu dem von ihr vertriebenen Produkt "Lorenzos Öl" erteilt. Die Beteiligten haben sich beide mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Berufung hat keinen Erfolg, soweit die Beklagte dem Klagebegehren nicht selbst durch ihr (Teil-)Anerkenntnis entsprochen hat.
Das Urteil des Sozialgerichts erweist sich als zutreffend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung von Aufwendungen, die ihm durch die Beschaffung von Spezialölen (Lorenzos Öl) entstanden sind.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nur noch die Erstattung von vor dem 1. Oktober 2005 angefallenen Behandlungskosten. An seinem ursprünglichen Antrag, die Beklagte auch zur Sicherstellung der Versorgung in der Zukunft zu verurteilen, hat der Kläger nicht mehr festhalten lassen, nachdem sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. September 2006/10. Mai 2007 bereit erklärt hatte, ab dem 1. Oktober 2005 die bisher entstandenen Kosten zu übernehmen. Diese Übernahme betraf zwar nur Behandlungszeiträume bis zum 7. Dezember 2006, für die Zukunft sollte – jedenfalls nach der damaligen Ansicht der Beklagten – eine Verordnung auf Kassenrezept möglich sein. Da der Kläger nach erfolgter Teilerstattung, die sich ausdrücklich auf den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 7. Dezember 2006 bezog, nur noch einen weiteren Erstattungsbetrag in Höhe von 11.681,72 Euro verlangt, der sich aus dem Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005 errechnet, hat er im Berufungsverfahren den zunächst noch weitergehend auf Leistungen für die Zukunft gerichteten Klageantrag entsprechend beschränkt, so dass der Senat nicht mehr zu entscheiden hat, ob und welche Ansprüche gegen die Beklagte wegen einer Versorgung mit Lorenzos Öl für Zeiträume nach dem 7. Dezember 2006 noch bestehen.
Als gesetzliche Grundlage für den Kostenerstattungsanspruch kommt ausschließlich § 13 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Versicherten Kosten für selbstbeschaffte Leistungen in entstandener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu denjenigen gehört, welche die gesetzliche Krankenversicherung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, zuletzt Urt. v. 8. September 2009 – B 1 KR 1/09 R -, ständige Rechtsprechung). Die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen haben nach § 27 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, die insbesondere die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln umfasst (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).
1.) Lorenzos Öl ist begrifflich entweder als Arzneimittel oder als Lebensmittel einzuordnen (LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 - L 9 KR 98/02 -). Der Begriff des Arzneimittels bestimmt sich auch im Rahmen des SGB V zunächst nach dem Arzneimittelgesetz – AMG- (BSG, Urt. v. 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 - ). Er wird in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 des AMG definiert als Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen bzw. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Für die Einordnung als Arzneimittel spricht, dass Lorenzos Öl nach den Gebrauchsinformationen der das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH zur Therapie der Adrenoleukodystrophie bzw. Adrenomyeloneururopathie eingesetzt werden soll. Der vom früher zuständigen Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. R hat bestätigt, dass Lorenzos Öl in seiner bestimmungsgemäßen Hauptwirkung darauf gerichtet sei, im oder am Körper pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung physiologischer Faktoren zu wirken. Der behandelnde Arzt W. K hat gegenüber der Beklagten mehrfach angegeben, dass die Verwendung von Lorenzos Öl das weitere Fortschreiten der AMN bei dem Kläger verhindern und so den Eintritt weiterer Körperschäden bzw. krankhafter Beschwerden verhüten könne.
Allerdings gehören nach § 2 Abs. 3 AMG Lebensmittel nicht zu den Arzneimitteln. Nach der Gebrauchsinformation der das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH bzw. der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. R ist Lorenzos Öl als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Für den Begriff des Lebensmittels verweist (der am 5. September 2005 und damit kurz vor Ablauf des hier streitigen Zeitraums am 30. September 2005 in Kraft getretene) § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFBG) auf Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Das Europäische Recht zählt zu den Lebensmitteln alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartetet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden, mit Ausnahme der Arzneimittel (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R - jeweils mit weit. Nachweisen). Der europarechtliche Begriff des Arzneimittels unterscheidet zwischen Präsentationsarzneimitteln und Funktionsarzneimitteln. Ein Funktionsarzneimittel setzt eine tatsächliche Einwirkung auf die Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und eine nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel voraus. Der Begriff des Funktionsarzneimittels soll diejenigen Stoffe erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt worden sind und die entsprechend ihrer Wirkung angewandt werden. Für ein Präsentationsarzneimittel ist dagegen der Nachweis der Wirksamkeit nicht erforderlich, wohl aber muss es vom Hersteller oder ihm zurechenbarer Personen als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden (BSG, a.a.O.).
Ob Lorenzos Öl ein Funktionsarzneimittel in diesem Sinne ist, erscheint fraglich, weil seine Wirksamkeit jedenfalls bisher noch nicht zweifelsfrei erwiesen worden ist (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R -). Weder die bisher veröffentlichten Studien noch die von dem Arzt K durchgeführten eigenen Untersuchungen werden den an einen Wirksamkeitsnachweis zu stellenden Anforderungen auch nur annähernd gerecht. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R ergibt sich, dass bisher noch keine placebo-kontrollierte Studie durchgeführt wurde. Soweit auf eine 2004/2005 begonnene Studie am General Clinical Research Center und Kennedy-Krieger-Institut hingewiesen wird, kann diese Studie allenfalls Erkenntnisse für die Zukunft erbringen, aber nicht die im Zeitraum vom 15. Mai 2003 bis 30. September 2005 fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ersetzen.
Lorenzos Öl kann aber auch nicht zweifelsfrei als Präsentationsarzneimittel angesehen werden. Zwar wird es insbesondere zur Verwendung bei ALD/AMN angeboten, ohne dass auf die Möglichkeit einer Verwendung als Lebensmittel auch außerhalb dieser besonderen Indikation hingewiesen würde. Auch der im Vergleich zu "normalen" Speiseölen um ein vielfaches höhere Preis spricht dafür, dass Lorenzos Öl mit dem Anspruch auf den Markt gebracht wird, Heilung oder Linderung bewirken zu können. Gegen die Einordnung als Arzneimittel kraft Bezeichnung spricht indessen, dass die das Produkt in Deutschland vertreibenden S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH Lorenzos Öl ausdrücklich als diätetisches Lebensmittel anbietet und eine Arzneimittelzulassung weder vorhanden ist noch angestrebt wird.
2.) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf indessen nicht an, ebenso wenig wie auf die Frage, ob die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimittel für die Zeit vor Inkrafttreten des LFGB nach anderen Kriterien zu erfolgen hätte (zweifelnd insoweit BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R). Unabhängig von der begrifflichen Einordnung als Arznei- oder Lebensmittel gehört eine Versorgung mit Lorenzos Öl nicht in den Leistungskatalog der GKV (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -, Urt. v. 16. Dezember 2008 – B 1 KN 3/07 R -). Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist jedenfalls deswegen ausgeschlossen.
a.) Wenn Lorenzos Öl als Arzneimittel anzusehen wäre, scheiterte der Anspruch auf Versorgung an der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Das Zulassungserfordernis ergibt sich aus § 21 AMG, wonach Fertigarzneimittel nicht ohne arzneimittelrechtliche Zulassung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Lorenzos Öls wäre als Fertigarzneimittel anzusehen (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R, LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 – L 9 KR 98/02). Fertigarzneimittel sind nach § 4 Abs. 1 AMG solche Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. Ein Rezepturarzneimittel wäre hier nicht deswegen anzunehmen, weil die Ölmischung aus zwei Ölen selbständig vom Verbraucher hergestellt wird. Kennzeichnend für Rezepturarzneimittel ist, dass sie nach ärztlicher Verordnung für den jeweiligen Behandlungsfall zusammengestellt werden. Eine individuelle, an den jeweiligen Verhältnissen des Patienten orientierte Mischung bei der Bereitung von Lorenzos Öl erfolgt aber nicht. Vielmehr bleibt das Mischungsverhältnis von 4 zu 1 aus GTO und GTE immer das gleiche.
Ohne Zulassung fehlte es an der Verkehrsfähigkeit. Es wäre auch nicht gesichert, dass die Öle als Arzneimittel nach Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit die sich aus den §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Voraussetzungen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit für eine Verordnung zu Lasten der GKV erfüllten (BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R -). Für Lorenzos Öl gibt es keine deutsche oder europäische arzneimittelrechtliche Zulassung oder ein laufendes Zulassungsverfahren. Das hat die das Produkt in Deutschland vertreibende S Gesellschaft für klinische Ernährung mbH ausdrücklich dem Senat bestätigt. Somit kann das Öl grundsätzlich nicht zu den von der GKV zu leistenden Arzneimitteln gehören.
Es liegt auch kein Ausnahmefall vor. Nach der Rechtsprechung des BSG ist im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des SGB V eine Versorgung mit nicht zugelassenen Arzneimitteln zu Lasten der GKV ausnahmsweise möglich, wenn eine notstandsähnliche Situation vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden aktuellen Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R - im Anschluss an BVerfG, Urt. v. 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -). Drohen muss nach den Umständen des Einzelfalles, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kurzen Zeitraumes verwirklichen wird. Gleichgestellt ist der Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Das Arzneimittel muss in dieser Situation eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine wenigstens spürbare positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf bieten. Diese vom BSG für die Versorgung mit Arzneimitteln aufgestellten Regeln hat das BVerfG ausdrücklich als verfassungsrechtlich zulässig angesehen (BVerfG, Beschluss v. 30.Juni 2008 -1 BvR 1665/07).
Dass eine notstandsähnliche Situation bei dem Kläger vorliegt, kann der Senat indessen nicht feststellen. Nach der Epikrise des Arztes K vom 16. Dezember 2003 besteht bei dem Kläger im Rahmen der Adrenomyelonneuropathie (AMN) eine leichte spastische Parese, zurzeit nicht behandlungsbedürftig ist, und eine leichte Harnblasenfunktionsstörung. Eine zerebrale Beteiligung ist hingegen nicht gesichert. Aus diesen Diagnosen zeichnet sich keine lebensbedrohende oder vergleichbar erhebliche Erkrankung ab.
Zwar liegt außerdem ein Morbus Addison mit chronischer Nebenniereninsuffizienz vor, der mit der Gefahr einer sog. Addison-Krise (akute Niereninsuffizienz) einhergeht, die tödlich verlaufen kann. Es handelt sich um ein Leiden, das durch die fehlende Produktion von Nebennierenrindenhormonen gekennzeichnet ist, wofür als Behandlungsmöglichkeit eine medikamentöse Substitution zur Verfügung steht, die im Falle des Klägers auch erfolgt (vgl. Epikrise des Arztes K vom 16. Dezember 2003). Eine Addison-Krise tritt bei einer Störung der medikamentösen Substitution auf, wie dies bereits in der Vergangenheit u. a. im März 1997 (vgl. Epikrise des TKlinikums vom 5. Juni 1997) und im Februar 2003 im Rahmen einer Gastroenteritis (vgl. Epikrise des Krankenhauses M vom Februar 2003) der Fall war. Der Bezug des Morbus Addison zur AMN besteht darin, dass der gestörte Abbau der gesättigten, sehr langen Fettsäuren zu einer starken Anreicherung u. a. in der Nebennierenrinde führt (vgl. MDK-Gutachten von Mai 2004). Eine sog. Addison-Krise ist aber nicht direkte Folge der AMN, sondern entsteht erst aus einer gestörten medikamentösen Substitution. Zur Behandlung des Morbus Addison ist Lorenzos Öl mithin nicht erforderlich und geboten. Eine Addison-Krise, also auch die mit ihr einhergehende Lebensgefahr, kann nicht mit Lorenzos Öl, sondern nur mit der Wiederherstellung einer ausreichenden medikamentösen Substitution beseitigt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme des Arztes K von Februar 2005. Demnach kann sich aus dem Morbus Addison keine Leistungspflicht der Beklagten für Lorenzos Öl als nicht zugelassenem Arzneimittel ergeben.
Dass eine AMN ohne schwerwiegende zerebrale Betroffenheit, also in der bei dem Kläger vorliegenden Form, nicht als lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung anzusehen ist, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BSG, welches darauf hingewiesen hat, dass die Lebenserwartung der Patienten mit reiner AMN nicht verkürzt sei, viele AMN-Patienten die 7. und 8. Lebensdekade erreichten (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -; Urt. v. 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 R). Aus den Ermittlungen in dem vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Sachverständige Prof. Dr. R hat in seinem Gutachten ausgeführt, nur bei 10 bis 20% der Patienten mit AMN komme es zu einer so schwerwiegenden Hirnbeteiligung, dass sich schwere Folgen bis hin zum Tod ergäben. Dieser Einschätzung entspricht auch das vom MDK Westfalen-Lippe erstellte Gutachten vom Mai 2004 mit der dazu ergangenen Stellungnahme des Arztes K von Februar 2005. Demnach liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen ausnahmsweise ein nicht zugelassenes Arzneimittel von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen ist.
b.) Als Lebensmittel wäre Lorenzos Öl ebenso wenig Gegenstand der Leistungspflicht der GKV. Dagegen spricht schon, dass Lebensmittel grundsätzlich nicht in den Leistungskatalog der GKV gehören (BSG, Urt. v. 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 -). Soweit § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V (in der während des streitigen Zeitraums geltenden Fassung) anordnete, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (bzw. der Gemeinsame Bundesausschuss) festzulegen hat, dass in medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden, ergibt sich daraus nichts anderes, weil Lorenzos Öl nicht zu diesen Stoffen gehört (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R; LSG Berlin, Urt. v. 19. Januar 2005 – L 9 KR 98/02 -). Die Zuordnung zu diesen Stoffen ist zwar keine Frage der rechtlichen Bewertung, sondern im Wege einer naturwissenschaftlichen Analyse vorzunehmen (BSG, Beschluss v. 4. Juli 2005 – B 1 KR 101/04 B -). Das Ergebnis hat aber auch der vom früher zuständigen Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. R ausdrücklich bestätigt.
Ob sich eine andere rechtliche Bewertung der Verordnungsfähigkeit von Lorenzos Öl daraus ergibt, dass das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Wege der Ersatzvornahme am 25. August 2005 die Arzneimittelrichtlinien geändert und auch ergänzende Diäten zur Behandlung von angeborenen, seltenen Defekten im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel in die Produktgruppen nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V einbezogen hat (so Hessisches LSG, Urt. v. 15. Januar 2007 – L 8 KR 18/05 -), kann dahingestellt bleiben. Nach dem BSG (Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07) ist diese Änderung der Arzneimittelrichtlinien insoweit nichtig, weil sie den Kreis der zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähigen Lebensmittel ohne gesetzliche Grundlage erweitert. Darauf kommt es indessen hier nicht an, weil die Änderung der Arzneimittelrichtlinien ohnehin erst am 1. Oktober 2005 in Kraft treten sollte und vorliegend streitig nur noch Kostenerstattungsansprüche aus der Zeit vor Inkrafttreten der Änderung der Arzneimittelrichtlinien sind.
Der Ausschluss von Lebensmitteln aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch nicht verfassungswidrig, so dass insoweit kein Raum für eine erweiternde verfassungskonforme Auslegung des SGB V ist. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, es komme allein darauf an, ob die Gabe von Lorenzos Öl als Behandlungsmethode anzusehen sei, verkennt er den eingeschränkten Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese ist keineswegs von Verfassungs wegen gehalten, alles zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit Verfügbare zu leisten (BVerfG, Beschluss v. 30. Juni 2008 – 1 BvR 1665/07 - ; BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R -). Ihre Leistungspflicht beschränkt sich vielmehr auf die im Einzelnen im Gesetz genannten (gezielten) Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung. Das BVerfG hat sich in seinem – vom Kläger mehrfach in Bezug genommenen - Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 - ausschließlich auf Arznei- und Hilfsmittel, bestimmte und insbesondere spezielle Gesundheitsleistungen in Abgrenzung zur Eigenverantwortung sowie ärztliche Behandlungsmethoden bezogen. Lorenzos Öl gehört aber weder als Arznei- noch als Lebensmittel zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, seine Einnahme ist auch keine Maßnahme der ärztlichen Behandlung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte einen Teil der streitigen Forderung im Berufungsrechtszug anerkannt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision entsprechend § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved